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Link zum Tagebuch: TRANS-OST-EXPEDITION - Etappe 1

In der Dunkelheit mutierende Gestalten

N 43°46'315'' E 024°30'859''
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    Tag: 87

     

    Sonnenaufgang:
    06:39 Uhr

     

    Sonnenuntergang:
    17:34 Uhr

     

    Luftlinie:
    129,46 Km

     

    Tageskilometer:
    161,44 Km

     

    Gesamtkilometer:
    2731,57 Km

     

    Bodenbeschaffenheit:
    Asphalt

     

    Temperatur – Tag (Maximum):
    25 °C

     

    Temperatur – Tag (Minimum):
    10,2 °C

     

    Temperatur – Nacht:
    4,8 °C

     

    Breitengrad:
    43°46’315“

     

    Längengrad:
    024°30’859“

     

    Maximale Höhe:
    55 m über dem Meer

     

    Aufbruchzeit:
    09:40 Uhr

     

    Ankunftszeit:
    21:20 Uhr

    Durchschnittsgeschwindigkeit:
    19;34 Km/h

Nach dem Frühstück verabschieden wir uns von unserem Hotel Dracula. Das Wetter ist passend zu unserem Aufbruch traumhaftschön. Mit leichtem Rückenwind sausen wir bestens gelaunt aus der Stadt. Nach einiger Zeit werde ich stutzig. Auf den Hinweisschildern wird ein Ort angegeben der nicht in unserer Richtung liegt. Nach einer kurzen Pause liegt mein Navigationsfehler auf der Hand. Schon in Calafat hätten wir in eine kleine Landstraße abbiegen müssen. “Tut mir leid. Das bedeutet 13 Kilometer Umweg”, äußere ich mich enttäuscht. “Mag keine Umwege aber das kann passieren”, nimmt es Tanja gelassen. Jetzt mit Seitenwind kreuzen wir in Richtung Süden, um wieder auf die gemütliche, wenig befahrene Donaustraße zu treffen. Viele Pferdefuhrwerke nutzen neben uns die Verkehrsader. Hoch beladen mit geernteten Maisstängeln fahren sie teilweise sogar im Konvoi übers Land. Imme wieder begegnen wir auch Sinti die uns manchmal zujubeln. Einer schwenkt die Schnapsflasche und bietet uns an mit ihm zu trinken. Wir lehnen höflich lachend ab, überholen sein altertümliches Gefährd und biegen bei Poina Mare auf die Donaustraße. Jetzt wieder auf den richtigen Kurs bläst uns der Wind in den Rücken. Mit bis zu 28 Kilometer pro Stunde düsen wir über den unebenen Asphalt. Bis zu dem Grenzort Bechet sind es inklusive Umweg 113 Kilometer. Wir sehen also einem neuen Rekord ins Auge. Nur selten erhebt sich vor uns die Straße für wenige Höhenmeter nur um uns dann wieder auf die Ebene ins Rennen zu schicken. Trotz meiner leicht schmerzenden Sehnenentzündung lasse ich mit vollem Elan die Zahnkränze kreisen und würde am liebsten ein Lied trällern. Hotel Dracula hinter uns zu lassen ist eine beflügelnde Situation. Noch dazu haben wir nie damit gerechnet, dass uns Mutter Erde noch mal so einen warmen Sonnentag schenkt. Nach 40 Kilometer legen wir eine kurze Pause ein. Mit Dehnübungen strecke ich meine Muskeln. Eine wichtige Übung, um einer Muskelverkürzung vorzubeugen, habe ich festgestellt.

