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Mongolei/Wieder am See Camp MONGOLEI EXPEDITION - Die Online-Tagebücher Jahr 2011

Schräge Töne

N 50°55'844'' E 100°15'005''
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    Tag: 338-339

    Sonnenaufgang:
    05:06/05:07

    Sonnenuntergang:
    21:37

    Gesamtkilometer:
    1540

    Bodenbeschaffenheit:
    Gras

    Temperatur – Tag (Maximum):
    25°C

    Temperatur – Tag (Minimum):
    18 °C

    Temperatur – Nacht:
    0 °C

    Breitengrad:
    50°55’844“

    Längengrad:
    100°15’005“

    Maximale Höhe:
    1654 m über dem Meer

Da es angeblich auch in dieser Gegend noch keine Pferdediebe geben soll sehen wir zur großen Erleichterung von Khurgaa und Bumbayr von den Wachschichten ab. Sie nutzen die Rasttage, um mit einem Freund von Bumbayr, der unweit von hier in einer Jurte lebt, Karten zu spielen. Dabei jauchzen, jubeln und tollen sie derart herum, dass wir bedenken haben sie könnten das kleine Zelt, welches wir ihnen zu Verfügung stellten, in seine Einzelteile zerlegen.

Wie immer an Rasttagen bin ich damit beschäftigt unsere Erlebnisse festzuhalten als plötzlich laute, wirklich furchtbare, beachtlich schlechte mongolische Rockmusik ertönt. „Was ist denn das?“, frage ich erschrocken. „Khurgaa und Bumbayr hören mit ihren MP4 Player Musik“, sagt Tanja. „Ich glaube es nicht. Also benötigte Khurgaa die Batterie doch nicht zum Telefonieren“, antworte ich und es wurmt mich ihm das Ding geladen zu haben. Weil ich bei diesem Lärm nicht im Stande bin nur eine Zeile zu schreiben springe ich auf, gehe zum Zelt unserer Begleiter und bitte sie ihr Wiedergabegerät leiser zu drehen. „Machen wir“, versprechen sie. Kaum sitze ich in meinem Klappstuhl brüllen die schrägen Noten erneut die Vögel aus den Bäumen, die Heuschrecken aus dem Gras und mich aus dem Stuhl. „Dreht eure Musik leiser. Bitte! Ich muss schreiben. Das ist mein Job. Bei dem Lärm kann ich mich nicht konzentrieren“, erkläre ich. „Okay“, sagen sie, worauf der Sound wirklich nur noch gedämpft zu vernehmen ist. Erleichtert aufatmend lasse ich mich in den Stuhl sinken, klappe meinen Laptop von Neuem auf und betrachte die uns umgebende wunderschöne Seelandschaft, an dessen Ufer die alten knorrigen Lärchen ihre Äste in den Himmel strecken.

Nach dem langen Winter freue ich mich über das satte Grün, die sich vor uns erstreckenden, endlosen Blumenteppiche aus denen weißgelbes Gefieder von entenähnlichen Vögel hervor spitzt. Mein Blick gleitet zu den nahen Bergen über deren mit Schnee verzuckerten Gipfel Gewitterwolken herannahen. Wegen den kräftigen Sonnenstrahlen, welche sich durch die Spalten, Ritzen und Täler der Wolken ihren Weg bahnen und dafür sorgen, dass sich bereits abgestorbene Bäume im klaren Wasser des Sees spiegeln, kneife ich die Augen zusammen. „Ein Traum“, flüstere ich im Begriff meine Beobachtung in Worte zu fassen als die Ruhe dieser außergewöhnlich schönen Natur abermals von entsetzlichen Geräuschen gestört wird. Nun wirklich wütend erhebe ich mich abermals und schreite zum Ferienzelt unserer Pferdejungs. Macht das Ding leiser oder ihr könnt morgen wieder nach Hause reiten würde ich gerne sagen. Indes bitte ich die Beiden, so gelassen wie es mir möglich ist, mir die Ruhe zu gönnen, die ich benötige, um meiner Arbeit nachgehen zu können. „Machen wir“, versprechen sie nochmals und drehen diesen kleinen Kasten, aus dessen winzigen Lautsprechern diese schrecklichen Töne hämmern, die Khurgaa und Bumbayr Musik nennen, herunter.

