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AUFGELADEN zu den Polarlichtern im hohen Norden - 2020

Flug von der Skisprungschanze und Würgeschlange am Hals

N 59°54’54.16.8’’ E 010°41’07.2’’
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    Datum: 15.08.2020

    Tag: 013

    Land:
    Norwegen

    Ort:
    Oslo

    Tageskilometer:
    17 km

    Gesamtkilometer:
    1658 km

    Bodenbeschaffenheit:
    Asphalt

    Sonnenaufgang:
    05:27 Uhr

    Sonnenuntergang:
    21:16

    Temperatur Tag max:
    27°

    Temperatur Tag min:
    16°

    Aufbruch:
    14:00 Uhr

    Ankunftszeit:
    10:00 Uhr

(Fotos zum Tagebucheintrag finden Sie am Ende des Textes.)

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„Auf zum Skimuseum“, sage ich voller Tatendrang, nachdem ich meinen Morgensport vor der Terra absolviert habe. Weil wir direkt neben der Schanze nächtigten, ist der Weg nicht weit. Wegen der Nachsaison und Corona ist das älteste Skimuseum der Welt, in dem 4000 Jahre Skigeschichte fantastisch dargestellt wird, kaum besucht. Wir kommen uns so vor, als hätte die Stadt Oslo extra für uns das sehenswerte Museum geöffnet. Wir wandeln von Raum zu Raum und betrachten Ski und Skibindungen die tausend Jahre alt sind. Im nächsten Raum wird die Ausrüstung von Weltcupgewinnern der Sportarten Skispringen, Skilanglauf, Nordische Kombination und Biathlon ausgestellt. Wir erfahren, dass hier der erste Skisprungwettkampf bereits im Januar 1892 veranstaltet wurde und der Norweger Arne Ustvedt mit 21,5 Meter den Schanzenrekord aufstellte. Wenn man bedenkt, dass der heutige Schanzenrekord des Norwegers Robert Johannson bei 144 Meter liegt, eine gewaltige Steigerung. „Wie weit, die wohl in 100 Jahren springen? Höher, weiter, mehr. Wo liegen die Grenzen des Machbaren? Ob die Menschheit jemals zufrieden sein kann?“, blitz mir ein Gedanke durchs Gehirn.

Einen Stock höher stehen wir vor einem Aufzug, mit dem man zum Schanzentisch hochfahren kann. „Wollen sie mit der Seilrutsche ins Tal springen?“, fragt ein junger Mann, als wir in 60 Meter Höhe dastehen, wo sich normalerweise die Skispringer in die Tiefe stürzen. Der Gedanke daran, mit Skin an den Füßen, ohne Fallschirm da runter zu fliegen, lässt glatt mein Herz höherschlagen. Überrascht, hier ganz unverhofft ein kleines Abenteuer erleben zu dürfen, sehe ich Tanja an. „Wollen wir?“, frage ich. „Auf jeden Fall“, antwortet sie enthusiastisch. „Darf ich während des Sprungs die Kamera in der Hand halten?“, frage ich, während der Verantwortliche mich in das Gurtzeug klickt. „Auf ihre eigene Verantwortung“, antwortet er lächelnd. „Soll ich’s riskieren?“, frage ich mich. „Sie können sich da oben an dem Griff festhalten. Wenn sie unten in die Bremse fahren, lehnen sie sich zurück. Ansonsten müssen sie auf nichts achten“, gibt es noch ein paar Anweisungen. „Eins! Zwei! Drei!“, rufen die zwei jungen Frauen direkt am Schanzentisch im Chor und schieben uns von dem Holzbrett, auf dem wir sitzen. „Juuuhuuuuu! Juuuhuuuuu! Juuuhuuuuu!“, ruft Tanja begeistert, als ich sie filme. Es ist eine wilde Fahrt in die Tiefe, die mich ein klein wenig an meine Falschirmspringerzeit erinnert. Kaum haben wir das kurze Gefühl des Fliegens erlebt, ist die Schussfahrt am Seil schon wieder beendet. „Ha, ha, ha! Das war ein toller Spaß“, freut sich Tanja.

