Skip to content
Abbrechen
image description
Mongolei/Heu-Camp MONGOLEI EXPEDITION - Die Online-Tagebücher Jahr 2011

Ein Jahr wie ein Menschenleben

N 48°59'011'' E 103°28'742''
image description

    Tag: 405

    Sonnenaufgang:
    06:23

    Sonnenuntergang:
    19:49

    Luftlinie:
    29,66

    Tageskilometer:
    45

    Gesamtkilometer:
    2447

    Bodenbeschaffenheit:
    Gras

    Temperatur – Tag (Maximum):
    23 °C

    Temperatur – Tag (Minimum):
    18 °C

    Temperatur – Nacht:
    minus 5 °C

    Breitengrad:
    48°59’011“

    Längengrad:
    103°28’742“

    Maximale Höhe:
    1600 m über dem Meer

    Aufbruchzeit:
    12:00

    Ankunftszeit:
    17:10

Wieder war die Nacht mit minus 5 °C relativ kalt. Durch die Feuchtigkeit, die der nahe Bach ausdünstet, ist das Gras im Tal mit Reif und Eis überzogen. Auch Mogis Fell ist weiß als hätte sich der Winter schon wieder breit gemacht. Die ersten Sonnenstrahlen lecken den Frost schnell von Gras und Fell. Es dauert nicht lange und das Thermometer klettert auf 20 Grad in der Sonne.

Weil Tanja wegen ihrem Knöchel Schwierigkeiten besitzt die schwere Ladung auf die Pferderücken zu hieven bittet sie den Hirten um Hilfe. „Aber gerne helfe ich euch“, sagt er mit breitem Grinsen im Gesicht. Kurz nach 12:00 Uhr setzt sich unser kleiner Trupp in Bewegung. Nach 14 Kilometer verlassen wir den Asphaltstreifen, queren einen Fluss und erreichen bald darauf eines unserer alten Camps. „Wie weit ist es bis zum nächsten Lagerplatz?“ „Noch ca. 20 Reitkilometer“, antworte ich. „Das könnten wir schaffen oder?“ „Wenn dein Fuß mitmacht?“ „Er tut höllisch weh aber ich schaffe es“, antwortet Tanja zuversichtlich weswegen wir unseren Trab in Richtung Ziel fortsetzen. Wegen den optimalen Wetterbedingungen kommen wir zügig voran und lassen einen nach dem anderen Kilometer hinter uns. Ich bewundere meine Frau mit welchem Biss sie so einen harten und langen Reittag bewältigt. Ich kenne kaum einen Menschen der zu solch einer Leistung in der Lage wäre. Tanja will nicht aufgeben und vor allem mich nicht hier in der Wildnis alleine lassen. Nachdem der Knöchel nicht noch weiter angeschwollen ist glaube ich auch nicht dass sie sich durch das Reiten einen nachhaltigen Schaden zufügt. Im Gegenteil wird durch die Bewegung das ins Gelenk geflossene Blut abtransportiert. Ich hoffe nicht, dass die Bänder ab sind sondern bete für einen weniger folgenschweren Bänderanriss oder Bänderdehnung und wünsche mir ihre baldige Genesung. Aber wie es auch immer kommen wird, im Augenblick ist es so wie es ist. Wir können diesen nicht ändern sondern ihn nur durch Aktivismus und Zuversicht überwinden.

Kurz vor Sonnenuntergang reite ich wieder auf Naraa, um Tanja ein wenig zu entlasten. Wir überqueren einen weiteren Pass. Überall wird von den Hirten Heu für den Winter gemacht. Manche von ihnen winken uns freundlich zu. Andere hingegen haben Bedenken wir könnten das hohe Gras niederreiten und sehen uns ernst an. Wir heben lachend die Hand zum Gruß und umgehen zum großen Teil die zu mähenden Grasflächen. Auf der Passhöhe färben sich bereits wieder die ersten Lärchenbäume herbstlich. Auch die vergangenen frostigen Nächte setzten dem Gras und den vielen Blumen zu. Es ist verblüffend wie schnell ein Jahr vergeht, haben wir während dieser Reise solch ein Wetter bereits erlebt. Auf der anderen Seite kommen mir die vergangenen 12 Monate seit unserem Aufbruch vom Bilgeecamp vor als hätte ich in diesem Land ein ganzes Menschenleben verbracht. Die Erlebnisse waren geradezu gewaltig.

