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Link zum Tagebuch: TRANS-OST-EXPEDITION - Etappe 1

Der Tanzlehrer Davor Dulic. 100 Kilometer Gegenwind

N 45°35'666'' E 020°07'941''
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    Tag: 73

     

    Sonnenaufgang:
    06:41 Uhr

     

    Sonnenuntergang:
    18:15 Uhr

     

    Luftlinie:
    66,59 Km

     

    Tageskilometer:
    100,06 Km

     

    Gesamtkilometer:
    2037,20 Km

     

    Bodenbeschaffenheit:
    Asphalt

     

    Temperatur – Tag (Maximum):
    24,2 °C

     

    Temperatur – Tag (Minimum):
    15,7 °C

     

    Breitengrad:
    45°35’666“

     

    Längengrad:
    020°07’941“

     

    Maximale Höhe:
    95 m über dem Meer

     

    Aufbruchzeit:
    10:25 Uhr

     

    Ankunftszeit:
    19:00 Uhr

    Durchschnittsgeschwindigkeit:
    15,79 Km/h

Wie geplant waren wir gestern Abend noch mal in dem Restaurant neben der Tanzschule. “Ob der Tanzlehrer heute auch unterrichten wird?”, wollte Tanja wissen. “Glaube schon”, antwortete ich zuversichtlich. Tatsächlich erschien er um Punkt 20:00 Uhr. Wir sprachen ihn sofort an und teilten unsere Begeisterung über sein und Können und den beeindruckenden Tanz seiner Schüler mit. “Davor Dulic”, stellte er sich vor, streckte uns die Hand zur Begrüßung entgegen und setzte sich nach unserer Einladung an den Tisch. Es dauerte nicht lange und wir befanden uns in einem angenehmen, sehr interessanten Gespräch. “Ihr dokumentiert euer Reiseleben, um den Menschen, die nicht reisen können, zu erklären und zu beschreiben wie andere Völker leben, welche Kultur sie besitzen und zu welchen Göttern sie beten. Eine wichtige Aufgabe. Sie wird aus der Sicht des Reisenden einen Einblick in die Geschichte der Menschheit unserer Zeit gewähren und somit dazu beitragen für die kommenden Generationen festzuhalten wie es bei uns zu Beginn des 21. Jahrhundert aussah”, fasste er unser Lebensprojekt zusammen und erklärte es auf eine Weise die uns selbst überraschte.

“Ich mache etwas sehr ähnliches. Ich habe mein Leben der Erhaltung und Bewahrung des Volkstanzes und Bräuche der slawischen Völker verschrieben. Ich bin viel herumgereist, ließ mir von den alten Leuten die Tanzschritte zeigen, sammelte alte Instrumente, schrieb die Texte der fast vergessenen Lieder auf, notierte die Noten und kreiere daraus eine eigene Choreografie. Auf diese Weise bringen wir unserer Generation wieder ein Stück ihrer eigenen Wurzeln näher. Zeigen wie schön Volklore sein kann und wie wichtig es ist nicht die Kultur zu vergessen. Ich werde damit nicht reich aber mir geht es wie euch, für mich ist es die Herzmotivation, eine Mission, ich muss es einfach tun und bin glücklich dabei. In unserer Schule lernen im Augenblick ca. 220 Schüler. Die Jüngsten sind sechs die Ältesten bis zu 25 Jahre alt. Mit den Besten von ihnen treten wir ab und zu vor großem Publikum auf, manchmal auch im Ausland. Um das Sponsoring muss ich mich selbst kümmern. Keine Ahnung wie ich es immer wieder schaffe aber bisher klappt es und wie ihr ja selbst seht haben wir hier in Serbien keine gute Zeit”, erzählte er mit vor Begeisterung blitzenden Augen.

