Lüsterner Hengst – Sturm
N 49°42'773'' E 100°11'497''Tag: 354-357
Sonnenaufgang:
05:25/05:28
Sonnenuntergang:
21:24/21:22
Gesamtkilometer:
1722
Bodenbeschaffenheit:
Gras
Temperatur – Tag (Maximum):
29°C
Temperatur – Tag (Minimum):
20 °C
Temperatur – Nacht:
12 °C
Breitengrad:
49°42’773“
Längengrad:
100°11’497“
Maximale Höhe:
1492 m über dem Meer
Um 5.00 Uhr am Morgen weckt uns lautes Wiehern. „Der Hengst unserer Nachbarn ist frei!“, rufe ich. Es dauert nur Augenblicke bis wir Naraa zur Seite stehen. Wie auch schon in Tsagaan Nuur geht das Pferd sofort auf die Stute los und möchte sie begatten. Sharga, Tenger, Bor und Sar nehmen sie und den kleinen Tuya in ihre Mitten. Mit heftigen Tritten und Bissen verteidigen sie die Beiden. „Hau ab! Hey! Hey Hey!“, rufen wir doch der Hengst ist ganz irre vor Lust. Ich werfe Steine und treffe. „Iiiihhhjjjj! Iiiihhhjjjj! Iiiihhhjjjj!“, wiehert er und greift völlig unbeeindruckt wieder an. Da zu dieser frühen Stunde Rezindorj, seine Frau Gadimaa und sein Enkel Dorchuruu noch schlafen sind wir gezwungen das Problem alleine zu lösen. „Wie konnte er sich freimachen?“, fragt Tanja wegen dem Hin- und Herjagen schwer atmend. „Denke das Seil ist einfach gerissen“, antworte ich. Im Normalfall ist der Hengst Tag und Nacht mit einem langen Seil an einen Pflock gebunden. Das Tier steht tagsüber gesattelt ca. 50 Meter vor der Jurte. Somit können die Hirten ihn jeder Zeit nutzen, um ihre Ziegen, Schafe und Rinder einzutreiben oder irgendwo hinzureiten. Es steht vor der Jurte wie bei uns Zuhause ein Auto.
Um 7:00 Uhr sehen wir Rezindorj vor seiner mongolischen Behausung. Er erkennt sofort die Situation, schwingt sich auf sein Motorrad und eilt uns zu Hilfe. Es dauert aber nicht lange und er gibt auf. Kommentarlos überlässt er uns wieder dem Hengst der uns nun schon seit zwei Stunden in Atem hält. Inzwischen sind wir vom Steinewerfen und ständigem Schreien und Rufen müde. Der Hengst nutzt die Gunst des Augenblicks und besteigt Naraa. „Mach das du wegkommst!“, brüllt Tanja auf ihn losstürmend. Leider zu spät. Weil der lüsterne Hengst seine Hufe auf Naraas Rücken gestemmt hat, um sie zu begatten. Die Druckstelle ist nun aufgeplatzt so das auf eine Länge von 15 Zentimeter rohes Fleisch zu sehen ist. „So ein Mist. Jetzt war die Wunde gerade am verheilen“, fluche ich erneut Steine nach dem Übeltäter werfend. Nach einer weiteren Stunde kommt Rezindorj vom Kühemelken zurück. Jetzt hat er endlich Zeit, um uns von seinem verrückten Hengst zu erlösen. Tanja führt Naraa in eine Einzäunung die Nachts für die Schafe und Ziegen genutzt wird. Sofort folgt der Hengst. Kaum ist er drin verschließt Rezindorj das Gatter. Jetzt dauert es nur Minuten bis das Pferd gefangen ist und wieder an seinen Pfosten gebunden wird.
Wir nutzen die Tage des Wartens auf Bilgee um Wäsche zu waschen, auszuruhen und unsere Updates zu schreiben. Bald jeden Spätnachmittag zieht ein mehr oder wenig heftiges Gewitter auf. Die Temperaturen fallen dann meist innerhalb weniger Minuten von über 50 ° C in der Sonne auf 10 ° C im Schatten.
Mittlerweile ist die Kommunikation mit unseren beiden Jurtennachbarn sehr gut. Sie nehmen Tanja auf ihren Moped in die Stadt mit und bringen sie am Abend wieder. Somit hat sie die Möglichkeit einzukaufen und Mails zu checken. Wir sind verwundert erst jetzt vor Pferdedieben gewarnt zu werden. Einer von uns ruht zwar jede Nacht auf dem Außenposten, also im offenen Vorzelt, aber es wäre sinnvoll gewesen schon früher zu wissen, dass die Hirten auch in dieser Gegend von diesem Problem betroffen sind. „Ich knall ihn ab!“, sagt Rezindorj auf sein Gewehr deutend als ich ihn direkt auf diese elendige Herausforderung anspreche. „Aber für uns ist das Problem nicht so groß wie für euch. Wir kennen uns alle in diesem Tal. Ein Dieb hat es da echt schwer. Aber ihr seid neu. Euch kann man die Tiere entschieden leichter stehlen“, erklärt er.