Kurz nach 17:00 Uhr erreichen wir das Bergtal-Camp in dem mich Mogi wegen seinem ständigen Gebelle fast zum Wahnsinn trieb. Heute ist er ein verdammt guter Wachhund der nur dann Laut gibt wenn ein wirklicher Anlass dazu vorhanden ist. Die Zeit uns vom ihm zu trennen rückt jeden Tag näher. Ein Gedanke der mir fast das Herz bricht. Trotz vieler Telefonate mit unseren Lieben Zuhause ist keiner wirklich bereit ihn aufzunehmen. Verständlich, wir stecken allesamt in unserem geformten Leben. Spontane Änderungen sind da nicht immer willkommen. Ein Hund ist ein Familienmitglied auf dem man sich einlassen muss. Der viel von seinem Besitzer abverlangt und den bisherigen Lebensalltag verändert. Da unsere eigene Lebensreise auch nach der Mongoleiexpediton hoffentlich weitergehen wird können wir unserem treuen Gefährden auch kein beständiges Heim in Deutschland anbieten. Ein unumgänglicher Fakt. Abgesehen davon ist der Transport eines Hundes von der Mongolei nach Deutschland sehr kostspielig und mit vielen Auflagen und Komplikationen verbunden. Wir sind uns sicher für ihn ein gutes Heim bei Badamsuren in Mörön gefunden zu haben. Vielleicht gewöhnt er sich schneller als wir denken an seine neue Umgebung. Badamsuren ist ein äußerst liebenswerter Mensch die Mogis Herz im Sturm eroberte.

Ich wische meine sentimentalen Gedanken fort und errichte unser Zelt. Wie immer setzte ich mich danach in meinen betagten Campstuhl, tippe die Navigationsdaten und Kurzaufzeichnungen in den Laptop und speise die Fotografien des Tages ein. „Wenn alles gut geht erreichen wir morgen das Bilgee-Camp“, sage ich zu Tanja. „Du meinst das Camp von dem wir heute vor genau einem Jahr aufgebrochen sind?“ „Ja, genau das. Es liegt auf der anderen Seite des Bergzuges. Dort“, sage ich nach Südosten deutend. „Morgen schon?“, flüstert Tanja fast andächtig. „Ja, wir waren sehr schnell. Trotz deiner Verletzung. Heute legten wir in nur fünf Stunden 45 Kilometer zurück. Ohne Pferdewagen sind Pässe, Flüsse und anderes schwieriges Gelände entschieden einfacher zu bewältigen. Sollten wir jemals wieder mit Pferden unterwegs sein dann sicherlich nicht mehr mit einen Pferdewagen. Der macht alles viel komplizierter“, sage ich parallel ein paar Daten in den Laptop tippend.

Plötzlich hören wir das Geknatter schwerer Dieselmotoren. Zwei uralte Mähmaschinen tauchen hinter unserem Camp auf. Die Fahrer stoppen ihre altertümlichen Geräte direkt neben dem Lager und sehen uns grimmig an. Sie lassen ihre Blicke über die Weide streifen auf der gerade unsere hungrigen Tiere grasen. Sofort laufen wir den Männern entgegen, erklären woher wir kommen und wohin wir gehen. „Ihr kommt tatsächlich aus der Taiga?“, fragt der Eine von ihnen mit hörbarer Bewunderung in der Stimme. „Ja. Wir haben den Winter dort verbracht. Minus 50 Grad war ganz schön kalt und jetzt nach bald 3.000 Reitkilometern tut uns der Hintern weh“, sage ich, worauf das Eis gebrochen ist und alle herzhaft lachen. Tanja bietet den Männern ein paar Bonbons an und fragt ob es hier Pferdediebe gibt. „Bei uns? Ügüj, hier nicht. Aber in der Nähe von Erdenet müsst ihr aufpassen“, warnen sie. Weil wir ihre Heugründe nicht länger als eine Nacht nutzen vernehmen die Erntearbeiter zufrieden unseren morgigen frühen Aufbruch. Dann werfen sie mit einer schweren, eisernen Drehkurpel die Dieselmotoren erneut an und tuckern weiter dem Tal entgegen. Noch lange wird das laute Scheppern der Motoren von den Lärchenwäldern zurückgeworfen bis es in der Ferne endlich verstummt. Vogelgezwitscher und der Schrei eines Raubvogels ertönen indes. „Letztes Jahr hörten wir hier das erste Heulen eines Wolfes. Kannst du dich noch daran erinnern?“, frage ich Tanja die sich bereits in ihren Schlafsack zurückgezogen hat. „Wie könnte ich das jemals vergessen“, antwortet sie.

Wir freuen uns über Kommentare!

This site is registered on wpml.org as a development site.