Skip to content
Abbrechen
image description
Link zum Tagebuch: TRANS-OST-EXPEDITION - Etappe 1

Lausige Truckerunterkunft

N 44°53'406'' E 020°27'561''
image description

    Tag: 74

     

    Sonnenaufgang:
    06:40 Uhr

     

    Sonnenuntergang:
    18:12 Uhr

     

    Luftlinie:
    82,49 Km

     

    Tageskilometer:
    105,33 Km

     

    Gesamtkilometer:
    2142,53 Km

     

    Bodenbeschaffenheit:
    Asphalt

     

    Temperatur – Tag (Maximum):
    25,32 °C

     

    Temperatur – Tag (Minimum):
    18,5 °C

     

    Temperatur – Nacht:
    12,7 °C

     

    Breitengrad:
    44°53’406“

     

    Längengrad:
    020°27’561“

     

    Maximale Höhe:
    96 m über dem Meer

     

    Aufbruchzeit:
    09.15 Uhr

     

    Ankunftszeit:
    19.45 Uhr

    Durchschnittsgeschwindigkeit:
    15,27 Km/h

“Wie hat ihnen das Zimmer gefallen?”, fragt mich die Frau an der Rezeption freundlich. “Also, wenn man davon absieht das die Toilette schmutzig ist, das heiße Wasser nicht funktioniert und die weißen Bettlaken braune Flecken haben, war die Nacht ganz brauchbar”, antworte ich worauf sie ihre Arbeit weiter verrichtet als hätte sie mich nie gefragt. “2400 Dinar bitte”, (ca. 30 Euro) sagt sie und reicht mir unsere Pässe die man in den serbischen Hotels immer abgeben muss.

Schon um 9:00 Uhr befinden wir uns heute auf der Straße in Richtung Belgrad. Wieder plagt uns der enorme Gegenwind und fordert alles was wir in den letzten 2000 Kilometern an Kondition aufgebaut haben. Ich nutze einen Pferdewagen als Windschatten. Ein paar Sinti sitzen auf dem Wagen der mit verrostetem Metallteilen, altem Plastik, Eimern und sonstigem Müll beladen ist. Der rechte Vorderreifen ist platt und lässt das Gefährd im gleichmäßigem Rhythmus dahinholpern. Das Pferd muss sich mit seiner Last recht plagen. Die Geschwindigkeit variiert derart, dass ich ständig auf der Hut sein muss nicht plötzlich aufzufahren. Wir entscheiden uns den angenehmen Windschatten zu überholen und kämpfen uns weiter gegen die Böen. Trotz der kleineren Straße sind die Abgase und der Verkehr heute nahezu unverändert. Die Atmosphäre ist trüb. Die Sonne hat keine Chance sich durch die eigenartig aussehenden Luftschichten zu arbeiten. Der Anblick von Müll zwischen den Feldern ist unverändert. An manchen Stellen hat der Bauer die Plastikbeutel, Flaschen und alles was die westliche Zivilisation für Abfälle hergibt, unter die Erde gepflügt. Immer wieder tauchen wilde Müllhalten auf. Der Wind bläst das Zeug weit über das Land. Die Zuckerohr- und Maisernte ist im vollen Gang. Feldarbeiter winken uns. Bremsen quietschen. Autos hupen und stinken. Die Felder werden teilweise abgebrannt. Der Rauch vereint sich mit den Abgasen. Unsere Kopfschmerzen pochen. Die am Straßenrand befindlichen Gedenktafeln stimmen uns traurig, machen uns Angst. Der Alptraum des Radfahrens durch ein vom Krieg ruiniertes Land ist unverändert. Wir benötigen eine mächtige schützende Hand über uns, um diese Abenteuer heile zu überstehen.

