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Russland/Heu-Camp Link zum Tagebch: TRANS-OST-EXPEDITION - Etappe 3

Unter Null

N 56°38'06.6'' E 086°01'16.2''
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    Tag: 118

    Sonnenaufgang:
    06:49 Uhr

    Sonnenuntergang:
    19:32 Uhr

    Luftlinie:
    67.71 Km

    Tageskilometer:
    78.21 Km

    Gesamtkilometer:
    10755.88 Km

    Bodenbeschaffenheit:
    Asphalt

    Temperatur – Tag (Maximum):
    4 °C

    Temperatur – Tag (Minimum):
    1 °C

    Temperatur – Nacht:
    -2 °C

    Breitengrad:
    56°38’06.6“

    Längengrad:
    086°01’16.2“

    Maximale Höhe:
    319 m über dem Meer

    Maximale Tiefe:
    30 m über dem Meer

    Aufbruchzeit:
    09.20 Uhr

    Ankunftszeit:
    18.00 Uhr

    Durchschnittsgeschwindigkeit:
    13.43 Km/h

Um 8:00 Uhr sitzen wir in dem kleinen Frühstücksraum des Hotels. Weil auch hier alle Speisen mit der Mikrowelle erwärmt werden essen wir kalte Blinis und kalten Haferbrei. Dann tragen wir unsere Ausrüstung vom Zimmer in den Lift, fahren alles ins Erdgeschoß, winkeln unsere Räder aus dem winzigen Gepäckraum und beladen sie. Das Wetter ist wie gewohnt schlecht. “Geht’s wohl weiter?”, fragen ein paar Pfarrer aus Deutschland die wir gestern kennen gelernt haben. “Ja.” “Und wohin?”, will einer der etwa 15 Mann starken Delegation wissen. Unser nächster Stopp wird Krasnojarsk sein”, sage ich bei im Augenblick nur 2 Grad etwas fröstelnd. “Krasnojarsk? Da fahren wir auch hin.” “Na da werdet ihr schneller sein als wir. Wenn alles nach Plan läuft benötigen wir fünf bis sechs Tage”, erkläre ich. “Ha, ha, da sind wir bereits in Irkutsk”, vernehmen wir. “Ach übrigens. Ich besitze zwei eurer Bücher. Das Trans-Ost-Expedition Etappe 1 habe ich bereits gelesen und den zweiten Band erst vor wenigen Tagen begonnen. Eigentlich wollte ich ihn mit auf unsere Reise nehmen aber letztendlich ist ein Buch von Peter Scholl-Latour im Gepäck gelandet.” “Unglaublich. Ist mir noch nie widerfahren einen Leser unserer Bücher auf Reisen zu treffen. Noch dazu in Sibirien! Fantastisch. Ich hoffe es gefällt dir?”, frage ich begeistert. “Aber ja, ansonsten hätte ich doch nicht die zweite Etappe begonnen zu lesen. Ich will natürlich wissen wie es weiter geht”, erklärt der sympathische Pfarrer namens Jörg.

Bevor wir uns auf unsere Sumobikes schwingen fotografieren die deutschen Geistlichen noch den seltenen Anblick von deutschen Radfahrern in Sibirien. “Gute Reise. Und erfriert euch nichts!”, rufen sie uns hinterher und winken. “Euch auch eine gute Reise!” antworten wir. Kaum sind die evangelischen Diener Gottes aus unserem Sichtfeld verschwunden erhebt sich die Straße. Wir strampeln einen Hügel hinauf, der Puls lässt das Blut durch die Adern rauschen und uns wird unvermittelt warm. Mittlerweile trage ich ein kurzärmliches Thermounterhemd, ein Radshirt, ein Fleecehemd und darüber die dünne Windstopperjacke. Mir ist also angenehm warm. Als wir eine halbe Stunde später den Stadtrand erreichen beginne ich zu frieren. “Meine Kleidung ist total nass geschwitzt. Lass uns mal kurz anhalten. Ich muss mir noch etwas überziehen”, sage ich und schlüpfe in eine weitere Fleecejacke. “Am besten du ziehst auch deine Überschuhe an. Sieht nach Regen aus”, fordere ich Tanja auf der kommenden Nässe vorzubeugen. Nun so dick bekleidet wie Michelinmännchen lassen wir die Universitätsstadt hinter uns. Die vor uns liegen Hügel halten unsere Blutzirkulation in Wallung. Obwohl meine Hemden zum auswinden mit Schweiß getränkt sind ist mir warm. Wegen den ständigen auf und ab kommen wir nur mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von ca. 13 Km/h voran.

