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Mongolei/Ringinlhumbe Camp MONGOLEI EXPEDITION - Die Online-Tagebücher Jahr 2011

Im Regen stehen gelassen

N 51°06'521'' E 099°40'726''
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    Tag: 330

    Sonnenaufgang:
    05:05

    Sonnenuntergang:
    21:39

    Gesamtkilometer:
    1469

    Bodenbeschaffenheit:
    Gras

    Temperatur – Tag (Maximum):
    17 °C

    Temperatur – Tag (Minimum):
    14 °C

    Temperatur – Nacht:
    5 °C

    Breitengrad:
    51°06’521“

    Längengrad:
    099°40’726“

    Maximale Höhe:
    1539 m über dem Meer

7:00 Uhr. Der Reißverschluss unseres Zeltes wird geräuschvoll geöffnet. „Odonbaatar?“, rufe ich weil die Person durch die abgetrennte Schlafkammer nicht zu sehen ist. „Tijmee“, antwortet er die Isomatte ins Vorzelt legend. „Bist du okay?“ „Tijmee.“ „Und die Pferde sind alle da?“ „Tijmee.“ „Gut. Gehst du Frühstücken?“ „Tijmee.“ „Und danach wieder zu den Pferden?“ „Tijmee.“ „Sehr gut“, antworte ich zufrieden. Anscheinend haben die Worte seines älteren Bruders und seine Mutter tatsächlich gefruchtet. Beruhigt drehe ich mich nochmal um. Um 8:00 Uhr werde ich etwas unruhig. „Ist Odonbaatar bei den Pferden?“, fragt Tanja in selben Augenblick aus ihrem Schlaf erwachend. „Ich weiß es nicht. Vor einer Stunde ist er zum Frühstücken gegangen. Er versprach danach wieder auf die Weide zu gehen“, sage ich. „Glaubst du ihm wohl nicht?“, fragt Tanja. „Ich würde ihm gerne glauben aber nach unseren Erfahrungen der letzten Tage sollte ich besser mal nachsehen, oder?“ „Gute Idee“, meint Tanja, weswegen ich mich aus dem Schlafsack schäle, in den seit bald 24 Stunden anhaltenden Dauerregen trete und zur Baishin laufe. Wie zu erwarten hat es sich der Prinz auf dem Sofa bequem gemacht. „Es ist nicht gut wenn du hier zu lange verweilst. Es muss jemand ständig bei den Pferden sein“, ermahne ich ihn. „Am Tag gibt es keine Pferdediebe“, antwortet er. „Erstens stimmt das nicht und zweitens hast du mir vor einer Stunde versprochen wieder auf die Weide zu gehen.“ „Am Tag stiehlt hier keiner Pferde“, bleibt er hartnäckig. „Deine Mutter sprach davon wie wichtig es in der Umgebung von Ringinlhumbe die Tiere unaufhörlich zu beobachten“, erwidere ich worauf er schweigt. Dann drückt er mir sein Mobiltelefon in die Hand an dessen anderem Ende sein Bruder auf mich wartet. „Es reicht wenn die Pferde nachts auf der Weide sind. Tagsüber sollen sie auf dem Grundstück meines Schwagers festgebunden werden“, höre ich Boldor, der leidlich Englisch spricht. „Hat das dein Bruder gesagt?“, frage ich. „Ja.“ „Ob das eine gute Idee ist?“ „Ondonbaatar weiß wovon er spricht“, sagt Boldor. Tanja, die das Telefonat mitbekommt, ist dagegen. „Pferde müssen dringend Tag und Nacht auf der Weide sein. Ansonsten werden sie kein Gramm zunehmen. Ondonbaatar ist nur zu faul sie zu bewachen. Ich werde mich mit ihm tagsüber alle zwei Stunden abwechseln“, schlägt sie vor. „Okay, ich werde es meinem Bruder sagen und er wird sich um die Pferde kümmern“, verspricht Boldor. Auch Odonbaatars Mutter findet Tanjas Vorschlag sehr gut und spricht ebenfalls mit ihrem Jüngsten.

