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Mongolei/Platzregen-Camp/Stutenmilch-Camp MONGOLEI EXPEDITION - Die Online-Tagebücher Jahr 2011

Pest und Jackpot

N 49°11'746'' E 101°22'865''
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    Tag: 395-396

    Sonnenaufgang:
    06:16/06:16

    Sonnenuntergang:
    20:17/20:13

    Luftlinie:
    26,92/37,57

    Tageskilometer:
    36/50

    Gesamtkilometer:
    2273

    Bodenbeschaffenheit:
    Gras

    Temperatur – Tag (Maximum):
    30 °C

    Temperatur – Tag (Minimum):
    18 °C

    Temperatur – Nacht:
    minus 0 °C

    Breitengrad:
    49°11’746“

    Längengrad:
    101°22’865“

    Maximale Höhe:
    1700 m über dem Meer

    Ankunftszeit:
    18:30

Obwohl wir unseren Aufbruch schon gestern gut vorbereitet haben benötigen wir für den Abbruch unseres Lagers, dem Packen und Beladen der Pferde fünf Stunden. Da wir sicherlich nicht trödeln viel zu lange. Aber selbst wenn alles absolut reibungslos läuft kommen wir meist nicht unter vier Stunden davon. Das liegt zum Teil am wichtigen Abkochen des Wassers, dem Zubereiten der Mahlzeit und dem aufwendigen Packen der Pferdeladung. Wenn die etwa vier 30 bis 35 Kilogramm schweren Seesäcke, die vier ca. 15 kg Kuriertaschen, die Sättel und Satteltaschen auf den Pferderücken verstaut sind, könnte ich mich meist wieder ablegen und ausruhen. Dann beginnt aber erst der Reittag. Weil wir auf dieser Etappe ohne Pferdewagen unterwegs sind kommen wir aber schneller voran. Berge und Pässe bereiten uns keine Schwierigkeiten mehr. In den Tälern ist es uns also möglich die Pferde durchgehend traben zu lassen. Laut meinem GPS liegt die durchschnittliche Trabgeschwindigkeit bei neun bis zehn Stundenkilometern. Wir sind nun in der Lage am Tag zwischen 35 und 50 Kilometer zurückzulegen.

Weil es in der hügeligen Landschaft keine Wasserläufe gibt ist sie oftmals völlig menschenleer. Rinder, Yaks, Schafe, Pferde und Ziegen sind ebenfalls kaum zu sehen. Ab und an aber treffen wir auf einige Hirten die mit ihren Sensen Heu für den Winter mähen. Weil der Fortschritt in den letzten Jahren auch vor der Mongolei nicht halt gemacht hat sind sie nicht mehr mit Pferde- oder Rinderwagen unterwegs sondern mit klapprigen Kleinlastern.

Wir genießen die Einsamkeit und beeindruckende Landschaft. Trotzdem macht sich Tanja Sorgen weil wir unsere Pferde nicht immer tränken können. Wir besitzen jedoch Glück und finden zur richtigen Zeit auf einer Erdpiste vom Regen gefüllte Pfützen. Genug, um den Durst der Pferde und von Mogi zu stillen.

Am ersten Abend nach dem Selengeriver verstecken wir uns auf einer saftigen Wiese hinter einem lichten Lärchenwald am Fuße eines Bergzuges. Noch bevor wir unser Zelt aufschlagen können überrascht uns ein Platzregen. Wir sind nass bis auf die Haut und hundemüde.

Auch wenn in der Mongolei selten, bleiben wir bis zum nächsten Morgen unentdeckt. Nach dem Routineablauf des Lagerabbaus und Ladens geht es im Trab weiter durch endlose Täler, über einen 1.700 Meter hohen Pass und über riesige Grünflächen dessen Gras sich hüfthoch in den wolkigen Himmel streckt. „Vorsicht Loch!“, warnt Tanjas Ruf da sie mit ihrer Naraa voraus reitet immer wieder. Es sind tiefe Erdlöcher der Murmeltiere in denen ein Pferd leicht heineinstolpern kann. Während unserer ersten Mongoleiexpedition 1996 ist mein Pferd einmal in solch einen Tunnel eingebrochen. Die Folge war, dass wir Beide eine 360 Gradrolle hinlegten. Zum Glück hat sich weder das Pferd noch ich mich dabei verletzt. Diesmal wollen wir solche Stürze durch genaues Beobachten des Bodens vermeiden.