Die Menschen in den kleinen Straßendörfern sind nach wie vor liebenswert. Sie rufen und winken. Manche wollen wissen wohin uns der Weg führt. Wir genießen den einmaligen Anblick der einfachen Häuser, der Gärten und der Nebenstraßen die ohne Ausnahme nicht asphaltiert sind. Enten, Truthähne, Hunde; Katzen, Pferde, Ochsen und Esel laufen uns unaufhörlich über den Weg. Hier dürfen die Tiere noch ein lebenswertes Dasein fristen. Sie sind nicht ihr Leben lang in einen Stall gepfercht nur um darauf zu warten irgendwann von uns Menschen verspeist zu werden, sondern sie leben oftmals unter freiem Himmel. Um 14 Uhr legen wir auf einer Bank vor einem der Häuser unsere Mittagsrast ein und vertilgen heißhungrig unser Fertigessen. Der Besitzer der Bank ist überrascht uns auf seiner Sitzgelegenheit anzutreffen als er für seine Nachmittagssiesta sein Haus verlässt. “Wollen sie sich nicht setzen?”, biete ich aufstehend den Platz an. Als wäre es der unmöglichste Vorschlag aller Zeiten lehnt er ab und beobachtet neben uns stehend wie wir versuchen unsere nimmersatten Mägen zu befriedigen. Dann nimmt er sich doch ein Herz und setzt sich neben mich. Er fragt und ich erkläre in der internationalen Sprache der Zeichen und Gestik woher wir kommen und wohin wir fahren. Für kurze Zeit entsteht ein sehr interessantes Gespräch. Als Tanja die Szene fotografisch festhält gesellt sich auch die Frau des Hauses dazu und möchte ebenfalls abgelichtet werden. Dann verabschieden wir uns von den Beiden und lassen unsere Maschinen weiter nach Osten rauschen. Auf dem Weg werden wir hin wieder von Grenzpolizei überholt. Sie scheinen die Grenze zu Bulgarien zu patrouillieren die sich nur ein paar hundert Meter von hier auf der anderen Seite der Donau befindet.

Um 16:30 Uhr legen wir nur 15 Kilometer vor unserem Tagesziel eine kurze Kaffeepause ein und genießen die bekannte Tütenmischung. “Gibt es in Bechet ein Hotel?”, frage ich die Wirtin. “Ja, es ist aber sehr klein”, beruhigt uns ihre Antwort, denn wir sehnen uns nach der langen Strecke einer Rast und einer guten Mahlzeit entgegen. Das Licht beginnt sich gegen Abend zu neigen als wir wie so oft an grölenden Kindern vorbeifahren. Sie überqueren schnell rennend die Straße und greifen zu am Boden liegenden Steinen. “Nein!” brüllen wir erschrocken als die Kleinen nach uns werfen. Gott sein Dank sind sie noch zu jung, um für uns eine Gefahr zu sein. Trotzdem erleben wir auf dieser Reise zum ersten Mal das Kinder Steine nach uns werfen. In manchen Gegenden wie zum Beispiel in Ostanatolien sind Steine werfende Kinder für Motorrad- und Fahrradreisende eine wirkliche Gefahr. Auf unserer Kamelexpedition durch Pakistan kam es sogar öfter vor das wir von Kindern und Jugendlichen mit den höchst gefährlichen  Geschossen beworfen wurden. Manchmal half uns nur eine gerittene Attacke, um den Werfern kurzfristig Angst einzujagen, sie in die Flucht zu schlagen, um dann selber aus dem Bannbereich zu fliehen. Schnell sausen wir diesmal weiter.

