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Mongolei/Im Stich gelassen Camp MONGOLEI EXPEDITION - Die Online-Tagebücher Jahr 2011

Im Stich gelassen

N 50°41'698'' E 100°14'348''
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    Tag: 340

    Sonnenaufgang:
    05:08

    Sonnenuntergang:
    21:35

    Luftlinie:
    26,23

    Tageskilometer:
    32

    Gesamtkilometer:
    1572

    Bodenbeschaffenheit:
    Gras

    Temperatur – Tag (Maximum):
    26°C

    Temperatur – Tag (Minimum):
    20 °C

    Temperatur – Nacht:
    0 °C

    Breitengrad:
    50°41’698“

    Längengrad:
    100°14’348“

    Maximale Höhe:
    1654 m über dem Meer

An unserem heutigen Weiterreisetag stehe ich früh auf um die Pferde von ihren Pflöcken zu befreien. Somit besitzen sie die Chance ihre Bäuche mit noch mehr Grün zu füllen. Um 9:15 Uhr gehe ich zum Zelt von Khurgaa und Bumbayr. „Aufstehen Jungs! Weiter geht’s!“, rufe ich. Es rührt sich nichts. „Aufstehen! Wir reiten heute weiter!“, erneure ich meine Aufforderung. Wieder bleibt mein Weckruf unbeantwortet. „Ob sie gar nicht im Zelt sind?“, fährt mir ein Gedanke durchs Gehirn. Ich nehme die um meinen Hals hängende Trillerpfeife an die Lippen und blase mal kräftig rein. Der schrille Pfiff reißt sicherlich jedes Murmel- und Faultier aus dem Tiefschlaf. „Ähhh?“, antwortet es ärgerlich. „Aufstehen! Oder wollt ihr ewig schlafen!“, rufe ich erneut. Wenig später erscheinen die Jungs schlecht gelaunt. „Wahrt ihr gestern Nacht wieder Fischen?“, frage ich. „Tijmee“, antwortet Khurgaa gähnend.

„Mir tun alle Glieder weh. Hast du ein Schmerzmittel?“, jammert Khurgaa, worauf ich ihm zwei Schmerztabletten in einem Becher mit Wasser auflöse. „Ihhh, das schmeckt ja furchtbar“, sagt er und gibt mir den Becher halbvoll zurück. „Hast du nun Schmerzen oder nicht?“, frage ich ihn den Becher wieder reichend. „Tijmee aber das Zeug kann man nicht trinken.“ „Jetzt hab dich nicht so. Es ist kein Bonbon sondern ein Schmerzmittel. Also hinter damit“, fordere ich ihn auf den Rest des Inhaltes in den Rachen zu kippen. Widerwillig leert er den Becher und schüttelt sich wie ein kleines Kind. Dann macht er sich daran seine ekelhafte Ranzsuppe auf dem Feuer zu erwärmen. „Möchtest du etwas davon? Ist auch nur wenig Fett drin“, fragt er nun freundlicher da die Tabletten Wirkung zeigen. „Danke aber ich ziehe unser Frühstück vor.“ „Deinen widerwärtigen Brei?“ „Genau diesen“, antworte ich und löffle mir die Körner in den Mund.

Den heutigen Tag reiten Khurgaa und Bumbayr entweder weit hinter oder weit vor uns. Dabei klingt immer wieder das unverständliche Geschrei ihres mongolischen Rocks zu uns herüber. „Klingt so als würden Dschingis Khans Horden eine Stadt überfallen“, sage ich zu Tanja. „Sei froh dass sie nicht neben uns reiten“, antwortet sie. „Nehme an das ist der Grund. Auf diese Weise können sie ungestört diesen Müll in ihre Ohren füllen. Sollten wir aber Probleme mit der Ladung bekommen sind sie nicht da. Ihre Arbeitsmoral ist so schlecht wie das was sie Musik nennen“, antworte ich angesäuert.

