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Mongolei/Wald Camp MONGOLEI EXPEDITION - Die Online-Tagebücher Jahr 2011

Der erste Tag alleine

N 50°33'678'' E 50°33'678''
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    Tag: 341

    Sonnenaufgang:
    05:08

    Sonnenuntergang:
    21:35

    Luftlinie:
    16,00

    Tageskilometer:
    21

    Gesamtkilometer:
    1593

    Bodenbeschaffenheit:
    Gras

    Temperatur – Tag (Maximum):
    26°C

    Temperatur – Tag (Minimum):
    20°C

    Temperatur – Nacht:
    8°C

    Breitengrad:
    50°33’678“

    Längengrad:
    50°33’678“

    Maximale Höhe:
    1655 m über dem Meer

    Aufbruchzeit:
    11:30

    Ankunftszeit:
    16:30

Außer ein paar Rehe, die verschreckt und scheu über die Wiese gesprungen sind, besuchte keiner das Camp. Also eine friedliche und angenehm ruhige Nacht. Ohne unsere Langschläfer wecken zu müssen stehen wir um 7:30 Uhr auf. Nachdem Bors Satteldruckstelle schlimmer geworden ist beladen wir ihn heute wieder nur mit ca. 40 kg. Die restlichen 20 kg verteilen wir auf seine Kameraden Tenger und Sharga. Weil Bumbayr sich schon am ersten Tag seinen Hintern wund ritt tauschte er seinen Sattel mit dem von Tenger aus. Die Folge, Tenger entwickelte wegen dem nicht passenden Sattel nun ebenfalls eine Druckstelle. Tanja und ich beraten wie wir die Sattelunterlagen sinnvoll verteilen und kommen zu dem Schluss eine der Unterlagen von Sharga Tenger zu geben.

Die Herausforderung liegt nun darin zwei zusammengeschnürte, je etwa 35 kg schwere Seesäcke auf die Pferderücken von Tenger und Sharga zu laden. Weil Tenger ein äußerst nervöses Pferd ist muss Tanja ihn gleichzeitig am Führungsseil halten und einen der Seesäcke auf Brusthöhe heben, während ich den anderen Sack über den Rücken des Pferdes hieve. Für eine zarte Frau wie Tanja ein immenser Kraftakt bei dem sie sich vor ein paar Tagen, als sie Khurgaa und mir beim Abladen half, einen Schultermuskel nachhaltig verzerrte. Da wir jetzt ohne Begleiter unterwegs sind gehört diese tägliche Anstrengung zu unseren gemeinsamen Aufgaben. Auch ich muss bei diesem Kraftakt 60 bis 70 kg übers Pferd zu bugsieren auf meinen Rücken achten, denn alles was Tanja nicht stemmen kann überlagert sich automatisch auf meine Seite.

„Okay, jetzt ist es soweit“, sage ich als wir beide vor den großen Seesäcken stehen. „Bereit?“, frage ich. „Bereit“, antwortet Tanja. „Hauruck!“, rufen wir und stemmen wie Gewichtheber das Gepäck nach oben. Tenger tänzelt nervös und springt in dem Moment zur Seite als wir gerade im Begriff waren die Ladung über seinen Rücken zu zerren. „Wummms“, ertönt es als uns die Seesäcke auskommen und auf die Wiese knallen. Schwer atmend stehen wir da und erholen uns ein paar Minuten von der Anstrengung. Dann ein erneuter Versuch. „Fertig?“, frage ich. „Fertig“, antwortet Tanja als wir abermals unter unserem gemeinsamen Hauruckruf das Gewicht nach oben stemmen. Bald taumelnd zerre ich das schwere Gepäck in Schulterhöhe über den Sattel unseres Pferdes. Es reißt die Augen auf als sich die 70 kg wie ein übergroßes V über ihn legen. „Ruhig mein Guter. Das hast du nun schon hunderte von Male über dich ergehen lassen. Ist nichts Neues. Ruhig“, spricht Tanja auf den erregt hin und her trippelnden Tenger ein. Schon in diesem Augenblick wird uns klar welch eine Erleichterung zwei weitere helfende Männerhände bedeuten. Aber…die Ladung sitzt. „Yes, yes, yes“, sage ich stolz auf uns, meine Faust ballend in den Himmel streckend. Weil Shargas Seesäcke etwas leichter sind haben wir den schwersten Teil erfolgreich bewältigt und das ohne Khurgaa und Bumbayr.

Um 11:30 Uhr sind wir aufbruchbereit. „30 Minuten früher als sonst“, freut sich Tanja. „Kein Wunder. Jetzt gibt es keinen der ewig lang damit beschäftigt ist Ranzsuppen zu kochen“, antworte ich lächelnd. „Auf geht’s!“, rufe ich voller Tatendrang.

