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Mongolei/Pferdediebe Camp MONGOLEI EXPEDITION - Die Online-Tagebücher Jahr 2011

Dreiste Diebe

N 50°20'883'' E 100°06'991''
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    Tag: 343

    Sonnenaufgang:
    05:12

    Sonnenuntergang:
    21:33

    Luftlinie:
    18,00

    Tageskilometer:
    23

    Gesamtkilometer:
    1626

    Bodenbeschaffenheit:
    Gras

    Temperatur – Tag (Maximum):
    20°C

    Temperatur – Tag (Minimum):
    12 °C

    Temperatur – Nacht:
    8 °C

    Breitengrad:
    50°20’883“

    Längengrad:
    100°06’991“

    Maximale Höhe:
    1700 m über dem Meer

    Aufbruchzeit:
    13:30

    Ankunftszeit:
    19:30

Am Morgen werden wir vom gleichen Dauerregen geweckt der schon gestern Abend begonnen hat. Wegen Mogis ständigem Bellen sind wir hundemüde. Das jetzige Wachschichtsystem ergibt nur einen Sinn wenn wir auf jede Regung unseres Hundes reagieren denn einer von hundert Bellern könnte die Diebe ankündigen. „Oh man, es wird nicht leicht das durchzuhalten“, sage ich gähnend. „Was meinst du? Sollen wir aufbrechen oder noch eine Nacht hierbleiben?“, fragt Tanja wegen dem Regen. „Hm, ich weiß nicht. Im Augenblick ergibt es tatsächlich keinen Sinn alles zusammenzupacken. Das Zelt ist viel zu nass und damit zu schwer. Wir sollten noch warten und später entscheiden“, schlage ich vor, weswegen wir uns nochmal hinlegen.

„Wau! Wau! Wau!“, bellt Mogi aggressiv kaum das wir unsere Glieder ausgestreckt haben. „Schau du. Ich habe fast die gesamte Nacht geguckt“, fordert mich Tanja auf meinen Körper zu erheben, um zu sehen was vor dem Zelt wieder los ist. „Ich bin auch jedes Mal hochgefahren“, erwidere ich nicht die geringste Lust zu verspüren meinen Kopf aus der Schlafkabine zu strecken. Da Tanja aber die Nacht im Vorzelt lag und deswegen sicherlich noch weniger Schlaf bekommen hat als ich, quäle ich mich hoch und entdecke zwei Touristen die an unserem Zelt vorbeiwandern.

„Wo kommen sie denn her?“, fragen sie. „Aus der Taiga“, antworte ich freundlich worauf sich ein Gespräch entwickelt. Da der Regen kurz nachlässt erscheint auch Tanja. Sie nutzt die günstige Gelegenheit, um das Campfeuer zu entfachen, während ich dem älteren, aus Österreich stammenden Pärchen, Rede und Antwort stehe. „Ist ja wirklich schlimm in diesem Land. Soweit wir mitbekommen arbeiten hier nur die Frauen. Die Männer sind ja unendlich faul“, meint der Mann, der laut seiner Erzählung mit seiner Frau und einer Gruppe von Freunden seit 40 Jahren jedes Jahr eine Fernreise unternimmt. „Hm, in manchen Fällen haben sie sicherlich Recht“, antworte ich. „Und wie steht es mit ihnen? Lassen sie ihre Frau auch ständig arbeiten?“, fragt er unvermittelt auf Tanja deutend die mit dem nassen Holz beschäftigt ist während ich hier stehe und spreche. „Nun, ich bin so höflich um mich mit ihnen zu unterhalten“, erwidere ich und weiß nicht ob der Herr diese Anspielung als Scherz oder wirklich ernst gemeint hat.

Um 11:00 Uhr klart es plötzlich auf. „Ob wir aufbrechen sollen?“, frage ich. Tanja zögert. Aus irgendeinem Grund würde sie diesen Tag noch hier bleiben. Da wir aber das Naadam in Mörön nicht verpassen möchten schlage ich nach einigen Denkminuten vor unser Lager abzubrechen.