Sturm
Wie jeden Abend bringen wir unsere Pferde zur Tränke als starker Wind aufkommt. „Sieht wieder nach einem schlimmen Gewitter aus. Wir sollten uns beeilen die Pferde anzupflocken“, warne ich als auch schon eine heftige Böe unser Zelt trifft. Bevor wir in der Lage sind zu reagieren hat es das Vordach weggerissen. „Nimm Sar, ich kümmere mich ums Zelt!“, rufe ich und stürme zu unserer Behausung bevor eine weitere Böe sie wegreißen kann. Gerade noch rechtzeitig schließe ich den Haupteingang von dem ballonähnlich aufgeblähten Stoffhaus. Immer heftigere Windstöße hämmern nun gegen die Zeltbahn. Es ist nur eine Frage der Zeit bis die Heringe aus dem Boden gerissen werden. Als Tanja eintritt zieht sie sich in die Schlafkabine zurück. „Uuuaa, ist das ungemütlich da draußen“, sagt sie den Schlafsack über sich ziehend. Starker Regen hämmert nun wieder gegen die Stoffwand. Ich sitze im Vorzelt und betrachte argwöhnisch das Flattern und Knattern des Stoffes. Plötzlich trifft ein regelrechter Schlag unser Heim. „Wow, das war ja eine schlimme Böe. Wenn der Wind noch stärker wird fliegt uns der Laden um die Ohren“, meine ich als es auch schon heftig knallt und Tanja zur Hälfte unter Stoff begraben ist. „Die Heringe sind ausgerissen!“, brülle ich, öffne den Reißverschluss und hechte regelrecht ins Freie. Ein drittel des Zeltes ist bereits eingerissen. Es kostet alle Kraft die in meinen Muskeln steckt um das Leinen gegen den Wind aufzurichten. Meine linke Hand hält den Stoff während die Rechte einen Erdhaken in den nassen Boden steckt. „Ich schaffe es nicht!“, brülle ich als eine weitere Böe mir den Stoff aus den Händen reißt und ein Teil des Zeltes erneut einbricht. „Soll ich helfen?“ plärrt Tanja unter dem Stoff liegend. „Macht keine Sinn!“ antworte ich das Leinen erneut gegen den Wind zerrend. Mit der Rückseite meiner kleinen Axt treibe ich nun von neuem einen großen Erdhaken in die Erde. Ein weitere Böe hämmert mit ca. 60 Km/h in den Stoff. Es ist nur eine Frage der Zeit bis das Zeltgestänge bricht. Nicht auf dem wolkenbruchartigen Niederschlag achtend ziehe ich alle mir zu Verfügung stehenden Register und jage einen Hering nach dem anderen in den Grund, um alle zu Verfügung stehenden Sturmverspannungen des Zeltes zu nutzen. Die Mühe lohnt sich. Das Zelt scheint für den Augenblick dem Wetter zu trotzen. Immer wenn es mit voller Wucht von einer Sturmböe der Stärke sieben oder acht getroffen wir verformt es sich regelrecht zu einem U. „Weiß nicht wie lange das Material durchhält!“, brülle ich jeden Augenblick damit rechnend den Stoff in Fetzen davon fliegen zu sehen. Damit sich der Wind nicht unter dem Zelt verfangen kann hämmert die stumpfe Seite der kleinen Axt nochmal zehn Erdnägel in die dafür vorgesehenen Ösen. Die Rettung unseres Schlafplatzes hängt davon ab wer schneller ist. Das Unwetter oder der Mensch. Nun wirkt das Zelt stabiler. In Eile gesammelte Steine beschweren jetzt auch die Schneelappen. Nachdem nahezu jeder Hering in die vorhandenen Schlaufen geschlagen ist vertiefe ich mit dem Spaten den Wassergraben. Über eine Stunde später verziehe ich mich triefnass und ausgekühlt ins Innere. „Sieht gut aus. Das Knattern der Zeltbahn ist viel leiser geworden“, meint Tanja. „Ja, jetzt ist das Zelt bis aufs äußerste gespannt. Wir können nur auf ein baldiges Ende des Sturms hoffen. „Ist schon ein verrücktes Land“, sagt Tanja. „Wie meinst du das?“ „Na das Wetter ist einfach extrem. Tagsüber eine Affenhitze von bis zu 58 °C in der Sonne, dann dieser schlimme Sturm. Vor kurzem wären wir fast abgesoffen und im Winter wird es minus 50 °C.“ „Ja stimmt. Es ist ein Land der Extreme. Ein Land der Superlative. Hier wird einem einfach alles geboten. Weiß gar nicht wie man dieses Land nennen soll? Land des blauen Himmels trifft nur zeitweise zu. Land der Weite ist in der Steppe stimmig aber nicht in der Taiga. Land des ewigen Winters ist sicherlich richtig aber da der kurze Sommer knack heiß werden kann auch nicht ganz stimmig. Ist nicht einfach einen Titel für unsere Geschichte zu finden“, überlege ich. „Was hältst du von Land der wilden Freiheit?“ „Land der wilden Freiheit? Hm, das trifft es. In der Tat kann sich hier noch jeder frei bewegen. Und wild ist es in vielen Bereichen sicherlich“, gebe ich Tanja Recht.
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