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RED EARTH EXPEDITION - Etappe 2

Goola hat sich entschieden

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    Tag: 49 Etappe Zwei

    Sonnenaufgang:
    06:23

    Sonnenuntergang:
    17:37

    Temperatur - Tag (Maximum):
    32 Grad

Edgar Kampf-Camp — 03.08.2001

Wie in den vergangenen Tagen herrscht heute totale Windstille. Nach der morgendlichen Rückengymnastik ziehe ich mich an, verlasse das Zelt und laufe mit Rufus von unserem Schlafzelt zum Campplatz. Schon seit geraume Zeit liegt mir das Husten von Goola in den Ohren. „Komm Rufus, lass uns mal nach den Patienten sehen,“ sage ich. Rufus antwortet mit heftigen Schwanzwedeln und sieht mich wie immer gut gelaunt an. Schon von weitem erkenne ich das Goola auf dem Boden liegt und alle Viere von sich streckt. Ich mache mir keine Gedanken, denn Kamele ruhen oft in dieser Position und seit Goolas Krankheit ist das seine bevorzugte Schlafstellung. Ich gehe um den Busch an dem wir ihn angebunden haben und bin bei seinem Anblick entsetzt. Sein Hals biegt sich wie ein Bogen nach hinten und der Kopf ruht nur wenig von seinem Höcker entfernt auf der Erde. Seine Lippen liegen schlapp im roten Sand. Er atmet stoßweise und bei jedem Ausatmen ertönt ein leises klagendes Stöhnen. Seine gebrochenen Augen sehen mich fragend an. „Er stirbt, oh Gott er stirbt,“ flüstere ich entsetzt. „Goola warum? Oh Goola warum hast du den Kampf ums Leben aufgegeben?“ ,sage ich zu ihm und streichle seinen Kopf. Kalter Schweiß liegt auf seinem Fell. „Tanja!“ „Ja!“ ,antwortet sie mit Spannung in der Stimme als hätte sie eine Vorahnung was ich ihr zurufen möchte. „Goola liegt im Sterben!“ „Oh nein! Ich komme!“ antwortet sie. Nur Minuten später hastet Tanja über das Spinifex und steht schnaufend neben mir. „Oh Goola, Goola,“ sagt sie mit weinerlicher Stimme, kniet sich ab und legt ihre Hand auf seinen Kopf. Schweigend knien wir eine kurze Weile neben einander. Ich bemerke wie sich Tanjas Körper schüttelt. Sie weint um unseren Freund der im Sterben liegt und so lange mit uns war. „Ich muss sein Leiden beenden,“ sage ich leise. Tanja nickt. „Wir müssen vorher Jo anrufen. Es ist auch ihr Junge,“ sagt sie. „Ja klar. Ich baue gleich das Satellitentelefon auf und gebe ihr bescheid. Auf dem Weg zum Buschbüro frage ich mich wie Jo es wohl empfinden wird. Sie war es die Goola trainiert hat. Viele Jahre war sie mit ihm zusammen bis sie ihn und seinen Bruder aus unglücklichen Umständen bei einem Kamelmann lassen musste. Wir haben dann Goola von ihm gekauft und seit knapp zwei Jahren sind wir mit dem charaktervollen Tier zusammen. „Jo, Denis hier. Gut das du dran bist. Kannst du bitte das Funkgerät einstellen.“ „Ja, welche Frequenz?“ „Die übliche die wir am Morgen benutzen.“ „Okay.“ Ich renne zum Funkgerät, lege den Einschalthebel auf on und stelle die Frequenz ein. Die Verbindung klappt. „Jo, Goola liegt im Sterben. Ich muss sein Leiden beenden und wollte nur wissen wie du die Sache siehst?“ „Hat er seinen Hals nach hinten gewölbt so das sein Kopf in Richtung Höcker liegt?“ „Ja.