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Russland/Kutulik Link zum Tagebuch TRANS-OST-EXPEDITION - Etappe 4

Im Land der Burjaten

N 53°20'20.0'' E 102°47'57.0''
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    Tag: 39

    Sonnenaufgang:
    06:11 Uhr

    Sonnenuntergang:
    22:19 Uhr

    Luftlinie:
    49.08 Km

    Tageskilometer:
    57.46 Km

    Gesamtkilometer:
    11803.11 Km

    Bodenbeschaffenheit:
    Asphalt

    Temperatur – Tag (Maximum):
    27 °C

    Temperatur – Tag (Minimum):
    19 °C

    Temperatur – Nacht:
    17 °C

    Breitengrad:
    53°20’20.0“

    Längengrad:
    102°47’57.0“

    Maximale Höhe:
    629 m über dem Meer

    Maximale Tiefe:
    475 m über dem Meer

    Aufbruchzeit:
    12.00 Uhr

    Ankunftszeit:
    17.30 Uhr

    Durchschnittsgeschwindigkeit:
    13,27 Km/h

Dunkelheit empfängt mich als ich morgens die Augen aufschlage. Tiefe Gewitterwolken ziehen über die kleine Holzhütte und werfen ihre Schatten auf die Erde. Es dauert einige Augenblick bis ich mich orientiere und weiß wo wir sind. Ein Blick auf meine Uhr verrät, dass es erst 7:00 Uhr ist. Zeit zum Aufstehen weil Tonja in ihr Cafe zum arbeiten muss und sich vorher von uns verabschieden möchte. Schnell schlüpfe ich in meine Radkleidung und laufe in die Sommerküche. “Dobre utra”, (Guten Morgen) rufe ich die Tür öffnend. “Dobre utra”, antwortet Tonja die sich noch in ihrem Bett befindet. “Pjat Minut”, (“Fünf Minuten”) sagt sie, worauf ich mich noch mal zurückziehe. Tatsächlich ist sie mit ihrer Perücke fünf Minuten später fertig frisiert und angezogen. “So eine Perücke ist ein echter Zeitsparer”, sage ich zu Tanja schmunzelnd. “Sawtrak gotowie”, (Frühstück ist fertig) lädt sie uns freundlich zum Essen ein. Wir trinken Tee, essen ein paar Kekse und Tonja hat den Rest von gestern Abend aufgetischt. “Bleibt doch noch einen oder zwei Tage”, bittet sie uns lächelnd. “Wir müssen wirklich weiter. Der Sommer bei euch ist nicht lange und wir haben noch eine große Strecke mit vielen Bergen vor uns”, erkläre ich. “Aber es zieht ein heftiges Gewitter auf. So wie es aussieht wird es die nächsten Tage regnen”, erklärt sie. “Wir warten solange bis das Gewitter vorbeizieht. Vielleicht sieht es ja in einer Stunde wieder besser aus”, entgegne ich. “Ihr könnt auf jeden Fall so lange bleiben wie ihr wollt”, meint Tonja sich von uns verabschiedend. Da Sergej sie in die Arbeit fährt sind wir plötzlich alleine. Eine sehr gute Gelegenheit das schreckliche Stinkhäuschen mit seinen vielen Bewohner zu umgehen. Kaum sind die beiden verschwunden krabbeln wir am Ende des Gartens unter die feuchten Büsche und verrichten unsere Toilette. Natürlich haben wir ein schlechtes Gewissen dabei unseren Gastgebern in den Garten zu machen. Jedoch was sollen wir tun? Sorgfältig vergraben wir unsere Notdurft und sind froh den Maden auf diese Weise ein Schnippchen geschlagen zu haben. Dann öffnen sich die Himmelspforten und überschütten das Land mit kräftigen Regen. Ich nutze die Zeit um meine Aufzeichnungen zu schreiben. Es dauert in der Tat nur zwei Stunden als sich die schweren Wolken langsam lichten. Wir packen unsere Taschen und tragen alles zu den Rädern als unverhofft Tonja und Sergej wieder auftauchen. “Ich habe meine Tochter in die Arbeit geschickt. Sie wird mich heute vertreten. So kann ich wenigsten noch ein Mittagessen für euch zubereiten”, sagt sie. Es gibt Pfannkuchen, Wurst, Brot, eingelegten Fisch, Spiegeleier, Salat mit Mayonnaise, Gurken und Weißbrot. “Kuschet, kuschet”, (“Esst, esst”) fordert sie auf. Tonja bemerkt mein Zögern, greift mit ihren Händen zu den Pfannkuchen und legt mit zwei davon auf den Teller. “Vielen Dank aber eigentlich bin ich schon satt. Wir haben doch erst gefrühstückt”, antworte ich die kalten Pfannkuchen mit der Erdbeermarmelade die gestern noch auf den alten Herd stand zu bestreichen.