Um 13:30 Uhr sind die Pferde beladen. Wir sitzen gerade im Sattel als eine weitere, beängstigend aussehende Wolkenfront über den See auf uns zu walzt. Um nicht vom sintflutartigen Regen durchnässt zu werden ziehen wir unsere Schutzkleidung über. Dann verlassen wir das Camp. Bereits hinter der ersten Bucht reihen sich wieder ein Jurtencamp an das andere. Im Winter waren sie alle leer aber jetzt herrscht hier reges Treiben.

Nach 10 Kilometer passieren wir das Ortsschild von Khatgal. Bisher sind, zu unserer Erleichterung, die Gewitterfronten links und rechts vorbeigestürmt aber als wir die Hauptstraße der Ortschaft erreichen tobt über uns das reinste Inferno. In nur wenigen Minuten öffnen sich die Himmelsschleußen und überschwemmen das Land, den Ort und uns. Das Nass peitscht uns ins Gesicht und nimmt nahezu jegliche Sicht. Innerhalb von Minuten ist alles mindestens 10 bis 20 Zentimeter unter Wasser. „Absteigen!“, brüllt Tanja. Der Sturm verschluckt bald vollständig ihre Stimme. Ich folge ihrem Rat. Die Scheinwerfer eines Autos fressen sich an uns vorbei. Wahrscheinlich war es gut rechtzeitig aus den Sattel gesprungen zu sein. Wir nehmen die Packpferde an den Führungsseilen und laufen durch einen endlos erscheinenden See der mit jeder Sekunde tiefer wird. Im Augenwinkel sehen wir Menschen die in ihren Verkaufsläden sitzen und uns aus ihren sicheren Holzhütten durch die Fenster beobachten. Tuya und Mogi sehen aus wie begossene Pudel. Ihr nasses Fell trieft und der Matsch des Weges hat sie besudelt. Wie ein Trauerzug schreiten wir durch das Unwetter, keine Möglichkeit uns irgendwo unterzustellen. „Ich kann nur auf die Dichtigkeit der Kamerataschen hoffen!“, brülle ich. „Was?“, fragt Tanja. „Ich hoffe die Kamerataschen halten dicht!“, wiederhole ich mich. „Da vorne ist der Laden!“, höre ich Tanja gegen den tosenden Wind rufen. Weil unsere Nahrungsmittelvorräte zu neigen gehen sind wir gezwungen einen der Läden aufzusuchen. Neben dem kleinen Geschäft, auf dessen Schild Minimarkt steht, binden wir unsere Tiere an den Holzzaun. Um sie zu entlasten entladen wir sie. Während ich auf die Pferde und Ausrüstung achte macht sich Tanja auf um für uns Nachschub zu kaufen. Da der kleine Laden geschlossen ist marschiert sie weiter durch das Armageddon des Sturzregens. Urplötzlich, als hätte die Hand des Wettergottes das Schleusentor der Wolken geschlossen, stoppt die Sturzflut. Verwundert blicke ich zum Himmel. Nur Minuten vergehen als sich die ersten Sonnenstrahlen durch die Wolkenschluchten arbeiten und meine Umgebung zum dampfen bringen. Weitere fünf Minuten später sind die Straßen zwar noch nass aber von der Flut und der Überschwemmung ist nichts mehr zu sehen. Das viele Wasser ist im hungrigen Boden versickert.