„Hier gibt es anscheinend noch viele Murmeltiere“, meint Tanja. „Liegt wahrscheinlich an der menschenleeren Gegend“, vermute ich. „Bilgee hätte schon sein Gewehr ausgepackt und einige von ihnen erlegt.“ „Da bin ich mir ganz sicher“, antworte ich und bin wegen der Lungen- und Beulenpestgefahr, die noch immer von den Nagetieren ausgeht, froh ihn als Expeditionsmitglied diesmal nicht dabei zu haben.

Weil Bilgee ein leidenschaftlicher Jäger ist war gar nicht daran zu denken ihn von der Murmeltierjagd abzubringen. „Es ist nicht gefährlich“, hatte er immer wieder betont. Jedoch sprach ich mittlerweile mit einigen Einheimischen die mich eines anderen belehrten. „Noch heute sterben bei uns jedes Jahr Menschen an der Pest. Die Behörden reagieren zwar schnell, stellen die betroffenen Landkreise unter Quarantäne und kontrollieren die Straßen, jedoch gibt es nach wie vor Tote. Weil die Murmeltiere vom Aussterben bedroht sind wurde für einige Jahre ein totales Jagdverbot verhängt. Viele hielten sich nicht daran und wenn die Jäger an der Seuche erkrankten sind sie aus Angst vor der Strafe nicht zum Arzt gegangen und gestorben“, erklärte mir Rezindorj. „Die Jagd ist aber wieder freigegeben?“, fragte ich. „Nun, ich glaube schon. Aber laut Gesetzt darf man nur im Spätsommer jagen. Wenn sich jemand vorher an der Krankheit ansteckt dann führt das auf Wilderei zurück. Ein Grund warum ein Jäger nicht zum Arzt geht. Die Folgen für die betroffenen Familien sind fatal“, antwortete unser Gastgeber der viel über die schlimmste Seuche die Europa jemals heimgesucht hatte wusste.

Zwischen den Jahren 1347 und 1350 starb jeder Zweite an der Pest. Manche behaupten sogar das Krieger der berühmten Goldenen Horden Pesttote aus ihren eigenen Reihen als biologische Waffen einsetzten und sie in die von ihnen belagerte Stadt Caffa am Schwarzen Meer geworfen hatten. Auf diese Weise soll die Pest aus der Mongolei nach Europa gebracht worden sein. 200 Jahre dauerte es für den Kontinent um sich von der schrecklichen Pandemie zu erholen. Eigentlich dachte ich die Pest sei schon lange ausgerottet und nur ein schrecklicher Teil des Mittelalters aber die Seuche ist nach wie vor real. Noch 1919 starben in der Mandschurei 60.000 Menschen an der Pest. Die Innere Mongolei hatte 1947 23.000 Todesopfer zu beklagen. Der Ausgangspunkt des Massensterbens war immer die Mongolei. Noch heute kommt die Pest in den Bergwald- und Steppengebieten Nord- und Südamerikas, Südafrikas sowie Zentral- und Südostasiens und somit auch in der Mongolei vor. Anscheinend ist diese Krankheit nur durch die Ausrottung der Murmeltiere zu besiegen. Aber zumindest ist sie unter Kontrolle und im Vergleich zum Mittelalter weiß man heute wo die Ursache des Sensenmannes zu finden ist.

Die Augen auf dem Boden geheftet trabe ich über die Graslandschaft weil sich in dieser einsamen Gegend besonders viele solcher unterirdischen Gänge, mit ihren dunklen, etwa 15 Zentimeter breiten Ausgängen, befinden. Mit schaudern denke ich jetzt daran das Bilgee fast täglich Murmeltiere erlegte und sie neben unserem Zelt oder in seiner Jurte ausnahm und die Felle in unserem Pferdewagen transportierte. Hat man sich mit der Beulenpest infiziert beträgt die Inkubationszeit zwischen wenigen Stunden und sieben Tage. Man stirbt an hohen Fieber. Die noch aggressivere Lungenpest lässt einen Menschen schon am ersten oder zweiten Tag nach der ein- oder zweitägigen Inkubationszeit abtreten. Eine Überlebenschance gibt es nur wenn nach dem leisesten Verdacht professionell gehandelt wird. Meine negativen Gedanken wegwischend blicke ich vom Boden auf die majestätische, mit Bäumen betupfte Hügellandschaft.