Um 17:45 Uhr erreichen wir unser Ziel das Grenzstädtchen Bechet. Wir fragen uns bis zum Hotel durch. Ich lehne meinen Roadtrain an das baufällige Gemäuer und suche einen Weg nach Innen. Der Haupteingang ist schon vor Jahren mit Brettern vernagelt worden. In der Bar  nebenan betrete ich das Gebäude. Betrunkene Rumänen und Bulgaren sitzen in der dunklen Pinte und blicken mich an als käme ich vom Mars. Durch den Spalt in einer Tür sehe ich eine junge Frau die gerade etwas auf dem Herd zubereitet. Obwohl die Gäste durch lautes Rufen auf mich aufmerksam machen lässt sie mich lange warten. Dann kommt sie, ignoriert mich wie Luft und bedient einen grölenden Gast. Er packt sie am Arm. Sie zieht ihn weg und die beiden beginnen sich lauthals zu streiten. Am liebsten würde ich das Weite suchen, doch muss ich wissen ob wir hier für die Nacht bleiben dürfen. Nach dem ich die Szene beobachte finde ich es keine gute Idee hier überhaupt nur eine Sekunde länger zu verweilen. Es kommt mir so vor als würde jeden Augenblick etwas Unangenehmes geschehen. Und wo sollen wir an diesem ungastlichen Ort unsere wertvollen Räder unterstellen? “Was möchten sie”, fragt die junge Frau plötzlich. “Gibt es eine Möglichkeit hier zu übernachten?” “Camera defekto verstehen ich was wohl heißen soll das die Zimmer nicht vorhanden oder kaputt sind. Ehe mir noch ein Glas an den Kopf fliegt trete ich wieder ins Freie. Kopfschüttelnd komme ich auf Tanja zu. “Mach jetzt keine Scherze bitte”, sagt sie nach 113 Kilometern müde. “Ich mache keine Scherze. Der Laden da drin ist unmöglich. Da würdest du sowieso nicht bleiben wollen und abgesehen davon gibt es kein Zimmer”, sage ich ratlos. Während wir grübelnd über unsere nächsten Schritte vor der Grenzschenke stehen kommen immer mehr Menschen die uns ansprechen oder nur beobachten. “Wir haben noch eine Stunde Tageslicht. Wenn wir wollen können wir noch in den nächsten Ort fahren. Dort gibt es bestimmt eine Bleibe für uns oder wir suchen uns einen Campplatz”, schlage ich vor. “Wie weit ist es noch zur nächsten Stadt?” “Ca. 45 Kilometer”, antworte ich nachdenklich und frage mich ob meine schmerzende Sehne noch so lange durchhält. “Wie geht es dir?”, möchte Tanja wissen. “Ich kann es schaffen. Wenn du auch der Überzeugung bist polen wir unseren Kopf auf das neue Ziel und wir werden es erreichen”, schlage ich vor. “Okay, auf geht’s”, antwortet sie mit entschlossenem Gesichtsausdruck. Bevor wir wieder in die Sättel steigen ziehen wir beide gegen die aufkommende Kälte eine Fliesjacke an und zum ersten Mal lange Handschuhe. Dann schwingen wir uns auf die Böcke und kehren Bechet den Rücken zu.  Kaum sind wir aus der Stadt hören wir wie so oft lautes Hundegebell. Diesmal aber ist es anders. Durch ein Loch im Zaun rasen zwei kläffende Köder die es auf uns abgesehen haben. Einer von ihnen erreicht in Windeseile Tanjas Rad. Aus Angst sie könnte gebissen werden drehe ich mich immer wieder um. Am liebsten würde ich mich zurückfallen lassen und den Köder mit einer Priese Pfefferspray übernehmen. Im Regelfall lassen die Hunde von uns ab wenn wir ihr Territorium verlassen aber diesmal bleiben sie hartnäckig an uns dran. Wir geben alles und beschleunigen unsere Maschinen auf Höchstgeschwindigkeit bis wir unsere aggressiven Verfolger endlich unbeschadet abschütteln. Es wird dunkel, das Thermometer sinkt auf acht Grad, Tendenz fallend. Wir durchradeln kleine Dörfer. Die Pferdefuhrwerke kommen von den Feldern zurück. Überall herrscht reges Treiben. Vergeblich suchen wir einen Platz an dem wir uns unbemerkt zurückziehen können, um unser Zelt aufzubauen. Wir fahren weiter mit dem festen Ziel das wir heute 160 Kilometer schaffen werden und ein warmes, sicheres Bett für uns finden. Plötzlich kommen aus der Dunkelheit zwei Gestalten auf uns zu gerannt. “Hey! Hey! Hey!”, kreischen sie laut lachend. Vor Schreck wären wir fast vom Rad gefallen. “Was den Jugendlichen alles einfällt?”, wundert sich Tanja. “Keine Ahnung was die damit bezwecken wollen”, sage ich mich auf die dunkle Straße konzentrierend. “Ho!, Ho! Hooouuuu!”, brüllt es aus einem Fabrikgelände. “Tourist! Tourist! Tourist!”, schreit es von einer Gruppe Jugendlicher zu uns herüber. “Wir sollten besser unsere Positionslampen am Helm abnehmen”, schlägt Tanja vor. “Die größte Gefahr liegt nicht darin ausgeraubt zu werden, sondern darin das uns einer der betrunkenen Fahrer nicht rechtzeitig erkennt”, antworte ich weswegen wir die Dinger weiter blinken lassen. Wie das unheimliche Dröhnen einer sich unaufhaltsam nähernden Eisenbahn donnert uns etwas entgegen. “Rrrooohhhrrr!”, brüllt der Sattelschlepper an uns vorbei. Dann hören wir plötzlich Kettenrasseln hinter uns. Zwei Jungs überholen uns mit ihren alten Fahrrädern. Sie begrüßen uns lachend und folgen uns bis zum Ortsausgang. Schnell biegen sie in eine der dunklen Gassen und wir sind wieder alleine. Vor uns tauchen unbeleuchtete Pferdefuhrwerke auf. Wir ziehen einen Bogen um sie zu überholen. Auf einmal kommen uns Radfahrer aus der Schwärze der Nacht entgegen. Keiner von ihnen besitzt ein Licht. “Wir müssen höllisch aufpassen nicht mit ihnen zusammenzuprallen!”, rufe ich Tanja zu. “Wem sagst du das”, antwortet sie und weiter geht unsere nächtliche Fahr durch das fremde Land. Wir sind erschrocken über die Aggression die uns unerwartet immer wieder entgegengebracht wird. Die Freundlichkeit des Tages hat sich in der Nacht gewandelt. Als würde die Finsternis die Menschen zu anderen Wesen mutieren lassen. Insgeheim beginne ich zu beten, zu beten das wir heile und unversehrt ankommen. Dann fällt Tanjas vorderes Licht aus. “Ich bleib dicht an dir dran! Du musst mir nur rechtzeitig sagen ob ein Loch kommt”, ruft sie. “Vielleicht sollte ich es reparieren?” “Hier mitten auf der Landstraße? Lass uns lieber weiterfahren.” “Okay”, antworte ich und konzentrieren mich noch mehr als vorher. Alles 15 Minuten halte wir völlig nass geschwitzt kurz an, trinken trotz der Kälte ein paar Schluck, essen etwas von unserem Studentenfutter, um in kein Energieloch zu fallen und machen weiter. “Wie geht es deinem Sehnenansatz?”, erkundigt sich Tanja nach meinem Befinden. “Tut weh. Hoffe nicht  mir sie auf dieser Fahrt zu ruinieren. Abgesehen davon hat sie Bammel vor den Sinti, Rumänen und Bulgaren die uns mit ihrem Geschrei ständig erschrecken. Sie will wie wir auch in einem schönen warmen Bett schlafen”, antworte ich über mich selbst kichernd.