Davor führt uns dann mit Stolz durch seine Schule. Wir dürfen Filmen und Fotografieren. Er stellt uns seinen Schülern vor und zeigt uns dann in der Garderobe die bis zu über 100 Jahre alten und sehr wertvollen Gewänder und Trachten die noch heute zu besonderen Anlässen beim Tanz getragen werden. “Die meisten Schätze sind schon vor langer Zeit verbrannt aber wir haben noch immer schöne Stickereien und Originale”, erklärte er. “Was ist wenn sie kaputt gehen? Nichts hält doch für ewig”, habe ich gefragt. “Wir versuchen die Gewänder immer wieder zu nähen und zu reparieren. Keine Ahnung was wir tun wenn sie sich völlige auflösen”, antwortete er und ich glaubte etwas Wehmut in der Stimme zu vernehmen.Mehr Infos unter: bkolo@tippnet.co.yu

100 Kilometer Gegenwind

Es dauert lange bis wir die Stadt Subotica mit ihrem hektischen und gefährlichen Verkehr hinter uns lassen. Schon am Stadtausgang bläst uns sturmartiger Wind entgegen. Durch die Planwirtschaft eines ehemaligen kommunistischen Landes gibt es nirgends Bäume. Sie sind alle samt dem Feldanbau zum Opfer gefallen und haben die Landschaft zu einem monotonen Einerlei verkommen lassen. Der Wind wird von nichts gebremst und kann sich wie auf dem offenen Meer entwickeln. Unsere Geschwindigkeit verringert sich von 19 auf 11 Stundenkilometer bei doppeltem Krafteinsatz. Es fühlt sich so an als würde uns eine überdimensional große Hand regelrecht festhalten. Wir strampeln bis uns die Lungen brennen und kommen kaum noch voran. “Das müssen die Herbststürme sein!”, brülle ich gegen den Wind und verstumme sofort wieder weil die bald übermenschliche Anstrengung keinen Spielraum für Gespräche übrig lässt. Lastwägen brausen in irrer Geschwindigkeit an uns vorbei. Kaum sind sie in unserer Höhe, erfasst uns eine Druckwelle die uns regelrecht nach vorne schubst als wären wir nur Spielzeug oder vertrocknetes Laub welches hin und her geworfen wird. Am schlimmsten sind die auf uns zukommenden Könige der Straßen, deren mitgebrachte Windlawine sich uns gnadenlos entgegen wirft, uns mit eiserner Faust packt, um uns dann die kalte raue Hand mitten ins Gesicht drückt. Unsere Räder bleiben fast stehen obwohl die brennenden Oberschenkel in irrwitziger Geschwindigkeit die Zahnkränze kreisen lassen. Wir fühlen uns wie in einer Waschmaschine deren Schleudergang die Trommel stoppt, nur um Sekundenbruchteile später die Richtung um 180° zu ändern, um sie dann wieder zu stoppen.

Das Radfahren hier auf dieser Wahnsinnsstraße hat nichts mehr mit Spaß zu tun. Jegliches Vergnügen ist uns vergangen, im Keim erstickt, wie eine Zigarette auf dem rauen Asphalt ausgetreten. Wir fühlen uns wie ausgespuckt, wie Schleim der von den rauen, laut donnernden schwarzen Gummis der Lkw-Reifen in die scharfkantigen Asphaltfugen gepresst wird. “Ttttuuuuuhhhhhttt!”, ertönt das tiefe, bald ohrenzerreisende Horn eines Schwertransporters direkt hinter uns, der uns freudig begrüßt oder warnt. Alle paar Minuten hupen die Serben eine Art Salut für uns. Immer wieder und immer wieder erschrecken wir durch die dann plötzlichen Laute derart, dass wir fast aus dem Sattel fallen.

