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RED EARTH EXPEDITION - Etappe 2

Die Leistungsfähigkeit des Körpers und wo sind seine Grenzen?

N 22°52’56.1’’ E 127°34’35.2’’
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    Tag: 129 Etappe Zwei

    Sonnenaufgang:
    04:51

    Sonnenuntergang:
    17:36

    Luftlinie:
    18,6

    Tageskilometer:
    30

    Temperatur - Tag (Maximum):
    34 Grad

    Breitengrad:
    22°52’56.1’’

    Längengrad:
    127°34’35.2’’

See-Camp-2 — 22.10.2001

Unsere endlose Reise durch das endlose Land geht weiter. Die Karawane bahnt sich ihren Weg um das Teufels beste Erfindung, dem Spinifexgras. Links von uns, in etwa 200 Meter Entfernung, zieht sich eine große Wasserfläche durch eine langgezogene Tiefebene. Ich achte darauf unseren schwer beladenen Zug nicht zu nah an das Sumpfland zu führen. Mit bloßem Auge erkennen wir das abgestorbene, braune Spinifex, welches uns verrät, wo der tückisch Untergrund beginnt. Seitdem vor ca. zwei Monaten Edgar während der Lake-Auld-Durchquerung bis zu den Knien im Morast versunken und Max mit seiner gesamten Ausrüstung ausgerutscht und gefallen ist, kennen wir die Gefährlichkeit dieses moorähnlichen Bodens. Im Zickzack laufen wir um die stachligen Büsche, bis wir wieder nach ca. acht Kilometern Umweg auf den ausgewaschenen, sandigen Track stoßen. „War viel leichter als ich dachte,“ frohlocke ich erleichtert, das erste Wasserhindernis umlaufen zu haben. „Ja, ich habe es mir auch viel schwieriger vorgestellt,“ schnauft Tanja durch den weichen Sand stapfend. Jeder Meter den wir uns voranbewegen ist durch den nachgiebigen Sand anstrengend geworden. Ich habe das Gefühl mit jedem Schritt meinen Körper erst mal nach oben heben zu müssen, bis ich ihn einen Schritt weiter nach vorne bringe. So geht es über Stunden hinweg. Es ist die sich wiederholende und ermüdende Bewegung von versinken, hocheben, nach vorne bewegen, um wieder zu versinken. Die Kamele folgen uns wie die Perlen auf der Schnur. Keiner von ihnen murrt oder bereitet uns irgend welche Schwierigkeiten. Mit ihren tellergroßen Füßen versinken sie kaum auf dem jetzt ehemaligen Track. Immer, wenn ich die Möglichkeit habe laufe ich wie ein Seiltänzer an den ausgewaschenen Wegrändern die mich kaum einsacken lassen. Sebastian versucht mir auf dem abbrüchigen Rand zu folgen und zieht seine Mates hinterher. Ich führe nun die Kamele von links nach rechts immer auf der Suche nach einem festen Untergrund. Plötzlich mündet der Track in ein totales Desaster. Felsbrocken, Steine, getrockneter Schlamm und ausgewaschene Becken machen es uns unmöglich ihm zu folgen. Immer öfter muss ich unsere Jungs durch das dicht bewachsene Gelände führen. Es geht um Büsche, Bäume, Äste, Erdhügel, Grashügel und Mulden. Edgar und Jasper, die vor wenigen Monaten noch total wild waren, meistern ihre Sache als Expeditionskamele mit Bravour. Immer wieder drehe ich mich um und sehe wie sie die verschiedensten Hindernisse elegant umgehen. Es ist schon beachtlich wie schnell es letztendlich geht so große, eigensinnige und stolze Tiere zu trainieren. An besonders kritischen Stellen bleibt Tanja zurück und gibt mir über die neuen Sprechfunkgeräte durch wie sich unsere Boys verhalten. Seitdem wir den Verlust meiner Antenne mit einem Stück von Rays alten Autoantenne ersetzt haben, funktioniert die Verbindung einwandfrei.

