Extremer Nebel – Beißende Affen – Über den Wolken und speiübel
N 29°34’08.5’’ E 103°26’55.9’’Datum:
31.03.2016 bis 06.04.2016
Tag: 277 – 283
Land:
China
Provinz:
Sichuan
Ort:
Emeishan
Breitengrad N:
29°34’08.5’’
Längengrad E:
103°26’55.9’’
Tageskilometer:
32 km + 120 km Bus
Gesamtkilometer:
16.256 km
Maximale Höhe:
3.099 m
Gesamthöhenmeter:
(Nur mit dem Rad zurückgelegte Höhenmeter)
27.581 m
Sonnenaufgang:
06:57 Uhr – 06:50 Uhr
Sonnenuntergang:
19:23 Uhr – 19:27 Uhr
Temperatur Tag max:
20°C
Temperatur Tag min:
2°C
(Fotos zum Tagebucheintrag finden Sie am Ende des Textes.)
Schon in Chengdu hörten wir vom Berg Emei Shan, der einer der vier heiligen buddhistischen Berge in China ist, 1996 in die Liste des UNESCO-Welterbes aufgenommen wurde und seine dort errichteten Tempelauf der Liste der Denkmäler der Volksrepublik China stehen. „Da müsst ihr unbedingt hin“, schwärmte Linda vom Hostel in Chengdu, weswegen wir uns heute auf dem Weg machen und wieder in westliche Richtung radeln. „Schau mal, da sind die ersten Affen“, ruft Tanja lachend auf ein paar überdimensional große Plastikaffen deutend, die sich auf einer Verkehrsinsel beim Radfahren, Turnen und Malen vergnügen. Da auf dem Emei Shan Affen leben, scheint dieses Tier eine Art Maskottchen der Gegend zu sein, denn auf dem weiteren Weg treffen wir immer wieder auf von kreativen Menschen gestaltete Affen, die in den Bäumen hängen, Karten studieren und Selfies schießen.
Ohne erwähnenswerte Erlebnisse erreichen wir unsere heutige Unterkunft eines richtigen Touristenortes, der darauf eingestellt ist, abertausende von Besuchern zu beherbergen. „Morgen müssen sie ausziehen“, erfahren wir, nachdem wir unsere Ausrüstung ins Zimmer geschleppt haben. „Wie ausziehen?“, frage ich. „Unser Guesthouse ist ab morgen ausgebucht. Die nächsten drei Tage sind Feiertage“, hören wir. „Wir haben doch für mindestens zwei Nächte gebucht“, meint Tanja, worauf das Mädchen der kleinen Rezeption in den Computer sieht, uns aber nicht finden kann. „Wir haben noch ein einziges Zimmer im Hinterhof frei. Ist entschieden kleiner. Wenn sie das wollen…? Kostet aber wegen den Feiertagen das Doppelte als ihr großes Zimmer in dem sie gerade sind und sie müssten sofort buchen“, bietet sie uns lächelnd an.
Weil uns die Inhaber des Guesthouses recht geldgierig erscheinen, checken wir am nächsten Morgen aus, um nebenan in einem anderen Gästehaus ein geräumiges Zimmer für den halben Preis zu beziehen. „Ab morgen wird auf dem Emei Shan die Hölle los sein“, überlege ich laut. „Und was willst du mir damit sagen?“, fragt Tanja. „Was hältst du davon noch heute mit dem Bus bis kurz unter den Gipfel zu fahren und die restliche Strecke hochzulaufen? Wenn wir gleich aufbrechen könnten wir das schaffen und wären vor dem Ansturm, der am Wochenende kommenden vielen tausend chinesischen Touristen, auf dem Berg gewesen. Wenn es uns dort gut gefällt können wir dann am darauffolgenden Tag die dreitägige Wanderung unternehmen. Die soll anstrengend sein, weshalb wir höchstwahrscheinlich kaum auf Menschen treffen.“ „Hm, warum nicht. Also lass uns schnell den Rucksack packen“, antwortet Tanja. 30 Minuten sind vergangen als wir uns in einem kleinen Bus wiederfinden. Er schlängelt sich 50 Kilometer über Serpentinen, Haarnadelkurven und Spitzkehren von 400 Meter auf ca. 2.600 Meter Höhe. Die Pfannkuchen und zwei Sandwich, die ich am Morgen noch heißhungrig in mich hineingeschlichtet habe, wollen meinen Körper auf schnellsten Weg verlassen. Nur mit großer Überredungskunst kann ich sie davon überzeugen dies nicht zu tun. In 1.700 Meter Höhe wird der Bus von einer dichten Wolkenwand verschluckt. „Oh weh, wenn das auf dem Gipfel auch so aussieht war die Fahrt umsonst“, meint Tanja. „Wenn wir Glück haben liegt die Bergspitze über den Wolken. Dafür soll der Emei Shan bekannt sein“, antworte ich und hoffe, das dass heute auch so sein wird. Vor einer Schranke hält unser Gefährt an. Wir müssen aussteigen und neben der 90 Yuan (12,32 €) kostenden Busfahrt nun 180 Yuan (24,64 €) pro Person Eintritt für den Berg bezahlen. „Unglaublich dass man in China für Berge Eintritt verlangt“, sage ich kopfschüttelnd. Nach zwei Stunden erreichen wir einen im Nebel liegenden Parkplatz. Die Sicht ist derart