“ Nach einer kurzen Pause höre ich Jos Stimme aus dem kleinen Lautsprecher. „Das ist die Stellung in der Kamele sterben. Tom und ich stehen zu hundert Prozent zu eurer Entscheidung. Es ist die Richtige. Wir wünschen euch viel Kraft.“ „Okay Jo, dann gehe ich jetzt besser. Ich möchte nicht das er länger leidet.“ „Bis später Denis.“ Eilig laufe ich mit der Marlin in den Händen zu Goola. Ich lege das Gewehr auf die Seite und knie mit Tanja noch mal neben seinem Kopf. Wir legen unsere Hände darauf und bedanken uns für seine Gesellschaft, Kameradschaft und die vielen Abenteuer die wir zusammen erlebt durften. „Kannst du Istan bitte zu den anderen führen?“ ,bitte ich Tanja. „Ja,“ antwortet sie schluchzend. Noch während sie mit Istan zu den anderen Kamelen geht lege ich das Gewehr an und beende das irdische Dasein unseres Freundes. Augenblicklich ist sein Leiden beendet und augenblicklich fühle ich eine seltsame Art der Erleichterung. Tränen fließen mir plötzlich haltlos über die Wangen und ich traure um unseren Gefährden. Tanja kommt zurück und wirft einen Blick auf das tote Tier. „Ich teile Jo mit was geschehen ist,“ sage ich worauf Tanja nur mit einem Schulterzucken antwortet. „Jo?“ „Ja Denis.“ „Er ist tot.“… „Sein Leiden ist beendet. Er hat sich so entschieden. Ihr müsst jetzt mit Zuversicht in die Zukunft sehen. Das Drama hat hiermit ein Ende und ihr könnt bald weiterlaufen,“ antwortet sie und gibt mir gute Energie. Ich bin trotzdem nicht mehr in der Lage zu sprechen denn der innere Druck der letzten Wochen macht sich in diesem Moment durch ein Tränenmeer frei. Tanja übernimmt das Mikrophon. „Wir haben ihm Heu unter und über den Kopf gelegt und mit seiner Decke zugedeckt. Jo, wir haben alles getan was wir tun konnten um ihn durchzubringen aber er wollte nicht mehr.“ „Ich weiß Tanja. Ich hätte für ihn auch nicht mehr tun können.“ Ihr habt jetzt zwei Möglichkeiten. Ihr könnt ihn so der Natur überlassen oder beerdigen.“ „Wir werden ihn begraben.“ „Das ist gut. Das hilft euch über den Schmerz.“ „Jo? Aber wir benötigen jetzt nicht mehr die zwei Afghanpacksättel. Was sollen wir denn jetzt tun? Vielleicht brauchen wir wieder ein Kamel?“ ,fragt Tanja weinend. „Macht euch jetzt keine Gedanken über morgen. Beerdigt Goola und ruht euch heute aus. Wir sprechen über die Sättel und die anderen Dinge morgen oder übermorgen,“ beruhigt sie Tanja und mich. Nachdem Tanja den Funkkontakt beendet hat gehen wir wieder zu Goola. Tanja zieht ihm sein Halfter vom Kopf und ich öffne den Glockengurt um die Glocke zu lösen. Danach begrabe ich ihn unter einen großen Erdhaufen. Die 32 Grad im Schatten, die gnadenlose Sonne und die Windstille machen die Beerdigung zur Schwerstarbeit. „Soll ich dir helfen?“ ,fragt Tanja die im Schatten eines kleinen Busches kauert und mir zusieht. „Nein danke, ich mach das schon.“ Mittags um 12 Uhr bin ich am Ende meiner Kräfte aber Goola liegt unter einem großen Erdhaufen begraben. Uns an den Händen haltend gehen wir geknickt zu unserem Lagerplatz zurück. Wir sitzen in unseren Stühlen und schweigen eine Weile vor uns hin. „Wir müssen jetzt wieder in die Zukunft sehen. Auf jeden Fall ist die Entscheidung getroffen. Wir müssen weiter.“ „Ja, ich denke wir sollten diesen Ort so schnell als möglich verlassen,“ sagt Tanja sich die Tränen aus den Augen reibend.