Nachdem sich die Pferde warm gelaufen haben lassen wir sie in einem leichten Trab verfallen. Wie gehabt reitet Tanja auf Naraa voran und gibt dadurch den Wallachen die Richtung an. Ich folge auf meinem braven Sar und treibe Sharga, Tenger und Bor. Weil unsere Rösser schon seit bald einem Jahr vereint sind fühlen sie sich als Herde. Sie halten zusammen und keiner von ihnen versucht wegzulaufen. Das verschafft uns den immensen Vorteil die Lastenpferde nicht an Seilen führen zu müssen.

Wir kommen gut voran. Mit jedem Kilometer weiter in Richtung Khatgal treffen wir auf mehr Touristen. „Klein Rimini“, meint Tanja wegen der plötzlichen Anhäufung von Menschengruppen an die mittelitalienische Hafenstadt mit ihren Massentourismus denkend. Sicherlich übertrieben aber in vielleicht zehn Jahren möchte man den See für den Massentourismus öffnen. Die Pläne der Regierung sind zumindest ehrgeizig.

Wir reiten vorbei an Volleyball spielenden, laut grölenden Menschen. Manche der Touristen zücken Kameras, um unseren dahin trabenden Pferdezug zu fotografieren. Vor allem der kleine Tuya erregt Aufsehen und ist der Fotostar. Mit der Ruhe ist es hier vorbei. Die Menschen dröhnen sich mit lauter Musik zu. Vogelgezwitscher ist mehr oder weniger ausgemerzt. Es gibt sogar kleine Läden in denen man vieles kaufen kann was der mongolische Urlauber liebt. Auch FKK ist angesagt. Manche Frauen präsentieren ihren Busen ob schön oder nicht. Die Mongolen gehören nicht gerade zu den schüchternen Volksrassen. Aber auch ausländische Touristen aus allen Herren Ländern sind hier vertreten. Alles scheint sich auf dem etwa 15 Kilometer langen, für den Tourismus geopferten Uferstreifen, zu ballen. Fette und teure Jeeps, ja sogar Lastwägen donnern über die Schotterpiste und wirbeln gigantische Staubfontänen auf. Die Piste hat sich hier zu einer richtigen Straße entwickelt und verlässt plötzlich den See, um sich über einen Berg in Richtung des Touristenortes Khatgal zu winden. Weil wir letztes Jahr direkt am See entlang geritten sind wissen wir von dieser Möglichkeit. Es ist ein schwieriger, schmaler Pfad der sich manchmal nur wenige Zentimeter neben einer 20 bis 50 Meter hohen, zum See abfallenden steilen Felskante bewegt. Gefährlich aber machbar.

„Was meinst du? Sollen wir der Straße folgen oder den Weg durch den Wald nehmen?“, fragt Tanja. Ich überlege eine Weile und blicke auf die breite Schotterstraße. Als ein super teurer Jeep eines reichen Mongolen in irrwitzigen Tempo den Berg herunter bricht ist meine Entscheidung gefallen. „Wir nehmen den Pfad durch den Bergwald. So gefährlich wie diese verrückten Autofahrer kann er gar nicht sein.“ Kurz bevor wir nach links in den dichten, von den Menschen gemiedenen Wald abbiegen, fragen wir nochmal eine Mongolin ob der Bergpfad in Richtung Khatgal wirklich noch begehbar ist. „Mit eurem ausladenden Gepäck könnt ihr den Weg vergessen. Der ist viel zu schmal und gefährlich für die Packpferde“, verunsichert sie uns. „Also was sagt dir dein Gefühl?“, fragt Tanja erneut. „Wir haben die Strecke letztes Jahr im beginnenden Winter gemeistert dann werden wir sie im Sommer erst recht bewältigen. Abgesehen davon dürfte es im Wald keine Diebe geben. Die Einsamkeit verspricht zu wenig Beute“, entscheide ich zu Tanjas Zufriedenheit, die ebenfalls unter keinen Umständen der Straße folgen möchte.

Wir passieren ein Luxus-Jurtencamp. Europäer sitzen vor den mongolischen Zelten an mit leckeren Speisen gedeckten Tischen. Sie unterhalten sich angeregt und würdigen uns keines Blickes. Etwas sehnsüchtig sehen wir zu ihnen hinüber. „Die haben sogar Bier und Wein“, schwärmt Tanja. „Vielleicht laden sie uns ein?“, antworte ich eher im Scherz. Keiner der dort Sitzenden weiß woher wir kommen. Das wir seit acht Monate in der Abgeschiedenheit der Welt gelebt haben und seither nicht duschen oder baden konnten. Keinem kann bewusst sein was es bedeutet solch lange Zeit ohne jeglichen Zivilisationsluxus zu leben. Mit Menschen die einem völlig anderen Kulturkreis angehören. „Oh man, für so ein Bier, den leckeren Käse und ein paar fette Oliven würde ich jetzt viel geben“, sage ich und spüre wie mir das Wasser im Mund zusammenläuft. „Kannst du aus dieser Entfernung Käse und Oliven erkennen?“, wundert sich Tanja. „Nein, aber das essen sie bestimmt“, lache ich.