Weil wir annehmen unsere Pferde leiden erneut unter der Räude schicken wir Odonbaatar zum Tierarzt. Dort soll er einen Impfstoff besorgen. Nach drei Stunden kommt er mit einer Flasche Öl wieder welches wir auf die betroffenen Stellen streichen sollen. „Wir brauchen kein Öl sondern einen Impfstoff“, sage ich. Da er nicht versteht oder verstehen will rufe ich Bilgee an der wiederum Odonbaatar erklärt welches Medikament die Pferde benötigen. Während Tanja nun schon seit vier Stunden bei den Pferden im strömenden Regen verweilt verschwindet Odonbaatar erneut ohne sich an diesem Tag nochmal blicken zu lassen. Nach fünf Stunden frage ich seine Schwester wo er ist. „Was weiß ich“, antwortet sie ein wenig schnippisch. „Du musst doch wissen wo dein Bruder hingegangen ist? Sein Job sind die Pferde. Dafür bezahlen wir ihm ein gutes Gehalt von 15.000 Tugrik (8,57 €) am Tag. Das ist ein Drittel mehr als unser letzter Pferdemann erhielt und der hat sich 24 Stunden am Tag vorbildlich um die Tiere gekümmert“, meine ich ärgerlich. „Ist mein Bruder muu?“ (schlecht) „Dein Bruder mag ein netter Mensch sein aber er macht einen verdammt schlechten Job. Er ist unzuverlässig und schwindelt uns unaufhörlich an“, erkläre ich kein Blatt mehr vor dem Mund nehmend. Die Frau, deren kompliziert auszusprechenden Namen ich ständig vergesse, zeigt nicht die geringste Regung auf meine offene Antwort.

Während ich in der Baishin sitze und meine Aufzeichnungen in den Laptop tippe ruft mich der Schwager von Odonbaatar immer wieder mit herrischem Ton. Meine Arbeit unterbrechend ziehe ich mir meine Regenjacke über und trete ins Freie, um dem Mann und seinem Sohn beim Markieren der groben Baumstämme zu helfen. „Wird das eine neue Baishin?“, frage ich. „Tijmee“, antwortet er und befiehlt; „Hier halt das mal.“ „Wegen dem Befehlston widerwillig halte ich einen Blechkasten an dem sich eine Spule befindet auf der ein langer, dicker Draht gerollt ist. Der Draht liegt in einem Ölgemisch und wird der Länge nach über den Baumstamm gerollt. Auf diese Weise hinterlässt der von Öl triefende Draht einen geraden schwarzen Strich auf dem Baumstamm. Nachdem der Stamm derart markiert ist kann er nun mit der Motorsäge in zwei relativ exakte Hälften zersägt werden. „Wir müssen den Stamm dort rüber wuchten“, meint Odonbaatars Schwager nachdem er markiert ist. Weil ich mir beim Heben von tonnenschweren Baumstämmen nicht den Rücken ruinieren möchte sage ich; „Sorry, aber das schafft mein Rücken nicht.“ „Ha, ha, ha! Das schafft sein Rücken nicht“, sagt er verächtlich und versucht mit seinem etwa 13 Jahre alten Sohn den Koloss in Position zu rücken.

Weil ich wegen dem Dauerregen keinen Solarstrom gewinnen kann setze ich mich nach meiner Hilfsarbeit wieder in die Baishin, stecke den Laptop in die Steckdose und setze meine Arbeit fort. Zwischenzeitlich rufe ich Tanja an und frage ob ich sie ablösen soll. „Schreibe weiter. Ich warte noch ein wenig. Vielleicht taucht Odonbaatar doch noch auf“, antwortet sie. Dann kommt die Schwester Odonbaatars wieder in die Hütte. Sie hat zwei Freundinnen im Schlepptau die mich neugierig betrachten und ständig Fragen über mich stellen. „Wie alt ist er denn überhaupt?“, verstehe ich. „52“, antworte ich, weil ich mir langsam wie ein seltsames Objekt vorkomme welches unaufhörlich observiert wird. Erschrocken über meine Antwort zuckt die Fragende zusammen. „Versteht er Mongolisch?“, fragt die Frau jetzt die Gastgeberin nun etwas verlegen lächelnd. „Ich verstehe ein bisschen“, antworte ich. „Hi, hi, hi“, lacht sie worauf die beiden Besucherinnen nun mich direkt mit weiteren Fragen löchern. „Sorry, ich spreche eure Sprache nicht gut“, antworte ich jetzt entschuldigend, weil die Komplexität der aufkommenden Kommunikation meinen aktuellen Sprachschatz übersteigt. Die Frau des Hausherren bietet ihren Freundinnen Tee an und lässt mich aus. Im Land der Gastfreundschaft ein Ding der Unmöglichkeit. Nachdem auch das Essen unter den Anwesenden verteilt wird und ich erneut ignoriert werde erhebe ich mich aus meinem Stuhl. Mir bewusst nicht erwünscht zu sein verlasse ich, mich freundlich verabschiedent, die Baishin und ziehe mich in das feuchte Zelt zurück.

