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Mongolei/Tuwa Camp MONGOLEI EXPEDITION - Die Online-Tagebücher Jahr 2011

Mit Sternenhimmel und Wunderkerzen ins Neue Jahr

N 51°33'336'' E 099°15'341''
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    Tag: 159

    Sonnenaufgang:
    09:28

    Sonnenuntergang:
    17:21

    Gesamtkilometer:
    1281

    Bodenbeschaffenheit:
    Eis, Schnee

    Temperatur – Tag (Maximum):
    minus 17°C

    Temperatur – Tag (Minimum):
    minus 25°C

    Temperatur – Nacht:
    minus 30°C

    Breitengrad:
    51°33’336“

    Längengrad:
    099°15’341“

    Maximale Höhe:
    1981 m über dem Meer

Der Tag beschert uns leichten Schneefall. Die Schamanin Saintsetseg, ihre Tochter Monkoo und der kleine Inbaayer kommen vorbei, um ihren Kaffee zu trinken und Kekse und Bonbons zu essen. Auch Inbaayer möchte das schwarze Getränk von dem im Tuwa-Camp mittlerweile jeder schwärmt. „Dafür bist du noch zu jung“, sagt Tanja und füllt ihm eine Tasse mit Kräutertee.

Tsaya und Ultsan luden uns gestern zur Silvesterparty ein. Da sich um 19:00 Uhr noch nichts rührt gehe ich mal in ihr Blockhaus um nachzusehen. „Komm herein und iss mit uns“, sagt Tsaya freudig. Ich betrete die Hütte die voller Menschen ist. „Wo ist Tanja? Du musst sie holen“, meint Tsaya. „Mache ich“, antworte ich und laufe wieder zu unserer Jurte. Wenig danach sitzen wir in dem gut beheizten Blockhaus und essen Kartoffelsalat mit Eiern, Wurst aus Frankreich und Majonäse. Dazu hat Tsaya Buuz (mit Rindfleisch gefüllte Teigtaschen) zubereitet. „Oh man ist das lecker“, lobe ich das schmackhafte Essen. „Einige der Zutaten hat Brigitte mit gebracht“, erklärt Tsaya. „Vielen Dank Brigitte. Das ist auch für uns ein Gaumenschmaus da wir schon lange keinen Kartoffelsalat mehr gegessen haben.“, sage ich der Französin die gestern mit ihrem mongolischen Freund und einem Fahrer hier ankam, um die Neujahrswende bei den Tuwa zu verbringen. Brigitte ist die Freundin von Tsaya die ihr während ihres Krankenhausaufenthaltes finanziell unter die Arme griff. Sie hat ein Reisebüro in Paris und möchte in Zukunft Gäste zu den Tuwa bringen. „Mir kommt es darauf an das diese Menschen hier etwas von dem Tourismus haben. Die meisten Reisebüros, die Touren zu den Tuwas veranstalten, kassieren ab ohne das die Menschen hier nur einen Tugrik bekommen. Das möchte ich ändern. Meine Touristen werden vorbereitet und sollen auch den Tuwa hier ihre Schnitzereien abkaufen. Somit haben sie etwas davon. Abgesehen davon werden wir nur Guides der Tuwas nehmen. Die bringen ihre eigenen Pferde oder Rentiere für Rundritte in der Region. Ich versuche somit dem gnadenlosen Ausnutzen der Tuwa vorzubeugen“, erzählt die sympathische Frau.

Da wir davon gehört haben, dass sogar die örtliche Bürgermeisterin von Touristen 25.000 Tugrik (14,- €) pro Tag als Eintritt zu den Tuwa verlangt und das Geld auf mysteriöse Weise verschwindet, ist Brigittes Idee sicherlich lobenswert. Ob sie umsetzbar ist wird die Zukunft zeigen.

Ich labe mich an dem Salat aus dem Glas und einer weiteren Portion Kartoffelsalat als Tsaya mich auffordert noch mehr von den Buuz zu nehmen. „Ich habe 100 Stück davon zubereitet. Du musst unbedingt mehr davon essen“, sagt sie. „Beim besten Willen aber ich kann nicht mehr. Ich bin bis zum Rand voll“, stöhne ich höflich abwehrend. Dann wird eine große Flasche Bier geöffnet, ein Humpen gefüllt und herumgereicht. „Es ist der Brauch das Glas zu leeren“, höre ich und versuche ihm nachzukommen. Kaum ist der Inhalt des großen Bechers in meinem Magen verschwunden wird er wieder gefüllt und zum nächsten Gast gereicht. Der verfährt wie ich und gibt ihn an Tsaya zurück. Als die 2,5 Literflasche leer ist wird eine neue geöffnet. „Woher habt ihr denn das viele Bier?“, fragt Tanja. „Brigitte hat alles mitgebracht“, antwortet Tsaya. Während wir unsere Mägen füllen kommen immer wieder andere Stammesmitglieder herein. Sie schnappen sich eine der vielen nett anrangierten Tüten mit Süßigkeiten, bedanken sich kurz bei Brigitte und verlassen den Raum. „Hast du für jeden Einwohner hier eine Geschenktüte mit Süßigkeiten mitgebracht?“, frage ich. „Ja, lacht Brigitte. „Du bist eine sehr großzügige Frau“, stelle ich fest. „Das mache ich gerne. Wenn ich geben kann dann gebe ich“, sagt sie bescheiden und schwer hustend da sie eine schlimme Erkältung hat.

