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Mongolei/Tuwa Camp MONGOLEI EXPEDITION - Die Online-Tagebücher Jahr 2011

Vom Schamanen verflucht

N 51°33'336'' E 099°15'341''
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    Tag: 158

    Sonnenaufgang:
    09:28

    Sonnenuntergang:
    17:20

    Gesamtkilometer:
    1281

    Bodenbeschaffenheit:
    Eis, Schnee

    Temperatur – Tag (Maximum):
    minus 17°C

    Temperatur – Tag (Minimum):
    minus 25°C

    Temperatur – Nacht:
    minus 31°C

    Breitengrad:
    51°33’336“

    Längengrad:
    099°15’341“

    Maximale Höhe:
    1981 m über dem Meer

Am späten Morgen bekommen wir wieder Besuch. Der 33 Jahre alte Hadaa bringt sein Baby mit, um es uns mit Stolz zu zeigen. Begleitet wird er heute vom 37 jährigen Tso und von Huchee der etwa eben so alt ist. Zu unserem besseren Verständnis, wer in welchem Tipi oder Blockhaus lebt, haben wir jetzt die Wohnstätten durchnummeriert. Insgesamt gibt es im Tuwa-Camp zurzeit sieben Tipis, zwei Blockhäuser und unsere Jurte. Hadaa wohnt mit seiner jungen Frau und seinem Baby Undraamaa im Tipi 4. Tso lebt mit der Schamanin Saintsetseg und ihrer 20 jährigen Tochter Monkoo in Tipi 7 und Huchee teilt sich mit seinem Bruder Galaa und Schwester Mama Tipi 2.

„Was wollt ihr trinken, Tee oder Kaffee?“, fragt Tanja. „Kaffee!“, ist die einstimmige Antwort. Soweit es unser Mongolisch zulässt unterhalten wir uns. Erzählen den Männern mit unseren Pferde von Erdenet nach Mörön und weiter nach Tsagaan Nuur geritten zu sein. Sie verstehen, zeigen uns den nach oben gedrehten Daumen und lachen. „Hm, amttaj“, („schmackhaft“) loben sie den Kaffee. Wie bisher jeder Besuch der Tuwa bleiben sie nicht länger als 20 oder 30 Minuten. Dann bedanken sie sich höflich und verabschieden sich. „Irj irj baigaarai“, („Kommt wann immer ihr wollt“, sagt Tanja wie immer, um unseren Gästen zu signalisieren dass unsere Jurte jederzeit für sie offen steht und wir sehr gerne Kaffee, Tee und Gebäck anbieten. „Bairlalaa”, bedanken sie sich höflich.

Am Abend freuen wir uns über Tsaya und Ultsan. Mittlerweile sind wir uns schon vertrauter und unsere Treffen werden immer lockerer. Tsaya erzählt uns wie sie als junges Mädchen von ihren Eltern nach Amerika geholt wurde. „Meine Eltern sind schon zwei Jahre vor uns nach Amerika ausgewandert, um Geld zu verdienen. In der Mongolei waren zu diesem Zeitpunkt die wirtschaftlichen Verhältnisse eine Katastrophe. Nach zwei Jahren hatten meine Eltern genügen Geld gespart, um uns Kinder nachkommen zu lassen. Als wir dort ankamen haben sie alles aufgetischt wofür Amerika bekannt war. Hamburger, Donats, Pommes, Ketchup usw. Wir haben gegessen bis unsere Bäuche fast geplatzt sind. Ich verbrachte einen Teil meiner Kindheit und meine gesamte Jugend dort. Dann wurde es für meine Eltern immer schwerer Arbeit zu finden. Sie verkauften gerade noch rechtzeitig alles was sie hatten und zogen wieder in die Mongolei. Freunde von uns warteten zu lange und können sich jetzt nicht mal mehr das Flugticket leisten, um in die Heimat zu gelangen. Wie ich hier bei den Tuwa landete habe ich euch ja schon erzählt.