20 Minuten dauert es nur bis Tanja wieder mit einem gefüllten Rucksack erscheint. „Ich habe alles bekommen was wir benötigen. Vor allem ein Haufen Kekse und Schoklade für dich“, sagt sie lachend. „Super, endlich mal etwas Vernünftiges zu essen“, antwortet ich scherzhaft. „Hast du auch die Passkopien abgeholt die uns Saraa in das Guesthouse geschickt hat?“, möchte ich wissen. „Habe ich.“ Weil wir noch in der Taiga unsere Pässe und Arbeitsgenehmigungen Saraa für die Visaverlängerung mitgegeben hatten besitzen wir seither keine Ausweispapiere. In der Taiga kein Problem aber in einer Region wie dieser könnte es unter unglücklichen Umständen geschehen von einem Polizisten angehalten zu werden. Dann keine Papiere zu besitzen wäre eventuell ungünstig. Saraa hat uns deshalb Kopien unserer Papiere nach Khatgal in das Guesthouse geschickt von dem wir auch letztes Jahr schon den Deel für Bilgee abgeholt hatten.

Schnell sind die Seesäcke und Kuriertaschen wieder auf den Pferderücken geladen und der Ort hinter uns gelassen. Wir traben durch das weite Tal in dem wir letztes Jahr so schrecklich gefroren hatten. Weil Khatgal die Hochburg der Pferdediebe sein soll versuchen wir soviel Kilometer wie geht zwischen uns und dem Ort zu bringen. „Naraa ist müde. Sie kann nicht mehr“, sagt Tanja. „Wir müssen trotzdem weiter“, antworte ich die Pferde unaufhörlich antreibend. „Dort vorne an der Felskante finden wir vielleicht einen Lagerplatz. Bis dahin müssen wir es schaffen“, meine ich auf die etwa fünf Kilometer von hier entfernte helle Gesteinsformation deutend. Um 19:30 Uhr führen wir unsere Tiere durch ein ausladendes, mit saftigem Gras bewachsenes Feuchttal. Zu unserer Linken windet sich ein Flüsschen durch das sumpfige Land. Nur wenige Meter rechts neben uns erhebt sich die felsige, steile Wand etwa 50 Meter in die Höhe. Die Hufe der Pferde schmatzen über den nassen Untergrund. Obwohl wir hier ein strategisch gutes Lager hätten können wir nicht bleiben. Unser Zelt würde einfach im Sumpf versinken. „Ich schau mal da vorne. Vielleicht finde ich ein Stück trockenes Land für unser Lager“, sage ich voraus reitend. Vor mir, am Fuße der Geröllwand, entdecke ich große, gebückte Körper. Im ersten Augenblick erschrocken kann ich diese keinem Menschen oder Tier zuordnen. Ich konzentriere mich auf die kauernden Gestalten und bemerke wie sie sich langsam hin und her bewegen. Ich zügle Sar um mir klar zu werden was dort auf mich wartet. „Puhh“, stöhne ich erleichtert als ich mindestens drei riesige Geier erkenne die mir neugierig entgegenblicken. „Tschu“, sage ich leise um Sar zum Weiterlaufe zu bewegen. Plötzlich erheben sich die Giganten der Lüfte mit einer Flügelspannbreite von geschätzten 2,5 bis 3 Metern. Ich reite um eine weitere Felsnase als ich tatsächlich eine trockene, ca. 10 Meter breite Grünfläche ausmache, die genügend Platz für unser Zelt bietet. Meine Hände vor dem Mund zu einem Trichter formend rufe ich Tanja die 200 Meter von hier entfernt auf ein Zeichen von mir wartet. Sie versteht und reitet langsam in meine Richtung. Ihr entgegen sehend lasse ich meine Blicke nach oben gleitend. Diese Felswand scheint ein Eldorado für weitere Raubvögel wie Adler und Bussarde zu sein die über unseren Köpfen ihre Kreise drehen.