Es ist wieder erst 12:00 Uhr als wir unsere Räder besteigen und den gastlichen Ort verlassen. Tonja und Sergej lassen es sich nicht nehmen uns mit ihrem Auto bis zum Ortsende zu begleiten. “ßpaßiba Gostelpriimstwa”, (“Danke für eure Gastfreundschaft”) sagen wir und umarmen uns zum Abschied. Kaum haben wir den beiden den Rücken zugekehrt empfängt uns die Steigung der wir gestern unseren Respekt gezollt haben. Nach fünf Kilometern haben wir uns bis auf 600 Meter hoch getreten. Unsere Anstrengungen werden durch riesige lila blühende Felder entlohnt, die sich zu unserer Linken und Rechten bis zu den Wäldern erstrecken. Die Straße zieht sich, wie auch in den vergangenen Wochen, wie die Dünung eines Ozeans dahin. Das Gewitter ist völlig verzogen und die Sonne wärmt unsere Rücken. Wir kommen gut voran und freuen uns, trotz der wohl gemeinden Gastfreundschaft, mit jedem Kilometer mehr einen großen Abstand zwischen uns und der Bleibe von Tonja zu bekommen.

Ein großartiges Geschenk Mensch sein zu dürfen

Auch wenn das jetzt vielleicht übertrieben klingen mag bekomme ich einfach nicht mehr das Plumpsklo mit seinen unzähligen, gefräßigen Bewohnern und die Unsauberkeit mancher Menschen aus dem Kopf. Mir ist an dieser Stelle wichtig zu erwähnen, dass ich mir lange überlegt habe ob ich darüber überhaupt berichten soll. Es liegt uns fern unsere liebenswerten Gastgeber im Nachhinein mit irgendwelchen Geschichten zu verunglimpfen, jedoch schreibe ich als Dokumentarist alles nieder was uns widerfährt. Soweit möglich nur als Beobachter und nicht um zu Be- oder Verurteilen. Zweifelsohne ist es möglich die so genannten negativen Erlebnisse und Geschichten wegzulassen. Jedoch ist dann die Ehrlichkeit und Objektivität verloren gegangen. Alles wäre beschönigt und unsere Erzählungen würden den Eindruck vermitteln als sähen wir die Welt durch eine rosarote Brille. So ist es aber nicht. Die Welt ist nicht rosarot, sondern hat alle nur erdenklichen Farbnuancen. So zum Beispiel ein Plumpsklo, Wegelagerer, Stechmücken, Hitze, Regen, Mikrowellennahrung, Alkoholiker und einiges mehr. Trotzdem bereitet uns das Reisen nach wie vor viel Freude, denn das Positive überwiegt um ein Vielfaches. Selbst der einen oder anderen negativen Erfahrungen können wir manchmal etwas Positives abgewinnen. Es ist immer der Winkel der Betrachtung der einem das jeweilige Erlebnis gut oder schlecht erscheinen lässt. Wir versuchen die unangenehmen Situationen nicht so ernst zu nehmen. Uns ist bewusst, dass jeder unerträgliche Moment genauso verfliegt wie die positiven Augenblicke. Alles ist vergänglich und doch ist es der Augenblick der das wahre Leben ausmacht. Nur wenn wir im “Hier” und “Jetzt” leben, wenn wir den jeweiligen Moment inhalieren als wäre es unser Letzter in diesem Leben, nur dann leben wir unser Leben pur, mit vollen Zügen, können wirklich genießen und wissen zu schätzen welch ein großartiges Geschenk es ist ein Mensch sein zu dürfen.

