Skip to content
Abbrechen
image description
Aufgeladen nach Marokko

Mythen und Legenden

N 47°29'00.9" E 005°58'28.5"
image description

    Datum:
    06.12.2022

    Tag: 003

    Land:
    Deutschland

    Ort:
    Schneckenhof im Hochschwarzwald

    Breitengrad N:
    47°29’00.9″

    Längengrad E:
    005°58’28.5″

    Tageskilometer:
    114 km

    Gesamtkilometer:
    425 km

    Höhe
    1000 Meter

    Fahrzeit:
    03:15 Std.

    Temperatur Tag max:
     

    Temperatur Nacht:

    Aufbruch:
    14:00 Uhr

    Ankunftszeit:
    17:15 Uhr

„Bevor es dunkel wird, sollten wir einen Platz für die Nacht finden“, schlägt Tanja vor, als die heranrückende Dämmerung das Tageslicht mehr und mehr verschlingt. Plötzlich endet die Straße in einer Baustelle. „Hier geht es nicht weiter“, stelle ich fest und versuche die Terra zu wenden. „Achtung!“, ruft Tanja. Hinter uns ist der Asphalt eingebrochen. Ein gähnendes tiefes Loch öffnet seinen Schlund, um unser Mobil zu verschlucken. Ich steige in die Bremse. „Hast du das Loch nicht gesehen?“, fragt Tanja. „Klar habe ich es gesehen, aber um wenden zu können, muss ich dicht an das Loch ranfahren“, antworte ich, lege den ersten Gang ein, um die Terra wieder ein paar Meter nach vorne rollen zu lassen. Ein paarmal vor und zurück, immer bis zum Rand des bösen Loches, dann lenke ich unseren 7-Tonner im Abstand von wenigen Zentimetern an ein paar Absperrungen vorbei und schon sind wir wieder auf den von der Düsternis geschwärzten schwarzen Asphaltstreifen unterwegs. Die Straße wird links und rechts von undurchsichtigen Wäldern gesäumt. Wir fahren über einen Höhenzug, dessen Haupt mit einem weißen Schneekranz gekrönt ist. „Wenn ich mir vorstelle, wie schwer es für die frühen Bewohner dieser Gegend gewesen sein muss voranzukommen, leben wir in diesem Augenblick den absoluten Luxus“, sage ich.

„Wie, meinst du das?“, fragt Tanja. „Das unweit von hier gelegene ca. 9 km lange Höllental mit seinen bis zu 600 m hohen Steilhängen galt für Jahrhunderte als nahezu undurchquerbar. Schon französische Soldaten, die auf dem Weg zu den Schlachtfeldern des französisch-österreichischen Krieges waren, quälten sich durch die Schlucht und nannten es Tal der Hölle. Heute wird es von einer vierspurigen Bundesstraße und Bahnstrecke ausgefüllt und verbindet Freiburg und Donaueschingen. Die einzige und erste Verbindung im Schwarzwald war übrigens eine alte Römerstraße, die das Wagensteigtal hinaufführte. Der Schwarzwald war eine echte Wildnis. Das damalige Leben hat mit der heutigen Romantik nichts gemein. Es gab kein elektrisches Licht, keinen Supermarkt, keinen Arzt und im Winter sicherlich keine Verbindung nach draußen. Die Menschen waren auf sich selbst angewiesen“, antworte ich.

Auf der Suche nach einem Stellplatz für die Nacht gleitet der Wald an uns vorbei. Ab und an taucht ein einsamer Bauernhof auf. Kaum von unseren Augen erfasst, verschwindet er wieder. Das Surren des Motors und die augenblickliche Situation regt meine Fantasie an, vernetzt ein paar schauerliche Geschichten, Sagen und Erzählungen, die ich über diese Region gelesen habe. So zum Beispiel das Mörderloch, eine Schanze (einfache Befestigungsanlage), die die Schwarzwälder errichteten, um sich gegen die französischen Plünderungsraubzüge zu erwehren. „Da sind bestimmt einige gestorben“, flüstere ich. „Was hast du gesagt?“, fragt Tanja. „Sorry, mir sind gerade ein paar gruselige Geschichten durch den Kopf gegangen“, antworte ich meine Gedanken in Worte fassend. „Und die Franzosen führten hier Krieg?“, möchte Tanja wissen. „Das weiß ich nicht, aber wie vorhin schon erwähnt zogen hier während des französisch-österreichischen Krieges plündernde französische Truppen durch. Darunter mussten die Bewohner dieser Region gelitten haben. Ich habe gelesen, dass die kaiserlichen Truppen sich auf den Höhenzügen des Schwarzwaldes erfolgreich verschanzten, um sich gegen die Eindringlinge zu wehren. In diesem Zusammenhang wird auch das Mörderloch erwähnt. Es war eine furchtbare Zeit im vom Krieg gebeutelten Europa. Auch der Dreißigjährige Krieg, der von 1618 bis 1648 wütete, warf seine Schatten bis hierher. Aber unabhängig von den Kriegen, die die Menschheit ständig führen, ist der Schwarzwald für seine sagenumwobenen Orte, Schluchten, Höhlen, Waldstücke, abgelegenen Landschaften und Überlieferungen bekannt“, plaudere ich. „Kannst du dich noch erinnern, wie die Überlieferungen heißen?“ „Hm, lass mal nachdenken. Da gibt es eine Legende vom Bruderloch, ein ehemaliger Klosterbruder aus Venedig soll dort in einer Höhle gehaust und Gold hergestellt haben. Oder die Sage vom Mummelsee. Es ist eine Geschichte, die davon berichtet, dass da, wo der See jetzt sein schwarzes Wasser ausbreitet, eine heilige, von Gott geweihte Wohnstätte stand in der kindliche fromme Seelen lebten. Man erzählte sich, dass dort für ewige Zeiten Ruhe herrschte, bis der Himmelszorn urplötzlich die Stätte vernichtete. So gibt es zahlreiche weitere Legenden wie die vom Holländer-Michel, dem Kohlenmunk-Peter und und und“, erzähle ich die gestern Abend gelesenen Informationen rekapitulierend. „So wie sich das anhört, wäre der Schwarzwald mal eine ausgiebige Radtour wert“, überlegt Tanja. „Absolut, aber jetzt fahren wir erst mal nach Marokko“, antworte ich lachend.

