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RED EARTH EXPEDITION - Etappe 2

Plötzlich passiert das Unfassbare

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    Temperatur - Tag (Maximum):
    ca. 30 Grad

Anna Plains Station — 02.05.2001

Sally und Luke verabschieden sich von uns und fahren nach Derby. Dort hat Luke bereits einen neuen Job als Headstockman gefunden. „Ich hätte euch gerne beim Kameltraining geholfen. Aber ich denke ihr schafft es auch ohne mich,“ meint Luke. Wir schütteln uns die Hände und wünschen uns gegenseitig viel Glück.

Tanja kümmert sich dann wieder um ihre Logistik, während ich unseren hungrigen Jungs das Frühstücksbuffet bereite. Dann klettere ich auf das Gatter und sehe ihnen beim Fressen zu. Wir wollen soviel Zeit wie möglich mit unseren Kamelen verbringen und bei ihnen sein damit die Neuen sich an unsere Anwesenheit gewöhnen. Sie sind sehr scheu und suchen schon das Weite wenn sie uns sehen. Selbst zum Fressen wollen sie nicht kommen, wenn ich daneben sitze. Ich habe allerdings viel Zeit und der Hunger treibt sie dann doch zum Futtertrog. Immer wieder sehen sie nervös auf und beobachten mich. Edgar scheint besonders ängstlich zu sein, denn vor lauter aufgeregtem herumkucken bekommt er kaum etwas von seinem guten Fresschen ab.

Es ist eine angenehme Zeit den Tieren zuzusehen und sich dabei den warmen, tropischen Wind durch die Haare streifen zu lassen. Ich habe hier Gelegenheit zum nachdenken und manchmal gelingt es mir sogar einfach nur den Augenblick zu genießen ohne von irgendwelchen Gedanken abgelenkt zu werden. Mein Blick gleitet über die riesige Ebene von Anna Plains. Große Bereiche dieses wunderschönen, weiten Küstenstreifens liegen unter Wasser und sind nicht passierbar. Eine Herde von etwa 20 Pferden galoppieren stolz über das saftige Land. Mit einigen von ihnen werden auch heute noch die Rinder zusammengetrieben. Auf vielen Farmen in Australien besinnt man sich wieder auf diese herkömmliche Weise des Rinderzusammentriebes zurück. Luke hat uns erklärt, dass die Rinder dabei lange nicht so gestresst werden, als würden sie von Fahrzeugen, Flugzeugen und Hubschraubern getrieben. „Bei so einer Hetzjagd kann ein Rind gut und gerne zwei bis drei Kilogramm verlieren. Auch werden dabei oft die Kälber von ihren Müttern getrennt, was für die Tiere eine ungeheure Belastung ist. Wenn man das auf ein paar tausend Rinder umrechnet und die Tatsache mit einkalkuliert das die Rinder pro Kilogramm bezahlt werden, ist der Verlust geradezu astronomisch,“ berichtete er. Nie hätte ich den Nutzen dieser schönen Pferde erkannt, doch macht Lukes Aussage Sinn.

Große Raubvögel lassen meinen Blick in den blauen Himmel schweifen. Sie schweben in weiten Kreisen über der Ebene. Einer von ihnen wird von mehreren kleinen Vögel attackiert. Wahrscheinlich versuchen sie ihn mit dieser Aktion von ihrem Nest fern zu halten. Die Ruhe hier draußen wird nur von den entfernten Generatorgeräuschen leicht gestört. Unsere Kamele schmatzen und grunzen vor Vergnügen. Aus Futterneid beißen sie sich manchmal gegenseitig in den Kopf oder Augen, worauf der Gebissene laut aufbrüllt. „Hey Hardie, lass das!“ ,schimpfe ich laut als er wieder einmal versucht Jafar in sein linkes Auge zu beißen. So sitze ich hier für bald drei Stunden und studiere das Verhalten unserer Wüstentiere. Tanja kommt später vorbei, um zu sehen ob mit mir alles in Ordnung ist. „Ja, kein Problem. Ich habe unseren Jungs nur bei den kleinen Rangeleien zugesehen,“ sage ich.