Einblicke in die Dorfbevölkerung

Die Straße ist seit einiger Zeit in perfektem Zustand. Baumaschinen sind noch damit beschäftigt ihr an der einen oder anderen Stelle den letzten Schliff zu geben. Autofahrer steuern ihr Gefährd, wie schon öfter berichtet, dicht an uns heran, um ihre Fragen loszuwerden. Dabei achten sie nicht auf den nachkommenden Verkehr und zwingen so manchen Anrasenden zu einer Vollbremsung. Ehe ich antworten kann gibt der Fragende erschrocken Gas und düst davon. Auch auf dieser Strecke befinden sich, wie schon auf den letzten 12.000 Kilometern, alle Kilometer, manchmal sogar nur alle paar hundert Meter, ein Grab oder Mahnmal am Straßenrand. Sie erinnern an die jeweiligen Verkehrstoten, die genau an dieser Stelle durch einen Unfall ihr Leben gelassen haben. Für uns mittlerweile ein gewohnter Anblick. “Was aus Deutschland kommt ihr?” “Ja.” “Hoo, ho, ho. Und ihr wollt nach Burma?” “Ja.” “Hoo, ho. ho. Und das ist deine Frau?” “Ja.” Hoo, ho, ho”, wundern sich vier Männer mit asiatischen Gesichtszüge in ihrem Mercedes. Seit geraumer Zeit begegnen wir vielen Menschen die wie Mongolen aussehen, was uns folgern lässt, dass wir die Heimat einer anderen Volksrasse erreicht haben.

“Da vorne, das ist die Gastiniza von der uns Tonja berichtet hat!”, ruft Tanja von den letzten Höhenzügen entkräftet. “Sieht so aus”, antworte ich und lasse mein treues Gefährd auf den Parkplatz des Hauses rollen. Sofort kommen ein paar Angestellt heraus, um uns mit den bekannten Fragen zu überhäufen. “Gastiniza? Nein das hier ist ein Cafe aber keine Gastiniza”, antworten sie auf meine Frage. Zur gleichen Zeit stoppt ein Lada neben uns. Als der ebenfalls mongolisch aussehenden Fahrer erfährt woher wir kommen zeigt er uns den Vogel und lacht. “Wie weit ist es noch zur nächsten Gastiniza?”, frage ich ihn. “10 bis 15 Kilometer”, antwortet er. “Oh, das ist aber weit”, stöhnt Tanja. “Hm, wenn ihr wollt könnt ihr bei mir übernachten”, bietet uns der Mann, an der sich mit dem Namen Nikolai vorstellt. Tanja sieht mich mit großen Augen an. Ich weiß genau was sie denkt. “Wie weit ist es bis zu deinem Haus?”, frage ich. “Nicht weit”, antwortet er. Interessiert vernehme ich im Laufe des Gespräches das Nikolai dem schamanistischen Glauben angehört. “Wir gehen erstmal in das Cafe und trinken einen Tee. Wir sind zu müde, um sofort eine klare Entscheidung treffen zu können”, entschuldige ich mich bei Nikolai. “Bes Problem”, (“Kein Problem”) antwortet er und sagt, dass er in 20 Minuten wieder da ist, um uns eventuell abzuholen. Bevor ich das Cafe betrete werde ich von einigen Frauen und Mädchen umringt. Jede von ihnen hält mir eine Visitenkarte des Cafes entgegen auf die ich etwas schreiben soll. Geduldig nehme ich sie entgegen, um Glückwünsche und Gottes Segen darauf zu verewigen. Dann eile ich Tanja hinterher und lasse mich seufzend an ihrem Tisch nieder.

