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AUFGELADEN zu den Polarlichtern im hohen Norden - 2020

Gastfreundschaft und die älteste Skisprungschanze der Welt

N 59°57’54.0’’ E 010°40’21.5’’
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    Datum: 14.08.2020

    Tag: 012

    Land:
    Norwegen

    Ort:
    Oslo

    Tageskilometer:
    112 km

    Gesamtkilometer:
    1641 km

    Bodenbeschaffenheit:
    Asphalt / unbefestigter Weg

    Sonnenaufgang:
    05:25 Uhr

    Sonnenuntergang:
    21:19

    Temperatur Tag max:
    25°

    Temperatur Tag min:
    15°

    Aufbruch:
    12:00 Uhr

    Ankunftszeit:
    19:30 Uhr

(Fotos zum Tagebucheintrag finden Sie am Ende des Textes.)

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Nach einer wunderbar angenehmen Nacht im norwegischen Wald genießen wie bald jeden Morgen frisches Obst, verschieden leckere Nüsse, Flohsamen und ein paar Löffel Müsli mit Hüttenkäse und Sojamilch. „Fantastisch“, sage ich im vollen Bewusstsein welch ein Geschenk es ist so speisen zu dürfen. Während der letzten 30 Jahre unserer Reisen haben wir viel Elend gesehen. Viele Menschen in den Slums Indiens, die von der Hand in den Mund leben, oftmals nicht mehr als einen Dollar pro Monat verdienen und immer kurz vor dem Verhungern sind. Ich sehe aus dem Fenster auf den idyllisch wirkenden See Vansjø, auf die kleinen Kunstoffboote mit Außenbordmotor, indem die privilegierten Norweger zum Angeln rausfahren und denke an meine ersten Expeditionen zu den Urvölkern dieser Erde und daran, wie ich selbst unter Hunger litt, da wir aus Unerfahrenheit zu wenig und die falsche Nahrung gepackt hatten. Einen Schluck heißen, gesüßten Milchtee trinkend, denke ich an die vielen Wüsten, die wir mit unseren Kamelen durchquerten. Wie Tanja und ich unter ständigen Durst litten und das eine oder andere Mal kurz vor dem Verdursten waren. Und jetzt sitzen wir in so einem unglaublich luxuriösen Fahrzeug, dass uns vor jedem Wetter schützt. In dem wir 200 Liter Trinkwasser bunkern, wodurch wir für lange Zeit unabhängig von jedem Wasserhahn sind. Und falls uns wiedererwartend das Wasser ausgehen sollte, haben wir eine Filteranlage mit Pumpe dabei, mit der wir aus jedem See, jeder Pfütze das flüssige Lebenselixier ziehen können. „Ist einfach klasse hier“, sage ich von meinen Gedanken motiviert. „Was ist klasse?“, möchte Tanja wissen. „Na hier in unserer Terra.“ „Ja, ich bin auch jeden Tag dankbar. Ich glaube, ich werde mich nie aufhören, darüber zu freuen“, sagt sie. „Was hältst du davon vor Oslo den Bärenjäger Per Jørgen in seinem Bauernhaus zu besuchen?“, wechsle ich das Thema. „Wenn du möchtest, können wir gerne hinfahren. Wir haben ja Zeit.“

Als ich vor dem Aufbruch noch mal um die Terra Love herumlaufe, um zu checken, ob jedes Fenster und jede Stauklappe geschlossen ist, hält wieder ein Fahrzeug neben uns. „Ich habe am Ende des Weges ein Wochenendhäuschen“, erzählt der Fahrer und bestaunt das Expeditionsmobil. Wir sind gerade im Gespräch über den See, den leckeren Waldbeeren und Pilzen, die man hier findet, als Per Jørgen erneut an uns vorbeifährt. „Kommt ihr vor Eurer Abreise nach Oslo noch bei mir vorbei?“, fragt er freundlich. „Auf jeden Fall“, antworte ich. „Also bis dann!“, ruft er aus dem offenen Fenster seines Autos und fährt davon.

Nur ein paar Kilometer weiter erreichen wir am Ende des Weges eine mit frischem, saftigem, grünem Gras bewachsene Lichtung. Sie wölbt sich über einen leichten Hügel, auf dem ein paar wunderschöne, aus Holz errichtete Häuser stehen. Auf der Rückseite des Hauptgebäudes fällt der Hang leicht ab und endet an einem Fjord. Die gesamte riesige Rasenfläche ist frisch gemäht. In der Mitte der Grünfläche erhebt sich ein mit kugelrunden Felsen begrenztes Blumenbeet. Daneben steht auf einer natürlichen Felsplatte ein Dreibein. Darunter hängt eine Feuerschale, in der Holzscheite darauf warten, entzündet zu werden.

