Geruchssymbiose für die wir Westeuropäer nicht geschaffen sind
N 48°55'401'' E 103°39'459''Tag: 31
Sonnenaufgang:
06:09 Uhr
Sonnenuntergang:
20:05 Uhr
Gesamtkilometer:
452
Bodenbeschaffenheit:
Wiese
Temperatur – Tag (Maximum):
24 °C
Temperatur – Tag (Minimum):
17 °C
Temperatur – Nacht:
6 °C
Breitengrad:
48°55’401“
Längengrad:
103°39’459“
Maximale Höhe:
1379 m über dem Meer
Nach dem erholsamen Schlaf geht es mir heute Morgen schon entschieden besser. Meine Bauchkrämpfe sind nahezu vorbei. Zum Frühstück esse ich Brot mit Marmelade. Dann verziehe ich mich wieder in die kleine Jurte, um weitere Versuche zu unternehmen, wie ich die gewonnene Energie von den Solarpanels in meine Geräte bekomme. Bei den Ladeversuchen fällt erneut ein Ladegerät aus. Diesmal ist es das externe Akkuladgerät unseres Ersatzrechners. Der Grund dafür liegt in einem 12 Volt Kabel das ich in U. B. gekauft hatte. Es ist viel zu dünn. Dadurch ist anscheinend nicht die richtige Strommenge geflossen die das Ladegerät benötigte und hat sich deswegen in die ewigen Jagdgründe verabschiedet. Zum Glück habe ich einen Gaslötkolben und etwas Lötzinn dabei und bastle mir ein anderes Kabel welches funktioniert. Durch den erneuten Ausfall können wir während des Schreibens jetzt nur noch einen Rechner laden. Wenn Tanja mit ihren Übersetzungsarbeiten beginnt muss ich ihren Laptop dann nachts laden. Das ist die Idee. Wie gesagt, Flexibilität und Einfallsreichtum sind hier draußen elementar. In den kommenden Tagen scheint endlich die gesamte Ladetechnik zu funktionieren. Wir haben jetzt zwar keine Absicherung mehr aber vielleicht ist das auch nicht nötig.
Bevor ich nun in die Tasten haue, um unsere Geschichten aufzuschreiben, repariere ich noch mein Sturmfeuerzeug. Tovuu, der Besitzer der kleinen Jurte, sieht mir dabei zu. Als ich das Ding dann mit neuem Gas befüllt habe und zünde, explodiert es. Vor Schreck werfe ich es weg und verreiße mich dabei im Rücken. „Das kann doch nicht war sein!“, rufe ich und muss wegen der Ironie trotz der Schmerzen lachen. „Kann ich das Feuerzeug haben?“, fragt mich Tovuu. Weil ich es für mein Ersatzfeuerzeug noch als Ersatzteillager gebrauchen kann lehne ich seine Bitte ab. Er scheint eingeschnappt zu sein und verlässt die Jurte.
Am Nachmittag kommt Bilgee wieder von der Jagd zurück. Wieder hat er Murmeltiere erlegt die er auf den Jurtenboden legt, um sie später auszunehmen. Sofort spielen Sarnai und Orgio mit den toten Tieren und lachen als die die Gedärme aus dem Bauchschlitz quellen. Orgio stopft sie wieder hinein. Kinder haben hier einen völlig anderen Bezug zum Tod.
Mogi bellt noch immer sehr häufig. Vor allem fremde Hunde in Campnähe kann er nicht ausstehen. Da er unter dem Pferdewagen lebt und dort auch angebunden ist, reißt er wie ein Wahnsinniger an seiner Leine, wenn ein Vierbeiner aus einer Nachbarjurte bei uns vorbeischaut. An der Leine beißend versucht er sich sogar zu befreien. „Wir sollten mal die Schnur prüfen. Wenn er so weitermacht hat er sie bald durchgebissen“, meine ich worauf wir sie uns mal ansehen. Kaum haben wir Mogi erreicht, um ihn zu beruhigen, hat er sich doch tatsächlich losgebissen und stürmt wie ein Irrer auf einen großen Hund zu der gerade ums Camp schleicht. Der schwarze Hund scheint ein erfahrener, noch dazu ausgewachsener, Haudegen zu sein und verdrischt Mogi nach Strich und Faden. Mogi unterwirft sich als der andere ihm am Nacken hat. Sofort eilen wir los um unseren Hund zu helfen. Der Fremde sucht daraufhin das Weite. Mogi bellt laut, nimmt die Verfolgung auf und scheint zu sagen; „Mit der Verstärkung im Rücken werde ich ihm zeigen wer hier der Boss ist.“ „Kommst du her Mogi!“, brülle ich. Hechelnd und ausgepumpt steht er nun neben uns. Er blutet am Kiefer und ist wieder gebissen worden. „Wir brauchen eine Kette. Die Schnur wird er immer wieder durchbeißen“, meint Bilgee und baut eine provisorische Halterung aus Lederriemen.