„Ein schöner Platz“, meint Tanja müde sich aus dem Sattel gleiten lassend. „Absolut. Hinter uns die Felswand, vor uns eine saftige Weide auf der wir über Nacht die Pferde anpflocken können, dann der Fluss und dahinter das breite Tal und dann ein weiterer viel größerer Fluss. Für Diebe kein guter Ort um Pferde zu stehlen“, antworte ich zufrieden. „Meinst du heute kommen sie?“, fragt Tanja. „Glaube ich nicht. Ich fühle mich hier richtig wohl.“ „Geht mir auch so. Abgesehen davon hat uns wegen dem starken Gewitter in Khatgal kaum jemand zu Gesicht bekommen. Die Menschen waren alle in ihren Häusern. Ich denke nicht das uns irgendwer gefolgt ist“, antwortet sie gähnend.

Nachdem wir unsere Pferde angepflockt haben suchen wir am Fuße der Felswand nach Holz. Ein paar Lärchen, die sich in die eine oder andere Felsnische drücken, haben im Laufe ihres kargen Daseins einen ihrer Äste abgeworfen. Sie sind zwar vom Regen sehr feucht aber es gelingt uns trotzdem ein Feuer zu entfachen auf dem wir Wasser für Tee und Fertignahrung erhitzen können. Auf der gegenüberliegenden Seite des Tals, etwa 1 ½ Kilometer von hier, erkennen wir ein paar Jurten. Aus ihren Dachkronen steigen dünne Rauchsäulen in den jetzt fahlen Himmel. Hirten treiben mit schrillen Pfiffen und lauten Rufen ihre Schaf, Ziegen, und Rinderherden in die Gehege. „Ob sie uns sehen?“, fragt Tanja. „Denke schon. In der Mongolei besitzt doch jeder Hirte ein Fernglas oder kleines Fernrohr, um seine Herde zu beobachten. Ich glaube ihnen entgeht nichts. Außerdem haben sie längst unser Feuer bemerkt. Aber es ist nicht jeder Mongole gleich ein Pferdedieb“, antworte ich beruhigend. „Ist trotzdem eigenartig. Warum bringen sie am Abend ihre Herden in die Einzäunungen? Sie könnten sie doch herumlaufen lassen?“, überlegt Tanja. „Eine Tierherde, egal welche, muss immer unter Kontrolle sein. Sie könnte sich über Nacht zu weit vom Jurtencamp entfernen. Vielleicht sogar in Gefahr begeben. Reißende Flüsse, Schluchten und was es sonst noch geben mag. Abgesehen davon sind sie neben den Jurten vor wilden Hunden und anderen Räubern geschützt. Sicherlich auch vor Viehdieben. Wenn sich die Tiere der Hirten nachts neben dem Wohnzelt in einem eingezäuntes Areal befinden können sie ruhiger schlafen. Ich würde es genauso tun“, sage ich.

Nach dem Essen schlürfe ich heißen Tee und genieße eine Tafel Schokolade. „Au“, entfährt es mir als mein rechter Eckzahn einen unangenehm ziehenden Schmerz sendet. „Zahnweh?“, fragt Tanja besorgt. „Ich glaube es nicht. Ja. Na das kann ich hier nicht gebrauchen“; antworte ich. „Zahnweh kann keiner gebrauchen.“ „Klar, aber in der Wildnis am allerwenigsten“, entgegne ich sofort meine Zähne putzend.

Es ist schon dunkel als der Scheinwerfer eines Motorrades die Schwärze der Finsternis durchschneidet und direkt auf uns zusteuert. „Der kommt tatsächlich“, meint Tanja. „Sieht so aus.“ Augenblicke später hält er seinen Bock direkt vor unserem Zelt. „Sain bajtsgaana uu“; begrüßt er uns. Unter seiner traditionellen bunten Spitzkappe blickt uns ein offenes, freundliches Gesicht entgegen. Wie üblich fragt er woher wir kommen und wohin wir gehen. Wir antworten. Dann lässt er seinen Gefährt wieder an und tuckert in die Nacht. „Bestimmt kein Dieb“, ist sich Tanja sicher. „Bestimmt kein Dieb“, antworte ich.

