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Mongolei/Bilgee Camp MONGOLEI EXPEDITION - Die Online-Tagebücher Jahr 2011

Mit einem Bluterguss davongekommen

N 48°55'401'' E 103°39'459''
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    Tag: 32

    Sonnenaufgang:
    06:11 Uhr

    Sonnenuntergang:
    20:03 Uhr

    Gesamtkilometer:
    452

    Bodenbeschaffenheit:
    Wiese

    Temperatur – Tag (Maximum):
    24 °C

    Temperatur – Tag (Minimum):
    17 °C

    Temperatur – Nacht:
    5 °C

    Breitengrad:
    48°55’401“

    Längengrad:
    103°39’459“

    Maximale Höhe:
    1379 m über dem Meer

Während meiner heutigen Wachschicht ist keine Wolke am Himmel. Es ist 4:30 Uhr am Morgen als ich zu den Pferden laufe, um die Seile und Hoppeln zu prüfen. Erschrocken sehe ich Bilgees Pferd Tenger. Es hat sich weit von den anderen entfernt und grast friedlich vor sich hin. Die Leine zum Erdpflock hat sich im feuchten Gras abgedreht weswegen das Pferd frei ist. Nur eine Hoppel zwischen der linken vorderen Fessel und der linken Hinteren behindertdas Pferd im vollen Galopp davonlaufen zu können. Um Tenger nicht zu verschrecken gehe ich in die Knie und tue so als würde ich die Hoppeln richten. Langsam berühre ich Tenger am Oberschenkel und lasse meine Hand am Hals nach oben gleiten. Als ich ihm dann am Halfter packen möchte erschrickt er und springt zurück. Damit habe ich meinen einzigen Versuch vergeben, denn ab diesem Zeitpunkt lässt mich Tenger nicht näher als zehn Meter an sich heran. Ich gehe in die Jurte, um aus einem Seil ein Lasso zu binden. Als ich wieder bei Tenger bin und das Lasso werfen möchte überlege ich ob ich mir einen weiteren Fehlversuch erlauben darf. Wenn der Wurf nicht sitzt, und davon kann man bei meiner Unerfahrenheit im Lassowerfen ausgehen, wird er noch scheuer. Bis vor kurzem war er es gewöhnt frei auf der Weide herumzulaufen. Ein Jahr wurde er nicht mehr geritten und jetzt ist er, sobald er die Lunte der Freiheit gerochen hat, schwer einzufangen. Ich überlege mir Verstärkung zu holen und wecke Bilgee. Auch er ist erstmal erfolglos, jedoch bewegt er sich mit einer Ruhe und Gelassenheit die beachtenswert ist. Bilgee geht zu Ulziis Pferd Od. Od und Tenger sind jede Nacht zusammen an einem langen Hüterseil gebunden, da die beiden Pferde sich gut vertragen. Bilgee nimmt Od und führt ihn langsam zu Tenger, wohl bedacht sich immer hinter Od zu halten. Dann hebt er das Hüterseil vom Boden und sperrt so Tenger den Fluchtweg nach vorne ab. Ich versperre den Fluchtweg von der anderen Seite. Jetzt hat Tenger nur noch eine Seite offen um fliehen zu können. Langsam pirscht sich Bilgee Meter für Meter heran. Dabei pfeift er leise um das Tier zu beruhigen. Als er nah genug an Tenger ist kann er ihn am Halfter packen. Tenger gibt sich nicht mal die Mühe sich zu wehren und lässt den Pferdemann gewähren.