Nun, wie ihr wisst, verliebte ich mich in Ultsan. Seither sind wir ein unzertrennliches Paar. Vier Jahre lang sparten wir auf unser Baby. Wir wollten es besser vorbereiten als andere. Es ergibt keinen Sinn ein Baby zu bekommen und nicht genügend Geld für sich selbst zu besitzen. Ich wurde wie von uns geplant dieses Jahr schwanger. Wir freuten uns sehr auf unser Kind und unsere eigene Familie. Ich war im siebten Monat schwanger als sich mein Baby plötzlich aufhörte zu bewegen. Natürlich kam bei mir und Ultsan Panik auf unser Kleines könnte sterben. Wir baten um Hilfe bei unseren Stammesmitgliedern. Ich bekam ein Pferd mit einem weichen Schritt geliehen. Das war’s aber auch schon. Hier draußen helfen wir zwar zusammen aber trotzdem müssen die anderen weiter auf ihre Herde achten, Feuerholz machen, die Familie versorgen usw. Jeder hat seine Aufgabe in der Taiga. Das war der Grund warum uns auf dem Ritt nach Tsagaan Nuur keiner begleitete. Hoch schwanger saß ich nun auf dem Pferd, um mit meinem Ultsan so schnell als nur möglich ein Krankenhaus zu erreichen. Nach sechs Stunden im Sattel erreichten wir unser Wintercamp. Weil man dieses, zwar schwerlich aber mit dem Auto erreichen kann, wartete dort ein Krankenwagen von Tsagaan Nuur auf uns. Mittlerweile ist mein Kind gestorben. Weil ich nicht in der Lage war es auf natürlichen Weg zur Welt zu bringen, blähte sich mein Bauch mehr und mehr. Mir ging es übel und ich vergiftete von innen. Mein Leben hing an einem seidenen Faden. Im Krankenhaus von Tsagaan Nuur waren sie nicht ausgerüstet um das Kind mittels Kaiserschnitt aus mir herauszuholen. Ultsan telefonierte mit dem Krankenhaus in Mörön und forderte einen Krankenwagen an. „Wir können keinen Krankenwagen nach Tsagaan Nuur schicken. Ihr seid für die Situation selbst verantwortlich. Warum seid ihr nicht schon früher gekommen? Also bringt euch da selbst wieder raus. Ihr müsst auf eigene Faust nach Mörön kommen“, sagte der Arzt obwohl für solche Notfälle Krankenfahrten vom Staat bezahlt werden.

Ultsan organisierte einen Allradbus mit dem wir dann 12 Stunden nach Mörön fuhren. Als wir dort ankamen war ich kaum noch ansprechbar und mein Bauch ist weiter angeschwollen. Im Krankenhaus von Mörön gab es zu diesem Zeitpunkt keine Medikamente und keinen Tropfer um eine Geburt einzuleiten und ebenfalls keine Möglichkeiten, um einen Kaiserschnitt durchzuführen. Ich war also zum Tode verurteilt. Mit unseren letzten Ersparnissen, die eigentlich für unser Kind gedacht waren, kaufte Ultsan zwei Flugtickets nach Ulan Bator. Als wir dort noch am gleichen Tag ankamen war kein Bett für mich frei. Ultsan rief meine Mutter an die einige Chirurgen persönlich kennt. Sie organisierte dann ein Bett für mich. Mit den richtigen Medikamenten war ich nun in der Lage unser totes Kind eine natürlich Geburt zu geben.

Ultsan, der vorher noch nie in Ulan Bator oder einer richtigen Stadt war, hatte es nicht leicht. Er nahm seinen Erstgeborenen, wickelte ihn in ein weißes Tuch und begrub ihn außerhalb von Ulan Bator an einem Hügel. Keiner stand ihm bei. Mein Vater wollte und will mit ihm nichts zu tun haben. Er ist ein Taigamann. So eine Art Unterasse mit der man nichts gemein haben möchte. In Großteilen unserer Bevölkerung gelten die Taigamenschen heute noch als Taugenichtse, als ungebildete Wilde, Alkoholiker die um sich schlagen. Meine Eltern wollten mich mit einem reichen Mann verheiratet sehen und nicht mit einem Tuw. Das ist das Letzte. Liebe zählt nicht. Es geht um Geld und Wohlstand. Das ist was meine Eltern für mich wollen. Erfolgreich im Beruf, einen reichen Mann, Kinder, Ansehen, ein Auto aber keine Tochter die in einer einfachen Blockhütte in der Taiga mit ihrem Mann glücklich lebt. Deswegen hatten wir von meiner Familie keine Unterstützung.