begrenzt, dass wir kaum 10 Meter weit sehen können. Warnschilder weisen auf die Gefährlichkeit des Gipfelpfades hin. Schnee und Eis lassen den Untergrund zu einer Rutschpartie werden. „Wir sollten mit der Seilbahn fahren“, schlägt Tanja vor. Ich blicke auf die Uhr. „Hm, vielleicht hast du recht. Eine Wanderung wäre unter diesen Umständen nicht empfehlenswert“, überlege ich. Wie im Blindflug tappen wir dahin und fragen ein paar im Nebel schemenhaft auftauchende Touristen nach dem Weg zur Seilbahn. „Nali“, (Dort) sagen sie in die weißgraue wabernde Wand deutend. Wieder müssen wir 120 Yuan (16,43 €) pro Person berappen. Zusammengerechnet 107,- € um einen Berg zu besuchen. „Die spinnen die Chinesen“, ärgere ich mich bezahlend. Wegen dem außergewöhnlich schlechten Wetter stehen an der Seilbahnstation keine Menschen an. Auf halber Strecke passieren wir ein Schild auf dem steht: Ab hier noch eine Stunde Wartezeit. „Man, da haben wir ja Glück. Stell dir vor was morgen los ist“, sage ich. Ohne jegliche Wartezeit betreten wir die große Gondel. Wir stehen direkt am Fenster und blicken in die Wolkensuppe. Nach kurzer Fahrt lichtet sie sich und als würde jemand einen Schalter umlegen wird es auf einer Höhe von 2.800 m urplötzlich hell. „Ahhhh! Ohhhh!“, rufen die Chinesen, klatschen in die Hände und freuen sich wie kleine Kinder als wir die Wolkenwand durchbrechen und sie unter uns liegt wie ein Schafswollteppich. Die Smartphones haben auf einmal Hochbetrieb. Jeder möchte ein Bild von dem Phänomen besitzen. Es dauert nicht lange und wir erreichen den 3.099 Meter hohen Gipfel. Obwohl es wegen den angenehm wärmenden Sonnenstrahlen nicht kalt ist, liegt auf machen Wegen Schnee und Eis. Wir laufen an unzähligen Essenständen und Verkaufsbuden vorbei. Dann geben breite Stufen den Blick auf eine 48 Meter hohe Statue frei, die Samantabhadra darstellt, ein allumfassendes gutes Wesen der Weisheit und Güte. Sie besteht aus mit Gold überzogenem Kupfer und gilt als eine der größten goldenen Buddha-Statuen der Welt. Auf einem riesigen Gestell opfern die Besucher und Gläubigen Kerzen. Wir genießen die Atmosphäre, steigen die Stufen nach oben, um den auf dem goldenen Gipfel stehenden Jinding Tempel zu bewundern, dessen Ursprung bis auf die Zeit der Tang-Dynastie (618 bis 907) zurückgeht. „Schon irre wie man damals das ganze Baumaterial auf 3099 Meter Höhe geschleppt hat, um dann solche Gebäude zu schaffen. Irgendwie erinnert mich das an den Spruch, Glaube versetzt Berge“, staune ich über die goldene Pracht, die, so könnte man meinen, auf dem weißen Wolken errichtet wurde. Nur wenige Meter weiter geraten wir erneut ins Staunen als wir den berühmten Augenbrauen-Berg, der den Namen wegen seiner länglichen Gradform bekommen hat, entdecken. An seiner Spitze schwebt ein kleiner Tempel über der weißen Wolkendecke. „Genau wie auf den Postkarten. Alleine dieser Anblick war es wert hier rauf zu kommen“, ist Tanja begeistert. Wir folgen einem Weg, dessen zur Bergkante befindliche Seite von einem massiven Zaun begrenzt ist. „Wow!“, entfährt es mir als mein Blick einer senkrecht abstürzenden Felswand folgt, die sich etwa 300 Meter unter uns im endlosen Wolkenmeer verliert. Die wabernden Ränder der weißen Wolkendecke gleichen den fahrigen Finger eines Geistwesens und vermitteln den Eindruck als greifen sie nach dem nackten Fels, um sich an ihm langsam zu uns hoch zu hangeln. „Faszinierend“, meint Tanja versonnen. „Der Ozean aus undurchdringlichen Wolken lässt einem glauben darauf laufen zu können.“ Wir schießen ein paar Fotos und sind von dem atemberaubenden Anblick wie hypnotisiert. An manchen Tagen schimmern in der Wolkendecke regenbogenartige Spiegelungen. In diesem Naturphänomen sahen einige Buddhisten das Tor zum Reinen Land, was viele Menschen veranlasste hineinzuspringen. Schon während der Ming-Dynastie (1368 bis 1644) wurde deswegen eine Absperrung gebaut, um die Gläubigen zu schützen. (Reines Land ist die Vorstellung eines Daseinsbereiches in dem der fortwährende Kreislauf von Wiedergeburt, von Werden und Sein, beendet ist, in dem alle Bedingungen zur spirituellen Praxis für die Erlangung der Buddhaschaft als günstig angesehen werden und große spirituelle Verdienste angehäuft werden können.)