“Also, was meinst du? Wollen wir das Angebot des Mannes annehmen oder weiterfahren?”, frage ich Tanja. “Hast du ihn mal ins Haar gegriffen und festgestellt ob es echt ist?” “Wie?” “Na ja, könnte doch sein das er eine Perücke trägt. Außerdem solltest du ihn fragen wie tief sein Plumpsklo ist”, meint Tanja, worauf ich laut lospruste vor lachen. “Habe ich nicht aber er hat davon berichtet das er Schamanist ist”, entgegne ich schmunzelnd. “Schamanist? Klingt interessant. Du meinst also er ist ein Schamane?” “Ich weiß nicht ob er Schamane ist oder dem schamanischen Glauben angehört. Ich denke aber dass wir sein Angebot annehmen sollten. Es wird bestimmt anders sein als bei Tonja”, sage ich. “Soll ich etwas zum Essen bestellen. Du hast doch bestimmt einen Bärenhunger?”, frage ich. “Wenn wir zu den Schamanen gehen werden wir bestimmt wieder zum Essen eingeladen. Ich denke es ist besser wir bestellen jetzt nichts. Du weißt doch wie unhöflich es erscheint von dem Angebotenen nur wenig oder nichts zu essen”, meint Tanja.

Wenig später folgen wir dem Lada in das Dorf namens Kutulik. Und siehe da, seine Angaben waren korrekt. Nach nur drei Kilometern halten wir vor zwei schönen, neu gebauten Holzhäusern. Vor dem Eingang stehen zwei große Lastwägen, die davon zeugen, dass die Familie nicht arm ist. Wir stellen unsere Räder in den gepflegten Innenhof und werden von einem jungen Mädchen namens Elya empfangen. Sie spricht zu unserer völligen Überraschung perfekt Englisch. “Ihr dürft eure Taschen in das Haus bringen”, sagt sie freundlich und zeigt uns den Weg. Im Haus riecht es sauber und alles ist aufgeräumt. Sofort empfängt uns eine angenehme Atmosphäre. Zwei kleine, sehr hübsche Mädchen und ein Junge springen um uns herum. Alle essen sie frische Waffeln, worauf uns sofort das Wasser im Mund zusammen fließt. “Wir hätten vielleicht doch etwas im Restaurant bestellen sollen”, sagt Tanja. “Hm, habe auch einen gewaltigen Hunger. Hoffe wirklich das es bald etwas gibt”, meine ich. Dann packe ich meinen Laptop aus, um meiner üblichen Arbeit nachzugehen. Ich setze mich in einen der bequemen Sessel im Wohnzimmer. Genau gegenüber des Fernsehers, der gerade eine Kochsendung ausstrahlt, die uns noch hungriger werden lässt. Tanja sitzt nun neben mir und schreibt etwas in ihren Notizblock. Von unseren Gastgebern ist auf einmal keiner mehr zu sehen. Nur die Waffel naschenden Kinder, springen ausgelassen um uns herum und spielen Fang mich doch. “Na hast du noch eine Waffel übrig gelassen?”, fragt Tanja eines der kleinen Mädchen auf Deutsch die uns mit großen Knopfaugen ansieht. “Hmmpfff, ha, ha, ha”, lache ich bei ihrer Aussage und spüre wie mir der Magen vor Hunger knurrt.