Die Wolkendecke über unseren Köpfen klebt an manchen Stellen des Landes direkt auf der Erde. Langsam radeln wir in die neblige Masse, werden mit noch mehr Feuchtigkeit benetzt, nur um dann von der grauen Eminenz wieder ausgespuckt zu werden. “Wenn das so weiter geht wachsen mir noch Kiemen!”, rufe ich einen Berg hinaufhechelnd. Tanja antwortet nicht. Ihr Atem zeigt sich als weiße Wölkchen, die sie in den kalten Herbsttag schnauft. Die Straße wird links und rechts von Wäldern und ab und zu noch von Feldern begrenzt. Die Anbauflächen sind nahezu alle abgeerntet. Heuhaufen stehen unkoordiniert auf einer weiten Grasfläche. Manchmal sehen wir einen alten Tracktor über eine der Ackerländer holpern. Dann drücken sich erneut die weißschwarz gefleckten Stämme der endlosen Birkenwälder an den Fahrbahnrand. Aber auch Fichten, Kiefern, Lärchen und Tannen, Baumarten mit einer großen Anpassungsfähigkeit an Frost und Kälte, säumen unsere Straße gen Osten. “Sind das schon die Wälder der Taiga?”, fragt Tanja interessiert weil sie Bäume über alles liebt. “Ich glaube schon”, antworte ich in meinem Gedankenfluss gestoppt. Durch Tanjas Frage aufmerksam geworden, betrachte ich mir den nassen Wald. Seine tiefe, bald schwarzgrüne Farbe, zieht meine volle Aufmerksam auf sich. Wegen den niedrig schwebenden Wolken und leichtem Regen wirkt das größte zusammenhängende Nadelwaldgebiet der Erde auf mich unheimlich. “Ob es hier schon Bären gibt? Ob sie bis an die Straße kommen?”, frage ich mich und denke dabei an die kommende Nacht die wir mit Sicherheit im Zelt verbringen müssen. Ein Vogel lässt mich interessiert aufschauen. Irgendetwas hat ihn aufgescheucht. Ich versuche ihn mit meinem Blick zu folgen, jedoch fordert ein tiefes Loch im Asphalt meine Konzentration. Auf meiner Landkarte vor mir in der Lenkertasche ist zu erkennen, wie sich der Asphaltstreifen, auf dem wir uns bewegen, nur als ein sehr dünner, schmaler Pfad durch eine unendliche Wildnis schlängelt. Links und rechts davon gibt es für tausende Kilometer nur Wälder und teilweise noch heute unerschlossene Gebiete die nur von weiten Teilen riesiger Sumpfflächen unterbrochen werden. Auch jetzt, in diesem Augenblick, säumt sumpfiges Land den Teerstreifen. Immer wieder treten wir unsere Drahtesel über Brücken. Flüsse mit klarem Wasser plätschern unter uns dahin.

Wegen der tristen Stimmung und des bald unaufhörlichen Niederschlages komme ich wenig zum Fotografieren. Ersten fehlt mir die Motivation, zweitens wird die Kamera nass und drittens entstehen wegen den unzureichenden Lichtverhältnissen kaum brauchbare Aufnahmen. Meine Gedanken beginnen sich unaufhörlich zu verselbständigen. Sie sind nicht mehr kontrollierbar und immer häufiger regelrecht unangenehm. In manchen Momenten vergesse ich sogar was ich bisher auf meinen Reisen gelernt habe, verliere die Gelassenheit, die Weisheit den Augenblick zu leben, die Zuversicht, die Freude am Unterwegs sein. “Warum machen wir das eigentlich? Was soll das? Wenn es so weitergeht holen wir uns noch eine Lungen- oder Nierenentzündung”, martert mich das Hirn. “So ein scheiß Regen! Man oh man, dieses Sibirien hat es wirklich in sich. Die Reiseberichte stimmen also doch. Es ist in der Tat ein hartes Reiseland. “Erfriert euch nichts! Das geht schneller als ihr denkt! Man merkt es gar nicht und plötzlich ist es zu spät”, haben uns die Menschen öfter gewarnt. Und jetzt? Jetzt ist es hier im Verhältnis noch immer recht warm. Das Thermometer hat noch nicht mal die Null Gradgrenze erreicht und trotzdem beginnen wir mehr und mehr unter den Temperaturen zu leiden. Wie soll das nur weitergehen? Vielleicht sollten wir es für heuer in Krasnojarsk gut sein lassen? Nein, ich möchte es bis nach Irkutsk schaffen. Oder? Macht das Sinn?”