Wir steigen aus der Terra, als uns Per schon entgegenkommt und freundlich lachend begrüßt. „Willkommen auf meinem Hof“, sagt er. Während wir uns unterhalten, gesellt sich ein weiterer Mann zu uns. „Das ist Rolf. Er hat gleich dort drüben ein Wochenendhaus und ist hier auf der Farm geboren und aufgewachsen“, stellt Per den etwa 70-jährigen ehemaligen Deutschlehrer vor. Weil Rolf gerne Deutsch spricht, unterhalten wir uns nun aus einem Gemisch aus Deutsch und Englisch. Rolf erklärt uns, dass Norwegen vom 1300 bis 1814 von den Dänen, bis 1905 von den Schweden und von 1940 bis 1945 von den Deutschen besetzt war. Wir sprechen über die Jagd und dass es dieses Jahr enorm viele Pilze im Wald gibt. „Ich komme gleich wieder“, unterbricht Per das Gespräch nur um kurze Zeit später mit einer eingefrorenen Elchlende wieder zu erscheinen, die er Tanja überreicht. „Habe ich selbst gejagt. Lasst es euch schmecken.“ „Vielen Dank. Elchfleisch haben wir noch nie gegessen“, sagen wir. „Bevor ihr geht, müsst ihr unbedingt bei mir vorbeikommen“, meint Rolf. „Ihr könnt aber auch gerne ein paar Tage hierbleiben“, sagt Per. Weil wir nicht gleich zu Beginn unserer Reise hängen bleiben wollen, lehnen wir dankend ab und verabschieden uns von dem gastfreundlichen Jäger und halten auf dem Rückweg bei Rolf an. Seine Frau Sigrid steht gerade in der Küche und brät einen großen Topf selbst gesammelte Pfifferlinge. „Die schmecken lecker zu Elchlende“, sagt sie mit freundlichem Gesichtsausdruck. „Habt ihr einen Behälter zum Aufbewahren?“ „Die sind für uns?“, fragt Tanja. „Ja, wir haben so viele, die können wir kaum selber essen.“ Wir sind verblüfft von Menschen, die wir gerade erst kennengelernt haben, so außergewöhnlich gastfreundlich behandelt zu werden. Wir packen die Pilze zur Elchlende in unser kleines Tiefkühlfach der Terra und verabschieden uns von Sigrid und Rolf wegen Corona ohne Umarmung. Als wir losfahren, winken uns beide so lange hinterher, bis uns der Wald verschluckt hat.

Kurz bevor wir den Waldweg verlassen gebe ich die Koordinaten von der ca. 100 Kilometer von hier entfernten Hauptstadt Oslo ein. „Auf zum nächsten Abenteuer“, sage ich in voller Vorfreude, obwohl mir bewusst ist, dass man in einer norwegischen Hauptstadt kaum ein Abenteuer erleben kann. Auf Empfehlung von Per nehmen wir die Landstraße. „Da seht ihr viel mehr von der schönen Landschaft“, sagte er.

Am späten Nachmittag fahren wir in die sommerliche Hauptstadt Norwegens ein. Trotz Corona sind am heutigen Freitag alle Kneipen, Straßenrestaurants und Gartenanlagen voll besetzt. Die Menschen genießen alles, was man genießen kann, und leben das Leben in vollen Zügen. Da es in Deutschland wegen den massiven Corona-Auflagen eher ruhig zugeht, sind wir über das massive, lebensfrohe Treiben überrascht. Kaum jemand trägt hier eine Maske. Alles scheint so zu laufen, als gäbe es keine Pandemie. Die Stadt macht einen lockeren, großzügigen Eindruck auf uns und der Verkehr ist in der knapp 700.000 Einwohnermetropole trotz des Berufsverkehrs recht relaxt.

„Dort siehst du sie. Das ist die berühmteste und älteste Skisprungschanze der Welt, deren kleineren Vorgänger bereits Ende des 1900 Jahrhunderts errichtet wurden“, sage ich. „Wo?“, fragt Tanja, als wir gerade über eine Brücke mitten in Olso crusen. „Dort oben zwischen den Häusern ragt so ein fingerähnlicher riesiger Haken in den Himmel. Siehst du ihn? Das muss sie sein“, sage ich.

Das Navi dirigiert uns um die Baustellen in der Stadt in Richtung Holmenkollen, eine Region, nach der die Schanze benannt ist. „Holmenkollen, ein seltsamer Name“, meint Tanja. „Nachdem, was ich gelesen habe, hat dort oben ein Arzt namens Ingebrigt Holm seit 1889 ein Hotel und später ein Sanatorium betrieben. Nach ihm wurde angeblich der Berg benannt.

In engen Serpentinen kurven wir den Berg in die Höhe, bis wir urplötzlich vor der spektakulären stählernen Skisprungschanze, deren Neukonstruktion im Jahre 2009 begonnen wurde, stehen. Da deng! Da deng! Da deng! Direkt unter uns trainieren Biathleten. Sie rasen mit ihren Langlaufskin auf Rollen heran, holen ihr Gewehr von der Schulter, zielen, ballern auf die weit entfernten Scheiben, schultern ihr Gewehr und jagen weiter. Fasziniert, die Biathleten beim Training live zu erleben, schauen wir von unserer Position nach unten auf die Sport- und Trainingsanlage. Dann suchen wir uns direkt neben der Anlage mit Blick auf die Weltstadt Oslo einen Platz für die Nacht. Wir blicken aus dem Fenster der Terra Love auf die mehr und mehr aufblitzenden Lichter der unzähligen Häuser weit unter uns und beobachten, wie sie gegen das sterbende Tageslicht ankämpfen, um die unweigerlich aufkommende finstere Nacht zu erhellen…

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