Um die letzte Seilbahn, und vor allem den Bus ins Tal noch zu erreichen, verlassen wir den erhabenen Ort, obwohl wir gerne länger bleiben würden. Auf dem Weg nach unten saugt uns wieder die dichte Wolkenwand in sich ein. Als wäre unser Erlebnis auf dem Gipfel nur ein Traum gewesen ist die Bergwelt vom nassen Nebel eingehüllt. Plötzlich tauchen die Affen auf, die hier oben in großer Zahl leben und von den Touristen etwas zu Fressen fordern. Zwei junge Chinesinnen, die direkt vor uns laufen, werden von einem der Tibetmakaken blitzartig angegriffen. „Iiiiiihhhhhh!“, kreischen die beiden völlig verängstigt, während der aggressive Räuber ihnen eine Plastiktüte voller Lebensmittel klaut. Nicht anders könnend, springe ich dazwischen, lasse meinen Walkingstock durch die Luft sausen, worauf der Affe böse fauchend die Tüte fallen lässt und einen Meter zurückweicht. Die beiden Mädchen sehen mich wie erstarrt an. „Take it! Take your bag!“, rufe ich. Plötzlich lachen sie schüchtern und heben ihre Tüte wieder auf. „Xie xie“, bedanken sie sich als der Affe schon einen zweiten Angriff wagt. „Hau ab und lass die Mädels in Frieden!“, brülle ich ihn an. Fauchend wie ein böser Drache zieht er sich zurück. „Xie xie“, bedanken sich die zwei jungen Frauen erneut und eilen davon. Ein anderer der Tibetmakaken, der wegen seines muskulösen Körpers wie der Anführer der Truppe aussieht, springt einen Chinesen an, der wegen des Gewichtes des wilden Tieres ins straucheln kommt. Der Mann kann sich zum Glück auf den Beinen halten. Der haarige Anführer umklammert mit seinen kräftigen Hinterbeinen die Hüfte des Mannes und sieht nun aus wie ein Affe auf Menschenbeinen. Sich seiner mächtigen Ausstrahlung bewusst, nimmt er nun ganz seelenruhig die Tasche, die der Mann nach oben streckt, aus der Hand und verschwindet. Da die wilden Bergbewohner bekannt dafür sind im Notfall auch den einen oder anderen Menschen zu beißen, ist es sicherlich besser sie nicht zu reizen. Vor allem weil ihr Biss sehr schmerzhaft ist und auch Tollwut übertragen kann. Wir verweilen an dieser Stelle für kurze Zeit und beobachten wie die Affenbande, etwa genauso wie die Wegelagerer und Räuberbanden im europäischen Mittelalter, reihenweise wehrlose Passanten überfallen. Ein paar Männern, die sich mit ihrem Wanderstock zur verteidigen wissen, zeigen sie ihre langen Zähne. Hierbei kommt es eindeutig darauf an wer die größere Machoausstrahlung hat. Am Ende gibt der Klügere nach und manchmal ist dieser auch ein Affe.
Wir erwischen einen der letzten Busse. Diesmal finden wir keinen Platz in der vorderen Reihe. Voller Neugierde, wie meine Bilder geworden sind, packe ich die Kamera aus, um sie mir im Display anzusehen. Ein Fehler. Ein großer Fehler. Der Bus ist kaum losgefahren und windet sich um die ersten Haarnadelkurven, da sehe ich nach oben. Außer Nebel ist nichts zu erkennen. Ich verliere für Augenblicke die Orientierung und mir wird schlagartig schlecht. „War ein toller Tag“, sagt Tanja begeistert. „Bitte nicht sprechen. Mir ist furchtbar übel“, antworte ich jetzt krampfhaft aus dem Fenster sehend. Zwei Stunden geht es nun unaufhörlich von links nach rechts, von Serpentine zu Serpentine, von Haarnadelkurve zu Haarnadelkurve, von S-Kurve zu S-Kurve und von Kehre zu Kehre. Als wir unten im Tal ankommen bin ich grün im Gesicht. Ich habe es geschafft mich nicht zu übergeben aber von Bus fahren bin ich erstmal kuriert. Auch am folgenden Tag ist mir noch immer nicht gut. Nur beim Motorengeräusch eines Busses stellen sich mir die Haare auf. Von einer Wanderung auf den 3099 m hohen Berg sehe ich ab und nutze die Zeit, um unsere Erlebnisse niederzuschreiben…
Wer mehr über unsere Abenteuer erfahren möchte, findet unsere Bücher unter diesem Link.
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