Die Schmerzen machen das Gehen bald unerträglich

Gegen Mittag lassen die gnadenlos, heißen Sonnenstrahlen die Landschaft flimmern. Manchmal glauben wir vor uns Wasser zu sehen, wo es keines gibt. Die Luftspiegelungen werden in letzter Zeit immer häufiger. Obwohl wir erst einige Tage im Camp verbrachten fällt mir das Laufen schwer. Mein Körper leidet unter den ständigen Strapazen und hat kaum eine Chance die vielen kleinen Entzündungen, Verspannungen, Überanstrengungen, Verzerrungen und Ermüdungen auszukurieren. Ich denke über den Körper und seine Leistungsfähigkeit nach und frage mich wie weit der Geist ihn vorantreiben kann bis er aufgibt. Es ist nicht so, dass ich kurz vor dem Zusammenbrechen bin. Nein, dahin ist noch ein weiter Weg. Doch wie weit? Ich kann nur hoffen diesen Punkt nie erreichen zu müssen. Im Moment allerdings habe ich das Gefühl mich jeden Augenblick setzen zu müssen. Die Rückenschmerzen haben ein Stadium erreicht die das Gehen bald unerträglich werden lassen. Der Rückennerv strahlt seit einigen Wochen bis in den Oberschenkel aus. Wahrscheinlich liegt das an dem ständigen Auf und Abladen der 1000 bis 1200 Kilogramm schweren Ausrüstung. Seit Beginn der Red Earth Expedition am 12 Mai 2000 habe ich dieses Gewicht nicht selten alleine bis heute 137 mal auf und abgeladen, die vielen Testladungen nicht eingerechnet. Das sind neben den bisher 3391 Laufkilometern mindestens zweihundertvierundsiebzigtausend Kilogramm die durch meine Hände gegangen sind. Tanja bringt während dessen aber die absolut gleiche Leistung, denn sie hat unter allen Wetterbedingungen, auf allen Böden, seien sie steinig, stachelig, hart oder weich, matschig und nass mindestens 137 mal die Kamelfüße zusammengebunden. Da ich diese Zahl für morgens und abends doppelt rechnen muss und sie diese Tätigkeit auch an den verschiedensten Stops durchgeführt hat kann ich von 350 bis 400 mal ausgehen. Bei fünf bis sieben Kamelen mit jemals zwei Vorderfüßen hat Tanja bisher durchschnittlich neben 3391 Laufkilometern und neben all den anderen Aufgaben, wie Nackenseile, Nasenleinen und Kamelglocken anbringen und vielem mehr mindesten 5600 Kamelbeine zusammengebunden, gehoppelt und genauso oft wieder aufgebunden und enthoppelt. Mit schmerzenden Hüften hebe ich mein linkes Bein über den Sand und denke über diese Zahlen nach. Es ist also kein Wunder das mein Körper nach Ruhe schreit. Doch auch wenn er noch so erbittert ruft kann ich ihm diese Ruhe noch nicht geben. Noch sind wir mitten in der Gibson Wüste und haben schwieriges und überschwemmtes Land vor uns. Durch unsere geplante Abkürzung liegen bis zu unserem nächsten Etappenziel noch 600 bis 700 Kilometer vor uns. Im Vergleich zur Gesamtstrecke von ca. 7000 Kilometern ein Katzensprung und im Vergleich zu dem was hinter uns liegt ein überschaubarer Marsch. Doch der Augenblick in dem ich mich befinde lässt mich anders darüber denken.

Ein Anblick der einer Fatahmorgana gleichkommt

Um 13 Uhr sind wir bei dieser Affenhitze schon wieder 5 ½ Stunden unterwegs und von unserem Tagesziel ist nichts in Sicht. „Durchhalten mein Freund. Es ist eine reine Kopfsache,“ spreche ich mir selbst zu und führe Sebastian durch das interessant aussehende, jetzt ausgetrocknete Flussbett. Ray hat uns von einem weiteren See berichtet der schon längst in Sicht kommen müsste. Wir wollen sein Wasser nutzen, um unsere Jungs zu tränken. Sie haben vor neun Tagen das letzte mal saufen können und sind sehr durstig. „Wenn wir den See erst morgen während des Marsches erreichen endet das Ganze wieder in einer höllischen Arbeit. Das würde bedeuten wir müssen alle sieben Kamele herunterhuschen, ihre Vorderbeine festbinden und jedem einzelnen bis zu acht Eimern Wasser heranschleppen,“ meint Tanja laut ausschnaufend. „Wem erzählst du das. Ich möchte ja auch den verdammten See erreichen, doch wenn wir noch länger laufen kommen wir mit dem Campaufbau in die Nacht und du weißt was die Moskitos mit uns dann machen.“ „Entscheide du ob wir hier bleiben sollen oder ob wir weitergehen. Mir ist es egal,“ antwortet Tanja. Müde ziehe ich die Karawane weiter. „Vielleicht liegt der See hinter diesem Dünenrücken?“ bricht Tanja das Schweigen. „Vielleicht,“ antworte ich lustlos und schlapp. Als wir über den langgezogenen Sandberg schreiten eröffnet sich vor unseren Augen ein Anblick der eher der Vorstellung einer Fatahmorgana gleichkommt. Ein mehrerer Kilometer langer See bettet sich in einem ausladenden Tal und wird an seiner Nordseite von einer grün bewachsenen Sanddüne begrenzt. Unzählige Eukalyptusbäume und anderes Strauchwerk recken ihre immer noch saftiggrünen Kronen aus dem Wasser und werden von der sanften Nachmittagssonne beschienen. „Phantastisch,“ ruft Tanja begeistert aus und obwohl meine Hüftschmerzen die Unerträglichkeit erreicht haben schafft es diese Naturschönheit mich aus meiner Liturgie zu reißen. Durch ein sandiges Bett führe ich die Kamele zu dem unnatürlichen See hinunter und lasse sie 500 Meter davor absetzen. Dann laufe ich zum Ufer, um zu testen wie weit wir die Kamele heranbringen können. „Auf dieser Seite sieht es nicht gut aus,“ sage ich ins Sprechfunkgerät, denn schon 20 Meter bevor ich das Seeufer erreiche versinke ich im Morast. „Meinst du wir müssen sie mit den Eimern tränken?“ „Gott bewahre,“ antworte ich und humple zum Weg zurück. Dann folge ich dem ausgewaschenen Track bis dahin wo er im See verschwindet. Ich laufe an der Stelle einige Zeit hin und her, um zu prüfen ob der Boden die Kamele tragen kann. „Ich denke hier könnten wir es versuchen,“ sage ich zuversichtlich in das Walkie-Talkie und laufe schwerfällig zu Tanja und der Karawane zurück. Dann entladen wir die Tiere direkt auf dem einstigen Wüstenpfad. Sturmartige Windböen kommen plötzlich auf und lassen uns den aufgewirbelten Sand schlucken. Decken, