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Mongolei//See Ende Camp MONGOLEI EXPEDITION - Die Online-Tagebücher Jahr 2011

Am Ende des Khuvsgul See

N 50°30'439'' E 100°09'613''
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    Tag: 342

    Sonnenaufgang:
    05:11

    Sonnenuntergang:
    21:34

    Luftlinie:
    6,02

    Tageskilometer:
    10

    Gesamtkilometer:
    1603

    Bodenbeschaffenheit:
    Gras, Wurzeln, Geröll

    Temperatur – Tag (Maximum):
    24°C

    Temperatur – Tag (Minimum):
    18°C

    Temperatur – Nacht:
    8°C

    Breitengrad:
    50°30’439“

    Längengrad:
    100°09’613“

    Maximale Höhe:
    1790 m über dem Meer

    Aufbruchzeit:
    11:30

    Ankunftszeit:
    14:30

Nach einer weiteren friedlichen Nacht ohne Diebe oder sonstigen unangenehmen Besuch packen wir bestens gelaunt zusammen und verlassen dieses wunderschön gelegene Waldcamp. Das Gepäck sitzt zu meiner Zufriedenheit hervorragend. Wichtig auf diesem schmalen Pfad. Damit die ausladende Ausrüstung der Packpferde nicht ständig gegen Bäume donnert und schabt führt Tanja Shraga und ich Tenger. Bor lassen wir mit seinen kleineren und leichten Kuriertaschen frei laufen.

Das dichte Nadeldach der Lärchenbäume lässt nur stellenweise das Sonnenlicht bis zum Waldboden fallen. Konzentriert reiten wir über den von Wurzeln überwucherten und mit groben Steinen versetzten Grund. Der Pfad führt uns steil bergauf nur um kurz danach genauso steil wieder in ein Tal abzufallen. Umgefallene Bäume liegen quer über dem Weg. Mit Bedacht steigen die Pferde darüber hinweg. Trotz aller Aufmerksamkeit schaben die Seesäcke gegen den einen oder anderen Baumriesen. Zum Glück schreckt Tenger nicht hoch sondern bleibt relativ gelassen. An manchen Abschnitten führt uns der Saumpfad dicht an die zum See steil abfallende Felskante. Bewusst lenken wir unsere Pferde soweit es nur geht davon weg. Nur die freilaufenden Tuya, Mogi und Bor trotten gefährlich nahe am Abgrund vorbei. Sollten nur wenige Zentimeter des Gerölls abbröckeln würden die Drei in die Tiefe stürzen. Nicht nur einmal halten wir unseren Atem an aber es geht zum Glück gut. Auch für geübte Reiter ist diese Strecke gefährlich, an manchen Stellen nicht berechenbar. Sie fordert unser gesamtes Erfahrungspotential und trotzdem oder vielleicht auch gerade deswegen bereitet uns der heutige Ritt tiefe Freude. Abenteuer pur und das ohne jegliche Übertreibung. Manchmal spuckt uns die Umklammerung des Urwaldes auf eine baumlose, saftige Weide. Der Blick von hier oben auf den tief unter uns liegenden Khusgul Nuur ist überwältigend. Die in der Sonne gleißende Wasserfläche vereint sich mit dem Dunst und den Wolken. Nur noch schemenhaft sind die Bergzüge, die ringsum den See begrenzen, zu erkennen. „Dort ist Khatgal!“, rufe ich nach Süden deutend Tanja zu. Sie hat ebenfalls ihre Stute gezügelt, um den Anblick zu genießen. Auch wenn der Ort von hier nicht zu sehen ist, weil er sich hinter einer ca. 15 Kilometer entfernten Bergflanke versteckt, kennen wir seine Position.

Wir führen unsere Reittiere über einen steinigen, bedenklich steil nach unten neigenden Pfad. Um nicht aus dem Sattel vorne über den Pferdekopf zu stürzen sind wir gezwungen unser gesamtes Körpergewicht nach hinten zu verlagern. Die Hufe rutschen über das Geröll und die schweren Seesäcke in die Nacken der Pferde. „Stopp!“, brülle ich erschrocken. Sofort halten wir an, springen aus dem Sattel, legen unseren Reittieren Fesseln an und springen zu Sharga und Tenger. Mit großer Kraftanstrengung können wir im letzten Moment die Ladung wieder auf die Pferderücken rutschen. „Das ging gerade nochmal gut“, stöhnt Tanja.

Drei Stunden nach dem morgendlichen Aufbruch und 10 Kilometer weiter gibt uns der urige Wald frei. Wir befinden uns wieder auf der Lichtung auf der wir mit Bilgee am 26.10.2011 also vor acht Monaten und fünf Tagen den Khuvgul See erreichten.

Weil wir auf der Waldstrecke von keinem einzigen Menschen gesehen wurden und dieser Ort die letzte am See liegende Weidefläche vor den nächsten Jurtencamps ist, beschließen wir es für heute gut sein zu lassen. Tanja deutet auf die kleine Hütte am anderen Ende der Wiese und sagt; „Kannst du dich noch an das sich furchtbar streitende Ehepaar erinnern?“ „Klar, die hatten sich mit Steinen beworfen und fast umgebracht“, antworte ich. „Sieht so aus als wäre die Hütte noch immer bewohnt“, folgert Tanja weil aus dem dünnen Ofenrohr der Hütte Rauch in den Himmel steigt. „Na hoffentlich haben sich die beiden Streithähne mittlerweile beruhigt“, scherze ich. „Zeit genug hatten sie ja“, antwortet Tanja schmunzelnd.