“Möchtet ihr in die Banja?”, (Sauna) fragt Nikolai in das Wohnzimmer kommend. “Gerne”, antworten wir. “Okay, dann musst du mit mir Wasser holen gehen”, sagt er und zeigt mir wie ich ein 30 Liter fassendes Metallfässchen an einen einachsigen Handwagen befestigen muss. Nur Minuten später laufe ich, mein Bärenhunger und Nikolai, durch das Dorf zum Brunnen, um Wasser für die Sauna zu holen. Insgesamt füllen wir sechs Fässer voll, weshalb wir den Weg dreimal machen müssen. Elya heizt inzwischen die Banja an. Dann kommt Mutter Sonya von der Arbeit. Nikolai stellt uns seine Schwester vor. Er selbst lebt mit seiner Frau Galina und seiner fünfjährigen Tochter Olya und der dreijährigen Katya ein paar Häuser weiter. “Magst du nach der Sauna einen Wodka mit mir trinken?”, fragt Nikolai und schnippt sich dabei mit dem Mittelfinger gegen den Hals. “Eigentlich würde ich gerne etwas Essen”, geht es mir durch den Kopf und antworte; “Ich bin Sportler und trinke keinen Wodka”, wissend dass Sport eine der besten Entschuldigungen ist, nicht trinken zu müssen. Nikolais Gesicht zuckt bei meiner Aussage regelrecht zusammen, jedoch folgt sofort ein verständnisvolles Lachen. Da ich aber die Gastfreundschaft nicht mit den Füßen treten möchte erzähle ich unter ganz besonderen Anlässen wie Geburtstagen schon mal ein Gläschen Wodka zu trinken. “Gut, dann ist heute die Ausnahme”, meint er und geht in ein Lebensmittelgeschäft, um eine Flasche Wodka und eine Flasche Wein zu kaufen.

Mittlerweile ist die Banja heiß. Wir gehen in das saubere Holzhäuschen, welches oftmals am Haupthaus angebaut ist, ziehen unsere schmutzige Radkleidung aus und genießen die wohltuende Wärme. Da es in den sibirischen Dörfern meist kein fließend Wasser gibt wird die Banja neben dem offensichtlichen Vergnügen hauptsächlich zur vollständigen Körperreinigung genutzt. Im Regelfall, so hat man uns berichtet, gibt es zweimal in der Woche einen Badetag für die gesamte Familie. Die Banja ist dafür optimal geeignet. Vor allem in den extrem kalten Wintern ist sie ein Ort, um sich mal richtig durchzuwärmen.

“Essen ist fertig!”, vernehmen wir abends um 21:00 Uhr den Ruf der sympathische Elya. Mit roten Gesichtern und geschruppten Körpern setzen wir uns nach der Banja in die Sommerküche, die gegenüber vom Haupthaus oder auch Winterhaus liegt. Es ist ein sehr gemütlicher Raum indem alles seine Ordnung hat und frisch geputzt ist. “Lasst uns auf euren Besuch anstoßen”, sagt Nikolai sein Wodkagläschen hebend. “Bei uns ist es der Brauch, dass wir den Naturgöttern vorher danken”, erklärt er, sich mit seinem Glas erhebend. Dann öffnet er den Deckel des Holzofens, schüttet den Inhalt seines Glases hinein und spricht für uns ein paar unverständliche Worte. Sodann füllt er sein Becherchen wieder, tippt seinen Ringfinger in den Wodka, um ihn auf den Tisch zu verreiben. Wir tun es ihm nach, stoßen an und müssen das Gläschen ex in den Rachen stürzen. Es brennt wie Feuer und ich habe Mühe nicht laut los zu husten. Tanja hat intelligenterweise nur genippt. “Du musst nicht austrinken”, erklärt die neunzehjährige Elya gütig lächelnd. Endlich ist der reichlich gedeckte Tisch freigegeben. Es gibt Bratkartoffeln, eingelegte Gurken, Tomaten und Gurkensalat, Wurst, und Marmelade. “Hmmm ist das lecker”, freut sich Tanja worauf alle herzhaft lachen. “Ohhh ist das Gut. Die besten Bratkartoffeln ganz Russlands”, lobe ich, worauf wieder alle prusten vor Lachen.

“Wo hast du dein Englisch gelernt?”, frage ich Elya. Ich gehe auf die Sprachenschule nach Irkutsk. Habe ein Stipendium bekommen weil ich einer der besten Schülerinnen meines Jahrganges war”, erklärt sie bescheiden. “Was willst du denn mal werden?”, interessiert es mich. “Ich denke ich werde nach meinem Studium nach Korea gehen und dort als Dolmetscherin arbeiten.” “Nach Korea? Sprichst du denn auch Koreanisch?” “Ja. Genauso gut wie Englisch”, verblüfft uns ihre Aussage.