Mein Handy klingelt. „Denis?“ „Ja?“ Kannst du mich bitte ablösen. Ich habe Hunger und mir ist kalt“, sagt Tanja nachdem sie 7 ½ Stunden im Regen gesessen ist. „Aber klar. Ich komme sofort“, antworte ich mich für den Regen, der das Land nach der langen Trockenheit gerade versucht zu ersaufen, fertig machend. Als ich auf der Weide sitze telefoniere ich mit Bilgee und Saraa, um mein Herz auszuschütten. „Wir können mit diesem Menschen unmöglich weitermachen. Er treibt uns noch zum Wahnsinn. Wir werden ihm morgen früh kündigen und ohne ihn aufbrechen. So einen unzuverlässigen, unverschämten, ständig lügenden Menschen brauchen wir nicht. Es ist besser, einfacher, sicherlich schneller und Nerven schonender die Reise alleine fortzusetzen. Pferdediebe hin oder her“, sage ich. „Du kennst doch die Abkürzung über die Berge nicht“, entgegnet Bilgee. „Egal. Dann nehmen wir den Weg den wir letztes Jahr mit dir gekommen sind. Der kann laut meinem Kartenstudium auch nicht viel länger sein. Wir haben schon andere Expeditionen hinter uns gebracht auch ohne Begleitschutz von Einheimischen. Anscheinend möchte es das Schicksal so“, sage ich. „In sieben Tagen ist meine Arbeit zu Ende. Wenn ihr wollt komme ich“, überrascht mich Bilgees Antwort. Da wir in sieben Tagen aber schon in Richtung Khatgal unterwegs sein werden und alleine die Anreise von Erdenet in diese Region des Landes mindestens drei Tage dauert, bedanke ich mich bei ihm und lehne sein Angebot erst mal ab. „Denis, ihr dürft nicht alleine Reisen. Das ist zu gefährlich. Ich mache mir Sorgen um euch. Spreche bitte mit Saraa. Sie findet bestimmt jemanden für euch“, vernehme ich Bilgees fürsorgliche Stimme. „Habe ich schon gemacht. Sie wird bald zurückrufen“, beruhige ich ihn.

„Ich habe eine alte Schulfreundin in Ringinlhumbe. Sie ist die Chefin der dortigen Steuerbehörde. Vielleicht kann sie euch helfen? Ich suche ihre Telefonnummer und rufe dich wieder an“, verspricht Saraa. „Super, vielen Dank“, antworte ich. Eine Stunde später meldet sich mein Handy erneut. „Ich konnte meine Schulfreundin erreichen. Sie wird euch behilflich sein“, höre ich und weil sich in diesem Land von einer auf die andere Sekunde alles ändert, nehme ich diese Aussage relativ emotionslos. „Ich sitze gerade auf der Weide und überwache die Pferde. Rufe bitte Tanja an und gebe ihr die Telefonnummer deiner Freundin. Sie kann dann Kontakt mit ihr aufnehmen“, sage ich. „Mache ich“, antwortet Saraa und legt auf.

Indes sitzt Tanja in der Baishin und wird ähnlich kühl behandelt wie ich. Wegen Stromausfall ist sie gezwungen Wasser auf dem Kanonenofen zu kochen. Der Hausherr gibt ihr zum Entzünden des Feuers nur nasse Rinde. Die Mutter springt ein und besorgt Tanja Feuerholz. Dann ruft Saraa an und gibt Tanja die Kontaktdaten ihrer Freundin durch. Diese möchte wissen unter welcher Adresse Tanja zu finden ist, um sich mit ihr zu treffen. Tanja reicht ihr Telefon dem Hausherren. „Was? Wer sind sie denn? Der Job ist an meinen Schwager bereits vergeben!“, brüllt der verärgert ins Telefon. Als die Familie mitbekommt das Odonbaatar im Begriff ist seine Anstellung zu verlieren werden sie allesamt aufgeregt und rührig. Nur 10 Minuten danach erscheint Odonbaatars Mutter auf der Weide und möchte mich ablösen. Im ersten Moment verstehe ich nicht was die alte Damen meint. „Ich übernehme für meinen Sohn. Er kommt heute Abend wieder. Solange kannst du deiner Tätigkeit nachgehen. Morgen wird Odonbaatar mit euch nach Mörön aufbrechen“, sagt sie. „Okay“, antworte ich verwundert über die plötzliche Hilfe. Als ich wieder in unserem Zelt bin erklärt mir Tanja wie freundlich und aufmerksam die Familienmitglieder nach dem Telefonat waren. „Als hätte jemand den Lichtschalter umgelegt. Keiner möchte das Odonbaatar seine Arbeit verliert“, erklärt sie.