Nach etwa 10 Kilometern treffen wir auf eine angelegte Schotterstraße und somit auch auf den einen oder anderen mit Touristen gefüllten Kleinbus. Sie steigen aus und fotografieren unseren Pferdezug. Als sie die Kamera auf Khurgaa richten brüllt dieser; „Keine Fotos!“ „Oh Entschuldigung“, stammelt einer der erschrockenen Touristen. „Woher er nur diese Fotophobie hat?“, frage ich. „Vielleicht möchte er damit etwas Macht auf sein Umfeld ausüben?“, vermutet Tanja. „Macht?“, frage ich. „Ja. Wenn du im Leben nichts zu sagen hast kannst du somit wenigsten bestimmen ob man ein Foto schießen darf oder nicht. Aber vielleicht ist es auch nur seine Eitelkeit. Du hast doch bestimmt bemerkt wie oft Khurgaa in seinen Taschenspiegel blickt und an seinem Gesicht herum zupft. Vielleicht empfindet er sich nicht attraktiv und hebt deswegen ständige die Hände vors Gesicht wenn er bemerkt fotografiert zu werden? Wer weiß? Es ist mühselig herauszufinden warum er so reagiert. Für Bumbayr ist Khurgaa ein Vorbild. Er ahmt seinen Onkel nur nach. Da bin ich mir sicher. Als wir uns vor ein paar Tagen kennenlernten ließ er sich gerne fotografieren. Er hat sich sogar richtig in Pose gerückt“, sagt Tanja. „Glaube du hast Recht. Für einen Mongolen ist es unüblich sich nicht ablichten zu lassen. Zumindest sind die Meisten von ihnen nicht kamerascheu“, antworte ich.

Wegen den vielen eingezäunten Touristencamps, die nun alle paar hundert Meter auftauchen, ist es nicht einfach einen geeigneten Lagerplatz zu finden. Khurgaa schlägt ein schmales Strandstück vor welches direkt von einem Wäldchen begrenzt wird und kaum Futter für unsere Pferde bietet. „Nein“, bestimmt Tanja auf das wenige Gras hinweisend. „Unsere Pferde sind noch immer dünn und müssen sich zumindest nachts vollschlagen können.“ „Ich reite voraus und suche einen Lagerplatz. Ihr treibt jetzt mal die Pferde“, sage ich zu Bumbayr und Khurgaa. Bumbayr weigert sich im ersten Moment, wird jedoch von Tanja zurückgepfiffen als dieser im Begriff ist mir zu folgen.

Nur einen Kilometer weiter finde ich eine traumhaft schöne Wiese die sich hinter einem Lärchenwald versteckt und von der Schotterstraße nicht einzusehen ist. „Schau auf das Schild. Da dürfen wir nicht campen“, meint Khurgaa auf eine halb verfallene Tafel deutend. „Privatgrund“, liest er mir vor. Obwohl mir der Privatgrund in diesem Augenblick den Buckel hinunterrutschen könnte, gebe ich nach. Wir reiten weiter und finden nach 32 Tageskilometern und sechs Reitstunden eine Weide direkt am See die ebenfalls nur schwerlich von der Straße auszumachen ist.

Kaum sind die Tiere entladen legt sich Bumbayr erschöpft auf den Rasen und schläft ein. Khurgaa indes entfacht ein Feuer, um einen großen Topf mit dem letzten getrockneten Kuhfleisch zuzubereiten. Mir nichts dabei denkend hebe ich die Kamera, um das Lager zu fotografieren. „Keine Fotos!“, ruft Khurgaa gereizt und springt aus dem Bild. „Warum?“, frage ich mit gepresster Stimme zum x-ten Mal. „Während des Kochens möchte ich das nicht“, antwortet er worauf ich ihm am liebsten in den See werfen würde.

