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Mongolei/Ein Jahr und einen Tag-Camp MONGOLEI EXPEDITION - Die Online-Tagebücher Jahr 2011

Es muss ein Wunder geschehen

N 48°55'433'' E 103°39'440''
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    Tag: 406

    Sonnenaufgang:
    06:23

    Sonnenuntergang:
    19:46

    Luftlinie:
    14,63

    Tageskilometer:
    21

    Gesamtkilometer:
    2468

    Bodenbeschaffenheit:
    Gras

    Temperatur – Tag (Maximum):
    23 °C

    Temperatur – Tag (Minimum):
    18 °C

    Temperatur – Nacht:
    minus 5 °C

    Breitengrad:
    48°55’433“

    Längengrad:
    103°39’440“

    Maximale Höhe:
    1600 m über dem Meer

    Aufbruchzeit:
    13:00

    Ankunftszeit:
    16:20

Auch an diesem Morgen tropft das tauende Kondenswasser vom Zelthimmel und weckt uns unangenehm. Sofort schlüpfe ich aus meinen Schlafsack und trockne die Zeltbahn mit einem Tuch. Kaum haben wir uns einige der Kekse einverleibt kommt ein Erntearbeiter mit seinem Moped zu uns auf den Pass gefahren. Wie es in diesem Land üblich ist grüßt er nicht, setzt sich vor unser Zelt und begafft uns unaufhörlich. Seine Kollegen von gestern Abend berichteten ihm anscheinend von unserer Anwesenheit. Da Ausländer in der mongolischen Wildnis äußerst selten sind sicherlich ein Grund, um sich die Mühe zu machen auf den Berg zu fahren. „So müssen sich Tiere im Zoo fühlen“, stelle ich fest. Als wir fertig sind, um das Gepäck zu verladen, schwingt der Mann sich auf seinen Bock und knattert ohne sich zu verabschieden wieder ins Tal. Nur wenige Minuten danach erreichen uns die Männer vom Abend. Sie hingegen helfen uns ohne Umschweife beim Laden. Da Tanja und ich seit wir alleine sind meist selbst die Ausrüstung auf die Pferde hieven schmerzen uns mittlerweile Rücken und Ellbogen. Ich hoffe mein Rücken hält die restlichen Tage durch ohne mich für das unaufhörliche Überstrapazieren abzustrafen.

Wir verabschieden uns von den Helfern und folgen einem traumhaft schönen Weg ins Tal. Mit dem GPS peile ich das Bilgee-Camp an. „Wenn wir in Luftlinie über den Bergkamm vor uns reiten sparen wir mindestens 15 Kilometer“, überlege ich laut. „Sieht steil aus. Meinst du wir kommen da drüber?“, ist sich Tanja unsicher. „Bestimmt. Vielleicht entdecken wir sogar ein Weg. Kann mir schon vorstellen, dass die Einheimischen Abkürzungen über die Berge nehmen, um nicht große Umwege durch die Täler und um die Bergketten reiten zu müssen.“

„Siehst du das hellgrüne Band dort zwischen den Bäumen?“, frage ich Tanja eine halbe Stunde später. „Ja.“ „Das ist sicherlich ein Weg. Lass uns darauf zuhalten“, meine ich worauf wir weiter traben. Wir sind erfreut als sich die unterschiedliche Grünfärbung tatsächlich als Pfad herausstellt. Langsam folgen wir der sich steil zum Gipfel ziehenden Spur. Die bunte Blumenwiese um uns herum ist bis zu einem Meter hochgewachsen und äußerst saftig. Unsere Pferde können nicht davon lassen und genießen unaufhörlich die First-Class-Küche der Natur. „Dieser wunderschöne Bergpfad und der blaue Himmel ist ein Abschiedsgeschenk an uns!“, rufe ich bestens gelaunt. „Ja, Mutter Erde weiß was uns gefällt!“, antwortet Tanja lachend. Die leicht gelblich werdenden Nadeln der Lärchen kündigen eine prächtige Herbstfärbung an. Oben auf dem Gipfel ist der Blick in die Täler atemberaubend. Wir halten einige Minuten inne und genießen die Fernsicht über die Gebirgslandschaft. Nachdem wir uns sattgesehen haben lenken wir unsere Rösser auf der anderen Seite des Kammes wieder ins Tal. „Nur noch fünf Kilometer Luftlinie und wir haben das Bilgee-Camp erreicht“, sage ich. „Geht schneller als ich dachte.“ „Ja, die Abkürzung über den Bergzug ist perfekt. Wir hatten Glück diesen Weg gefunden zu haben. Hätte nicht gedacht auf dieser Seite solch einen dichten Gebirgswald anzutreffen. Der Pfad führt uns genau hindurch.“

Um 16:20 Uhr zügeln wir unsere Pferde genau an dem Ort an dem wir vor einem Jahr und einem Tag aufgebrochen sind. „Genau so sollten wir das Camp jetzt nennen“, sagt Tanja. „Ein Jahr und einen Tag Camp?“ „Ja.“ „Stimmt, klingt wie ein Buchtitel“, antworte ich aus dem Sattel steigend.

