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Link zum Tagebuch: TRANS-OST-EXPEDITION - Etappe 1

Verkehrswahn

N 47°33'994'' E 019°03'675''
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    Tag: 63

     

    Sonnenaufgang:
    06:33 Uhr

     

    Sonnenuntergang:
    18:39 Uhr

     

    Luftlinie:
    44,42 Km

     

    Tageskilometer:
    68,91 Km

     

    Gesamtkilometer:
    1690,55 Km

     

    Bodenbeschaffenheit:
    Asphalt

     

    Temperatur – Tag (Maximum):
    23,8 °C

     

    Temperatur – Tag (Minimum):
    18 °C

     

    Temperatur – Nacht:
    11,3 °C

     

    Breitengrad:
    47°10’532“

     

    Längengrad:
    018°56’561“

     

    Maximale Höhe:
    108 m über dem Meer

     

    Aufbruchzeit:
    11.30 Uhr

     

    Ankunftszeit:
    18.20 Uhr

    Durchschnittsgeschwindigkeit:
    14,99 Km/h

Budapest wieder zu verlassen entpuppt sich mindestens als genauso schwer wie hineinzukommen. Der lückenhafte Radweg führt uns erstmal über eine Brücke auf die linke Seite der Donau. Dort weiß ich nicht mehr weiter weil die Beschilderung auf mich irreführend wirkt. Die ungarische Karte ist ungenau und zeigt uns nicht wie wir durch die 2 Millionen Metropole kommen. Ich frage einen Fußgänger. Er spricht kein Wort Englisch und erklärt mir mit Zeichensprache wieder über die Brücke auf die rechte Donauseite fahren zu müssen. Wir folgen seinen Anweisungen und befinden uns tatsächlich auf einem Radweg der uns am Ufer des Flusses in die Innenstadt führt. Als wir die letzte der sechs Stadtbrücken erreichen müssen wir heute den Strom zum dritten Mal überqueren. Erneut stehe ich da und weiß nicht mehr weiter. Die Hochstimmung von gestern verflüchtigt sich im Stress der Wegsuche und dem waberndem Verkehr um uns herum. “Es ist wirklich zum Haare raufen. Wie soll man denn hier jemals herausfinden wenn man keine vernünftige Karte hat!”, fluche ich vor mich hin und versuche mich zu konzentrieren. “Wissen sie wie man nach Rackeve kommt?”, frage ich einen Radfahrer. Der hilfsbereite Mann steigt von seinem Rad und schreibt mir mehrer Orte auf einen Zettel. “Sie müssen zurück und dann der Hauptstraße immer Richtung Süden folgen”, erklärt er in gebrochenem Englisch.

Nun ist es endgültig vorbei mit dem Radweg der eigentlich schon vor Budapest nur noch in Bruchstücken vorhanden war. Die Hauptstraße ist in einem sehr schlechten Zustand. Die schweren Reifen der Lastwägen haben tiefe Rillen hinterlassen die sich für uns zu ausgesprochenen Hindernissen entwickeln. Es holpert und schüttelt wenn wir darüber fahren. Die Abgase der Autos und Lastwägen legen sich über uns wie eine dichte Decke. Es herrscht Hektik und wir vermissen die Ruhe und den Schutz des Radweges. Der Verkehr erfordert unsere gesamte Konzentration. Keine Sekunde kann ich meine Augen von der unebenen Straße lenken. Der kleinste Fehler könnte fatale Folgen haben. Wir bekommen nichts von unserer Umgebung mit. Häuser, Fabriken, Ampeln, Schilder, Baustellen huschen im Augenwinkel vorbei. Nichts ist bisher von dem Agrarland Ungarn zu sehen. Keine Felder, keine Stroh gedeckten Häuser und Ställe, keine Pferdefuhrwerke, kein eigenes Flair welches wir uns hier erhofft haben ist zu spüren. Ungarn kommt uns so vor als wäre es schon sehr stark an unsere westeuropäische Kultur angepasst, als hätte es die eigene Identität schon vor Jahren an den Nagel gehängt, um ein Teil der europäischen Union zu werden. Im Augenblick bin ich von dem was wir sehen enttäuscht und hoffe, dass sich die jetzt triste Umgebung ändern wird.