Nach unserem unverhofften Flugerlebnis verlassen wir die Skisprungschanze, um uns in einem Seven Eleven mit einem Telefonchip zu versorgen. „Suchen sie nach einem Platz für die Nacht?“, fragt uns ein Jeepfahrer, als wir im Schritttempo am Hafen entlangfahren, um uns nach einem geeigneten Stellplatz für die Nacht umzusehen. „Ja, hier ist alles voll geparkt. Ist gar nicht so einfach, eine Bucht für unser Expeditionsmobil zu finden.“ „Ich wohne nur ein paar Hundert Meter von hier entfernt. In unserer Straße gibt es immer eine Möglichkeit, ein Auto abzustellen. Wenn sie möchten, fahre ich voraus und zeige ihnen den Platz.“ „Gerne“, antworte ich dem jungen Mann und folge ihm. Nur Minuten später schleichen wir durch eine schmale Wohnstraße, in der die Autos dicht an dicht parkieren. „Sie können sich hinter den Jaguar stellen. Das ist mein Nachbar. Der fährt heute nicht mehr weg“, weist mich der freundliche Mann ein. Obschon die Straße an dieser Stelle ein steiles Gefälle aufweist und sie sich in keiner Weise für eine Übernachtung eignet, stelle ich den Motor ab. „Ich wohne mit meinen zwei Brüdern und einem Freund in dem Haus dort hinten. Wenn sie möchten, können sie bei uns duschen und sich ein wenig ausruhen.“ „Wir haben eine Dusche im Auto“, antworte ich dankend ablehnend. „Sie können bei uns auch schlafen. Wir besitzen genug Platz.“ „Das ist sehr nett, aber wir haben auch unsere Betten im Auto.“ „Kommen sie doch auf einen Sprung mit. Ich finde ihr Fahrzeug supertoll. Würde gerne mit ihnen über ihre Reise sprechen und sie auf ein Glas Wasser oder ein Bier einladen. Was immer sie bevorzugen.“ Tanja und ich blicken uns an und sind uns einig, wenigstens für eine halbe Stunde der Einladung zu folgen. Da ich heute noch die Bilder vom Schanzenfliegen in den Computer speisen muss, meine Kurzaufzeichnungen des Tages zu schreiben habe und für den morgigen Tag heraussuchen möchte, welches der vielen interessanten Museen wir aufsuchen sollen, wäre es mir lieber, mich in die Terra zurückzuziehen und den Tag ruhig ausklingen zu lassen. Jedoch sind wir in Norwegen, um Land und Leute kennenzulernen, und hier bietet sich eine weitere Gelegenheit dazu.