Vor Zrenjanin stoppen wir. Ich suche in der Karte nach dem richtigen Weg. Eine Frau kommt mit ihrem Rad vorbei. Spricht uns an und ist erfreut als wir auf Deutsch antworten. “Ich arbeiten in Deutschland. Woher kommen?”, fragt sie. “Wir haben unsere Reise am Bodensee begonnen”, antworte ich. “Am Bodensee? Ich in Konstanz wohnen.  Wenn sie wollen, kommen Kaffeetrinken. Mein Haus gleich hier an der Straße”, lädt sie uns ein. “Vielen Dank. Wir müssen weiter”, entgegne ich. “Aufpassen wenn durch die Stadt fahren. Dort Polizei warten.” “Äh, wieso? Haben die etwas gegen Fahrräder?”, frage ich besorgt. “Ah, dass Fahrräder sind. Dachte sie Motorrad haben”, lacht sie herzhaft.  “Ich lieben mein Jugoslawien. Nein, jetzt nicht mehr. Jugoslawien kaputt. Ich lieben hier Zuhause in Serbien”, erzählt sie weiter bis wir uns von ihr verabschieden.

“Wir müssen uns hier unbedingt einen Campplatz suchen”, stelle ich nach 80 Tagekilometern fest, denn bis Belgrad sind es noch 37 Kilometer und wir wissen nicht wo wir in der Hauptstadt eine Unterkunft suchen, geschweige denn finden sollen. Es beginnt wieder zu Dämmern. Die Lastwägen schieben sich dicht an uns vorbei. Oft gibt es wegen der steil abfallenden Straße keine Ausweichmöglichkeit für uns. Kinder werfen aus einem Busfenster Popkorn auf uns und kugeln sich vor Lachen. Wir sind müde, ausgelaugt und fast ein wenig verzweifelt. So weit das Auge reicht gibt es keinen geeigneten Ort, um unser Zelt aufzubauen. Es darf nicht von der Straße aus einsehbar sein, denn so weit wir gehört haben ist Wildcampen in diesem Land verboten. Neben der Hauptstraße ist es sumpfig und große Pfützen zeugen fast überall von den vergangenen Regenfällen. Bäume sind hier sehr selten. Ab und zu gibt es dünne, lange Baumreihen die zwischen den Feldern stehen. Der Wind bläst über die dunkel werdende Ebene. Staub wirbelt von der Straße in den Himmel und unsere Augen. Die Autos scheinen jetzt schubweise zu kommen. Wir ziehen wieder unsere Jacken an. Bei 13° Grad lassen uns die kalten Böen erschauern.

Die ersten Häuserburgen der Vorstädte tauchen auf. Ihre Lichter versprechen uns Wärme und Schutz, doch der Schein trügt. Die Menschen schauen ernst, blicken uns verwundert hinterher. Zeitungsstände sind bunt beleuchtet. Unser Tacho zeigt 105 Tageskilometer als wir nach über 10 Stunden die Vorstadt Borca erreichen. “Gibt es hier irgendwo ein Hotel?”, frage ich einen Imbissbudenstandbesitzer. “Was ausgeben wollen?”, fragt er mich. Seine Deutschkenntnisse sind für uns wie ein Lichtblitz der Erleichterung. “Nicht soviel”, antworten wir. “Motel Panonija. Nicht weit weg. Nur sieben Straßenlaternen zurück”, erklärt er. Sofort machen wir uns auf, um das Motel zu suchen. Das Einzige was wir jetzt noch wollen ist eine warme Mahlzeit und einen trockenen moskitofreien Ort zum schlafen. Wir erreichen Panonija was sich als eine Truckerunterkunft für die Lastwagenfahrer auf dem Weg nach Belgrad herausstellt. “Eine Nacht?”, fragt der Kellner mit seltsamem Gesichtsausdruck. “Ja, eine Nacht”, antworte ich. “Frage Boss”, meint er müde lächelnd. “Okay, eine Nacht 1300 Dinar”, sagt er als er wieder kommt. (16 Euro). “Kann ich das Zimmer sehen?” “Ja”, sagt er und führt mich leicht gehetzt einen Stock nach oben. Das Zimmer lässt mich im ersten Moment erschrocken zurückfahren. Vier Betten, die offensichtlich frisch bezogen sind, füllen es neben einen angeschlagenen alten Schrank auf dem ein paar alte Tomaten vom Vorgänger liegen. Kaugummis kleben an einem fleckigen Heizkörper und am Bettgestell. Pin Up Bilder sind auf dem schmutzigen Spiegel verewigt. Der Topf einer traurigen Pflanze wurde als Aschenbecher missbraucht. Kerzen liegen für den Stromausfall herum. Die Decke ist rissig, der Putz blättert und das Türschloss wurde schon ein paar Mal aufgebrochen. “Ähm, ich frage mal meine Frau”, sage ich höflich. “Kein Problem”, antwortet der Kellner überfreundlich, der mittlerweile aufzutauen scheint. “Können wir unsere Räder unterstellen?” “Kein Problem”, höre ich seine Antwort und er führt mich in einen schmutzigen Hof dessen Tor zur Straße offen steht.