Ich laufe gerade von der Trainingskoppel zum Futtergehege und bemerke dass Jasper recht gelangweilt durch den schmalen Verbindungsgang marschiert. Warum sollen wir eigentlich drei Tage damit warten ihnen die Halfter anzulegen, wenn sie sich jetzt schon an die Schleuse gewöhnt haben, denke ich mir und frage Tanja: „Was meinst du, sollten wir mal versuchen Jasper das Halfter anzulegen?“ „Warum nicht,“ antwortet sie enthusiastisch. Bevor Jasper den Durchgang verlassen hat, eilt Tanja zu seinem linken Ende und schließt das Aluminiumtor. Jasper ahnt anscheinend was geschehen wird und ehe ich das Ende des Durchgangs mit einem der herumliegenden Rundbalken verschließen kann, läuft er rückwärts heraus. Ich springe gerade noch zur Seite, als er seinen großen Hintern aus der Schleuse drückt, sich um 180 Grad dreht und an mir vorbei springt, um das Weite zu suchen. „Nun, das ging daneben!“ ,rufe ich verärgert. In meinem Inneren verspüre ich plötzlich Kampfgeist. Schnell laufe ich Jasper hinterher, folge ihn durch die große Trainingskoppel, bis er wieder Kurs auf den Durchgang nimmt. Dadurch, dass der Gang in der Mitte einen leichten Linksknick macht, kann er nicht erkennen, dass sein Ende immer noch verschlossen ist. Jasper versucht von mir wegzulaufen und rast ohne zu zögern in den Verbindungsgang. Kaum ist er drin, hebe ich wieder den schweren Rundbalken auf und lege ihn als Querstrebe auf die Holzbalken die die linke und rechte Wand des Durchganges bilden. Jasper hat mittlerweile bemerkt das sein Fluchtweg nach vorne versperrt ist und marschiert mit großen Schritten rückwärts. Sein mächtiger Kamelpopo stößt an den von mir eingelegten Balken. Es kracht bedenklich. Schnell nehme ich einen weiteren Rundbalken von der Erde und lege ihn als zusätzliche Absperrung einen halben Meter darunter. Wieder kracht Jasper mit seinen Hintern gegen die Absperrung. Mein Herz rast vor Aufregung wie irre und es dauert nur Augenblicke, bis ich zwei weitere Holpfosten als Sicherung hineingelegt habe. Jetzt kommt hier nicht einmal mehr ein Elefant heraus und Jasper ist in dem schmalen Durchgang gefangen. Nervös und ängstlich läuft er in der Schleuse nach vorne, kommt an das Aluminiumtor und scheffelt sich selbst wieder zurück. „Am besten wir lassen wir ihn für ein paar Minuten alleine. Er soll sich erst mal wieder beruhigen,“ schlägt Tanja vor. Wenig später klettere ich mit einem Lasso bewaffnet auf den ca. 2 Meter hohen Durchgang und versuche Jaspers Kopf zu fangen. Ich bin jetzt auf gleicher Höhe mit seinem erhobenen Haupt. Da ich noch nie in meinem Leben ein Lasso geworfen habe benötige ich einige Versuche, um das Seil über seinen hin und her schwingenden Kopf zu bringen. „Ich habe ihn!“ ,rufe ich stolz. Jasper gefällt das gar nicht und ehe ich mich versehe rast er in explosionsartiger Geschwindigkeit ein paar Meter nach vorne. Hätte ich zum besseren Halt auf den Balken ein Bein darüber geschwungen, wäre es jetzt zu Mus gequetscht. Ich denke nicht lange über ein „hätte“ nach und ziehe mit verzweifelter Kraft das Lasso mit meiner rechten Hand, während die Linke versucht den Körper auf dem Holzgerüst festzuhalten. Auf einmal läuft mir der Schweiß von der Stirn in die Augen. Jasper schwingt unaufhörlich seinen Schädel nach links und rechts und brüllt wie ein hungriger, hochgradig aggressiver Löwe. Sein Gebrüll lässt mich bis zum Knochenmark erbeben, aber ich kann es irgendwie managen das Lasso festzuhalten. Jasper rast unverhofft nach vorne nur um diesmal gleich die paar möglichen Meter nach hinten zu springen. Er führt sich auf wie ein wildes Kamel und beweißt uns wiedereinmal welch eine gewaltige Urkraft in diesen Tieren steckt. Während seinen auf und ab Bewegungen versuche ich ständig das Lasso zu lockern, um ihn nicht zu würgen. Das heißt, wenn er zu mir kommt ist die Schlinge um seinen Hals