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Russland/Straßen-Cafe Link zum Tagebch: TRANS-OST-EXPEDITION - Etappe 3

Ewige nasse Körper

N 56°15'59.4'' E 086°43'01.0''
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    Tag: 119

    Sonnenaufgang:
    07:48 Uhr

    Sonnenuntergang:
    20:26 Uhr

    Luftlinie:
    59.29 Km

    Tageskilometer:
    70.48 Km

    Gesamtkilometer:
    10825.49 Km

    Bodenbeschaffenheit:
    Asphalt

    Temperatur – Tag (Maximum):
    8 °C

    Temperatur – Tag (Minimum):
    2 °C

    Breitengrad:
    56°15’59.4“

    Längengrad:
    086°43’01.0“

    Maximale Höhe:
    257 m über dem Meer

    Maximale Tiefe:
    180 m über dem Meer

    Aufbruchzeit:
    09:30 Uhr

    Ankunftszeit:
    17:00 Uhr

    Durchschnittsgeschwindigkeit:
    14.38 Km/h

Am Morgen ist die Außenhaut unseres Schlafsacks nass. Auch am Innenzelt hat sich unsere Atemluft als Kondenswasser festgesetzt. Kleine nasse Perle tropfen auf unser Haupt. Mit einem Lappen wische ich den Himmel des Innenzeltes trocken. “Hab keine Lust nach draußen zu gehen”, meint Tanja. “Ich auch nicht aber hier drinnen ist es nicht viel besser”, entgegne ich. Schnell schlüpfen wir in unsere Radkleidung. Meine Fleecejacke ist trotz Körpertrocknung noch immer feucht. Weil das Thermometer zu dieser frühen Morgenstunde nur Null Grad anzeigt, alles klamm und kalt ist, verzichten wir auf ein Frühstück und brechen mit leeren Magen auf. Wieder auf der Straße müssen wir die Erdklumpen von der Magurabremse bröckeln. Dann geht es weiter durch das Land in dem es im Sommer nicht nur sehr heiß und im Winter sehr kalt ist, sondern im Herbst auch noch sehr feucht ist. Das Thermometer hat sich jetzt bei einer Temperatur von drei Grad eingependelt. Mit viel mehr ist heute nicht zu rechnen. Die vor uns liegende Strecke führt uns in einem unaufhörlichen Auf und Ab über 300 Meter hohe, vom dichten Wald bewachsene, Berge. Regelmäßig geht ein leichter Regenschauer auf uns hernieder. Es dauert nicht lange und meine Hightechkleidung ist durch die hohe Anstrengung absolut nass geschwitzt. Obwohl das Material so konstruiert wurde, um die Feuchtigkeit die durchs Schwitzen entsteht nach außen abzugeben und keine Nässe von außen nach innen zu lassen, kommt es mit diesen Extrembedingungen nur schwerlich zurecht. Sobald ich auf meinem Intercontinental sitze bin ich nach spätestens 30 Minuten klatschnass geschwitzt. Das ist im Augenblick meine größte Herausforderung, denn mein Körper friert unaufhörlich. Tanja geht es dabei etwas besser. Ihr Schweißfluss ist nicht so stark wie meiner. Obwohl auch ihre Kleidung feucht ist hat ihr Körper zurzeit noch die Chance sie aus eigener Kraft trocken zu bekommen.

Nach 45 Kilometern taucht auf einem Hügelrücken völlig unerwartet eine Lastwagenraststätte auf. Erfreut darüber unsere nassen Körper aufwärmen zu können, schieben wir unsere Roadtrains bis vors Fenster der Straßenkneipe, lehnen sie an einen ausrangierten LKW-Reifen und betreten die warme Stube. Die Luft ist mit dem Geruch von altem Fett geschwängert. Durch unsere besser werdenden Russischkenntnisse können wir der Köchin erklären unser Essen bitte nicht in der Mikrowelle aufzuwärmen, sondern auf dem Ofen. “Bes Problem”, (Kein Problem) sagt sie lächelnd und verschwindet in ihrer dampfigen Küche, um uns eine Bortsch, Kartoffelbrei, Spiegeleier und heißen Tee zu bringen.

Das einfache Raststättenrestaurant ist gut besucht. Jeder der sieben Tische ist mit Fahrern besetzt. Manche von ihnen fragen uns nach dem Woher und Wohin. “Was? Kann nicht sein. Bis nach Burma? Und was macht ihr im Winter? Es wird bald schneien. Wir hatten einen sehr kalten Sommer. Ich bin mir sicher, Sibirien wird dieses Jahr von einem ebenfalls kalten Winter heimgesucht”, nährt einer der Fahrer, der seine große Maschine noch bis in das über 4.000 Kilometer ferne Moskau steuern muss, mein Gehirn mit negativen Gedanken.