„Ihr müsst Torte essen. Schaut euch die leckere Torte an. Die muss unbedingt weg“, höre ich die auffordernden Worte der Gastgeberin. Mir ist bewusst, dass nur ein einziges Stückchen davon üble Folgen hätte. „Ich kann nicht mehr“, stöhne ich meinen Bauch reibend. „Ach was. Du bist ein großer Mann. Da geht doch was rein“, sagt sie. „Ist es vielleicht möglich das Stück morgen früh zu essen? Das wäre echt lecker. Dann könnte ich es viel besser genießen“, meine ich. „Klar, nimm es mit in deine Jurte und freu dich morgen mit einer Tasse Kaffee darüber“, bekomme ich Gott sei Dank den Freibrief den Leckerbissen einzupacken. Obwohl die mongolischen Torten sicherlich nicht mit echter Sahne zubereitet sind und mit viel Farbstoff nachgeholfen wurde, um all das Giftgrün Pink und Orange hineinzumischen, schmecken sie beachtlich gut. Oder liegt es an der monatelangen Abstinenz von europäischen Backwaren?

„Lasst uns zu Gamba gehen“, fordert Tsaya ihre Gäste auf. Es dauert nicht lange und wir machen uns auf, um das Blockhaus des Schamanen aufzusuchen. Auch dort haben sich mittlerweile einige der Tuwa versammelt. Wieder wird eine große Flasche Bier geöffnet. „Wow, das ist ja eine gewaltige Flasche“, äußere ich mich. „Fünfliterflaschen waren die Größten die ich bekommen konnte“, lacht Brigitte. „Du hast für dieses Fest ja ein kleines Vermögen ausgegeben“, stelle ich fest. „Ach so schlimm war es nicht.“

In der Mongolei ist es der Brauch immer aus einem einzigen Becher zu trinken. Das heißt, dieser wird ständig gefüllt und weitergereicht. Ein sehr guter Weg, um die verschiedensten Krankheiten ebenfalls von Person zu Person zu geben. Ablehnen wäre allerdings eine grobe Beleidigung weswegen auch Tanja und ich unsere Rüssel in das Becherchen stecken, um uns mit noch mehr Bier zu befüllen.

„Ist ja interessant. Ihr trinkt nur Bier? Dachte bei solchen Festen kreist der Wodka?“, wundere ich mich. „Da die letzte Silvesterparty ein schreckliches Besäufnis wurde und am Ende viele miteinander gestritten oder geweint haben, beschlossen wir dieses Jahr keinen Alkohol zu trinken“, erklärt Tsaya. „Beachtlich diszipliniert und vor allem eine außergewöhnlich reife Entscheidung“, lobe ich. „Ja, somit wird es ein friedlicheres Fest“, meint Tsaya. „Das freut mich. Aber ich hätte da noch eine Frage?“ „Bitte, wenn ich sie beantworten kann gerne.“ „Bier ist doch auch Alkohol oder nicht?“ „Ha, ha, ha. Bier ist kein Alkohol. Es ist nur Bier. Wodka, mit seinen 40 %, das nennen wir Alkohol“, werden wir aufgeklärt.

Die 59 Jahre alte Suren, die ganz alleine im Tipi 1 lebt, tritt nun scheu in den Raum. Wir hören, dass sie gar nicht kommen wollte, da sie nicht in der Lage ist etwas zu der Feier beizusteuern. Nach wenigen Minuten verlässt sie uns allerdings wieder nur um erneut zu erscheinen. Aus ihrem Deel zaubert sie, für alle völlig überraschend, eine Flasche Wodka. Sie lacht und reicht sie dem Schamanen Gamba der sie unverzüglich segnet und öffnet. Nun kreist, gegen jegliche Vorsetze, der Wodkabecher. Brigitte, die extra soviel Bier mitgebracht hat, betrachtet die Szene etwas missbilligend. Es dauert nur wenige Minuten bis der Alkohol zuneige ist. Dann geht es mit Bier weiter.

Hadaa, der erst dieses Jahr Vater geworden ist, bringt nun ebenso eine Flasche 40 Prozentigen aus seiner Jacke. „Wir müssen die Geburt meiner Tochter feiern“, ruft er und reicht den Hochprozentigen an Gamba der ihn segnet, öffnet und das erste Becherchen füllt. Das Lachen wird schnell ausgelassener und dem junge Galaa, der mit seinem Bruder Huchee und seiner Schwester Mama in Tipi 2 lebt, zieht es glatt die Füße unter seinen Körper weg. Auf den Hintern plumpsend entschuldigt er sich, schwankt sich wieder hoch, um ein weiteres Becherchen hinter die Kiemen zu kippen.