In einem der letzten Vororte von Corabia fährt mir ein Mann absichtlich fast in den Hänger. Er verfehlt ihn nur um wenige Zentimeter und lacht laut als ich in letzter Sekunde gerade noch an ihm vorbeischlenkere. Als unser Tacho 155 Tageskilometer anzeigt erreichen wir den dunklen Vorstadtbereich von Corabia. “Noch drei Kilometer bis zur Innenstadt!”, gebe ich wie schon seit zwei Stunden die Kilometer an, um uns zu motivieren. In der kaum beleuchteten Stadt fragen wir an einer Tankstelle ob es hier ein Hotel gibt. “Ja, ihr müsst etwa vier Kilometer zurück”, sagt der Tankwart. “Was? Vier Kilometer? Wir haben gar nichts gesehen. Dort ist alles absolut dunkel. Unbeleuchtet. Gibt es denn kein Hotel weiter vorne?”, frage ich und fühle wie mich meine Kräfte verlassen. Nach einem kurzen Gespräch stellt sich heraus das es etwa zwei Kilometer von der Tankstelle entfernt ein Motel geben soll welches direkt an der Donau liegt. Wir bedanken uns für die Infos und machen uns auf den Endspurt unseres Mammuttages. Auf ein schwarzes Schotterband einbiegend verlassen wir die Hauptstraße und gleiten vorsichtig einen Berg zur Donau hinunter. “Hoffe wir müssen da nicht mehr rauf. Das macht meine Sehne alle”, sage ich und entdecke die Lichter des Motels. Während Tanja mein Rad hält stolpere ich völlig fertig vom Sattel, schleppe mich die Treppen hoch und stehe in einer modernen, sauberen und vor allem warmen Rezeption. Die Rettung denke ich mir als ich Tanja berichte, hier nach 161,44 Tageskilometern und 8 ½ Stunden reine Fahrzeit einen Hafen für die Nacht gefunden zu haben.

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