Unser Tageskilometerzähler zeigt die Zahl 70 als wir wieder den Schriftzug “Kafe” auf einer im Bau oder Umbau befindlichen Hütte entdecken. “Lass uns die Gelegenheit nutzen, um uns vor dem kommenden nassen Nachtlager aufzuwärmen”, schlage ich vor. “Eine gute Idee”, antwortet Tanja. Wie gewohnt checke ich den Laden erst mal aus, während Tanja auf unsere Räder achtet.

“Kommen sie nur herein. Bei uns gibt es sehr gutes, heißes Essen, Warmwasser zum Händewaschen, eine Toilette und einen geheizten Speiseraum”, empfängt mich der freundliche Manager. “Das können wir alles bestens gebrauchen. Jetzt fehlt nur noch die Möglichkeit bei ihnen übernachten zu dürfen”, antworte ich erwartungsvoll. “Nein, das geht leider nicht. Die Gästezimmer sind gerade im Bau. Aber nächstes Jahr können sie bei uns auch übernachten.” “Nächstes Jahr?” “Ja.” “Hm, nächstes Jahr sind wir hoffentlich schon in der Mongolei”, antworte ich lachend. “Mongolei?” “Ja”. “Mit den Fahrrädern?” “Ja”, antworte ich und erzähle dem Mann und einigen Angestellten, die sich um uns versammelt haben, woher wir kommen und wohin wir wollen. “Und das mit den Fahrrädern?”, wiederholen sie ungläubig. “Ja. Leider ist das Wetter jetzt so furchtbar schlecht geworden. Wir sind völlig durchnässt und müssen noch heute Abend in den Wäldern unser klatschnasses Zelt aufschlagen. Haben sie wirklich kein Zimmer in dem wir über Nacht bleiben können? Wir sind bescheiden, besitzen unsere eigenen Matratzen und Schlafsäcke. Der Fußboden würde uns völlig genügen”, erkläre ich und bemerke in den Augen des Managers ein kurzes Leuchten. “Fahren sie morgen weiter?”, fragt er. “Ja wir müssen uns beeilen und so schnell als möglich Krasnojarsk erreichen”, erkläre ich. “Wenn sie möchten dürfen sie die Nacht gerne bei uns verbringen. Ich lasse das Sofa in mein Büro stellen. Dort können sie bleiben. Es ist geheizt. Ihre Räder sperren wir in unsere Garage. Leider kann ich ihnen kein besseres Angebot unterbreiten”, höre ich und muss zweimal nachfragen, um sicher zu gehen die russische Sprache richtig verstanden zu haben. “Das ist viel mehr als wir erwartet haben. Vielen Dank!”, freue ich mich. “Was kostet die Übernachtung?” “Na nichts. Das ist ein Geschenk”, sagt er, worauf ich mich erneut bedanke und zu Tanja nach draußen eile, um ihr die fantastische Nachricht mitzuteilen.

Nur eine viertel Stunde später sitzen wir mit dem Rücken an einen heißen Heizkörper gelehnt und genießen wie die Wärme langsam in unsere Glieder dringt. “Bitte schön”, sagt die freundliche Bedienung und stellt mir eine Schüssel Bortsch, ein Bier und Tanja einen Teller mit fünf Blinis auf den Tisch. Heißhungrig vertilgen wir das leckere, frisch zubereitete Mahl. “Wie schmecken deine Blinis?” “Absolut klasse.” “Ich glaube ich brauch jetzt auch einen Teller davon. Die Suppe war ja für den hohlen Zahn.” “Na dann esse ich auch noch eine halbe Portion”, sagt Tanja und ich wundere mich wohin sie die weiteren zwei Pfannkuchen hin essen möchte. Nur 10 Minuten später verspüre ich trotz meiner Bortsch, den fünf Blinis, den drei Tassen Tee und dem Bier, welche sich in meinem Magen bequem gemacht haben, noch immer Appetit. “Ich bestell mir noch eine Portion Blinis”, sage ich so sachlich wie möglich. “Du bist verrückt. Danach geht es dir bloß wieder schlecht. Warte doch ein paar Minuten bis sich das Essen gesetzt hat”, schlägt Tanja vor. “Okay”, meine ich kleinlaut weil ich weiß dass sie Recht hat. Es vergeht gerade mal eine viertel Stunde bis ich es nicht mehr aushalte und mir erneut eine Portion Blinis bestelle. Als die Köchin mir den Teller hinstellt glaube ich in ihrem Gesicht einen verwunderten Ausdruck zu erkennen. “Radfahrer sind ungeheuer hungrig”, entschuldige ich mich für meinen Fresswahn und mache mich über die fünf Blinis her die ich mit weiteren zwei Tassen Tee hinunterspüle.