Noch am selben Abend wird Tanja von der Chefin des Steueramtes abgeholt und mit einem Motorrad zu einer Hütte außerhalb von Ringinlhumbe gefahren.

„Du wirst es nicht glauben“, erzählt Tanja am Telefon etwas später. „Ich sitze gerade in einer alten Baishin östlich von Ringinlhumbe bei einer sehr netten Familie. Nicht zu vergleichen mit dem Laden in dem wir gerade zu Gast sind. Der 15 Jahre junge Sohn von Saraas Freundin und sein 25 Jahre alter Onkel möchten uns unbedingt nach Mörön begleiten. Ich habe ein gutes Gefühl mit den Beiden aber du musst entscheiden ob du mit einem 15 Jährigen unterwegs sein möchtest?“ „Hm, der 25 Jährige möchte nicht alleine gehen?“, frage ich. „Nein, sie wollen beide mitkommen. Vielleicht ganz gut so. Dann langweilen sie sich nicht. Außerdem sind zwei besser als einer. Ich habe ihnen schon gesagt nur einen Mann zu bezahlen. Sie sind einverstanden die 15.000 Tugrik unter sich zu teilen. Außerdem bringen sie ihre eigenen Pferde mit und kümmern sich selber um ihr Fleisch. Das heißt wir könnten wieder reiten und sie werden mit dem Essen nicht unzufrieden.“ „Hm, klingt fast zu gut um wahr zu sein. Denke wir machen es mit ihnen. Sollte es erneut nicht funktionieren möchte es unser Schicksal das wir alleine reisen.“ „Bin deiner Meinung. Also soll ich zusagen?“ „Ja. Sie sollen morgen Früh um 10:00 Uhr hier erscheinen. Dann können wir gleich sehen ob sie pünktlich sind und wie sie die Ausrüstung laden“, beschließe ich. „Gut, sie werden sich freuen. Der Kleine ist Feuer und Flamme. Sie sind auch mit dem Gehalt einverstanden aber von Khatgal nach Mörön wollen sie 20.000 Tugrik (11,42 €) pro Tag.“ „Wenn sie gut arbeiten zahlen wir das gerne“, antworte ich. „Eine gut Entscheidung. Denke genauso. Übrigens ist der Platz an dem die Familie ihr Blockhaus errichtet hat traumhaft schön. Was hältst du davon hier noch einen oder zwei Tage zu relaxen? Wir könnten uns von den Anstrengungen der letzten Tage ein wenig ausruhen bevor wir aufbrechen. Die Familie möchte dafür 10.000 Tugrik (5,71 €) am Tag. Dafür achten sie auf unsere Pferde.“ „Wir zahlen 5.000 Tugrik (2,85 €) pro Tag“, antworte ich. „Gut, denke sie werden darauf eingehen“, beendet Tanja das Gespräch.

Gleich nach der überaus positiven Nachricht begebe ich mich gut gelaunt zur saftigen Weide, um die Mutter von Odonbaatar wieder abzulösen. Sie sitzt tatsächlich noch immer auf dem nassen Rasen und hat ihre wachsamen Augen auf unseren Pferden. „Ich mache weiter. Du kannst dich wieder in deiner Baishin aufwärmen. Vielen Dank. Du bist eine tolle Frau“, lobe ich die etwa 65 Jährige durch deren Adern offensichtlich noch echtes Nomadenblut fließt.

Weil Odonbaatar noch immer nicht erschienen ist bringen Tanja und ich um 22:00 Uhr gemeinsam unsere kleine Herde auf das Grundstück von seiner Schwester. Da die Pferde ihre Bäuche seit 10 Monaten nicht mehr so vollschlagen konnten wie in den letzten 24 Stunden macht es nichts aus wenn sie jetzt angebunden werden. Hauptsache sie werden über Nacht nicht gestohlen. „Eine gut Entscheidung“, ist die Mutter von Odonbaatar der selben Meinung. „Bald alle Bewohner dieser Stadt bringen nachts ihre Tiere in die Sicherheit von Einzäunungen. Hier wird viel gestohlen“, bestätigt sie unsere Vorsicht erneut.

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