Um 22.00 Uhr begeben wir uns ins Zelt. Tanja macht es sich soweit möglich im Vorzelt bequem. Ich lege mich in die Schlafkabine deren Stofftür ich offen lasse, um im Notfall schnell herausspringen zu können. Meine Waffen, das große Messer, Pfeffergas und Leuchtspurabschussstift lege ich neben mich. Die Steine, die ich gesammelt habe, häufen sich rechts neben dem Eingang. „Schlaf gut“, sage ich. „Ja, danke. Schlaf du auch gut“, antwortet sie.

Möglicherweise liegt es am Vollmond. Ich kann für Stunden kein Auge zumachen. Mogi trägt mit seiner Bellerei kräftig dazu bei. Immer wieder entdeckt er Rinder, Pferde oder sonst irgendetwas das aus seiner Sicht angekläfft gehört. Immer wieder schießen Tanja und ich in die Sitzstellung, greifen zur Stirnlampe und leuchten den Bereich an dem die Pferde festgemacht sind ab. Nichts. Gott sei Dank. Vielleicht überreagieren wir? Aber man hat uns schließlich bald unaufhörlich gewarnt. Klar könnten wir all die Warnungen in den Wind schreiben und uns nach einem anstrengenden Tag ganz relaxt zum schlafen ablegen. Jedoch ist uns oder besser gesagt Bilgee schon ein Pferd gestohlen worden.

4:00 Uhr am Morgen. Mogi bellt wiedereinmal. Tanja fährt nach oben, greift zur Stirnlampe und sieht nach draußen. „Ich glaube es nicht. Da kommen zwei Reiter“, sagt sie in einem Ton der meinen Adrenalinpegel in die Höhe schießen lässt. Innerhalb eines Sekundenbruchteil springe ich mit Pfeffergas und Leuchtstift bewaffnet aus meiner Schlafkabine neben Tanja und leuchte ebenfalls in die angehende Dämmerung. Tanjas Lichtstrahl trifft einen der Reiter direkt ins Gesicht. Er hält seine Hand davor. Entweder um nicht geblendet oder nicht erkannt zu werden. Der helle Strahl meiner Stirnlampe trifft den zweiten Mann. Somit zeigen wir, dass sich hier mehrere Menschen befinden. Beide Männer reiten in einem Abstand von etwa drei Metern direkt an uns vorbei. Sie sagen keinen Ton. Aufgeregt leuchten wir ihnen hinterher. „Ob das nur Hirten sind?“, fragt Tanja. „Um diese Zeit? Das sind sie. Das sind Pferdediebe“, bin ich mir sicher. Verdutzt müssen wir mit ansehen wie die beiden in traditionellen Deels gekleideten Männer 20 Meter hinterm Camp wenden, den kleinen Fluss durchreiten und ihre Pferde erneut in unsere Richtung steuern. „Die kommen wieder“, sagt Tanja. Mogi bellt wie verrückt. Unsere Herzen pochen derart, dass wir glauben die Männer könnten es hören. Als sie diesmal im größeren Abstand an uns vorbeireiten sind ihre Gesichter schlechter zu erkennen. Aber sie sind eindeutig in unsere Richtung gewendet. „Die checken die Lage für einen erneuten Versuch“, vermute ich flüsternd. „Ja“, raunt Tanja, dann verschwinden sie im fahlen Licht der schwindenden Nacht.

„Unglaublich. Jetzt haben wir es doch noch erlebt“, sagt Tanja aufgeregt. „Hätte nicht gedacht wirklich Pferdedieben zu begegnen“, meine ich noch immer nervös. „Ob sie jetzt wirklich gegangen sind?“, fragt Tanja. „Denke schon. Sie hatten bestimmt nicht mit unserer Wachsamkeit gerechnet“, vermute ich. „Na wenn du normaler Tourist bist und nicht gewarnt wurdest würdest du um dieses Zeit schlafen.“ „Dann wären die Pferde jetzt weg.“ „Ja. Zweifelsohne. Na denen haben wir’s gezeigt“, meint Tanja.