locker und wenn er nach hinten oder vorne geht zieht sie sich enger. Ich verspreche mir dadurch, dass er nicht mehr versucht auszureißen denn es für ihn unangenehm. Schon nach wenigen Minuten scheint die Methode zu funktionieren. Jasper steht wild schnaufend vor mir. Während ich mit meiner linken Hand versuche ihn ganz behutsam das Halfter über den Kopf zu streifen, halte ich ihn mit der Rechten am Lasso. So balanciere ich meinen Körper nur mit dem Gleichgewicht in etwa 2 Meter Höhe und hoffe sehr nicht einfach herunter zu fallen und mir den Fuß zu brechen. Jedes Mal, wenn ich ihn mit dem Halfter am Kopf berühre, versucht er wie rasend in meine Hand zu beißen. Ich muss also höllisch aufpassen nicht schrecklich verletzt zu werden, denn Jasper ist extrem schnell. Wieder schnellt sein Kopf wie eine Kobra beim Todesbiss nach vorne. Ich kann gerade noch meine Hand wegreißen und durchatmen, bis ich es wieder und wieder versuche. Mir beginnen nun die Oberschenkel zu Zittern und die Schultern vor den Verspannungen zu schmerzen. „Ich kann bald nicht mehr,“ sage ich zu Tanja die neben mir auf den Holzbalken balanciert um mir zu helfen. „Ich hole schnell die Kamera und filme die Aktion,“ sagt sie und klettert runter. Gebannt lasse ich, ohne nur eine Sekunde der Ablenkung, meine Augen auf dem wilden, aufgebrachten Tier haften. Plötzlich passiert das Unfassbare. Jasper wirft mit einem gewaltigen Ruck seinen mächtigen Kopf nach hinten, entreißt mir dabei das Lasso und stellt sich auf seine Hinterbeine. Wie ein Vulkanausbruch versucht er mit explosionsartiger Kraft seinen gesamten Körper über die 2 Meter hohe, massive Begrenzung des Durchganges zu wuchten. Ich traue meinen Augen kaum und fühle mich in diesem Augenblick verletzlich wie eine kleine Laus die jeden Augenblick zertreten wird. Jasper brüllt ohrenbetäubend und hat seinen halben Körper bereits über den obersten Balken geschleudert. Entsetzt klettere ich zur Seite und als es dann so aussieht als würde er den Ausbruch schaffen, springe ich wie ein flinker Affe von der Schleuse um meine nackte Haut zu retten. Tanja steht da und zittert vor Aufregung am ganzen Körper. „Film, komm schnell filme das!“ ,rufe ich. „Ich bekomm sie nicht an!“ ,antwortet sie laut. Schnell schnappe ich mir die Kamera, um das einzufangen was es eigentlich gar nicht geben kann, doch ehe sie läuft, hat es sich Jasper anders überlegt und hebt seinen Kamelkörper wieder auf die Innenseite des Durchgangs. Übergangslos plumpst er in die Sitzstellung. Eilig nutzen wir die Chance, um einen zweiten Versuch zu unternehmen ihm das Halfter über seinen bebenden Kopf zu ziehen. Während ich aus Sicherheitsgründen das Lasso wieder um seinen Hals lege, streift Tanja ihm das Halter über. Sie benötigt zwei oder drei Versuche. Bevor wir ihn dann gehen lassen bindet Tanja ihn noch eine ca. 9 Meter lange Hüterschnur um den Hals das wir ihn damit ab sofort immer fangen können wenn wir wollen und müssen. Vorsichtig greift sie mit ihren Händen durch die Holzbalken und arbeitet an seinem Hals. Sollte Jasper jetzt aufspringen würden Tanjas Arme wie Streichhölzer abbrechen, denn sie werden an ihren Oberarmen von einem Balken begrenzt. „Ist schon gut Jasper. Du hast es gleich geschafft. Ich muss nur noch den Knoten anziehen,“ spricht sie mit ruhiger Stimme auf ihn ein. In der Zwischenzeit bete ich dass er nicht doch hochspringt und ein entsetzlicher Unfall geschieht. Gerne würde ich das Risiko auf mich nehmen, doch mein Job ist in diesem Augenblick das Lasso zu halten. „Geschafft,“ sagt Tanja worauf wir beide erleichtert sind und uns zu einem großen Schritt nach vorne beglückwünschen. Ab sofort kann das eigentliche Training mit Jasper beginnen. Nachdem er bemerkt, dass wir von ihm gelassen haben, steht er wieder auf. Ich öffne das Tor der Schleuse und entlasse ihn zu seinen Mates.