Manchmal schreie ich vor Angst regelrecht auf, wenn ein Mercedes moderner Bauklasse an uns mit 180 Stundekilometer vorbeirast. Das von Weiten kommende Surren der Räder klingt wie der Angriff wilder Hornissen und es hört sich an wie der rasche und gnadenlose Schnitt eines scharfen Fleischermessers wenn der auf der polierten Kühlerhaube getragene Stern an unseren Körpern wie eine Rakete vorbeirast. Unsere Nerven liegen blank. Wir haben nicht die geringste Chance auszuweichen. Es gibt keine Straße in die wir abbiegen oder fliehen könnten, um dem Wahnsinn zu entgehen. Gedanken der Sinnfrage durchkreuzen mein Gehirn in bald schmerzhafter Stärke. Andere Langstreckenradler müssen ähnliche Erfahrungen wie wir machen. Meine Achtung vor diesen Menschen, die so etwas aushalten, steigt von Minute zu Minute. Nie hätte ich geglaubt das Radfahren mich so an die Grenzen bringt. Wie sollen wir das nur überleben? “Ttttuuuuuhhhhhttt!”, ertönt es wieder. “Wie sollen wir das nur überleben?”, frage ich mich laut.  Wo sind die schönen Radwege geblieben? Die Idiotie des Rasens, der schwachsinnige Verkehr, die entfesselten Menschen mit ihren unkontrollierten Emotionen, scheppern , donnern, rauschen, und walzen sich über das Band des Todes. Überall liegen die tödlichen Beweise dieses losgelassenen Verkehrs herum. Tote Katzen kleben wie platt gedrückte Komikfiguren auf dem schwarzen Teer. Aus dem Fell strecken sich vier Füße die es nicht einmal mehr geschafft haben ein Gelenk abzuwinkeln, um zu fliehen. Tote Hunde gibt es bald zu Mass. Aus ihren aufgerissenen Mäulern bläcken klebrige Zungen die von Ameisen angefressen werden. Ratten, Mäuse, Schlangen, Vögel jeglicher Art säumen das Band des Todes. Mir ist fast schlecht. Warum radeln wir hier herum? Was war der Ursprungsgedanke? Wo wollen wir überhaupt hin? Alle paar Kilometer stehen Gedenktafeln am Straßenrand die an die Menschen erinnern sollen die hier mit all den Tieren zu tote gekommen sind. Manche von ihnen waren Opfer und manche Täter. Am Ende ist es egal wer was war, denn sie sind tot. Nur noch ihre Verwanden denken an sie und tragen den Schmerz. Ein Schmerz der durch dieses grauschwarze Band auf dem wir uns befinden verursacht wurde. “Ttttuuuuuhhhhhttt!”, reißt es mich wieder aus meinen gebeutelten Gedanken. Es ist nur eine Frage der Zeit bis wir hier ebenfalls wie platt gedrückte Komikfiguren auf dem Untergrund verewigt sind. Wir müssen etwas unternehmen. Nur was? Die ganze Sache kommt mir wie Russisch Roulett vor. Irgendwann haut der Hahn auf das Zündhütchen einer Kugel. Der Wind, diesmal von der Seite, bläst uns fast von der Straße. Ein LKW kommt im gleichen Augenblick. Ein anderer König der Straße befindet sich zum selben Zeitpunkt auf der Gegenfahrbahn. Sie können nicht aneinander vorbei. Wir sind das schwächste Glied in der Rangordnung. Der Lastwagenfahrer hinter uns erbarmt sich. Sein rechter Fuß haut in die Bremse und der 38.-Tonner kommt rechtzeitig zum stehen. Schweißausbrüche und Angstattacken schütteln mein System, schütteln das System meiner Frau Tanja.

“Ich muss mal austreten!”, schreit sie den Verkehrslärm übertönend, um mir verständlich zu machen kurz anzuhalten. Da wir die Räder wegen des schweren Gewichtes nicht auf den Ständer stellen können mussten wir uns etwas einfallen lassen. In solch einem Fall parken wir am Straßenrand nebeneinander und lehnen die Räder mit den Satteltaschen aneinander. Tanja und ich können dann jeweils vom Rad steigen, während der andere über der Mittelstange seines Gefährtes stehen bleibt, um das Rad des Partners nur am Lenker zu halten.

Unsere zitternden Lenker, die Schwingung des stark belasteten Rahmens und die Konzentration lassen keinen Blick für die zum großen Teil hässliche Landschaft übrig. Überall liegt Müll herum. Der Straßenrand ist oft völlig mit Weggeworfenem verunreinigt. An manchen Stellen liegen ganze Berge von großen, aufgeplatzten Mülltüten. Die Menschen entsorgen hier überall wo es nur geht ihren Abfall und keiner räumt ihn wieder weg. Das Land Serbien ist völlig verdreckt und seine Bewohner scheinen es an allen Ecken und Enden mit den Füßen zu treten. Klar, Umweltschutz kostet Geld und das haben sie für den Krieg ausgegeben. Wirtschaftlich ist der Laden hier regelrecht am Hund und wir haben das Gefühl als hätte der jahrlange Krieg einen Teil der Menschen abgestumpft.