Wieder bei Tanja erkläre ich ihr die Lage. Ratlos und von der Situation überfordert stehen wir an der dunklen Hauptstraße nach Belgrad und versuchen einen klaren Gedanken zu fassen. “Iiihhhuuuummm! Iiihhhuuuummm! Iiihhhuuuummm!” rauschen die Lastwägen und Autos vorbei und unterbrechen unseren Gedankenfluss. “Also was machen wir?”, frage ich. “Entscheide du.” “Ich weiß  nicht wie ich entscheiden soll. Ich kann gar nichts mehr entscheiden”, antworte ich. “Lass dein Gefühl sprechen. Es hat immer Recht”, meint Tanja. “Meine Gefühle sind schon lange im Verkehr untergegangen. Ich glaube sie sind weg. Ich geh noch mal rein und frage ob man das Tor auch absperren kann”, komme ich zu einem Schluss. “Kein Problem”, antwortet der Kellner und sperrt das Tor ab. “Wenn das Tor abgesperrt ist und wir uns heute im Zimmer aufhalten kann eigentlich nicht viel geschehen. Die Räder sperren wir an einen Pfosten im Hof und die Ausrüstung ist während unserer Anwesenheit auch nicht gefährdet”, sage ich dann Tanja. “Okay, wenn du meinst hier können wir bleiben, bleiben wir. Ist bestimmt vernünftiger als in der Nacht noch eine andere Unterkunft in einer Großstadt zu suchen”, antwortet sie, worauf ich wieder das Restaurant betrete in dem ein paar Fahrer und Gäste zu Abend essen. “Wir bleiben”, sage ich dem Kellner. “Gleich zahlen”, antwortet er und schreibt jetzt 1800 Dinar auf den Zettel. “Was? Ich dachte es kostet 1300 Dinar?”, entsetze ich mich. “Preis 1800. Ich nicht Boss. Sorry.“ “Dann bleiben wir nicht”, antworte ich ärgerlich und mache auf dem Absatz kehrt. “Halt! Kein Problem. Frage Boss!”, ruft er mir hinterher. Es dauert keine Sekunden da ist unser anfänglich vereinbarter Preis von 1300 Dinar wieder bestätigt und wir beziehen das Drecksloch. Nach weiteren 20 Minuten haben wir die Räder entladen, an einen Pfosten gesperrt, mit einer Folie abgedeckt, die Anhänger zerlegt und mit allen Satteltaschen in das Zimmer getragen. Dann entscheiden wir uns in der Truckerkneipe zu essen. Die Tischdecken strotzen vor Dreck und in den auf dem Tisch stehenden eingelegten Peperoni sind schon viele Fliegen gestorben. Trotzdem sind wir über die Portionen und dem guten Geschmack des Essens angenehm überrascht. “Wenn morgen die Räder noch da sind ist die Unterkunft gar nicht so schlecht”, stelle ich fest und lasse einen kräftigen Schluck serbisches Bier die Kehle hinunter rauschen. Später gehen wir ins Zimmer. Die Zargesbox ist nicht aufgebrochen und alles ist noch so wie wir es verlassen haben. Bevor ich mich auf die Matratze niederlasse, tippe ich noch meine Kurzaufzeichnungen in den Itronix, jage die Moskitos und flicke das Moskitonetz des Fensters.

Wir freuen uns über Kommentare!

This site is registered on wpml.org as a development site.