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Mongolei/Tanja Knöchel-Camp MONGOLEI EXPEDITION - Die Online-Tagebücher Jahr 2011

Ich glaube mein Knöchel ist gesplittert

N 48°57'793'' E 103°04'503''
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    Tag: 404

    Sonnenaufgang:
    06:21

    Sonnenuntergang:
    19:54

    Luftlinie:
    20,78

    Tageskilometer:
    29

    Gesamtkilometer:
    2402

    Bodenbeschaffenheit:
    Gras

    Temperatur – Tag (Maximum):
    10 °C

    Temperatur – Tag (Minimum):
    8 °C

    Temperatur – Nacht:
    minus 5 °C

    Breitengrad:
    48°57’793“

    Längengrad:
    103°04’503“

    Maximale Höhe:
    1680 m über dem Meer

    Aufbruchzeit:
    12:45

    Ankunftszeit:
    17:30

Am Morgen ist alles mit Eis überzogen. Der Frost greift schon am ersten September mit seinen knochigen Fingern nach dem Land. Auf der Innenseite unseres Zeltes hat sich durch den Atem und Bodenfeuchtigkeit eine Eisschicht gebildet die jetzt von den Sonnenstrahlen aufgetaut werden und auf uns herab tropfen. „Kannst du reiten?“, fragt Tanja besorgt. „Nicht daran zu denken“, antworte ich noch immer wie Jango laufend, um so wenig Reibung wie möglich zu verursachen. Nachdem eintönigen Frühstück entscheide ich mich aber für den Aufbruch. „Jeden Tag den wir hier länger bleiben müssen wir am Ende mit Kälte bezahlen. Darauf habe ich nach dem langen Winter auch keine Lust. Dann brennt mir lieber der Hintern im Sattel“, sage ich meinen Humor wieder findend. „Gut, dann hole ich die Pferde während du das Zelt abbaust“, meint Tanja.

Ich rolle gerade die Zeltbahn zusammen als Tanja ruft. „Halte Sar!“ Ich drehe mich verwundert um und beobachte wie sich Sar ohne Beinfesseln von Tanja entfernt. Tanja kniet indes auf dem Rasen. „Was ist los?“ „Halte Sar und Naraa!“, antwortet sie nicht auf meine Frage eingehend. In ihrer Stimme vernehme ich Schmerz. „Was um Gottes Willen ist denn los?“, rufe ich so schnell es mein Zustand zulässt zu den Pferden eilend. „Mein Fuß!“ „Was ist mit deinem Fuß?“ „Ich bin ganz fies auf den Knöchel gefallen!“ „Was? Oh nein!“, rufe ich und eile nachdem ich Sar und Naraa die Beinfesseln angelegt habe zu ihr. Tanja ist kreidebleich im Gesicht. Der Schmerz nimmt ihr nahezu die Stimme. Erschrocken knie ich mich zu ihr nieder. „Was ist geschehen?“ „Ich bin auf Sar über den Bach geritten. Naraa hatte ich am Führungsseil hinterher gezogen. Sie ist plötzlich stehen geblieben. Dabei bin ich von Sars Rücken geglitten und mit dem Knöchel brutal auf einen Erdhügel oder Stein geknallt. Ich glaube mein Knöchel ist gesplittert“, fährt mir ihre zittrige Erklärung in die Glieder. Meinen Schock nicht anmerken lassend sage ich; „Kannst du den Schuh ausziehen?“ „Ich versuche es.“ Vorsichtig öffnet sie die Verschnürung des Reitstiefels. „Der Socken muss auch runter. Am besten du machst das selbst. Ich möchte dir nicht zusätzlich weh tun“, sage ich. Da ich mir nicht sicher bin was als nächstes zu tun ist lege ich ihren bereits geschwollenen Fuß auf mein Bein. „Kannst du ihn bewegen?“, frage ich worauf Tanja ihren Fuß vorsichtig auf und ab kippen lässt. „Bestimmt nicht gebrochen“, diagnostiziere ich obwohl ich mir definitiv nicht sicher bin. „Au, au, au, tut das weh. Mir ist ganz schlecht vor Schmerz.“ Wie benommen sitze ich da und kann nicht glauben das 120 Kilometer vor unserem Ziel Tanja sich schwer verletzt hat. Meine Gedanken rasen, ja überschlagen sich. Obwohl nicht ich derjenige bin der außer Gefecht ist wird mir heiß und kalt. Wenn der Knöchel nicht gebrochen ist sind höchstwahrscheinlich die Bänder ab. Im besten Fall angerissen, geht es mir durch den Kopf. „Es tut gut wenn du den Fuß hältst.“ „Hm.“ „Du meinst der Knöchel ist nicht gebrochen?“ „Nein.“ „Der Schmerz lässt ein wenig nach.“ „Das ist gut.“ „Ich sollte versuchen ob ich auftreten kann.“ „Willst du nicht noch ein wenig ausruhen?“ „Ich weiß nicht. Ich will wissen ob ich auftreten kann.“ „Soll ich dich stützen?“ „Nein, aber du kannst mir hochhelfen.“ „Okay.“ „Auuu!“, fährt es ihr über die Lippen. Tanja humpelt vorsichtig auf und ab. „Und? Kannst du belasten?“ „Nur wenig“, sagt sie und ich frage mich ob es während der Schockphase überhaupt gut ist Belastung auf den Knöchel zu bringen. „Ich werde das Zelt wieder aufbauen. Morgen wissen wir dann ob du noch einsatzfähig bist oder nicht.“ „Nein, ich möchte weiter.“ „Du meinst das geht?“ „Ich versuche es. Muss ja nicht laufen.“ „Hm.“ „Wird schon klappen. Der Schmerz lässt weiter nach.“ „Okay. Weiß nicht ob das eine gute Entscheidung ist aber wenn du dir sicher bist?“ „Ich bin mir sicher“, sagt Tanja. In gedämpfter Stimmung bauen wir das restliche Lager zusammen. Ich verstaue alles in die Seesäcke und Kuriertaschen. Dann kommt wie gerufen Batbold, ein Hirte der uns gestern schon mal aufsuchte, um mir beim verschnüren der Säcke und beladen der Pferde zu helfen. Da Tanjas rechter Knöchel in Mitleidenschaft gezogen ist kann sie sich beim Aufs-Pferd-Steigen nicht vom Boden abstoßen. „Ich helfe dir. Warte!“, rufe ich nachdem ich sehe wie sie sich abmüht. „Und Hop!“, sage ich worauf Tanja im Sattel ihres Pferdes sitzt. „Und? Meinst du es geht „Bestimmt.“