Im Laufe des Tages hält die Geräuschlosigkeit meist nur für 20 bis 30 Minuten an nur um sich dann kontinuierlich nach oben zu schrauben. „Ob mich die Jungs herausfordern möchten?“, geht es mir durch den Kopf weshalb ich ernsthaft mit dem Gedanken spiele sie nun doch auf der Stelle nach Hause zu schicken. Nur was ergibt das für einen Sinn? Spätestens in 20 Kilometer befinden wir uns im Diebesgebiet und genau deswegen sind sie ja dabei. Also beruhige ich mich und zwinge mich zur Gelassenheit. Was können wir von einem 15-jährigen Jungen und seinem Onkel, der noch nie in seinem Leben mit Ausländern zu tun hatte, schon erwarten? Hier ist unsere Toleranz und Verständnis gefragt. Schließlich befinden wir uns nicht in Deutschland sondern in einer abgelegenen Provinz der Mongolei.

Mittags bereitet Khurgaa seine ranzige Kuhfettsuppe zu von der er uns immer großzügig und offen anbietet. „Heute ist kein Fett drin“, sagt er ohne zu erwähnen in den Topf eine viertel Flasche unseres Sonnenblumenöls geleert zu haben. Als wäre es das Selbstverständlichste der Welt macht er sich an Tanjas Küchenvorräte zu schaffen, holt sich Gewürze, Brühwürfel und was er sonst noch für die Abrundung seines Gerichts glaubt zu benötigen. Nachdem der Sud fertig ist setzen sich Bumbayr und der Meisterkoch ans Campfeuer und schlürfen und schmatzen mit einem beachtlichen Geräuschpegel das Gekochte in sich hinein. Danach gibt es schwarzen Tee mit einer gehörigen Menge Trockenmilch. Der Tee wird, wie in der Mongolei so üblich, in den Schüsseln angerührt aus dem man gerade gegessen hat.

Die Stimmung ist trotz der zeitweisen Lärmbelästigung gelassen. Unsere Jungs veranstalten Wettläufe bei denen ich mit meiner Armbanduhr die Zeit nehmen muss. Am Nachmittag knattert Chichierbaad, der Vater von Bumbayrs 14-jährigen Freund Gahai, mit seinem Moped in unser Camp. In seiner neuen Uniformjacke vermittelt er einen nicht zu dieser lieblichen Landschaft passenden förmlichen Eindruck. „Ich bin der Ranger dieser Region. Ihr befindet euch in einem Nationalpark und müsst je eine Eintrittskarte von mir kaufen“, erklärt er plötzlich. Ich betrachte mir das Ticketheft welches er mir entgegen hält. „Sieht offiziell aus“, stelle ich fest. „Und sollen wir wirklich solche Billetts kaufen? Wer weiß ob er sich diese Dinger nicht irgendwo drucken hat lassen, um sich mit den paar Touristen, die hier im Sommer vorbeikommen, sein Gehalt aufzubessern?“, fragt Tanja. „Kann sein“, antworte ich und wende mich an den Ranger. „Wir brauchen so einen Wisch nicht“, sage ich bestimmt, lache freundlich und gebe ihm das Heftchen mit den durchnummerierten Karten zurück. Er sieht mich für einen Moment ein wenig verdutzt an. Dann lachen auch er, Bumbayr und Khurgaa herzhaft. Sich seine Tickets in die Uniformjacke steckend steigt er auf sein Moped und knattert wieder zu seiner Jurte. Nur zehn Minuten später kommt er erneut angedüst. Diesmal ohne Uniformjacke. Er zieht einen kleinen Trockenfisch aus einem Plastikbeutel und schenkt ihn uns. „Tschin setgeleesee bajrlalaa“, (Herzlichen Dank) freut sich Tanja. „Seltsam, erst möchte er uns seine Tickets verkaufen und nachdem wir ablehnen schenkt er uns einen Fisch. Die Mongolen soll einer verstehen“, wundere ich mich.