Gegen Mittag fährt Tovuu Tanja und Ulzii noch mal nach Erdenet damit sie weitere Seile, Bänder, Nägel, Schrauben und Haken für den Pferdewagen kaufen können. Der wichtigste Grund ist allerdings eine Tollwutschutzimpfung für Mogi. Im Schlafsack heute Nacht kam mir der Gedanke und dringender Wunsch Mogi gegen Tollwut zu schützen. In der Mongolei ist die Tollwut weit verbreitet. Mogi ist ein Rüde der keinem Kampf aus dem Weg geht und sich dabei offensichtlich Blessuren und Bisse einfängt. Die meisten Hunde der Nomaden bewegen sich frei und gehen nachts auf die Jagd. Also ist für Mogi die Gefahr sich mit der Tollwut anzustecken nicht gerade gering. „30.000 Tugrik (17,- €) kostet die Fahrt“, sagt Tovuu. Da wir anscheinend das letzte Mal den Preis so akzeptiert haben setzt er ihn diesmal von Beginn an als gegeben. „Ich zahle dir 25.000 Tugrik (14,- €)und keinen mehr. Diesmal sind wir nur zu zweit. Denis bleibt im Camp“, antwortet Tanja. „Aber ihr habt Mogi dabei“, verhandelt er nach. „Spielt keine Rolle“, sagt sie fest entschlossen und siehe da, er willigt sofort ein. Als die drei in Richtung Erdenet unterwegs sind und Bilgee sich wieder zur Jagd aufgemacht hat bin ich mit den Kindern und Baatar alleine im Camp. Ich nutze die Zeit, um zu schreiben. Endlich mal ohne technische Herausforderungen.

Am Abend bin ich noch immer alleine. Ich unterbreche meine Arbeit und gehe die Pferde am Bächchen der Rache Tränken. Um sicher zu gehen, dass keiner der Jungs durchgeht oder sich sonst irgendwelche Sperenzchen einfallen lässt, führe ich die Pferde einzeln zum Wasser. Alles läuft gemächlich und sehr friedlich. Gedankenversunken führe ich das helle Wagenpferd Sharga gerade zurück als es urplötzlich, ohne sichtlichen Grund völlig ausflippt, an mir vorbeistürmt, sich auf beide Vorderbeine stellt, um mit den Hinterbeinen in Kopfhöhe mit einer gnadelosen Wucht auszuschlagen. Ich habe kaum Zeit um zu reagieren als mich der behufte linke Hinterfuß beim Hochgehen am Oberschenkel trifft und an meinem Hoden vorbeistreift. Der Schreck ist derart, dass ich den Schmerz im ersten Augenblick kaum wahrnehme. Ich schaffe es irgendwie nicht zu fallen und die Halfterleine zu halten. „Du verdammtes Vieh!“, brülle ich nach der ersten Schrecksekunde und versuche dem offensichtlich heimtückischen und sehr gefährliche Pferd eins überzuziehen. Es reißt die Augen auf, geht auf die Hinterbeine, weshalb ich diesmal darauf gefasst zurückspringe. Es kostet mich all meine Kraft das wild gewordene Pferd nicht zu verlieren. Ungehoppelt würde es höchstwahrscheinlich über alle Berge zurück nach Erdenet galoppieren. In der Mongolei gibt es ein ungeschriebenes Gesetz. Wenn nach einem Pferdekauf das Tier zu seinen Besitzer zurück läuft kann dieser es behalten und man müsste es erneut kaufen. Wobei das natürlich wiederum vom Besitzer abhängig ist. Ich schaffe es Sharga einigermaßen zu beruhigen und bringe ihn zum Camp zurück wo ich ihn an einem Pfosten festbinde. Baatar hat den Vorfall gesehen. Sie sitzt vor der Jurte um ihren Enkel in Ziegenmilch zu baden. „Das ist ein böses Pferd“, meint sie den kleinen Finger nach oben streckend. „Ein sehr böses Pferd“, antworte ich noch immer unter Schock stehend. Mir ist bewusst im Augenblick des Angriffes von Sharga unglaubliches Glück gehabt zu haben. Hätte er mein Knie getroffen wäre diese zweifelsohne durchgebrochen. Hätte er mich im Zentrum meiner Männlichkeit oder am Kopf erwischt wäre ich wahrscheinlich tot oder sehr schwer verletzt. Wie so oft in meinem Leben wurde ich wieder einmal von meinen Schutzengeln beschützt. Nach dem Vorfall setze ich mich vor die kleine Jurte und mache mir Gedanken. „Für was das wohl gut gewesen sein kann? Ob ich mit meinen Gedanken nicht bei der Sache war? Nicht konzentriert genug auf das was ich getan habe, nämlich Pferdeführen. Mir fällt nichts dazu ein. Wie auch immer. Man muss nicht alles hinterfragen. Hauptsache ich bin mit einer Schürfwunde und einem Blutergus davon gekommen.“

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