Skip to content
Abbrechen
image description
E-Bike-Expedition Teil 3 China - Online-Tagebuch 2015-2016

Rhythmischer Pulsschlag einer alten Stadt

N 30°40’51.0’’ E 104°03’23.2’’
image description

    Datum:
    28.02.2016 bis 29.02.2016

    Tag: 244 – 245

    Land:
    China

    Provinz:
    Sichuan

    Ort:
    Chengdu

    Breitengrad N:
    30°40’51.0’’

    Längengrad E:
    104°03’23.2’’

    Gesamtkilometer:
    12.819 km

    Maximale Höhe:
    500 m

    Gesamthöhenmeter:
    25.392 m

    Sonnenaufgang:
    07:33 Uhr – 07:31 Uhr

    Sonnenuntergang:
    19:00 Uhr

    Temperatur Tag max:
    19°C

    Temperatur Tag min:
    12°C

(Fotos zum Tagebucheintrag finden Sie am Ende des Textes.)

LINK ZUR REISEROUTE

Gleich am Morgen kümmern wir uns um das Zugticket von Chengdu nach Vietnam für Tanja. Wie geplant wird erst sie ausreisen, während ich bei Ajaci bleibe und die Zeit nutze, um unsere vielen Erlebnisse niederzuschreiben und Bilder zu archivieren. Mittags verlassen wir das Nice House Hostel, mit seinem hilfsbereiten Personal und suchen eines der vielen kleinen Restaurants, in denen vor allem die für diese Region scharfe Küche bekannten Speisen angeboten werden. Tanja und ich laufen an einem Kanal entlang, durch den eine entsetzlich stinkende Kloake fließt. Links und rechts stehen Wohnbunker, die in anderen Stadtteilen im Zuge der modernen Bauentwicklung den Baggern zum Opfer vielen. Die Fenster der sechs oder zehnstöckigen Häuser sind mit massiven, verrosteten Gittern gesichert. Stacheldraht oder nach außen gewölbte Eisenspitzen sollen offensichtlich Diebe davon abhalten die Bewohner auszurauben. Sieht irgendwie befremdlich aus“, wundere ich mich über die massiven archaischen Sicherheitsmaßnahmen. „Meinst du wirklich hier wird soviel geklaut?“, fragt Tanja. „Ich denke die machen das nicht zum Spaß. Wir befinden uns in einer Großstadt und in jeder Millionenmetropole der Welt gibt es auch einen Teil der Bevölkerung die davon leben anderen etwas zu nehmen“, sage ich. „Aber dass sie selbst im zehnten Stock Gitter vor dem Fenstern haben ist doch eigenartig?“ „Es ist sicherlich nicht schwer an diesen Fassaden hinaufzuklettern und wenn nur die unteren Stockwerke abgesichert sind würde ich als Dieb einfach bis zu einer ungesicherten Etage nach oben klettern. So ein Fassadenkletterer ist sicherlich nicht daran interessiert einen Flachbettbildschirm zu stehlen, sondern Bares oder andere Wertgegenstände wie Schmuck. Der kraxelt einfach in ein offenstehendes Fenster, schnapp sich was er erbeuten kann und haut wieder ab“, überlege ich.

Die Bewohner dieses Viertels sitzen in kleinen, zum Weg offenstehenden Höfen, trinken Tee und scheinen den Tag zu genießen. Überall hängt Wäsche in den Bäumen, die im Begriff sind ihre jungen, lindgrünen Frühlingsblätter sprießen zu lassen. Das interessante Wohnviertel ist ein Domizil der Katzen. Sie streunen überall herum, sitzen auf Mauern, Simsen, spielen in Hinterhöfen und die Kater kämpfen untereinander mit erschreckendem Gebrüll um ihr Revier. Immer wieder kommen uns Hundebesitzer entgegen deren oftmals kleine Vierbeiner in lustigen Pullovern oder Anzügen stecken. Sie sind zweifelsohne die Lieblinge der Familie und nicht selten auch ein Statussymbol für ihre Besitzer.

Das Leben hier, weg vom Lärm des Straßenverkehrs, vermittelt den Eindruck von Ruhe und Beschaulichkeit. Aus einigen der Fenster dringt das Geklapper der Mah-Jonng-Steine. Dunkle Eingänge führen in private Spielhöllen, in denen so mancher Stadtbewohner versucht seine Spielsucht zu befriedigen oder auch seinen letzten Yuan verliert. Zwei rote Lampions hängen vor einer traditionellen Apotheke aus der der Duft exotischer Kräuter und Pulvermischungen schwebt. Auf der Ladefläche einer betagten Lastenrikscha bietet ihr Besitzer bunte Blumen und Kakteen feil.

Wir erreichen einen Platz, an dem viele Einwohner zusammensitzen und wie in den Innenhöfen der Häuser Tee trinken. Die Stadt ist für seine entspannten Teehäuser bekannt. Es sind Orte, in denen eine reichliche Auswahl an grünen Tee, Jasmintee und Acht-Kostbarkeiten-Tee angeboten werden und sich die Besucher unterhalten, rauchen, Mah-Jonng, Go oder Karten spielen. Nach der stressigen Stadteinfahrt genießen wir ganz besonders unseren Spaziergang durch ein Viertel in dem es noch unverfälscht und beschaulich ist.