Nur 15 Minuten nach der Segnung und Öffnung der zweiten Flasche ist sie leer. Da die Stimmung jetzt in Schwung kommt und das Neujahrsfest richtig Fahrt aufnimmt, entscheidet sich der Schamane aus einer verschlossenen, kleinen Holztruhe eine besonderst edle Flasche des durchsichtigen Gesöffs zu opfern. Willkommenes Rufen ist das Resultat. Auch die Frauen, Darimaa, die alte Suren, die Frau des Schamanen Purvee, Buyantogtoh, Die Schamanin Saintsetseg und ihre Tochter Monkoo stehen den Männern um nichts nach und lassen sich den Wodka ebenso schmecken. Tanja spendiert indes immer wieder Zigaretten an die Feiernden. „Bairlalaa, Bairlalaa”, bedanken sie sich

Auf Tsayas Stirn bilden sich indes einige Falten. Aber jetzt die Feierlichkeit bremsen zu wollen, indem man ihr den Alkohol entzieht, ist unmöglich. Das mit Wodka gefüllte Schälchen wandert auch immer wieder an Tanja und mir vorbei. „Trink aus. Alles!“, rufen unsere Gastgeber. Ich gehorche und lasse die Flüssigkeit in meinen Rachen gleiten. Mein Magen knurrt nun immer lauter. Kartoffelsalat mit Majonäse, Wurst aus Frankreich, Eiern, Salat aus dem Glas und so manche der Buuz haben sich mit dem Bier und dem Alkohol zu einer gefährlichen Mischung vereint. „Trink! Trink alles aus!“, feuert mich Gamba wiederholt an.

Um 24:00 Uhr fordert uns Tsaya auf ihr zu folgen. Einige der Feiernden erheben sich. Wir laufen über den knirschenden Schnee zu Ultsans und Tsayas Blockhaus. Dort wird eine Flasche Champagner geköpft, die ebenfalls von Brigitte ins Camp eingeführt wurde. Da es nicht genügend Becher gibt trinke ich meinen leckeren Anteil aus einer Schöpfkelle. „Und jetzt lasst uns raus gehen. Die Wunderkerzen warten!“, ruft Tsaya. Tanja hat für diesen Anlass extra Wunderkerzen gekauft. Sie reicht jedem der 19 Anwesenden zwei Wunderkerzen. Tso, der wie die anderen Tuwa noch nie eine Wunderkerze gesehen hat, beißt einfach mal rein. „Nein nicht essen! Die Dinger sind zum Anzünden!“, ruft Tsaya.

Als die ersten Wunderkerzen ihre funkelnden Sterne in den Nachthimmel der Taiga versprühen geschieht etwas das mit Worten nur schwer zu beschreiben ist. Die Menschen beginnen zu singen und zu lachen. Sie schwingen die Wunderkerzen durch die Luft. Es wird getanzt. Die Gesichter verzücken sich. „Happy New Year! Happy New Year! Happy New Year!“, rufe ich lauthals die lustige Gemeinschaft filmend. „Happy New Year! Happy New Year! Happy New Year!“, wiederholen einige von ihnen meine Worte. „Kommt zusammen. Tanja schießt ein Gruppenfoto von uns!“, fordert Tsaya die Festgemeinschaft auf sich vor dem Haus des Schamanen zu versammeln. Immer wenn das Blitzlicht die Nacht durchzuckt, rufen die Menschen freudig aus als wären es die schönsten Feuerwerkskörper. Blitz, blitz, blitz, lässt Tanja öfter als nötig die Menschen im gleißenden Licht erhellen. „Happy New Year! Happy New Year! Happy New Year! Uuuhhhuuu! Hurrrraaaa!“ rufe ich erneut und immer wieder. „Ha, ha, ha, hi, hi, hi! Uuuhhhuuu! Hurrrraaaa!“ erschallt es. Mittlerweile versuchen die Tuwa die Wunderkerzen erneut zu entfachen und sind traurig als die Sterne speienden Stäbchen nicht mehr funktionieren. Tanja verteilt zur großen Freude den Rest der fünf Packungen unter den Menschen.

Nach dem ausgelassenen Freudentanz begeben wir uns alle wieder in die Hütte des Schamanen. Die nächste Wodkaflasche materialisiert
sich aus dem Nichts. Das Trinkgelage geht weiter und wird noch fröhlicher. Nachdem die ersten Menschen ausfallen und es nicht mehr lange dauern kann bis sie unter dem Tisch liegen, verabschieden wir uns. Es gibt etwas Gegenwehr die wir mit offenem Lachen und den Worten „Bi mongoloor moo oilgidsch“, („Ich verstehe schlecht Mongolisch“) parieren.

Nachdem wir auf unserem Wandan mit wachen Augen liegen sagt Tanja; „Es war die schönste Silvesterfeier meines Lebens.“ „Ja es war in der Tat außergewöhnlich schön“, antworte ich. „Hast du die freudigen Gesichter und ihre strahlenden Augen gesehen als sie die Wunderkerzen in die Höhe hielten?“, fragt Tanja. „Habe ich.“ „Wie wunderbar es ist Menschen mit so einer Kleinigkeit solch eine Freude bereiten zu können“, höre ich noch als mir vor Müdigkeit die Augen zufallen.

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