Wir hören das Elya hier mit ihrer Mutter und ihren Großeltern lebt. Von ihrem Vater erfahren wir nichts und trauen uns auch nicht weiter zu fragen. Scheint ein Tabuthema zu sein. Der Großvater ist offensichtlich der Herr im Haus. Ihm gehören die zwei Lastwägen vor der Tür. Im Augenblick ist er mit seiner Frau für eine Woche im Urlaub. Nikolai übernimmt, so sieht es zumindest aus, während der Abwesenheit der Großeltern die männliche Rolle des Clans.

Geschichte der Burjaten

“Weißt du Denis wir sind Burjaten”, erklärt er “Burjaten? Kannst du uns mehr dazu erzählen?”, frage ich. “Klar”, antwortet er. “Unser Volksstamm lebt südlich und östlich des Baikalsees. Die Meisten von uns sind in Burjatien ansässig. Diese Republik gehört zur Russischen Förderation. Wir leben aber auch in der Mongolei und in kleiner Zahl sogar in China. Leider spreche ich meine Muttersprache kaum noch. Sie gehört zur ostmongolischen Sprachgruppe. In der Mongolei sprechen viele so wie wir”, berichtet er mit offensichtlichem Stolz in der Stimme. “Wie viel Burjaten gibt es denn noch?”, frage ich. “Ich bin mir nicht ganz sicher aber soweit ich weiß 350.000.” “Burjatien war also mal euer eigenes Land?” “Aber ja. Im 17. Jahrhundert, mit den ersten Kontakten zu den Russen, begann für mein Volk die Veränderung. Nach der Eroberung unserer Gebiete durch das Zarenreich und der Einwanderung russischer Siedler erlebten wir Umsiedlungen und Vertreibungen. Im Laufe der Zeit passten wir uns der russischen Kultur an und bildeten eine stark nationalistische Intelligenz. Wir lebten nomadisch, betrieben Viehzucht und hielten Rinder, Pferde, Kamele und Schafe. In den westlichen Teilen unserer Provinz bauten wir ein wenig Hirse und Buchweizen an. Auch handelten wir mit Pelzen, stellten Filz her und bearbeiteten Felle und Leder. Bereits im 19. Jahrhundert sind viele von uns zum Halbnomadismus übergegangen. Interessant ist aber, das noch Ende der zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts lediglich 10 Prozent unserer Bevölkerung ganz sesshaft war.” “Kling ja hochinteressant. Womit verdienst du heute dein Geld?”, stelle ich eine Zwischenfrage. “Ich war bis vor wenigen Monaten leitender Feuerwehrhauptmann unserer Region. Hatte über 90 Männer unter mir. Nach über 15 Jahren wurde ich im Alter von 36 Jahren pensioniert. Hätte weitermachen können aber es wurde mir zu eintönig. Jetzt bekomme ich eine Rente von 10.000 Rubel (228,- Euro) im Monat.” “Mit 36 Jahren in Pension? Das ist doch viel zu früh. Du bist doch noch jung. Willst du nicht mehr arbeiten?” “Aber ja. Ich habe jetzt einen Job bei der Verwaltung von Kutulik. Bin also nach wie vor im Dienste unseres Staates. Weiß noch nicht ob ich die richtige Entscheidung getroffen habe. Das wird sich in der nächsten Zeit herausstellen.” “Hm, eine Veränderung kann manchmal nicht schaden. Aber ich wollte dich wegen dem Schamanismus noch etwas fragen. An was glaubt ihr jetzt eigentlich?” “Oh, das ist ein komplexes Thema und nicht so schnell zu beantworten. In unserer traditionellen Religion herrscht der Glaube an eine dualistisch ausgerichtete Götter- und Geisterwelt vor. Die Schamanen nehmen da natürlich eine besondere Stellung ein. Seit dem 18 Jahrhundert ist im östlichen Teil unserer Provinz der tibetische Buddhismus weit verbreitet. Aus der Mischung unserer alten Religion und dem Buddhismus ist zum Teil eine komplexe Glaubensvorstellung entstanden. Manche von uns sind aber auch zum orthodoxen Glauben übergegangen.” “Hm, wirklich aufschlussreich. Habe vorher noch nie bewusst vom Volk der Burjaten gehört”, meine ich nachdenklich. “Was? Kann doch nicht sein? Wir waren hervorragende Krieger. Wenn nicht die Besten. Im Zarenreich kämpften wir sogar mit Erfolg gegen Napoleon”, sagt er und wieder höre ich den Stolz in seiner Stimme. “ßto Gramm!”, (Bezeichnung für 100 Gramm Wodka) ruft er und erhebt sein Glas. Auch nach dem vierten Gläschen brennt das Zeug noch immer in meinem Rachen. Um nach dem langen Radtag und der Banja nicht schrecklich betrunken zu werden, kippe ich nach jedem Glas Wodka einen Becher Wasser hinterher. Das hilft mir, um einen klaren Verstand zu behalten.