Der Wind vermischt die enormen Abgase und Dieseldämpfe zu einem üblen Cocktail. Keines der Fahrzeuge ist anscheinend mit einem Katalysator ausgerüstet. Schon nach kurzer Zeit bekommen wir Kopfweh. Durch das Ankämpfen gegen den erbarmungslosen Wind atmen wir mit offenem Mund das giftige Gemisch in die tiefsten Winkel unserer Lungen. Sie beginnen zu brennen, worauf sich unsere Körper hustend zu wehr setzen. “Wenn wir das überleben benötigen wir einen dreimonatigen Kuraufenthalt in den Bergen!”, ruft Tanja.

In der Stadt Bac Tobola holt mich ein Autofahrer fast vom Rad. Es fehlen nur wenige Zentimeter zu meiner linken Hand am Lenker. Ein kleiner Schlenker und es wäre vorbei gewesen. Der Fahrer bleibt nur hundert Meter vor uns an der roten Ampel stehen. Als ich neben ihm halte blicke ich durch das Beifahrerfenster. “Nur ein Zentimeter und ich wäre jetzt tot!”, sage ich und zeige dem Raser mit der Hand wie knapp er mich verfehlt hat. Der etwa Fünfzigjährige in Anzug gekleidete Mann sieht mich etwas mitleidig an, zuckt mit den Schultern und wendet seinen Blick der Ampel zu.

Wir nutzen die bisher erste Gelegenheit, um die stark befahrene Verkehrsader zu verlassen. “Die einzige Möglichkeit hier heile raus zu kommen ist einen Umweg zu fahren und eine kleinere Straße nach Becei zu nehmen”, erkläre ich Tanja die Strecke auf der Karte zeigend. An einem kleinen Laden neben dem Ort Bac Tobola legen wir bei Kilometer 35 eine Rast ein und kaufen Saft und eine Schokolade. Weil ich wegen den Häuserschluchten in Subotica mit dem Satellitentelefon keinen Empfang bekam, nutze ich den Dorfplatz, um das Update zu schicken. Dann geht es weiter in Richtung Belgrad. Alle 10 oder 15 Kilometer legen wir eine Verschnaufpause ein. Wir trinken Wasser, essen eine Handvoll Rapunzelnussmix zur Stärkung, um dann wieder den Kampf mit dem unverändert starken Gegenwind aufzunehmen. Der Verkehr ist durch die Richtungsänderung tatsächlich etwas ruhiger geworden.

Es ist schon spät als wir Becei erreichen. 45 Euro für die Übernachtung veranlassen uns dann aber doch unsere Räder noch weitere 13 Kilometer nach Novi Becei zu treten. Durch die Planwirtschaft, den matschigen Untergrund vergangener Regenfälle und die kaum zu beschreibende Anzahl der  Moskitos, machen es uns bald unmöglich einen geeigneten Platz für unser Zelt zu finden. Wir sind also auf die wenigen Unterkünftige die man hier findet angewiesen. Wir überqueren ein Wehr der mächtigen Theis, Europas größten Nebenfluss der Donau. Er entsteht durch den Zusammenfluss der Schwarzen Theis und der Weißen Theis in den Waldkarpaten der Ukraine und mündet nach 970 Kilometer im Norden Serbiens und Montenegro in die Donau. “Lass uns mal kurz anhalten”, sage ich. Es ist bereits dunkel. Zu unserer Sicher befestigen wir wieder die Blinkleuchten an unseren Uvex Helmen. “Ahh! Schnell! Die Moskitos saugen mich hier aus!”, ruft Tanja. In Windeseile ziehen wir uns gegen die nächtliche Kälte schützend eine Jacke über und lassen unsere Räder die Brückenerhebung hinab gleiten. Der Wind hat sich seit kurzem gelegt. Bei völliger Dunkelheit erreichen wir die Stadt und finden nach genau 100 Kilometern ein hässliches Hotel aus der Zeit des Kommunismus. Als erstes räumen wir die schmutzigen Zudecken auf die Seite und legen unsere Schlafsäcke auf die Matratzen. Tanja kocht in der Dusche heißes Wasser, mit genug Entfernung zum verschissenen Klo. Wir haben uns entschlossen im moskitoverseuchtem Zimmer zu speisen. Fürs Essengehen haben wir keine Energie mehr. Da der Heißwasserboiler nicht funktioniert fällt die Dusche aus, aber wir schlafen zumindest in einem Bett und haben den heutigen Tag ohne Unfall überstanden.

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