“Tuuuhhht!”, warnt uns das tiefe Horn eines Lastzuges. Meine Nervosität überträgt sich auf den Lenker der sofort zum wackeln beginnt. Leicht schwankend warte ich auf die großen Räder die gleich dicht an uns vorbeisurren. “Sssuuuhhsch! Sssuuuhhsch! Sssuuuhhsch!”, fressen sich dann die schwarzen Gummipaare durch die tiefen Asphaltrinnen. Der Luftdruck lässt meinen Lenker noch mehr erzittern worauf ich, aus Angst in den Sog zu geraten, mein Gefährd  in den schlammigen Straßengraben  sausen lasse. “Was machst du denn da?”, will Tanja wissen. “Was für eine Frage. Ich bin vor dem Monster ausgewichen”, antworte ich. Die Sonne versteckt sich heute wieder hinter einer dichten Wand aus sich ständig verändernden Graustufen. Es ist relativ kühl und wir kommen trotz des schweren Verkehrs gut voran. Die Orte Dunaharaszti, Sezigetszentmiklos und Taksony gehen mehr oder weniger ineinander über und wir haben das Gefühl Budapest erstreckt sich von nun an über den Rest von Ungarn. Unser Tacho zeigt bereits 40 Tageskilometer an und noch immer fahren wir durch städtische Gebiete. Von der Donau ist seit der letzten Brücke nichts mehr zu sehen. Es gibt anscheinend keine schmalen Straßen an den Ufern des mächtigen Stromes mehr. In Kiskunachaza frage ich eine freundlich dreinschauende Frau ob es in Rackeve eine Unterkunft gibt. Sie lacht aber versteht mich nicht. “Pansion? Pansion?”, Frage ich und lege meine gefalteten Hände ans Ohr, um ihr zu erklären, dass wir nach einem Platz zum Schlafen suchen. “Pansion?”, lacht die Frau und nickt mit ihrem Kopf. Sie beginnt uns etwas auf Ungarisch zu erzählen. Wir verstehen nur das Rackeve nicht mehr weit ist und es dort eine Pension gibt. Winkend verabschieden wir uns von der netten, alten Dame und verlassen die abgasverseuchte und hektische Bundesstraße. “Hier ist es schon viel besser!”, rufe ich in die Dämmerung des Abends, denn auf einmal gibt es kaum noch die lästigen Blechhaufen die an uns vorbeirauschen.

“Wow, sieht ja richtig teuer aus!”, stelle ich überrascht fest als wir an dem beeindruckenden Kurhotel vorbeifahren. “Ich frage mal was die Nacht kostet”, sage ich zu Tanja und begebe mich in die Rezeption des Edelschuppens. “106 Euro pro Nacht. Wir sind aber ab morgen ausgebucht”, antwortet die Frau hinterm Dresen.  “Danke”, antworte ich und begebe mich wieder zu unseren Rädern. “Und? Was kostet es?”, will Tanja wissen. “Zu teuer. Es gibt allerdings noch ein Schloss, etwas außerhalb des Ortes. Lass es uns mal dort versuchen”, antworte ich in den Sattel steigend. “55 Euro die Nacht”, enttäuscht uns der Rezeptionist des alten Schlosses und schickt uns zu einer Art Bahnhofspension. Als wir dort immer noch 40 Euro pro Nacht ohne Frühstück zahlen sollen suchen wir den Zeltplatz auf. Der hat zu dieser Jahreszeit natürlich und leider schon geschlossen und man empfiehlt uns eine Sportgaststätte. “Sieht ziemlich heruntergekommen und verlassen aus”, meine ich durchs Fenster kuckend. “Was wollen?”, fragt ein Mann in gebrochenem Deutsch der gerade mit dem Auto gekommen ist. Ich erkläre ihm hier eine Unterkunft zu finden die wir auch bezahlen können. Er führt mich hinters Haus. Dort herrscht reges Treiben. Männer sitzen an Tischen, rauchen und trinken Bier. Der Ort hier hat Ähnlichkeiten mit einer deutschen Sportgaststätte auf dem Dorf. Mein Begleiter fragt den jungen Mann am Ausschank ob wir hier übernachten können. Er nimmt den Hörer in die Hand und wählt eine Nummer. Dann nickt er mit dem Kopf und die beiden unterhalten sich in ihrer Sprache. “40 Euro pro Nacht ohne Frühstück”, sagt mein Helfer sichtlich ärgerlich mir solch einen stolzen Preis nennen zu müssen. “Danke, zu teuer”, antworte ich und verabschiede mich. Nachdem wir etwa 10 Kilometer hin und her geradelt sind ziehen wir in die moskitoverseuchte Bahnhofsunterkunft ein. “Hier können wir nicht bleiben, um das Update zu schreiben”, stelle ich auf dem Bettrand sitzend fest. “Wir werden schon etwas finden”, antwortet Tanja zuversichtlich wie so oft. Damit wir uns setzen können hole ich aus der Bahnhofskneipe zwei Stühle ins Zimmer. Dann trage ich auf Anraten eines jungen Mädchens unsere Räder in das erst vor kurzem errichtete Gebäude und sperre sie ab. Während ich meine Kurzaufzeichnungen in den Computer hacke nimmt Tanja eine Dusche. “Denis, kannst du mal kommen? Das Wasser riecht sehr eigenwillig”, ruft sie. Tatsächlich stinkt es nach faulen Eiern. “Ob das von dem Thermalwasser kommt?”, will Tanja wissen. “Keine Ahnung. Wer weiß, vielleicht pumpt der Besitzer das Wasser aus dem Tümpel hinterm Haus?”, sage ich aus dem Fenster deutend. “Wir sollten es besser nicht trinken. Lass uns sicherheitshalber unser mitgebrachtes Wasser für das Abendessen nutzen”, schlage ich vor und begebe mich auf die Jagd nach den vielen Moskitos.

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