Zwei ältere Männer sind mit uns die einzigen Gäste. Die beiden starren in den Fernseher und nehmen von uns kaum Notiz. „Hier passen die Legenden und Mythen her“, sagt Tanja ihren Blick durch die urige und gemütlich wirkende Gaststätte gleiten lassend. Die betagten Holzwände, Decken und Böden scheinen von Geschichten, Gesprächen, Geflüster, Leid und Freud geradezu durchdrungen zu sein. „Wenn sie möchten, dürfen sie sich aus der Karte ein Gericht aussuchen“, bietet die alte Dame an, die sich uns mit dem Namen Elfriede vorstellt. „Wow, sie kochen für zwei Gäste?“, frage ich verblüfft. „Aber ja.

„Da! Schau mal! Das wäre doch ein guter Platz für die Nacht“, unterbreche ich mein Lachen, als auf der rechten Seite ein großes, ehrwürdiges Bauernhaus auftaucht. „Doch noch was gefunden“, freut sich Tanja. „Gasthaus Schneckenhof“, lesen wir. Ob es da noch was zum Essen gibt?“, überlege ich. „Wenn meine Leute aus dem Stall zurück sind, bereiten wir ihnen gerne ein warmes Abendessen“, sagt eine ältere Dame. Um die Zeit zu überbrücken, gehen wir in die Terra, schreiben die Logdaten des Tages nieder und speisen ein paar Bilder in den Laptop. Es ist stockdunkel, als wir den Schneckenhof betreten.

Das machen wir gerne. Egal wie viel Gäste gerade da sind. Sie haben übrigens Glück, in der Hauptsaison sind wir fast immer ausgebucht und hier geht es zu wie in einem Taubenschlag. Ich bin hier schon seit meiner Jugend und gehöre zum Inventar des Schneckenhofes“, plaudert Elfriede freundlich. „Darf ich fragen, wie alt sie sind?“ „Ich bin 83.“ „Und noch immer im Service tätig?“ „Ja, das bereitet mir Freude. Das mache ich so lange, bis ich tot bin“, schmunzelt die rüstige agile Frau und verschwindet mit unserer Bestellung in der Küche. „Tor!“, hören wir die beiden Männer rufen. „Für wen?“, frage ich. Die Marokkaner gewinnen gegen die Spanier“, antworten sie. „Vielleicht ein gutes Omen für unsere Reise“, entgegne ich. „Warum?“ „Wir fahren nach Marokko“, antwortet Tanja. „Oh, dann wünschen wir ihnen eine gute und sichere Fahrt“, sagt der Ältere von beiden.

Schon 20 Minuten später stellt Elfriede das Essen auf den Tisch. „Guten Appetit“, wünscht sie uns und springt wie eine 40-Jährige wieder hinter den Tresen, um ein paar Gläser abzuspülen. „Schmeckt fantastisch!“, rufe ich. „Meine Chefin ist eine gute Köchin“, antwortet Elfriede. Als Elfriede einige Zeit später die Rechnung bringt, erzählt sie, wie es auf dem Hof vor 60 Jahren zuging. „Wir hatten viele Gäste, die auch zum Skifahren hierherkamen. Die hatten immer ihre Schuhe vor dem Zimmer abgestellt und mussten jeden Tag geputzt werden.“ „Wirklich?“, fragt Tanja. „Klar, die ersten Skistiefel waren ja noch aus Leder und brauchten Schuhfett. Das Putzen der Schuhe gehörte zum Service.“ „Gab es hier einen Skilift?“, frage ich. „Ja, der frühere Hausherr Robert Winterhalder, Gott habe ihn selig, hat bereits im Jahre 1906 den ersten Skilift der Welt erfunden und patentieren lassen. Die Sensation hatte sich schnell herumgesprochen und wir durften viele Gäste aus aller Welt bewirten. Sehen sie sich doch die Bilder und alten Urkunden der Patentierung an. Die hängen hier überall an den Wänden“, sagt Elfriede mit nicht zu überhörendem Stolz in der Stimme. Elfriede führt uns durch die alten aus Holz, errichten Räume und erzählt weiter über Geschichten aus ihrer Vergangenheit. „Wir wünschen ihnen noch viel Gesundheit und weiterhin tolle Jahre im Service“, verabschieden wir uns und schießen noch ein Foto von der wunderbaren Frau, die uns sicherlich im Gedächtnis bleiben wird…

Wir freuen uns über Kommentare!

This site is registered on wpml.org as a development site.