Plötzlich mündet der kleine stinkende Kanal in den ebenfalls durch Mauern eingeengten Fluss Min Jiang, dessen Wasser genauso verseucht ist wie das des Kanals. An manchen Stellen gärt es regelrecht, was man an den Blasen auf der Wasseroberfläche erkennen kann, ähnlich wie bei einer kochenden Suppe. Schockiert sehen wir wie Einheimischen ihre Angelrouten in die giftige Brühe auswerfen oder bettelarme Frauen Kleidung darin waschen. Auf beiden Uferseiten ist ein wunderschöner Park angelegt, in dem die Chinesen Thai Chi ausüben, Gruppen von Frauen zur Musik tanzen, Menschen jeglichen Alters Sport betreiben oder die Käfige ihrer Singvögeln in die Bäumen hängen. Die Besitzer der Vögel sitzen in kleinen Gruppen zusammen, rauchen Pfeife und unterhalten sich. Mit stolzem Gesichtsausdruck lassen sie sich vor ihren wunderschön singenden Vögeln von uns fotografieren.

Unerwartet spuckt uns eine der schmalen Gassen auf einen Markt. Bunte Verkaufsstände stehen eng aneinander und drücken sich links und rechts der dunklen Gasse an die Häuserwände. Ausladende Schirme und teils zerfetzte Markisen schützen die mannigfache Ware, weswegen der vom Smog getrübte Himmel nur als ein grauer Lichtstreifen zu sehen ist. Eine mit Kartons schwer beladene Rikscha drückt sich durch das Gedränge. Menschen und Hunde springen zur Seite. Vor einem Gebäude baumeln die üblichen Laternen. Grellrote, schwarze und gelbe chinesische Schriftzeichen leuchten und blinken uns aus allen Richtungen an. Der Schmutz auf der Straße ist erschreckend und seine Zusammensetzung kaum zu definieren. Streunende Hunde wühlen im Müll. Ihr Fell ist von der Räude zerfressen. Andere Hunde wiederum sitzen satt gefressen und wohl genährt neben ihren Herrchen. Unter meinen Füßen knirscht es. Erschrocken blicke ich auf einen verwesten Hühnerkopf. Die Händler schreien und scheinen ihre Kunden anzubrüllen. In China normal, denn hier wird fast immer und überall gebrüllt. Anfangs dachten wir, diese Menschen würden sich unaufhörlich streiten aber mittlerweile haben wir uns an ihr extrem lautes und manchmal grob wirkendes Veralten gewöhnt. Das Treiben hier ist mit Worten nur schwer zu beschreiben. Gerüche von Blumen, geschlachtetem, an groben Haken hängendem Schweinefleisch, auf Tischen liegende gerupfte Hühner, fetten lebenden Kröten, die in Schüsseln träge hüpfen, lebenden Schildkröten, die in ihrem Exkrementen sitzen und auf ihr Ende im Kochtopf warten, Aale die in kleinen Plastikschüsseln durcheinander wimmeln und nach Luft schnappen, tote und lebende Fische aller Größe und Art, frischem Gemüse und Obst unterschiedlichster Sorten, heißem Fett, in dem die mannigfachsten Mehlkreationen brutzeln, exotische Speisen die an allen Ecken und Enden feil geboten werden oder aus den ungezählten Kleinrestaurants und Ständen uns in die Nase steigen vereinen sich zu einer Symbiose der Aromen die es nur auf asiatischen Märkten zu geben scheint. Staunend, von der Welt der unterschiedlichsten Farben und Geräusche fasziniert, laufen wir durch eine fremde Welt die mit unserer Kultur kaum etwas zu tun hat. Hier brodelt und lebt China, ein Land zwischen Neuzeit und Vergangenheit. Würden wir nicht wissen im 21. Jahrhundert unterwegs zu sein, wäre es durchaus möglich einen Sprung in eine der längst vergangenen Dynastien gewagt zu haben. Als wären wir in einer Zeitmaschine Mitten im alten China gelandet. Die Menschen sind scheu, schauen uns neugierig an, rufen, lachen, deuten und freuen sich wenn wir ihre Aufmerksamkeit erhascht haben und sie mit unserer Fotomaschine festhalten.

Als wir an einer Hauptstraße ankommen herrscht plötzlich wieder der Lärm einer Großstadt. Hier reihen sich Geschäft an Geschäft, Restaurants an Restaurants, Snack-Bar an Snack-Bar. Friseure bieten ihre Dienste an, luxuriöse Boutiquen scheint es endlos zu geben und die Auslagen in so manchen Antiquitäten- und Souvenirläden sind sündhaft teuer. Schon vor 2.000 Jahren war Chengdu ein kulturelles und wirtschaftliches Zentrum und bekannt für Eisengießereien, der Gewinnung von Salz, Lackarbeiten und vor allen der Herstellung von Brokatstoffen. Wegen seiner vielen Gebirge außen herum hatte die, in der Geschichte immer wieder umkämpfte Stadt, eine isolierte Lage und war deswegen die Residenz eigenständiger sichuanesischer Reiche. Bei unserem Spaziergang durch die Metropole ist vor allem in den kleinen Gassen noch ein Hauch der Geschichte zu erhaschen. In den dunklen Winkeln, dem Rest der alten Gemäuer, dem Boden auf dem schon vor tausenden vor Jahren Menschen gearbeitet, gelebt, geliebt und gekämpft haben, auf dem sie geboren und gestorben sind, verspüren wir einen tiefen rhythmischen Pulschlag einer uralten Stadt…

Wer mehr über unsere Abenteuer erfahren möchte, findet unsere Bücher unter diesem Link.

Die Live-Berichterstattung wird unterstützt durch die Firmen Gesat GmbH: www.gesat.com und roda computer GmbH http://roda-computer.com/ Das Sattelitentelefon Explorer 300 von Gesat und das rugged Notebook Pegasus RP9 von Roda sind die Stützsäulen der Übertragung.

This site is registered on wpml.org as a development site.