Wir erreichen das Örtchen Raschant, erstehen ein paar Nahrungsmittel und lassen das Blockhüttenstädtchen schnell hinter uns. Sofort umarmt uns wieder die Einsamkeit.Wieder queren wir einen sanften Bergrücken und einen Pass. Weil wir Bor wie auch Sharga und Tenger freilaufen lassen kommt Bor auf der Suche nach Gras vom Weg ab und knallt mit seiner Ausrüstung gegen Bäume. Wir haben Glück da diesmal die Ladung nicht fällt. „Du solltest Bor die restliche Passstrecke führen“, sage ich worauf Tanja Bor am Führungsseil nimmt. „Wann glaubst du kommt der Bach?“, fragt Tanja Stunden später nachdem wir heute schon 45 Reitkilometer zurückgelegt haben. „Nach meinen GPS zu Folge in fünf Kilometer. Denke auf der anderen Seite der Bergkuppe müssten wir Jurten im Tal sehen“, antworte ich darauf hoffend, dass der Bach auch dieses Jahr Wasser führt. Tatsächlich erblicken wir die runden weißen Tupfer in dem sich vor uns ausbreitenden grünen Tal. „Da siehst du? Wie ich es angekündigt habe“, sage ich erleichtert.

„Saijn bajna uu (Guten Tag) Unsere Pferde benötigen Wasser. Gibt es in diesem Tal einen Bach?“, frage ich eine Frau die gerade vor ihrer Jurte steht und Aruul (frischen Quark) auf dem Jurtendach zum trocknen ausbreitet. „Aber ja. Nur ein paar hundert Meter weiter in der Senke dort gibt es frisches Wasser“, hören ich erleichtert. Ich winke Tanja zu die Pferde zur Senke zu treiben. „Hier ist ein genialer Ort für unser Lager“, sage ich nach 50 Reitkilometern ächzend vom Sattel steigend. Kaum berühren unsere Beine den Boden kommt ein Mann mit seinen zwei kleinen Söhnen auf uns zugelaufen. Nachdem die üblichen Fragen nach dem Woher, Wohin, aus welchem Land wir kommen und was wir in der Mongolei eigentlich tun gestellt sind, lässt der Mann namens Gangsuch von seinem Bruder einen ganzen Eimer voller Stutenmilch bringen. Sofort schenkt er eine Schale voll und reicht sie mir. „Zur Stärkung“, meint er freundlich grinsend. Obwohl Stutenmilch für einen europäischen Magen sehr gewöhnungsbedürftig ist kommen wir der Aufforderung nach und trinken das an Fett und Vitaminen reichhaltige Getränk. „Wird schon gutgehen“, sage ich zu Tanja blickend die damit auf vergangenen Reisen nicht die besten Erfahrungen gemacht hat. Dann helfen uns die Mongolen beim Zeltaufbau. „Tolles Zelt“, loben sie immer wieder und lachen weil sie solch ein Stoffhaus in dieser Form noch nicht gesehen haben. Kaum steht unsere Unterkunft lassen sie uns wieder alleine. „Der Airag?“, ruft Tanja Gangsuch hinterher. „Der ist für euch“, sagt er lachend. Der Airag spendet euch Kraft. „Für uns? Aber ein ganzer Eimer voll ist doch viel zu viel?“ „Was ihr heute nicht trinkt könnt ihr morgen genießen“, antwortet er und geht weiter. „Wieder Jackpot“, meine ich Gangsuch nachblickend. „Was meinst du mit Jackpot?“, fragt Tanja. „Na wir haben wieder eine Familie mit hoher mongolischer Gastfreundschaft angetroffen.“ „Das kann man laut sagen“, meint Tanja frohen Mutes.

Als die Sonne am Talende versunken ist färbt sich der Himmel dort wo er die Berge zu berühren scheint blutrot. Weiter oben verblasst die kräftige Farbe zu einem goldenen Band, welches seinerseits von einem leuchtenden, mit glitzernden Sternen durchsetzten Koboldblau abgelöst wird. Dann senkt sich die Finsternis vollends über das Tal. Die Milchstraße leuchtet zwischen den dahinschwebenden Wolkentürmen zu uns herab als wären die Milliarden von Punkten am Strom angeschlossen. Die nächtliche Schwärze bringt zur fortgeschrittenen Stunde Minusgrade und lässt uns tiefer in die Schlafsäcke rutschen. „Wir sollten hier morgen einen Tag bleiben“, sage ich bevor mir die Augen zufallen. „Meinst du?“ „Ja. Die Menschen in diesem Tal scheinen sehr nett zu sein. Wir sollten da bleiben wo man uns so wohlwollend aufnimmt wie hier und nicht da wo wir es geplant haben“, überlege ich. „Ist eine gute Entscheidung. Ich fühle mich hier auch sehr wohl“, antwortet Tanja gähnend.

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