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Link zum Tagebuch: TRANS-OST-EXPEDITION - Etappe 1

Wie aus dem Hut gezaubert

N 46°37'305'' E 019°16'433''
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    Tag: 64

     

    Sonnenaufgang:
    06:33 Uhr

     

    Sonnenuntergang:
    18:36 Uhr

     

    Luftlinie:
    66,59 Km

     

    Tageskilometer:
    95,89 Km

     

    Gesamtkilometer:
    1786,44 Km

     

    Bodenbeschaffenheit:
    Asphalt

     

    Temperatur – Tag (Maximum):
    23,7 °C

     

    Temperatur – Tag (Minimum):
    20 °C

     

    Breitengrad:
    46°37’305“

     

    Längengrad:
    019°16’433“

     

    Maximale Höhe:
    110 m über dem Meer

     

    Aufbruchzeit:
    09:33 Uhr

     

    Ankunftszeit:
    18:45 Uhr

    Durchschnittsgeschwindigkeit:
    16,76 Km/h

Um der Verschlechterung von Tanjas Knieschmerzen vorzubeugen stelle ich ihren Sattel höher. Mark, der stellvertretende Produktionsleiter von riese & müller, hat mir gezeigt wie der richtige Abstand von Hüfte zu Pedal sein soll. Wenn sich die Fußsohle mittig auf dem Pedal befindet sollte das Knie nur noch ganz leicht abgewinkelt sein. In Tanjas Fall steht es allerdings in einem relativen starken Winkel. Dadurch verkürzen sich auf Dauer Sehnen und Bänder und können sich dadurch überreizen und entzünden.

“Und wie fühlt es sich an?”, interessiert es mich als Tanja mit neuer Sattelhöhe hinter mir herradelt. “Ich glaube es ist tatsächlich besser. Wir sollten den Sattel sogar noch etwas höher stellen.” “Machen wir morgen. Versuch dich erstmal langsam an die neue Einstellung zu gewöhnen”, antworte ich den Weg in Richtung Hauptstraße einschlagend.

Plötzlich geraten wir in einen stehenden Verkehrsstau. Als wir die Autos langsam überholen winkt uns ein Lastwagenfahrer. Er kurbelt sein Fenster herunter.“Polizei! Karambolage!”, warnt er uns und deutet auf den Seitenstreifen. Auf seine Warnung hörend führen wir unsere Räder wieder zum Straßenrand und reihen uns hinter einem Auto ein. Nach etwa 10 Minuten gelangen wir zum Ort des Geschehens. Ein Lastwagen hat sich überschlagen und liegt mit mehreren Pkws verkeilt im Straßengraben. Die gesamte Straße ist mit Frackteilen  versperrt. Eine große Planierraupe räumt das Chaos zum Straßenrand. Die Polizei leitet den Verkehr auf einen Feldweg. Wir holpern nun den Autos durch Pfützen, Löchern und Sand hinterher. Dann kommen wir wieder auf die Bundesstraße die sich für mehrere Kilometer gestaut hat. Ein freundlicher Fahrer sichert uns den Rücken und lässt uns in unserer Geschwindigkeit an den stehenden Fahrzeugen entlang radeln bis wir den Stau hinter uns haben. Wir erreichen den Ort Dömsöd. In einem kleinen Supermarkt kaufen wir ein paar Lebensmittel die wir sofort verzehren. “Wir müssen versuchen die Hauptverkehrsader zu verlassen. Auf Dauer ist das zu gefährlich. Irgendwann passt mal ein Lastwagenfahrer nicht auf und überrollt uns”, sage ich nachdenklich an meinem Kakao nippend. “Gibt es eine Alternative?” “Ich glaube schon. Wir fahren von hier ca. acht Kilometer in Richtung Osten. Dort treffen wir auf eine Nebenstraße. Die ist zwar ein bisschen länger, führt uns aber auch zur serbischen Grenze.” “Ist eine gute Idee”, gibt mir Tanja Recht.