„Ich heiße übrigens Martin, das hier ist mein Bruder Arvis, dort mein Bruder Guido und dieser hübsche Junge ist unser Freund Janis“, stellt er die Bewohner des Männerhaushaltes vor, die alle um die 30 Jahre alt sind. „Magst du ein Bier?“, fragt Martin. „Danke nein. Ich kann unser Mobil nicht dort draußen stehen lassen. Da würden wir aus den Betten rollen. Das heißt, ich muss heute noch mal fahren“, antworte ich auch wissend, dass in Norwegen die Strafen schon bei 02 Promille ab 520,- € sind und ich nie Alkohol trinke, wenn ich hinterm Streuer sitze. „Dann ein Glas Wasser?“, fragt Martin. „Gerne“, antworte ich, um nicht alles abzulehnen. „Hast du Angst vor Schlangen?“, fragt Martin unvermittelt. „Angst vor Schlangen? Nein, wieso?“, frage ich etwas verwirrt. „Wir haben noch eine weitere Mitbewohnerin. Sie heißt Channel, ist 1,30 Meter lang und drei Jahre jung. Möchtest du sie sehen?“ „Gerne“, antworte ich darauf wartend, was nun zum Vorschein kommt. „Das ist mein Liebling. Sie lebt seit zwei Jahren bei uns“, stellt Martin die junge Python vor und legt sie mir um den Hals. „Ist eine echte Schönheit. Sehr selten, weil ein Albino.“ „Ah, deswegen ist sie so weiß?“ „Ja, absolut richtig.“ „Darf man in Norwegen Pythons im Haus halten?“, wundere ich mich. „Jetzt nicht mehr, aber ich habe sie gekauft, bevor das Gesetz in Kraft getreten ist.“ „Wie lang wird sie denn?“ „Oh, gut drei Meter. Channel ist noch ein Teenager, aber sie wächst ständig“, erklärt er, während ich mir das Würgetier vom Hals genommen habe und sie sich nun um meinen linken Arm schlängelt. „Gut, dass sie mich nicht gewürgt hat“, sage ich lächelnd. „Gut, dass sie dich nicht gebissen hat“, meint Martin ernst. „Wie, beißen Pythons? Die ist doch zahm oder?“ „Oh Channel würde dich niemals beißen. Sie besitzt einen wunderbaren ausgeglichenen Charakter. Es gibt hingegen schon viele aggressive Pythons, auch in der Gefangenschaft. Du musst wissen, diese Tiere sind nicht die hellsten.“ „Wie?“ „Na, sie sind nicht sehr intelligent. Wenn sie schlecht gelaunt sind, beißen sie auch mal die Hand, die sie füttert. Aber nicht meine Channel“, sagt er, worauf Arvis, Guido und Janis herzhaft lachen. Nachdem ich Channel auf dem Wohnzimmertisch vor mir entlassen habe, kriecht sie in Zeitlupengeschwindigkeit dahin, wickelt sich um mein Wasserglas und dann um Martins Bierdose. Er nimmt sie liebevoll auf und legt sie sich um den Hals. Im Laufe des Gespräches hat Channel seinen Hals wieder verlassen und die Türschwelle zum Garten über krochen. „Ist so eine Python auch schnell?“, möchte ich wissen. „Oh ja. Sie kann extrem schnell sein.“ „Und, du hast keine Angst, dass sie in eurem Garten verschwindet und die Nachbarn erschreckt?“, meine ich, als ich im Augenwinkel bemerke, wie Channel ihre 1,30 einen an der Terrassentür stehenden Busch hochwindet. Martin folgt meinem Blick, schießt erschrocken in die Höhe und packt seine Schlange am Schwanz. „Du bist eine Schlimme, wolltest doch glatt wieder abhauen“, sagt er dem Kriechtier Vorwürfe machend. „Ist sie schon mal ausgebüxt?“, interessiert es mich. „Ja letztes Jahr im Sommer. Wir waren mit dem Auto unterwegs und mussten an einer roten Ampel stoppen. Mein Schätzchen hatte es sich an ihrem Lieblingsplatz, meinem Hals, bequem gemacht, als ich auf der anderen Straßenseite einen Polizisten erblickte. Ich lehnte mich sofort zurück, um außerhalb seines Sichtfeldes zu gelangen. Channel ist dabei anscheinend erschrocken und in Bruchteilen einer Sekunde in dem schmalen Schlitz zwischen Karosserieverkleidung und Sicherheitsgurt verschwunden.“ „Habt ihr sie da wieder rausgebracht?“ „Ach was. Sechs Wochen lebte sie im Auto. Wir hatten alles versucht. Ich kaufte sogar eine Spionagekamera, um mit ihr in allen Schlitzen des Autos nach Channel zu suchen. Keine Chance. Ich besorgte mir die Konstruktionspläne meines Jeeps, um herauszufinden, wo sie wohnen könnte. Meine Brüder und ich hatten versucht, sie mit einer toten Maus, die sie sehr gerne frisst, herauszulocken. Einmal hatte es fast geklappt, aber nachdem sie mich hinter der Maus entdeckte, verschwand sie wieder in ihrem Schlitz. Keine Ahnung, von was sie in der ganzen Zeit lebte. In meiner Verzweiflung bin ich zum Zoll gegangen und fragte die Beamten, wie man ein Fahrzeug röntgt. Ich hatte ihnen natürlich nicht erzählt, warum ich mein Auto durchleuchten wollte. Eines Tages, nach 1 ½ Monaten, lag sie auf dem Fußabstreifer und hat sich in einem Sonnenstrahl gewärmt. Seither passe ich besonders gut auf sie auf“, erzählt er, als Channel schon wieder fast den Garten erreicht hat.