“Lass es fließen. Lebe den Augenblick und mach dir doch nicht soviel Gedanken”, klingt sich erneut Mutter Erde in mein Selbstgespräch ein. “Du hast leicht Reden. Wie soll ich denn meine Gedanken kontrollieren? Sie machen sich unaufhörlich selbstständig. Sie galoppieren mir regelrecht davon.” “Du kannst sie stoppen.” “Aber wie denn?” “Vertrauen, das ist das Zauberwort. Habe einfach Vertrauen in dich selbst, in deine Entscheidungskraft, deinen Willen. Habe Zuversicht und verkrampfe nicht ständig.” “Aber wie soll ich denn Vertrauen in meine Entscheidungskraft haben? Ich weiß ja eben nicht wie ich mich entscheiden soll.” “Deswegen mach dir im Augenblick nicht soviel Gedanken. Das meine ich mit Vertrauen. Es ist noch nicht der richtige Zeitpunkt, um eine Entscheidung zu fällen. Du merkst schon ob euch das Wetter einen Schlussstrich zieht oder irgendein anderes Ereignis welches das Ende dieser Reiseetappe ankündigt.” “Hm, ich möchte aber nicht, dass ein anderes Ereignis die Reiseetappe beendet. Ich habe keinen Bock auf Schmerzen. Das habe ich schon gehabt. Brauche ich nicht mehr. Ist gestrichen aus meinem zukünftigen Leben”, begehre ich auf. “Es sagt doch keiner dass eine Expeditionsreise oder was auch immer du im Leben gerade unternimmst nur von negativen Geschehnissen beendet wird. Dieser Gedanke ist negativ und hat mit der Welt um dich herum nichts zu tun. Er entsteht nur deswegen in deinen Gehirnwindungen weil du ihn ständig mit Nahrung fütterst. Wenn du Vertrauen in mich, der Mutter Erde oder Allem was ist hast, wenn du Vertrauen zu dir selbst hast, geschieht es erst gar nicht negative Energien um dich zu sammeln. Du weißt nicht was die Zukunft bringt. Keiner von euch Menschen weiß heute schon was mit ihm morgen geschieht. Wohin sich der Pfad des Lebens windet. Welche Formen dieser annimmt. Welche unvorhergesehenen Überraschungen parat liegen. Wenn du das verstanden hast wirst du dir keine unnützen Gedanken machen und wissen wann Entscheidungen zu fällen sind. Es geht hierbei darum auf mich, oder deine innere Stimme zu hören. Womit ich meine, dass du deine Sinne so fein einstellst uns und dein gesamtes Umfeld zu spüren. Die Sprache zu verstehen die wir sprechen.” “Was meinst du mit wir?” “Na zum Beispiel dein Umfeld oder die Natur die dich umgibt. Wind, Sonne, Regen, Wolken. Alles hat eine Sprache. Manchmal ist die Stimme noch leiser und seltener als unsere Kommunikation die wir von Zeit zu Zeit führen. Auch die stellst du ja nicht mehr in Frage. Alles was ich dir erzähle habe ich dir schon häufig erklärt. Es macht nichts aus wenn du diese Tatsachen immer wieder verdrängst. Wir werden so häufig darüber sprechen bis du es aus dem Herzen verstanden hast.

Abgesehen davon muss ich dich auch loben. Du bist schon viel besser geworden als du vor Jahren noch warst. Dein ständiges geistiges Training hat dazu geführt die meisten negativen Gedanken von dir fern zu halten. Das ist dein Verdienst. Und du siehst ja, es funktioniert. Du hast doch bemerkt wie oft euch schon alleine auf dieser Reise geholfen worden ist. Das geschieht nur weil ihr auf einer positiven Welle unterwegs seid. Weil ihr eine positive Welle surft. Alles was ihr aussendet kommt zurück. Das ist ein Gesetzt. Sind eure Gedanken positiv, werdet ihr Positives ernten. Die Menschen die euch begegnen sind nichts anderes als euer eigenes Spiegelbild. Sie reflektieren eure Energie. Wie gestern schon erwähnt, musste ich in den letzten Monaten nicht direkt mit dir in Verbindung treten. Zumindest nicht so wie jetzt. Also lasse deine Beine kreisen und bewege dein Rad die Berge hinauf und mach dich frei von den negativen Gedanken denn die sind reine Zeitverschwendung.” “Ich versuche es. Aber was ist wenn ich trotz allem falsch entscheiden sollte? Wenn wir mitten in der sibirischen Pampa stehen und von 20° Grad minus überrascht werden?”, frage ich noch immer etwas unsicher, doch die angenehme Stimme von Mutter Erde antwortet nicht mehr.