Kaum biegen wir in die Nebenstraße nach Apaj ein befinden wir uns in einer anderen Welt. Ungarn scheint hier auf einmal wie aus dem Hut gezaubert zu erscheinen. Plötzlich befinden wir uns zwischen Feldern die zum Teil gerate geerntet werden. Landmaschinen rollen an uns vorbei. Autofahrer grüßen uns freudig und heben den Daumen nach oben als sie unsere Räder erblicken. Die Menschen schauen uns nach und winken freudig. Ein älterer Herr möchte unbedingt mit uns sprechen. Er fragt in seiner Sprache und wir erzählen in unserer Sprache. “China?”, versteht er plötzlich, zieht die Augenbrauen nach oben und schüttelt ungläubig aber lachend seinen Kopf.  “Wir befinden uns auf dem größten Radweg aller Zeiten!”, rufe ich freudig, denn es gibt hier kaum Verkehr. Ab und zu kommt mal ein Lastwagen der aber auf die andere Straßenseite ausweichen kann, um uns zu überholen. Die Fahrer warnen uns manchmal mit einem vorsichtig leisen Hupen, welches eher wie ein Hüsteln klingt. Laut meiner Landkarte befinden wir uns neben einem Nationalpark der dort als Kiskusagi Nemzeti Park eingezeichnet ist. Ewig zieht sich die flache Steppenlandschaft zu allen Seiten hin. Ein Schäfer treibt mit seinen Hunden seine Schafsherde über die weiten Wiesen. Ein Pferdewagen kommt uns entgegen. Der Wagenlenker winkt uns freudig zu. Paprikafelder säumen den Weg. Dunkelrot blitzen die scharfen Schoten im aufkommenden Sonnenlicht. Die Anhänger der Tracktoren sind bis zum bersten mit frisch geernteten Trauben gehäuft. Langsam tuckern sie an uns vorbei, um rechtzeitig zur Kelterei zu gelangen. Immer wieder entdecken wir tote Schlangen auf der Straße. “Wahrscheinlich wollten sie sich vor dem kommenden Winter noch mal auf dem warmen Asphalt wärmen und mussten für ihren Leichtsinn ihr Leben geben. Plötzlich tauchen auch einige mit Stroh gedeckte Scheunen und Hütten auf. Hunde schlagen an als wir an den großen Gütern langsam vorbeiziehen. Vor den Orten gibt es ein paar Apfelplantagen die noch darauf warten geerntet zu werden. In Szabadszallas empfiehlt man uns eine Pizzeria. Obwohl ich liebend gerne Ungarisch esse aber leider kein einheimisches Restaurant finde bestellen wir eine Pizza die super lecker schmeckt. Pizzerias scheinen im Augenblick in Ungarn Mode zu sein. Überall, in jeder kleinen Stadt, trifft man auf sie. Auch die Bräune durch Solarien findet bei der Bevölkerung Anklang, denn selbst in kleinen Ortschaften werben Schilder für das gesunde Aussehen aus der Steckdose.

Nach 75 Tageskilometern beginnt Tanjas Knie wieder zu schmerzen. “Der Schmerz kommt heute aber viel später als sonst”, meint Tanja und führt das auf die Satteleinstellung zurück. Unsere Stimmung an dem heutigen Tag ist wieder auf einem Höhepunkt. Mir kommt es so vor als würden wir auf dem stürmischen Meer der Gemüter entlang surfen. Je nach Wetterlage, nach Erfahrungen und Erlebnissen, Schmerz und Wohlbefinden, alles spiegelt sich in unseren Gemütern. Unser Tacho zeigt 94 Tageskilometer an als wir die Stadt Kiskörös erreichen. Zwei sehr hübsche und sympathische Ungarinnen erklären uns den Weg zu einer Pension. “Lass uns doch erstmal etwas für den Abend kaufen”, schlägt Tanja vor. “Gute Idee”, gebe ich ihr Recht und während sie auf die Räder aufpasst betrete ich den Supermarkt gleich über der Straße.

“Unsere Übernachtung ist für heute gebongt. Ich habe vier deutsche Touristen getroffen. Sie haben von einem Thermal-Campingplatz ganz in der Nähe geschwärmt”, erzählt Tanja freudig als ich mit einer vollen Tüte mit Brot und anderen Dingen den Laden verlasse. “Okay”, sage ich. Der ist ja wohl nicht so teuer wie ein Zimmer. Vielleicht kann ich dort endlich mein Update schreiben”, antworte ich zuversichtlich.

An der nahen Kreuzung winkt das ältere Ehepaar uns zu. “Sie haben extra gewartet, um uns den Weg zu zeigen”, freut sich Tanja. Tatsächlich ist auf dem Campingplatz noch richtig was los. Etwa 30 bis 40 Camper haben auf dem großzügig angelegten Platz ihrer Wohnwägen in lockerer Anordnung geparkt. Wir stellen unser Zelt gleich neben dem Wohnmobil des den netten Ehepaars auf und freuen uns endlich mal wieder in unserem eigenen Haus nächtigen zu dürfen. Als ich später unsere zuverlässigen Räder abstelle werfe ich noch mal einen Blick auf meinen Tacho. Mit knapp 96 Tageskilometern haben wir heute wieder einen neuen Rekord aufgestellt.

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