„Bumbayr wird nicht mit nach Mörön reiten. Das heißt in Khatgal ist für uns die Reise zu Ende“, sagt er unvermittelt. „Was? Ab hier beginnt doch erst das Pferdediebstahlproblem. Genau ab heute brauchen wir euch“, antworte ich verblüfft. „Wir kehren um“, sagt er. „Aber ihr wolltet doch mit uns unbedingt bis nach Mörön reiten. Das ist der Grund warum wir Bilgee nicht gebeten hatten nach Khatgal zu kommen. Das schlug er uns nämlich vor.“ „Egal, wir kehren ab Khatgal um.“ „Khurgaa. Auf dem Weg von Riginlhumbe bis hierher haben wir euch nicht gebraucht. Erst ab heute ist eure Anwesenheit von Nöten. Genau heute ist die erste Nacht in der wir Wachschichten halten müssen. Da waren wir uns doch einig. Das hat dir deine Schwester übersetzt. Du hast also verstanden worum es geht und warum wir euch engagiert haben“, erkläre ich noch immer relativ gelassen. „Wir kehren um.“ „Aber warum?“ „Weil es ab hier Pferdediebe gibt und wir Angst haben sie könnten unsere Pferde stehlen“, haut mich seine Antwort fast um. „Wenn wir Nachtwachen halten klaut uns keiner Pferde“, erwidere ich in gefährlichem Tonfall. „Wir halten keine Nachtwache. Wir kehren um. Hier gibt es Diebe. Das ist uns zu riskant“, verblüfft er mich erneut. Ich spüre wie sich in mir ein Vulkanausbruch anbahnt. „Ihr lasst uns jetzt hier einfach so im Stich? Das kann doch nicht wahr sein? Hast du denn nicht das geringste Ehrgefühl? Ihr lasst euch zwei Rasttage bezahlen, um uns am nächsten Tag zu offerieren zurück zu reiten? Was bist du bloß für ein Mensch? Es sieht ja fast so aus als hättet ihr das von Beginn an geplant?“, fahre ich ihn an. Wütend stehe ich auf und entferne mich einige Meter laut fluchend. „Denis, es ergibt keinen Sinn die Beherrschung zu verlieren“, ermahnt mich Tanja. „So ein Scheißkerl! Für die sind wir doch nichts anderes als ein lebloses Stück Mist!“, brülle ich, stürme auf den jungen Mann zu und würde ihm am liebsten die Faust ins Gesicht schlagen. Meine Wut ist grenzenlos. Die Anspannungen der letzten Wochen brechen heraus. Obwohl ich weiß dass Tanja Recht hat kann ich mich für mehrere Minuten nicht beherrschen. Keine Ahnung ob Khurgaa spürt kurz davor zu stehen sich die größte Tracht Prügel seines Lebens einzufangen. „Hast du denn gar nichts im Kopf du Schwachkopf!“, brülle ich ihn an und lange mir an die Stirn. „Kneifst bei der erst besten Herausforderung. Du verdammter Feigling. Keinen Mumm in den Knochen aber immer auf dick machen!“ „Denis?“, höre ich die Stimme Tanjas und habe mich Sekunden später wieder im Griff.

„Wenn sie morgen gehen wollen werden sie heute Nacht auch keine Wache halten. Zumindest können wir uns nicht darauf verlassen. Wir sollten ihnen vorschlagen gleich jetzt zu reiten“, meint Tanja. Ich überlege kurz und nicke zur Bestätigung. „Okay Khurgaa. Wollt ihr gleich gehen?“, fragt ihn Tanja ohne Umschweif. „Tijmee“, antwortet er ruhig. Gut, dann sattelt eure Pferde und verschwindet.“ „Geld? Wir bekommen 110.000 Tugrik“, (73,- Euro / wegen gefallenem Eurokurs anderer Umrechnung) fordert er. Obwohl sie heute Nacht bereits nicht mehr zu Verfügung stehen werden und deswegen eigentlich nur 100.000 Tugrik (67,- €) bekommen würden einigen sich Tanja und Khurgaa auf 105.000 Tugrik. (70,- €) Ich möchte wegen den paar Euro keinen Streit. Außerdem reiten wir in den nächsten Tagen durch Khatgal. Es wäre unklug sich kurz vor diesem berüchtigten Diebesort Feinde zu schaffen“, ist ihre einleuchtende Argumentation.