Als unser Zelt aufgebaut und eingeräumt ist humpelt Tanja auf einen nahen Berg. Dort oben, so wissen wir noch vom letzten Jahr, kann man sich ins Handynetz einloggen. „Ich werde Bilgee von unserer Ankunft an seinem ehemaligen Jurtenplatz informieren!“, ruft sie mir zu. Eine Stunde später ist Tanja freudestrahlend wieder im Lager. „Und? Was hat er gesagt?“ „Er hat uns zur glücklichen Ankunft gratuliert und sich sehr gefreut, dass wir es auch ohne mongolische Begleitung geschafft haben. Wir sollen morgen nicht weiterreiten sondern hier auf ihn warten. Er wird noch heute Abend da sein.“ „Warum sollen wir nicht weiterziehen? Von hier bis Erdenet sind es doch noch ca. 40 Kilometer?“ „Es ist ein genialer Ort um die Pferde zu verkaufen. Er wird uns dabei helfen gute Besitzer zu finden, versprach er.“ „Klingt wieder fast zu schön um wahr zu sein“, antworte ich und glaube Bilgees Worten erst wenn er wirklich da ist und wir wirklich unsere Pferde an neue Besitzer gebracht haben. Vorher ist für mich erst Mal alles nur Gerede. Wir haben zwar ein fantastische Zeit mit Bilgee verbracht und er war der einzige wirkliche fähige Begleiter von allen die wir hatten aber ich kann nicht vergessen wie er uns frühzeitig verließ und damit in Schwierigkeiten brachte. Diese und einige andere Geschehnisse rüttelten am Fundament seiner Glaubwürdigkeit.

Ich sitze wieder auf meinem betagten und weitgereisten Campstuhl und tippe selbige Zeilen. Draußen ist es stockdunkel und bitterkalt. Auch im Zelt frieren mir bei minus 5 °C schon wieder fast die Finger ab. „Man, wie ich diese Minustemperaturen satt habe. Jetzt war es gerade Mal ein paar Wochen heiß und nun kriecht uns diese Scheißkälte schon wieder in die Glieder“, fluche ich leise vor mich hin. Tanja liegt in ihren Schlafsack. Ihr Atem kondensiert in weißen Wolken und schwebt zur Zeltdecke. „Er ist nicht gekommen“, sagt sie traurig. „Nein, er hat sein Wort wieder gebrochen“, antworte ich. „Schade.“ „Kein Problem, wir schaffen den Pferdeverkauf auch ohne Bilgee. Morgen reiten wir 20 oder 30 Kilometer weiter, suchen uns vielleicht 10 Kilometer vor Erdenet eine nette Jurtenfamilie und bieten allen dort Ansässigen unsere Pferde an. Wir werden schon einen Käufer finden“, versuche ich zuversichtlich zu klingen. „Ich will nicht das unsere Jungs zum Schlachter kommen.“ „Werden sie auch nicht. Gerade in diesem Land ist man auf gute Reitpferde angewiesen. Und unsere Pferde haben sich zu Spitzenreitpferden entwickelt. Das sieht jeder Pferdekenner sofort. Solche Tiere bringt keiner zum Schlachthof. Die Mongolen sind doch nicht verrückt“, sage ich. „Wahrscheinlich hast du Recht.“ „Nicht wahrscheinlich. Zweifelsohne habe ich Recht“, sage ich, bin mir im Innersten aber nicht sicher unsere treuen Kameraden wirklich gut unterzubringen. „Ich bin froh wenn wir unser Ziel erreicht haben. Obwohl, könnte mir auch vorstellen, dass dieser Ort das Ende der Pferdereise bedeutet“, überlegt Tanja leise. „Vielleicht war Bilgee nur verhindert? Vielleicht hast du ihn falsch verstanden und er wollte erst morgen kommen? Könnte doch sein oder?“, frage ich. „Könnte sein.“ „In diesem Fall solltest du morgen nochmal auf den Berg gehen und versuchen ihn zu erreichen.“ „Werde ich tun“, antwortet sie gähnend.

Erst um 23:00 Uhr schlüpfe ich völlig ausgefroren in meinen Schlafsack. Es dauert lange bis meine Füße und Hände warm werden. Ich denke darüber nach welch gigantisches Glück im Unglück Tanja mit ihrem Knöchel hatte. Es ist zwar nicht klar ob die Bänder ab sind aber gesplittert oder gebrochen ist der Fuß nicht. Sie hat es schließlich bis hierher geschafft. „Sehr gut“, sage ich leise mit mir selbst sprechend. Dann falle ich in einen erneut unruhigen Schlaf. Wenn wir wirklich unserer Pferde hier in diesem Tal an Hirten verkaufen können muss ein Wunder geschehen. „Lieber Gott, bitte lass dieses Wunder geschehen, bitte, bitte.“

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