Kaum sind wir von den Bäumen des dichten Waldes verschluckt halten wir, entladen unsere Pferde und setzen uns auf das Gepäck, um ein wenig auszuruhen. „Bin gespannt ob wir den Weg wieder finden“, überlege ich laut. „Bestimmt“, ist sich Tanja sicher und schenkt mir aus der Thermoskanne einen Becher heißen Tee ein. „Magst du ein paar Boortsog?“, fragt sie. „Klar, ich habe einen Bärenhunger“, antworte ich mir die in Kuhfett frittierten trockenen Teigbällchen in den Rachen stopfend.

Nach einer Stunde haben wir uns von den Anstrengungen des Ritts ein wenig erholt. Ich verschnüre das Gepäck neu und mit der gleichen Anstrengung wie auch am Morgen hieven wir es wieder auf die Packsättel. Nur ein paar hundert Meter weiter entdecken wir den schmalen Pfad der sich unweit des Seeufers durch dichten Wald windet. Nur vereinzelnde Spuren zeugen von der Nutzung des Trampelpfads. Kein Wunder, führt doch wenige Kilometer von hier, auf der anderen Seite des Bergzuges, eine bequeme Straße durch den Forst.

Nach vielleicht zwei Kilometer öffnet sich vor uns eine kleine Lichtung mit einer geradezu traumhaft saftigen Wiese. „Unser Märchencamp“, schwärme ich die Pferde darauf führend. „Wunderschön“, äußert sich Tanja fast andächtig. Bestens gelaunt, den ersten Tag ohne Begleiter und ohne jeglichen Zwischenfälle bewältigt zu haben, entladen wir die Tiere und errichten das Zelt. Es ist erleichternd wenn keiner seinen Senf zum Lagerplatz abgibt. Keiner sagt wir sollten noch ein paar Kilometer weiter reiten weil das Gras dort bestimmt besser ist. Keiner ist mit der Wahl der Feuerstelle unzufrieden oder behauptet die Eisenpflöcke sind muu usw. Es ist in bald ungeahnter Weise angenehm diese friedliche Stille zu genießen. Kein Handy oder MP4 Player zerstören die Geräusche der Natur. Die Vögel zwitschern, das Rauschen sich kleiner brechender Wellen dringt vom See herauf zu uns in den Wald. Die Pferde mampfen genüsslich das satte Gras. Unser Zelt liegt in etwa 50 Meter Höhe, weswegen wir auf den sich vor uns ausbreitenden See blicken können. Hinter dem Zelt geht es steil den mit dichtem Wald bewachsenen Berg hinauf. Es riecht hier regelrecht nach Braunbären und anderem Wild. Jedoch sind wir uns sicher, dass sich hier schon lange keiner der zottigen Waldbewohner blicken hat lassen. Und trotzdem könnte einem der wild gewachsene Wald, aus dem fremdartige Geräusche dringen, das Fürchten beibringen.

Tanja kocht an ihrem entfachten Lagerfeuer eine Suppe ohne Ranz. Gott sei Dank. Ich sitze im Vorzelt, beobachte sie, tippe die Kurzaufzeichnungen des Tages in den Laptop und beschrifte und archiviere die Bilder. Wir befinden uns in unserer kleinen, heilen Welt. Einer Welt voller Abenteuer und puristischem Leben. Als ich mit meiner Arbeit fertig bin laufe ich zum Seeufer hinunter und beobachte das langsam schwindende Tageslicht. Die im seichten Wasser kauernden, kahlen Baumstümpfe strecken ihre dünnen Äste langfingrig in das zarte Rosa, das anmutig Gelb und Kobaltblau der kaum merklich verblassenden Himmelsfarben. Wie Scherenschnitte zeichnet sich ihre Schwärze in das von Mutter Erde gemalte, bald unwirklich schöne Bild. Als wären sie Geistkreaturen stehen die Baumstümpfe unbeweglich im Wasser und spiegeln sich in der jetzt glatten Oberfläche des Sees. Ein großer Vogel gleitet durch das Naturgemälde. Sein heißerer Schrei fällt vom Himmel auf mich hernieder, stößt ins Wasser und wird zur Lautlosigkeit verschluckt. Auf dem Grund liegende Kieselsteine schimmern, von Algen grünlich überzogen, nach oben in das vergehende letzte Licht einer Sonne die schon lange auf der anderen Seite des Khuvgul hinter den Bergen versunken ist. Gebannt hocke ich auf einem kühlen Stein. Meine Sinne sind geschärft, vernehmen den kleinsten Luftzug, das leiseste Summen der aus dem nahen Wald flirrenden Moskitos. Der Übergang zwischen Tag und Nacht ist bald vollzogen. Es ist ein Akt der feinsten Abstufungen, Tönungen und des Schimmerns. Ein Akt der mit nichts vergleichbar ist und seine Einmaligkeit in seinem Nuancenreichtum gründet.

Von diesem Augenblick in den Bann genommen höre ich Tanjas Ruf. „Das Essen ist fertig!“ Langsam erhebe ich mich und steige zu unserer, vom dunklen Wald umgebenen kleinen Lichtung, empor.

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