Khurgaa sattelt mit dem müden Bumbayr die Pferde. „Wie weit ist es nach Khatgal?“, fragt mich Khurgaa, da er weiß, dass mir mein GPS alles über Entfernungen erzählt. „Ca. 35 Kilometer“, antworte ich trocken. „Das schaffen wir heute noch“, sagt er selbstsicher obwohl es bereits 19:00 Uhr ist. „Werdet ihr bei euren Verwandten schlafen?“, fragt Tanja in freundlichem Ton. „Tijmee“, antwortet er. „Morgen reiten wir nach Ringinlhumbe zurück. Wir nehmen die Abkürzung über die Berge und werden morgen Abend zu Hause sein“, sagt er. „Na dann viel Glück“, meint Tanja. „Ich komme morgen um 11:00 Uhr vorbeigeritten und helfe euch beim Laden der Ausrüstung“, bietet er an. „Ob sich jetzt sein schlechtes Gewissen rührt?“, frage ich mich und glaube ihm kein Wort. „Denke er möchte sich ohne weitere Zwischenfälle aus der Affäre ziehen“, vermutet Tanja. „Wahrscheinlich“, sage ich.

Schnell sind die Beiden in die Sättel gestiegen. Bumbayr sieht dabei verlegen zu Boden. „Daraa bajartaj!“, (Auf Wiedersehen) rufen sie und galoppieren davon. Als wäre ihre Anwesenheit nur ein Spuk gewesen sind wir plötzlich alleine. Und das mitten in dem Gebiet in dem wir unter keinen Umständen alleine sein sollten. Welch eigenartige Ironie des Schicksals. Obwohl ich seit geraumer Zeit mit dem Gedanken gespielt habe sie heimzuschicken fühle ich mich in diesen Sekunden verlassen und ausgeliefert. Ein unangenehmes Gefühl der Verwundbarkeit macht sich in mir breit.

„Ich werde heute Nacht draußen neben den Pferden schlafen“, bestimmt Tanja. „Ist doch viel zu feucht direkt neben dem See“, gebe ich zu bedenken. „Egal, ich lege eine Plane über den Schlafsack.“ „Okay“, antworte ich über den Sinn dieser Aktion nachdenkend.

Nach einiger Überlegung steht unser Plan für die erste Nacht. Wir pflocken Mogi direkt neben Tanja an. Er soll unser Frühwarnsystem sein. Dann sammle ich faustgroße und kleinere Steine. Steine können gefährliche Geschosse sein besonders wenn man wie ich zielsicher werfen kann. Ich lege einen kleinen Steinhaufen neben Tanjas Isomatte und einen neben den Zeltausgang für mich. Jeder von uns besitzt ein Pfefferspray welches mir während meiner und unserer gemeinsamen Reisen schon mindestens dreimal das Leben gerettet hat. Dazu haben wir Walkingstöcke die leicht und sehr stabil sind. Diese sind im Ernstfall hervorragende Hieb- und Stichwaffen. Meine Geheimwaffe allerdings ist ein Leuchtsignalabschussgerät. Eigentlich dafür gedacht im Notfall ein Leuchtrakete in die Luft zu schießen, um auf sich aufmerksam zu machen. In unserem Fall eine sehr gute Waffe, um Pferdedieben, die nicht mit solch einem in der Nacht abgeschossenen Feuerball rechnen, das Fürchten zu lehren. „Und weiß Gott, sollten sie kommen werde ich ihnen das Fürchten lehren“, schwöre ich mir selbst.

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