Am Nachmittag dröhnt laute Musik über den See. Verwundert gehe ich ans Ufer, um zu lokalisieren woher dieser Lärm kommt. Es ist die Sukhbaatar. Das Dampfschiff wurde bereits 1911 in den Dienst gestellt und hielt die Handelsverbindung zwischen Khatgal und dem am Nordufer, unweit der russischen Grenze liegendem Ort Khank, aufrecht. Während der sowjetischen Zeit tuckerte dieser nun betagte, 41 m lange, 8,5 m breite und 11 m hohe Dampfer zwischen den Monaten Juni und September auf dem See hin und her. Er war in der Lage bis zu 1.800 Tonnen Last aufzunehmen. Heute vergnügen sich nur noch Touristen darauf. Ihr Grölen und Lachen, begleitet von Lautsprecherdurchsagen und Musik wird von einem leichten Wind über den See getragen. „Das ist die Zivilisation“, sage ich zu Mogi der neben mir sitzt und ebenfalls wie gebannt auf den eisernen, schwimmenden Kasten mit seiner bedenklichen Schlagseite blickt. Natürlich ist es normal wenn sich Menschen vergnügen. Wenn sie vom Stress ihrer Arbeit oder dem Lärm und Schmutz einer Großstadt entfliehen. Es ist gut wenn sie trinken, essen, Musik hören, spielen oder sich nackt in die Sonne legen. Kein Problem. Nur wie sollen wir uns nachdem wir 15 Monate in der mongolischen Einsamkeit gelebt haben jemals wieder daran gewöhnen? Alleine der Gedanke an die schnelllebige Welt der Bits und Bytes in Europa, der Computer, Termine, und des aberwitzigen Konsums lässt mir in diesem Augenblick die Haare zu Berge stehen. Nun, wenn Saraa es fertig bringt unsere Arbeitsgenehmigung und damit unser Visum um weitere drei Monate zu verlängern ist es noch nicht so weit. Abgesehen davon war es Tanja und mir, nachdem wir über vier Jahre in Australien und davon drei Jahre in den Wüsten gelebt hatten, auch möglich uns wieder einzugliedern. „Wir werden es schon schaffen. Komm, lass uns zu Tanja gehen“, sage ich etwas wehmütig zu meinem Hund und verlasse, begleitet von dieser Ansammlung unangenehmer Geräusche, das Ufer.

Ein starkes Gewitter zieht auf. Seine bedrohlich wirkenden, gigantisch großen Wolkentürme schweben wie Geistwesen über den See, vertreiben die Sukhbaatar und uns in das Zelt. Der Wolkenbruch lässt nicht lange auf sich warten. Das kalte Wasser, welches aus den Himmelsgebilden fällt als hätte sie ein Riese mit seinem Schwert aufgeschlitzt, überschwemmt die Weide. Der Spuk hält nur kurz dann wird der Himmelshahn etwas zugedreht und der Wolkenbruch geht in einen stetigen Dauerregen über. Weil wir nicht wissen ob sich Pferdediebe vom Regen abschrecken lassen sind wir gezwungen auch während dieser Nacht wachsam zu sein. Ich nutze unsere Walkingstöcke als zusätzliches Zeltgestänge und stelle sie links und rechts unter den nach außen geklappten Zelteingang. Schnell verspanne ich das auf diese Art gewonnene Vordach mit Schnüren und Heringen. „Super, jetzt kann ich auch bei Regen im Vorzelt liegen und auf die Pferde achten“, meint Tanja begeistert.

Ab diesem Tag verändern sich unsere Wachschichten zum Besseren. In einem Halbkreis pflocken wir die Pferde vor unserem Zelt an. Mogi wacht vor dem Eingang und hat somit Sicht auf die Pferde und das gesamte Camp. Sollte er bellen oder knurren brauchen Tanja oder ich nur unseren Kopf zu heben. Schnell können wir dann mit dem starken Licht der Stirnlampe den vor uns liegenden Bereich ableuchten und erfassen. Sollten sich wirklich Diebe nähern oder sich bereits an den Pferden zu schaffen machen werden sie unsere Steine, das Pfeffergas, die Leuchtspurmunition, die Zähne unseres Hundes oder die Stöcke spüren.

„Wau! Wau! Wau!“, bellt Mogi und rast plötzlich in den hinterm Zelt beginnenden Wald. „Was ist los?“, frage ich hochschreckend. Tanja leuchtet mit der Stirnlampe in das Gewirr aus Baumstämmen. „Wildscheine“, sage ich auf die huschenden, gedrungenen Körper deutend. „Hoffentlich zerlegen sie Mogi nicht“, meint Tanja da Wildscheine, besonders wenn sie Kinder haben, bald unbesiegbare ,gefährlicher Gegner für jeden Hund sind. „Er wird sie schon nicht in die Enge treiben. Aber es ist besser wir ketten ihn wieder an wenn er von seinem Jagdausflug zurückkommt. Abgesehen davon muss er seinen Job als Wachhund nachgehen und keine Schweine jagen“, antworte ich. Bereist 10 Minuten später steht er schwer hechelnd vorm Zelt. „Warst erfolglos. Das ist gut“, sage ich ihn sanft tätschelnd und hake die Kette in den Karabiner an seinem Halsband. Alle fünf bis zehn Minuten schlägt Mogi bis morgens um 3:00 Uhr an, um Wildscheine und Rehe zu verbellen die auf der saftigen Grünfläche am See nach Fressbarem suchen.

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