Wir reiten erst langsam bis sich Tanja an die neue Situation gewöhnt hat und mit ihrem verletzten Fuß zurechtkommt. Dann traben wir. „Geht es?“ „Ja, es tut zwar weh aber es geht!“ „Okay. Dann hoffen wir auf eine gute Reise und eine sichere Ankunft!“ „Das hoffe ich wirklich!“

Wir erreichen die Teerstraße welche in Richtung Erdenet führt. Auf der Wiese reitend folgen wir dem breiten Band auf dem von Zeit zu Zeit ein Auto oder Lastwagen vorbeilärmt. Auf der knapp 1.700 Meter hohen Passhöhe binden wir unsere Pferde an. In einem einfachen Rasthaus erstehe ich sechs gekochte Eier, mongolische Kekse und ein paar Tafeln Schokolade. Tanja darf telefonieren. Sie versucht Shuree zu erreichen, die wir vor einigen Wochen zufällig kennengelernt hatten. Shuree ist Tourguid und hatte verlauten lassen unsere Pferde kaufen zu wollen wenn wir in die Nähe des Ortes Bulgan kommen. Da sie nach eigenen Angaben Pferde liebt und sie nicht zum Schlachthof führt weil sie gut trainierte Reittiere für ihre Touristen benötigt, wäre unsere Pferdefamilie bei ihr bestens untergebracht. Die Lösung klingt zwar zu schön um wahr zu sein aber wer weiß? Vielleicht hat diese Frau keinen Quatsch erzählt und es wirklich ernst gemeint. Sar, Naraa, Tuya, Tenger, Sharga und Bor haben es verdient ein schönes Leben auf dem Land zu führen und nicht von uns Menschen abgeschlachtet, um dann auch noch aufgefressen zu werden.

„Ich bin eigentlich nur an eurer Naraa und dem Fohlen interessiert. Wir zahlen auch auf keinen Fall mehr als 400.000 Tugrik“, (242,- €) ist ihre ernüchternde Antwort. Wir wundern uns woher der plötzliche Sinneswandel herrührt. „Vielleicht hat sie gedacht sie kann mit uns Ausländern ein Schnäppchen machen? Der Preis der Pferde ist doch im vergangenen Jahr um 200 Prozent gestiegen und wir hatten bereits letztes Jahr an die 500.000 Tugrik (303,- €) für Naraa bezahlt. Sie will uns doch nicht über den Tisch ziehen?“ überlegt Tanja. „Sieht ganz danach aus,“ stelle ich fest.