Am frühen Nachmittag erreichen wir eine Tankstelle. “Gibt es hier ein Cafe?”, frage ich. “Ja, an der Rückseite des Gebäudes”, antwortet der Tankwart und zeigt uns den Weg. Wir stellen unsere Last auf Rädern an das Fenster, damit wir sie von innen beobachten können und betreten ein unbeheiztes Lebensmittelgeschäft. In einem Nebenraum befinden sich ein paar Tische an die wir uns setzen dürfen. “Kuschet jeßt?”, (Gibt es etwas zu Essen?) frage ich. “Nicht viel”, antwortet die Ladenbesitzerin. Um unsere ausgekühlten Körper zu wärmen trinken wir ein paar Becher heißen Tee. Dann schütten wir heißes Wasser auf Fertignudeln die hier verkauft werden.

“Finden wir auf dieser Strecke eine Gastiniza?”, frage ich später den Tankwart. “Njet”, (Nein) die Nächste dürfte es erst wieder in der Stadt Mariinsk geben”, erklärt er. “Wie weit ist Mariinsk?”, fragt Tanja. “Noch 150 Kilometer.” “Das bedeutet die Nacht im Zelt zu verbringen.” “Ja.” “Macht nichts”, höre ich und bin froh, dass Tanja das Wetter so wie es ist akzeptiert.

Auf der weiteren Fahrt sprechen wir nicht viel. Zu sehr sind wir mit uns selbst beschäftigt. Tanja hat seit heute etwas Knieprobleme, auch mein rechtes Knie meldet sich. Vielleicht ist es die Feuchtigkeit? Oder sollte ich die Höhe unserer Sättel verstellen? Nur selten taucht ein armseliges Dorf am Straßenrand auf. Die Häuser sind meist aus Holzstämmen gezimmert. Graue Dächer sitzen wie vom Wind verrückte Mützen auf den ebenfalls vom Zahn der Zeit angenagten Wänden. Viele der Hütten sind auch schon zusammengebrochen. Nur wenige Menschen sind auf der matschigen Dorfstraße zu entdecken. “Denis?” Ja?” “Wir sollten uns rechtzeitig um ein Nachtlager kümmern!”, ruft Tanja. Obwohl sich mein Körper gerade in einen rhythmischen Trott befindet und ich noch gerne ein paar Kilometer herunterspulen würde, hat sie Recht. “Dort vorne führt ein Feldweg von der Straße. Den nutzen wir, um in den Wald zu kommen”, bestimme ich. Kaum sind wir auf dem unbefestigten Weg, versinken wir im Matsch. Wir müssen absteigen und unsere Bikes durch Pfützen mit schlammigem Untergrund schieben. Sofort sind die Räder, das Gepäck und die Anhänger mit Dreck bespritzt. Weil der schmale Weg sich ebenfalls auf einer Art kleinen Damm befindet, an dem sumpfiges Land nagt, ist es uns unmöglich ihn über eine zu steile Böschung zu verlassen, um den Wald zu erreichen. “War die falsche Entscheidung”, sage ich, weshalb wir wieder umkehren, um unsere Fahrt auf dem Asphaltstreifen fortzusetzen. Nur ein paar Kilometer weiter entdecken wir erneut einen unbefestigten Weg der von der Straße führt. Da wir uns auf dem Rücken eines Höhenzuges befinden führt der Pfad nicht durch morastiges Land. Trotzdem ist es sehr feucht. Hohes Gras wächst, säumt den Pfad der uns erstmal durch einen dichten Wald führt. “Wow, ist das anstrengend”, hechle ich mein schwer beladenes Sumobike mit Hänger über den von hohen Gras bewachsenen Untergrund zu drücken. Nur eine Reifenspur verrät uns, dass dieser Feldweg ab und zu benutzt wird. “Wahrscheinlich von dem Bauern der irgendwo dort hinten wohnt”, vermute ich. Plötzlich öffnet sich das grüne Geäst über unseren Köpfen und der Wald hat uns auf eine abgeerntete Wiese entlassen. Ein paar Heuhaufen rotten vor sich hin und warten darauf ins Trockene gerettet zu werden. Plötzlich biegt die Spur nach links. Wir gehen geradeaus, um sicher zu sein auch heute Nacht keine ungebetenen Gäste am Zelt zu haben. “Also ehrlich, ich kann mir nicht vorstellen, dass bei diesem Wetter überhaupt jemand vors Haus geht. Geschweige ein armseliges, einsames Zelt aufsucht”, sage ich. “Egal, ich fühle mich wohler wenn uns keiner entdecken kann”, entgegnet Tanja mit aller Kraft ihr Sumobike über die feuchte Wiese und das hohe Gras zu pressen. “Dort hinten am Wald! Da wo der große Heuhaufen steht! Das ist ein guter Platz!”, hoffe ich.