Da wir in diesem Moment so aufgeputscht sind und nicht in die Gelegenheit kommen wollen darüber nachdenken zu können wie lebensgefährlich dieser Job ist, versuchen wir es gleich darauf mit Edgar. Ich bekomme ihn auf die gleiche Weise wie Jasper in die Schleuse. Wieder klettere ich nach oben, um ihn das Lasso über den Kopf zu werfen. Es klappt diesmal etwas besser. Edgar versucht nicht nach hoch zu steigen und wie ein Vulkan zu explodieren. Seine Stärke liegt im Treten, Beißen und Spuken. Mit viel Geduld schaffe ich es dann ihm das Halfter überzustreifen. Als ich ihm das Nackenseil anlege überlegt er es sich doch mal wie es ist einen Sprung nach oben zu wagen. In letzter Sekund bringe ich es irgendwie fertig meine Arme aus dem Gang zu reißen und entgehe dadurch der Verletzung. Nach dem jetzt auch Edgar fertig ist um zu einem expeditionstauglichen Kamel trainiert zu werden lassen wir ihn gehen. „Für heute haben die Beiden erst mal genug,“ sage ich. Geschafft aber glücklich klettern wir nun auf das Gatter, um ihnen wieder zuzusehen. Wir sind stolz auf uns, denn über die letzten Monate hinweg haben wir uns oft gefragt wie wir es fertig bringen sollen wilden Kamelbullen ein Halfter überzuziehen. „Eigentlich war es gar nicht so schlimm, oder? ,frage ich Tanja die mich nur lachend ansieht.

Noch am selben Abend rufen wir unsere Freunde Jo und Tom an, um ihnen von unserem Erfolg zu berichten. Sie sind beide begeistert und gratulieren uns zu diesem großen Schritt. „Bevor ihr nun anfangt ihnen das Huschdown beizubringen ist es sehr sinnvoll die Zeit zu investieren einen Pfosten in die Erde zu graben. Es ist zu gefährlich sie an einen Zaun zu binden. Wenn sie herausfinden das sie euch dagegen quetschen können, werden sie es tun. Ein Pfosten ist ideal. Wenn ihr Jasper oder Edgar an diesem Pfosten bindet, können sie im Falle einer Panik außen herum rennen. Auf diese Weise ist für sie die Verletzungsgefahr relativ gering und was noch wichtiger ist, diese Methode gewährleistet euch Beiden die nötige Sicherheit, erklärt sie Tanja.

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