Obwohl die Blinis recht dünn sind habe ich wenig später das unangenehme Gefühl zu platzen. “Ich versteh das nicht. So viel war es doch nun auch wieder nicht”, meine ich mir den Bauch reibend. “Tanja lacht. “Du bist ein unverbesserlicher Nimmersatt”, sagt sie. “Könntest ja ein wenig Mitleid mit mir haben.” “Och du Armer”, antwortet sie sich kugelnd vor lachen. Als ich mich wieder einigermaßen bewegen kann räumen wir unsere Ausrüstung in das Büro vom Manager und machen es uns darin bequem. Da wir nicht auf dem ausgedienten Diwan schlafen wollen breiten wir unsere Artiach-Isomatten auf den Boden aus und legen unsere feuchten Schlafsäcke darüber, damit sie die Chance haben zu trocknen. Unsere Kleidung und das tropfnasse Zelt hängen wir über die vier Heizkörper des Raumes die eine enorme Hitze abstrahlen. “Also entweder man erfriert in dem Land oder man wird zu tote gegrillt oder wenn das nicht ausreicht von Zecken und Moskitos ausgelutscht, um am Ende im Dauerregen zu ersaufen”, meine ich. “Beschwer dich nur nicht”, ermahnt mich Tanja. “Wie könnte ich? War ja nur eine Feststellung. Ich bin in der Tat lieber erstickt als erfroren. Ha! Ha! Ha!”, lache ich, setze mich an den Schreibtisch des Managers, um auf unerwartete bequeme Weise die Daten des Tages in den Laptop zu speisen.

Um 20:00 Uhr ist das Haus urplötzlich leer. Die Bedienungen, die Köchinnen, die Mechaniker der Werkstatt neben an und der Manager sind verschwunden. “Ob sie nach Hause gegangen sind?”, wundert sich Tanja. “Denke schon.” “Jetzt sind wir auf einmal in dem großen Haus alleine. Ist ja fast unheimlich.” “Ist es nicht. Hier sind wir sicher. Da bricht doch keiner ein. Jeder in der Gegend weiß dass hier nicht viel zu holen ist. Ich gehe trotzdem mal herum und sehe nach ob alle Türen verschlossen sind”, meine ich. Im Heizungsraum, in dem auch unsere riese und müller ruhen, ist tatsächlich die Tür offen. Sie lässt sich nicht verschließen weil der Verschlussriegel immer wieder nach unten fällt. Mein Blick fällt auf den Holzhaufen neben mir. Ich finde ein kleines Harz verschmiertes Holzstück, welches ich unter den lockeren Verschlussriegel klemme und siehe da, jetzt ist auch diese Tür zu. Zufrieden begebe ich mich wieder ins Büro, um es mir auf meinem trocknen und warmen Nachtlager bequem zu machen.

Routine, vermeintliche Sicherheit?

Tanja

Eine andere Qualität hat diese Etappe seit dem Wetterumschwung schon angenommen. Seit Anbeginn der Reise war es wichtig im Vertrauen zu sein, dass immer eine Übernachtungsmöglichkeit kommt. Das die ersehnten Büsche zum richtigen Zeitpunkt auftauchen, um unser Zelt aufzubauen und zwar dann, wenn wir weit genug geradelt sind und der Abend naht. Auch in den verschiedenen Ortschaften immer die richtige Unterkunft zu finden war wichtig. So lange die Sonne scheint ist das alles gar nicht so wild wenn es mal etwas länger dauert. Im Sommer sind bekanntlich die Tage länger und somit haben wir gegenüber dem Herbst einen gewaltigen Vorteil. Nun ist es aber Herbst. Die Felder sind und werden abgemäht und die Schornsteine der Häuser rauchen. Ihr Inneres verspricht wohlige Wärme. Immer weniger Autofahrer halten an, um mit uns zu plauschen. Zu nass und zu kühl. Ich gebe es auf, mir Gedanken über die kommende Nacht zu machen. Zwecklos. Meine Lernaufgabe ist gerade jetzt, alles so zu nehmen wie es kommt. Loszulassen. Die Hoffnung, dass sich eine Tür öffnet und wir auf ein nasses Zelt und Schneckenbesuche verzichten können, rücke ich in weite Ferne. Nicht dass ich es aufgegeben habe zuversichtlich zu sein und positiv zu denken. Nein, dies ist eher eine neue Strategie mich aufrecht zu halten und nicht enttäuscht zu sein wenn wir ein klammes Camp errichten müssen. Im Gegenteil. Ich freue mich dann schon darauf, unseren Kocher auszupacken, um uns einen dampfenden heißen Tee zu bereiten.

Umso schöner trifft uns an diesem frühen Abend der Zufall, als uns der freundliche Kaffee Besitzer erlaubt in seinem Büro zu schlafen. Genau das ist es, was eine Reise so interessant gestaltet. Eine Minute auf die andere und wir stecken in einer komplett neuen Situation. Genau das ist es, warum manch Einer in keinem Fall mit uns tauschen möchte. Hingegen lieben es andere Menschen dem Alltag zu entrücken und ungeplante Begebenheiten zu erleben. Die Routine, die vermeintliche Sicherheit, die wir Menschen so schätzen und uns gleichzeitig so unbeweglich machen. Je weniger ich die feste, starre Vorstellung in meinem Kopf habe wie der Tag aussehen soll, desto leichter kann ich mich in eine neue, nicht geplante Begebenheit fallen lassen.

Wir freuen uns über Kommentare!

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