Schnell haben wir unser Zelt errichtet. Da wir es in unserem Hotel in Tomsk trocknen konnten, müssen wir jetzt nicht in einer nassen Stoffburg hausen. Jedoch dauert es nicht lange und die in der Atmosphäre enthaltene Feuchtigkeit setzt sich augenblicklich auf die Stoffbahnen. Weil der Niesel eine Pause einlegt, nutze ich die wenige Zeit vor dem Dunkelwerden. Ich klappe meinen leichten Campstuhl auf, lasse mich stöhnend nieder und tippe routinegemäß meine Logdaten in den Computer, während Tanja unseren kleinen Kocher anwirft, um Wasser für Tee und unsere Travellunchmahlzeit zu erhitzen.

Es ist 19:00 Uhr und das Thermometer steht auf zwei Grad plus als wir mit klammen Fingern unser heißes Essen aus der Packung verschlingen. Sofort strömt Energie in den Körper. “Wir müssen uns beeilen ins Zelt zu kommen. Die Nacht zieht herauf”, meint Tanja. Schnell ziehen wir die Folie über unsere Räder, stellen alle Ortliebsatteltaschen in das Vorzelt und krabbeln in unser Reisehaus. “Uuaah ist das kalt”, fröstelt Tanja. Im Innenzelt ziehen wir unsere Radkleidung aus. Mein Fleece ist derart nass, dass ich beschließe ihn mit meiner Körperwärme im Schlafsack trocken zu bekommen. Wir schlüpfen in unsere letzte trockne Unterwäsche und werden langsam wieder warm. Da es noch früh am Abend ist und ich noch nicht schlafen kann lege ich meinen Laptop auf meine im Schneidersitz verschränkten Beine und schreibe. Es dauert jedoch nicht lange bis mir die Kälte in die Glieder kriecht. Außerhalb des Zeltes hat es jetzt zum ersten Mal auf dieser Etappe minus zwei Grad. Ich klappe meinen Computer zu und schließe den Reißverschluss meines Schlafsacks. Obwohl wir auf aufblasbaren Isomatten liegen strahlt der Boden Kälte ab.

Da wir uns mittlerweile auf dem 56. Breitengrad befinden, müsste die Erde nur wenige Meter unter uns gefroren sein. Das ganze Jahr hindurch ist in den ausgedehnten Permafrostgebieten, also u. a. in Kanada, Alaska, Skandinavien, Sibirien und Grönland, der Boden bis in große Tiefen gefroren. Viele der Dauerfrostböden der Nordhalbkugel stammen noch aus der letzten Eiszeit. Bei dem Gedanken an die ewige Gefrornis unter uns wird mir noch kälter, weshalb ich mein Haupt wie eine Schildkröte einziehe und die Kopföffnung meines Schlafsackes über mir völlig verschließe. So daliegend lausche ich meinem Atem. Ich denke an Bären, die es laut Aussagen einiger Einheimischer hier geben muss. Obwohl wir uns in dieser Gegend nicht unbedingt vor den größten Landraubtieren fürchten müssen, hege ich einen großen Respekt vor den zottigen Wald- und Tundrabewohner. Ein befreundeter Autor, der den Baikalsee alleine mit seinem Kaja umrundete, hat uns wahre Horrorgeschichten berichtet. Auch wurde er angegriffen und konnte sich in letzter Sekunde retten.

Das Heulen eines Hundes dringt durch die Daunen an meine Ohren. Nicht weit weg von hier muss ein Bauernhaus stehen. Um besser Luft holen zu können schlüpfe ich mit meinem Kopf wieder durch die kleine Öffnung des Schlafsacks. “Hooouuu! Hooouuu! Hooouuu!”, heult der Hund klagend in die Herbstnacht. “Oder ist es ein Wolf? Ach was. Wölfe kommen zu dieser Jahreszeit nicht so nahe an die Straße. Oder? Und wenn schon. Wölfe sind im Regelfall harmlos”, beruhige ich mein aufgewühltes Gemüt.

Wir freuen uns über Kommentare!

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