„Was macht ihr eigentlich beruflich?“, frage ich. „Wir sind im Import und Exportgeschäft. Geboren sind wir in Litauen und jetzt seit neun Jahren in Norwegen. Ich fühle mich mittlerweile mehr wie ein Norweger als ein Litauer. Ist ein sehr schönes Land hier. Meine Eltern sind schon vor 15 Jahren ausgewandert. Deswegen war es für uns leichter, hier Fuß zu fassen. In den nächsten Wochen werden wir ein neues Geschäft eröffnen. Das wird bestimmt sehr erfolgreich.“ „Was wollt ihr machen?“ „Wir werden ein Smash-Haus aufbauen.“ „Smash-Haus?“, frage ich, weil ich damit nichts anfangen kann. „Na ein Haus, in dem man seiner Wut freien Raum lassen kann und alles, was sich darin befindet, mit einem großen Hammer zerstören darf. Es wird ein Haus mit nachgestellten Wohnzimmern, Schlafzimmern oder Büros. Du kannst darin alle Möbel, Laptops, Schreibtische und Schränke usw. zerschlagen. Das wird bestimmt ein voller Erfolg. Keiner hat in Norwegen bisher darüber nachgedacht. Wegen den langen, dunklen Winternächten sind viele Norweger depressiv. Viele haben Geld und können somit ihre Wut loswerden. In der Psychologie heißt es, dass so ein Smashhaus gut ist, um seine Aggressionen loszuwerden“, erklärt Martin. „Bist du dir da sicher?“, frage ich zweifelnd nach. „Absolut. Auch meine Brüder sind überzeugt davon, dass es funktionieren wird. Das Beste ist es, dass wir für die gesamte Einrichtung nichts bezahlen müssen. Die Norweger schmeißen alles weg. Hinter dem Haus, was wir dafür gemietet haben, gibt es eine Deponie. Dort bekommen wir die gesamte Einrichtung und funktionsfähigen Elektronikgeräte kostenfrei. Die freuen sich sogar, wenn wir die Sachen dort abholen.“ „Hm, und was macht ihr, wenn die Sachen zerschlagen sind? Wo bringt ihr die dann hin?“ „Na daher, wo wir sie geholt haben“, antwortet er herzhaft lachend.

Martin erzählt von seiner zweiwöchigen Gefängnisstrafe wegen Trunkenheit am Steuer. Er berichtet, dass es eine gerechte Strafe war. Nicht wegen den paar Bier und der Fahrt auf einem Parkplatz, sondern weil er früher nicht immer ehrlich war und Dinge getan hat, die er hätte nicht tun sollen.

Nachdem Martin sein drittes Bier gezischt hat, gibt mir Tanja ein Zeichen des Aufbruchs. Wir bedanken uns bei den Jungs für ihre Gastfreundschaft und verabschieden uns von ihnen. „Wenn ihr einen besseren Parkplatz gefunden habt, könnt ihr ja noch mal kommen. Ich hoffe nicht, dass dieser Abend schon zu Ende ist“, meint Martin. „Mal sehen. Vielleicht kommen wir morgen nach unseren Museumsbesuchen noch mal vorbei“, antworte ich mich verabschiedend…

 

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