“Gibt es bei euch eigentlich Braunbären?”, wechsle ich das Thema, welches droht in Kriegsverherrlichung abzudriften. “Braunbären? Aber ja. In der Taiga dort draußen”, antwortet Nikolai nach Süden und Norden deutend. “Und hier wo ihr lebt, ist das nicht die Taiga?” “Das ist die Zivilisation. Nein hier ist nicht die Taiga. Die Bären, Elche und Wölfe leben dort. Etwa 30 bis 50 Kilometer von hier. Nur im Winter kommen die Wölfe manchmal bis zu den Dörfern. Vorne an der Gastiniza wühlen sie des Öfteren im Müll. Ha, letzten Winter habe ich auf der Jagd gleich sieben Wölfe auf einmal erschossen”, sagt er plötzlich. “Sieben Wölfe?”, glaube ich meinen Ohren nicht zu trauen und weiß nicht wie und ob ich ihm sagen soll das Tanja und ich alle Tiere lieben. Das er mit seinen Abschussgeschichten von Wölfen, Füchsen, Hasen und Elchen bei uns nicht punkten kann. “Warum hast du die Wölfe denn erschossen?” “Einfach so. Peng, peng, peng, weg waren sie. Hier ist meine Waffe”, sagt er und holt seinen vollautomatischen Schießprügel mit Zielfernrohr aus einer Gewehrtasche. “Das ist mein Freund!”, sagt er die geladene Schusswaffe an seine Brust drückend. Wieder wechsle ich zur Freude der anwesenden Frauen das Thema. Wir sprechen über die Straße bis zum Baikalsee. Ein Großteil der Familie von Nikolai lebt in Ulan-Ude. Weil er seine Familie bald jedes Jahr einmal besucht kennt er die Strecke genau. “Im Südwesten des Baikalsee gibt es sehr hohe Berge. Die Straße windet sich in Serpentinen nach oben und ist sehr schmal. Da gibt es viele Unfälle und ihr müsst sehr aufpassen. Am besten ihr fahrt diesen Abschnitt mit dem Zug”, empfiehlt er.

Es ist 24:00 Uhr als wir die illustre Runde hundemüde beenden. “Ihr könnt oben im Bett der Großeltern schlafen”, sagt Elya. Über eine steile Holztreppe klettern wir einen Stock nach oben und befinden uns im Schlafzimmer von Großmutter und Großvater. Es ist ein kleiner gemütlicher Raum in dessen Mitte ein Bett steht. Durch die Kochaktivitäten in der Küche unter uns ist es hier oben sehr warm. “Sind die Bettlaken frisch?”, fragt Tanja. “Zumindest nicht sehr alt”, antworte ich mich stöhnend auf das fast brettharte Bett niederlassend.

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