„Aber kommt doch erstmal zu uns. Ihr müsst den Pass wieder herunter reiten. Unser Jurtenlager befindet sich nur 20 Kilometer entfernt von euch. Auch könnt ihr euch bei uns ein wenig ausruhen“, schlägt Shuree vor als Tanja sie ein weiteres Mal Kontaktiert. Da wir unter keinen Umständen wieder zurückreiten möchten, noch dazu nicht mit Tanjas Verletzung und dem sehr schlechten Angebot, beraten wir eine Weile unsere nächsten Schritte. “Wenn sie nur ein Pferd nimmt können wir unsere Reise nicht fortsetzen und sind gezwungen die Ausrüstung irgendwie nach Erdenet bringen lassen. Auch ist nicht klar was wir dann mit den anderen Pferden machen. Selbst wenn wir Naraa für den niedrigen Preis verkaufen würden, was machen wir mit dem Rest der Crew? Irgendwie kommt mir der Vorschlag von Shuree wie eine Sackgasse vor. Ich habe kein gutes Gefühl dabei zu ihr zu gehen. Deshalb würde ich vorschlagen wir setzen unseren Ritt in Richtung Erdenet fort. Sollte sie wirklich an unseren Pferden oder an Naraa interessiert sein kann sie sich in ihr Auto setzen und uns heute Abend besuchen“, sinniere ich. „Denke du hast Recht. Abgesehen davon wäre der Ritt über Bulgan doch ein Umweg oder?“ „Ca. 80 Kilometer.“ „80 Kilometer? Na das möchte ich meinen Knöchel wirklich nicht zumuten.“ „Jeder Meter in Richtung Ziel ist guter Meter. Wenn sie alle Pferde zu einem fairen Preis gekauft hätte wäre die Reise hier zu Ende. Kein Problem. Aber so?“ „Keine Frage. Wir reiten weiter. Ich rufe sie gleich nochmal an und schlage ihr vor uns heute Abend im Camp zu besuchen“, meint Tanja. „Mach das. Wenn sie nicht kommt, wovon ich ausgehe, ist sie auch nicht an unseren Pferden interessiert und ich bin mir sicher das uns eine andere Lösung einfällt“, antworte ich.

Langsam verlassen wir die Passhöhe, um wenige hundert Meter tiefer unser Lager an dem Ort aufzuschlagen, an dem wir letztes Jahr bereits am siebten September vom ersten Schnee überrascht wurden. Weil heute bereits der erste September ist müssen wir demnach jederzeit mit Schneefall rechnen.

Nur 100 Meter von uns entfernt befindet sich eine Jurte. Das Ehepaar lässt nicht lange auf sich warten und stattet uns einen Besuch ab. Sie bringen einen Eimer voller frischen Joghurt mit worüber sich Tanja ganz besonders freut. Im Laufe des Gespräches erzählen wir bereits vor einem Jahr mit einem Pferdewagen und zwei mongolischen Begleitern in diesem Tal gecampt zu haben. „Aber ja, ich kann mich gut daran erinnern. Du hast dir ein Sieb für Boortsog von mir ausgeliehen“, sagt die Hirtin lachend. „Ja stimmt, das habe ich“, bestätigt Tanja. „Wie sieht es hier mit Pferdedieben aus? Ist das in eurem Tal ein Problem?“, frage ich. „Bei uns? Ügüj, hier gibt es keine Pferdediebe“, beruhigt uns die Antwort der Beiden.

Wie es zu erwarten war neigt sich der Tag seinem Ende entgegen ohne von Shuree besucht zu werden. „War eine gute Entscheidung nicht umzukehren“, meint Tanja, die sich unter leisem Stöhnen auf eine Pferdedecke niederlässt. „Wie geht es deinem Knöchel?“, frage ich besorgt. „Nicht so toll aber ich kann morgen bestimmt weiterreiten.“ „Gesetzten Fall die Schwellung wird nicht so dick, dass dein Fuß nicht mehr in den Schuh passt.“ „Ist ein Schnürschuh. Er wird schon nicht so anschwellen ihn nicht mehr in den Stiefel zu bekommen.“ „Bestimmt nicht“, gebe ich ihr Recht darauf hoffend diese erneute Herausforderung zu meistern.

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