Zitternd vor Kälte steige ich wieder in meine Schlafkabine. „Wau! Wau! Wau!“, bellt Mogi Augenblicke später. Tanja schaut sofort nach draußen. „Was ist los?“, frage ich und spüre wie das äußerst unangenehme Gefühl von Erregung, Angst und Adrenalin jede Zelle meines Körper von neuem erbeben lässt. „Ich weiß nicht aber ich glaube sie kommen wieder.“ „Was?“ „Ja, tatsächlich. Sie treiben eine Pferdeherde in unsere Richtung.“ „Eine Pferdeherde?“, frage ich verblüfft. „Schnell, zieh die Schuhe an. Sie kommen“, sagt Tanja worauf ich flink in meine Schuhe schlüpfe. Augenblicke später hasten wir mit unseren Waffen vors Zelt. Tanja stellt sich instinktiv zwischen die angebundenen Pferde während ich mich sprungbereit neben Mogi knie der ungehalten bellt. Die Männer treiben etwa 30 bis 40 Pferde vor sich her, direkt auf unser Zelt zu. Im ersten Augenblick verstehen wir nicht was sie damit bezwecken und vermuten noch immer es könnten eventuell Hirten sein die ihre Pferde gesucht haben und zu dieser frühen Stunde zu anderen Weidegründen treiben. „Pferdetreiben!“, ruft einer der Männer. Für Bruchteile einer Sekunde erkenne ich sein Gesicht dessen Ausdruck nicht zu deutenden ist.

Mogi bellt aggressiv. Ich halte ihn noch immer am Halsband. Lautes Wiehern, aufgeregtes Schnauben vieler Nüstern und das Rufen der vermeintlichen Hirten vereint sich zu einer unwirklichen Klangsymbiose. Durch den Herdentrieb wollen unsere Pferde ihren Artgenossen folgen. Die Seile spannen sich. Es kann nur Sekunden dauern bis der starke Zug die in den feuchten Grund geschlagenen Eisenhaken herausreißt. Sollte das geschehen wären die Tiere für uns verloren. Die Männer würden die Herde ein oder zwei Kilometer vom Camp treiben, aus dem Sattel springen, unsere Pferde von der Herde separieren, sie an den Seilen packen und im Galopp wegtreiben. Wir hätten nicht die geringste Chance sie einzuholen. Das Einzige auf was wir treffen würden wäre die zurückgelassene Pferdeherde. Ein genialer Plan dem wir absolut nichts entgegensetzen können.

Erst jetzt begreifen wir die Taktik dieser dreisten, widerwärtigen Diebe. Sie sind zweifelsohne geübte Profis. „Das ist nicht ihre Herde. Sie haben sie von einer Weide hierher getrieben, um somit unsere Pferde mitzunehmen!“, ruft Tanja. „Ja, ich habe es auch begriffen!“, antworte ich als der Spuk auch schon vorbei ist. Die Herde zieht weiter. Alle Pflöcke haben gehalten. Uns fällt ein Stein vom Herzen. „Es ist vorbei!“, rufe ich.

Bevor wir allerdings erleichtert ausatmen können erschrecken wir abermals. Unter lauten Anfeuerungsrufen scheuchen die Männer die Herde in einen großen Kreis und reiten von Neuem direkt auf unser Camp zu. „Sie kommen wieder!“, brülle ich. Es geht alles so derart schnell, dass keine Zeit bleibt um den Sitz der Erdhaken zu prüfen. „Das ist mein Pferd!“, ruft Tanja weil einer der Diebe mit seiner Peitsche Sharga antreibt damit er sich vom Erdhaken reißt. Sollte er los galoppieren ist er für uns verloren.