Die Gedankenübertragung funktioniert

Da heute mein Interviewtag ist habe ich das Satellitentelefon aufgestellt. Es fällt mir äußerst schwer über die Ereignisse hier im Camp zu sprechen. „Wir wünschen euch viel Kraft. Haltet durch ihr werdest die Situation überstehen. Wir und die Hörer sind gedanklich bei euch. Ihr schafft es. Euch fällt bestimmt eine Alternative ein. Wir bewundern euren Durchhaltewillen,“ sagen die Moderatoren und jeder von ihnen wünscht uns Glück. Ich freue mich zumindest eine moralische Unterstützung hinter uns zu wissen und wundere mich warum keiner vorschlägt wir sollen doch endlich aufgeben. Es ist 17 Uhr am Nachmittag als das Satellitentelefon unerwartet klingelt. „Claudia, das freut mich aber das du anrufst,“ sage ich überrascht die Stimme unserer Freundin zu vernehmen. „Ich hatte heute Nacht einen eigenartigen Traum. Tanja hat darin um Hilfe gerufen. Als ich dann heute morgen aufgewacht bin habe ich gleich Jo angerufen. Sie hat mir alles erzählt. Haltet durch. Wir wünschen euch viel, viel Kraft. Und auch wenn wir uns im Augenblick nicht in Australien befinden sind wir gedanklich immer bei euch. Alles gute, ich versuche es am Sonntag noch mal um mit Tanja ein paar Worte zu wechseln,“ sagt sie und legt wieder auf. Wie versteinert sitze ich vor dem Telefon und frage mich wie es möglich sein kann, dass sich Tanjas Gedanken in einer äußerst traurigen und ernsten Situation von Australien nach Deutschland übertragen? Da Deutschland um sechs Stunden hinter Westaustralien liegt könnte Claudias Traum mit der Todesstunde von Goola leicht zusammenhängen. Ich habe Goola um kurz vor 8 Uhr heute morgen erschossen. Zurückgerechnet war das kurz vor 2 Uhr nachts in Deutschland. Das kann doch kein Zufall sein? Es ist nicht das erste Mal das einer unserer Freunde auf die gleiche Weise Tanjas Gefühlsmomente empfangen hat. Bisher habe ich das als Zufall abgetan aber diesmal wäre es absurd diesen Hilferuf oder was es auch immer war einfach unter den Tisch zu fegen. Eine halbe Stunde später kommt Tanja vom Hüten zurück. „Claudia hat angerufen und wünscht dir alles Gute. Sie wird es vielleicht am Sonntag noch mal versuchen um mit dir zu sprechen.“ „Oh das ist schön. Wie geht es ihr und Angelika?“ Ich denke gut. Wir haben nur kurz gesprochen.“ Schade das ich nicht da war.“ „Ja, schade. Sag mal, hast du heute morgen an sie gedacht?“ “Ich denke oft an sie, aber heute morgen? Ich weiß nicht, ich kann mich nicht daran erinnern,“ antwortet sie nachdenklich und möchte wissen warum ich ihr diese Frage gestellt habe. Ich berichte ihr von Claudias Traum, worauf wir uns lange über die Möglichkeit der Gedankenübertragung unterhalten. „Als ich neben Goola gekniet bin habe ich einen inneren Schrei losgelassen. Eigentlich wollte ich laut aufschreien, habe es jedoch unterdrückt. Das ist es woran ich mich erinnern kann,“ sagt Tanja nachdenklich. „Für mich ist es definitiv kein Zufall. Ich bin mir jetzt sicher, dass es eine Gedankenübertragung geben muss, absolut sicher. Wahrscheinlich waren die Völker wie zum Beispiel die Aborigines oder die alten Ägypter in der Lage auf diese Weise miteinander zu kommunizieren. Wahrscheinlich haben wir uns im Laufe der Jahrtausende so weit von Mutter Erde entfernt, dass wir diese in uns schlummernden Fähigkeiten vergessen haben. Fakt ist für mich, dass sie noch vorhanden sein müssen,“ grüble ich laut vor mich hin. Obwohl es ein äußerst trauriger Tag ist und wir nicht wissen ob wir auch mit sechs Kamelen den Kontinent durchqueren können komme ich zu einer weiteren Erkenntnis. Noch lange sitzen wir unter dem Firmament der Sterne und sprechen über Goolas Tod und was er für uns bedeutet hat.

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