Am Abend schenke ich Tovuu mein altes Feuerzeug. „Wer weiß ob ich es jemals ausschlachten werde und wenn er sich darüber freut solle er es haben“, denke ich mir. Tovuu ist kein armer Mann. Er hat viele Jahre bei einer Bergbaumine als Fahrer schwerer Maschinen gearbeitet. Während dieser Jahre hat er gut verdient und konnte sich deswegen unter anderem ein Auto leisten. Die Sommerferien verbringt er wie viele Mongolen mit seiner Familie hier draußen auf dem Land. Im Herbst zieht er dann wieder in sein Haus in Erdenet. Es ist vergleichbar mit den Russen die am Wochenende oder in den Ferien in ihre Dadscha (Wochenendhäuschen) ziehen. Und wenn man sich die Sache genauer betrachtet gehen ja auch viele Deutsche am Wochenende in ihr Gartenhaus, oder fahren mit ihrem Wohnwagen auf einen Campingplatz. So ähnlich ist es auch in der Mongolei. Tovuu kommt mit dem Schafskopf in die kleine Jurte und fragt nach dem Gasbrenner. „Dort steht er“, zeige ich auf das Holzregal. Er bedankt sich und geht wieder nach draußen. Neugierig geworden, was er mit dem Ziegenkopf und den Gasbrenner tun möchte, folge ich ihm. Er setzt sich vor die große Jurte, zündet den Gasbrenner an und hält die blaue Flamme auf den Ziegenkopf. „Für das Abendessen“, sagt er sich mit der Zunge über die Lippen leckend. „Wenn man das Fell mit dem Gasbrenner versengt hat das Fleisch einen besonders guten Geschmack“, erklärt mir Ulzii“, als ich meine Augenbrauen fragend nach oben ziehe.
Es ist bereits dunkel als ein Auto über die Steppe heranrast als wäre es ein Geländewagen. Lachend steigt ein Mann mit seiner Frau und zwei kleine Kinder aus. Es ist der Sohn von Tovuu der gekommen ist um mit seiner Familie an dem Festmahl teilzunehmen. Sofort schnappt er sich den Gasbrenner und ein kleines Murmeltier, um auch diesen das Fell zu versengen. Da das Fell bei den ausgewachsenen Murmeltieren viel Geld einbringt und die kleinen Felle weniger wert sind, kann man es sich leisten das Fell zu Gunsten des Geschmacks zu versengen. Als ich wegen den schlechten Lichtverhältnissen Schwierigkeiten habe die Szene zu Filmen, springt Tovuus Sohn unaufgefordert in sein Auto, fährt einen zackigen Bogen und stellt sein Gefährt mit angelassenen Scheinwerfern hinter mich. „Baierlaa“, bedanke ich mich. „Zugeer, zugeer“, (ist okay, ist okay) antwortet er freundlich. Es ist bereits 21:00 Uhr als das Festessen in der Jurte beginnt. Es gibt einen großen Topf Innereien der Ziege, dazu den angekohlten Ziegenkopf, das versengte Murmeltier und eine Flasche Wodka. Durch die Hitze des Feuers und den vielen Menschen ist es in der Jurte knackig warm. Die Hitze vermengt sich mit den eigenwilligen Gerüchen der mongolischen Delikatessen zu einer Geruchssymbiose für die wir Westeuropäer nicht geschaffen sind. Schon nach wenigen Minuten muss ich die Festgemeinschaft wieder verlassen. Draußen schnaufe ich erstmal richtig durch. „Man braucht hier schon einen starken Magen“, sage ich zu Tanja als wir in unsere kleine Jurte gehen.
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