Da die Bemalung unserer Pferde von der Sonne verblichen und vom Regen halb abgewaschen wurde nutzen wir die Rast, um sie neu zu marklieren. Auch wenn die Sonnenzeichen kein Garant dafür sind Pferdediebe abzuschrecken werden sie es einem Dieb erschweren die Tiere an den Mann zu bringen.

Am Abend bekommen unsere Jungs ein Netz vom Ranger, um damit am See fischen zu gehen. Sie borgen sich meine Stirnlampe und versprechen mir hoch und heilig sie unversehrt zurückzubringen. Tatsächlich wecken sie mich um 1:00 Uhr nachts, geben mir die Lampe zurück und zeigen mir stolz ihren Fang. Ihre Beute zählt mindestens 40 ca. 20 bis 30 Zentimeter lange Fische.

Als ich Khurgaa am kommenden Mittag dabei filmen möchte wie er die Fische zum Trocknen an ein Seil hängt sagt er; „Keine Fotos.“ „Was? Nicht schon wieder. Warum denn nicht?“ „Keine Fotos“, antwortet er barsch. Erneut erkläre ich dieses Land und unsere Reise in Bild und Film zu dokumentieren, worauf er die Hände vors Gesicht hebt und sagt; „Keine Fotos!“

„So kann es nicht weitergehen. Mit aller Toleranz, ich habe genug von mongolischen Begleitern. Sie sind laut, jammern wenn ihnen das Fleisch ausgeht, das Fett zu wenig ist oder etwas anderes in der gewohnten Nahrung fehlt. Sie tun wann immer gerade das wozu sie Lust verspüren, sind unpünktlich, oftmals unehrlich, egoistisch, egozentrisch, wollen ihre verdammte Schnürtechnik durchdrücken und jetzt dürfen wir diese beiden Grünschnäbel aus einem uns nicht nachvollziehbaren Grund nicht ablichten. Dass ist doch zum Haare raufen“, fluche ich ungehalten. „Warum haben wir diese Kerle überhaupt dabei?“, fragt Tanja. „Wegen diesen scheiß Dieben“, antworte ich. „Wir sollten ernsthaft darüber nachdenken alleine weiterzugehen. Diebe hin, Diebe her“, überlegt sie. „Das würde mehr Harmonie und Frieden bedeuten“, gebe ich ihr Recht. „Wenn sich die Situation bis morgen nicht bessert zwingen sie uns eine Entscheidung zu treffen“, folgert Tanja.

Dann geht mir plötzlich die Energie aus. Der Laptop und Batterien lassen sich nicht mehr speisen. Bei einer genaueren Untersuchung des teuren Solarpanles, in das ich mit einem glühenden Nagel neue Haltelöcher gebrannt habe, stelle ich einen irreparabelen Wackelkontakt des eingeschweißten Kabels fest. „Das wars dann wohl mit unserer Energiegewinnung.“ „Was? Wieso?“, fragt Tanja. „Als Bor seine Ladung verlor sind nicht nur alle Ösen gerissen sondern hat auch das Kabel Schaden genommen.“ „Kannst du es nicht reparieren? Dir ist doch bisher immer eine Lösung eingefallen“, sagt Tanja. Nach einer weiteren, längeren Untersuchung bemerke ich wie das Kabel zu biegen ist um dem Wackler zu umgehen. Mit Gewebeklebeband fixiere ich die Leitung. „Wir dürfen es zwar nicht mehr während des Rittes auf der Ladung festbinden aber wir können es abends im Camp nutzen. Wenn es ruhig am Zelt hängt sollten wir damit nach wie vor Sonnenenergie gewinnen können“, erkläre ich.

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