Augenblicke später ist der Spuk wieder vorbei. Alles ist ruhig. Als hätten wir uns nur eingebildet das zwei Gesetzesbrecher gerade eine ganze Pferdeherde direkt hier durchgetrieben haben. Nur noch das Dröhnen der davon galoppierenden Hufe und vom Wind herangetragenes Schnauben ist zu vernehmen. „Puhh, Glück gehabt. Die wollten nicht nur ein Pferd sondern alle“, sage ich am ganzen Körper vor Aufregung bebend. „Ob sie wiederkommen?“, fragt Tanja. Im Strahl unserer Stirnlampen erkennen wir die Männer. Sie stehen etwa 50 Meter vom Camp entfernt und scheinen ihre nächsten Schritte zu beraten. Uns ist klar, wenn sie jetzt noch einmal auftauchen werden sie Gewalt einsetzen. „Nimm dir ein paar Steine“, sage ich zu Tanja. Weil wir uns auf dem Boden befinden sind wir im Vorteil. Auch werden sie sich genau überlegen ob sie aus den Sätteln steigen. Weil es in diesem Land viele scharfe Hunde gibt hat ausnahmslos jeder Mongole vor ihnen großen Respekt. Abgesehen davon wissen die Männer nicht wie präpariert wir für diesen Augenblick sind. Sicherlich haben sie nicht im Traum damit gerechnet auf diese Präsens zu stoßen. Vielleicht ist ihnen das in ihrer gesamten Diebeslaufbahn noch nicht widerfahren? Saraa hat uns berichtet, dass je nach Wert und Schwere des Pferdediebstahls bis zu 10 Jahre Gefängnisstrafe drohen. Nun, sich auf eine gewalttätige Auseinandersetzung mit Ausländern einzulassen wäre schwerer Raub. In diesem Fall wissen die Männer auch nicht mehr ob sie weiterhin im Vorteil sind. Der liegt bei Dieben in der Überraschung und vor allem darin unerkannt zu bleiben.

Das Herz schlägt uns bis zum Hals. Die Spannung ist unerträglich. Hätte ich ein Gewehr würde ich sicherlich ein paar Warnschüsse in die Luft abgeben und die Situation wäre geklärt. Ein Leuchtspurgeschoss zu opfern ist gewagt. Wir besitzen nur drei Patronen und wissen nicht ob wir diese auf der vor uns liegenden Strecke noch benötigen. Es vergehen nur wenige Minuten und die schemenhaften Schatten der Reiter entfernen sich. „Sie gehen“, flüstert Tanja. „Ja.“ „Woher sie wussten wo unser Lager liegt?“ „Keine Ahnung. Sie müssen uns in Khatgal gesehen haben.“ „Trotz des Gewitters?“ „Anscheinend. Oder man hat ihnen einen Tipp gegeben. Offenbar gibt es in diesem verdammten Ort doch ein Netzwerk von Informanten“, überlege ich. „Ob der Mongole mit seinem Spitzhut uns verraten hat?“ „Du meinst den der uns gestern Abend mit seinem Moped besuchte?“ „Ja.“ „Ich weiß nicht. Es ist mühselig herauszufinden wer es war. Fakt ist, dass sie genau wissen wo wir sind. Der Zeitpunkt ihres Auftauchens war zu perfekt. Kein Licht um wirklich erkannt zu werden und trotzdem genug um so eine Aktion durchzuführen“, antworte ich. „Stimmt. Und um 4:00 Uhr morgens schläft jeder normale Mensch. Ob sie wiederkommen?“, fragt Tanja noch immer erregt. „Glaube ich nicht aber wer will das wissen. Wir müssen wachsam bleiben.“ „Na schlafen kann ich jetzt nicht mehr.“ „Ich auch nicht. Denke wir sollten unseren aufgeputschten Adrenalinspiegel nutzen, um zusammenzupacken und soviel Kilometer wie geht zwischen uns und diesen Ort bringen.“ „Gut Idee. Also lass uns packen“, sagt Tanja sich erhebend.

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