Am nächsten Tag gab es im Krankenhaus unserer Hauptstadt keine Medikamente mehr. Sie sagten zu Ultsan er muss zur Apotheke gehen und sie für mich kaufen. Auch kostete das Zimmer in dem ich lag 10.000 Tugrik (5,70 €) am Tag. Für uns ein Vermögen, was wir nicht mehr hatten. Eine Freundin von uns, die in Frankreich lebt, überwies sofort 200,- Dollar. Das half uns in der Not. Da mein Körper innerlich vergiftet war musste ich einen Monat in der Klinik bleiben. Die Ärzte steckten mich tagsüber in einen Saal in dem es nur Mütter mit ihren Neugeborenen gab. Babygeschrei überall um mich herum. Frauen sprachen von nichts anderem als ihren Babys und gaben ihnen die Brust. Schwestern kamen herein und fragten mich immer wo mein Kind sei. Ich wurde vor Schmerz und Kummer um mein totes Kind fast wahnsinnig. „Ich muss hier raus!“, schrie ich. Aber die Ärzte ließen mich nicht gehen. „Sie haben einen Blutdruck von 250. Wenn sie das Krankenhaus verlassen werden sie sterben. Ihr Körper ist innerlich vergiftet. Sie benötigen viel Ruhe. Wir müssen versuchen ihr Immunsystem wieder aufzubauen“, hören wir fassungslos und bestürzt. „Gibt es denn für solche Fälle keine psychologische Betreuung?“, frage ich nach einigen Minuten des Schweigens. „Ha, ha, ha. Psychologische Betreuung ist in diesem Krankenhaus ein Fremdwort“, antwortet Tsaya. „Und wie ging es dann weiter?“, möchte Tanja wissen.

Nach einem Monat sind wir in die Taiga zurückgekehrt. Ich war glücklich wieder in unserem kleinen Blockhaus angekommen zu sein. Von unserem Schamanen erfuhren wir, dass der Professor der NGO, ihr wisst schon, der Mann der von den Holländern das Geld ergaunerte, mich verfluchte. Da er auch ein Schamane ist denken wir dass sein Fluch zwar mir galt aber das Leben unseres Kindes nahm. Durch spezielle Rituale und Kräuter nahm unser Schamane den Fluch von mir. Seither geht es mir besser.“ „Wie lange liegt diese furchtbare Erlebnis zurück?“, frage ich. „Vier Monate.“ „Was erst vier Monate? Da musst du ja noch immer unter den Folgen leiden“, sage ich. „Ja“, antwortet die junge Frau, der man ihre furchtbare Erfahrung optisch nicht mehr ansieht.

„Die Taigafrauen sagen nun mein Körper sei nicht stark genug um ein Baby auszutragen. Das ist natürlich bitter. Auch sind unsere gesamten Ersparnisse bei der Rettung meines Lebens verbraucht worden. Jetzt beginnen wir von vorne. Wir werden es bestimmt schaffen auch ohne die Hilfe meiner Eltern. Ich sage euch, ohne die Hilfe meines lieben Ultsann hätte ich mir höchstwahrscheinlich das Leben genommen“, endet sie und streichelt ihm dabei über den Kopf.

Tanja und ich sprechen noch lange über diese furchtbare Geschichte. „Hätte Tsaya nicht versucht dem Volk der Tuwa zu helfen wäre dieses Drama wahrscheinlich nicht geschehen“, überlege ich. „Wie meinst du das?“, fragt Tanja. „Na ja. Denk doch mal nach. Dadurch das sie den Professor auffliegen hat lassen wurde sie von ihm verflucht. So wie wir gehört haben ist er auch ein Schamane. Von denen es wie bei allem Gute und Schlechte gibt. Da man hier stark an Schamanismus glaubt könnte ich mir auch vorstellen das solch ein Fluch wirkt“, erkläre ich. „Hm, kann schon sein. Aber wir haben auch davon gehört, dass so manche Frau in der Mongolei ihr Erstgeborenes verliert. Soll an der einseitigen Ernährung in der Taiga liegen“, erwidert Tanja. „Ja das stimmt. Aber Tsaya hat davon gesprochen sich bewusst zu ernähren“, überlege ich. „Du siehst doch wie schwer es ist sich hier draußen richtig zu ernähren. Selbst für uns. Es gibt kein frisches Obst, kein Gemüse. Die Menschen leben hauptsächlich von Mehl und Fleisch.“ „Ja. Die einseitige Ernährung ist sicherlich ein plausiblerer Grund als der Fluch des Schamanen. Ich bin froh, dass wir der Mangelernährung durch unsere Nahrungsergänzungsmittel entgegenwirken können“, sage ich in die Flamme der Kerze blickend.

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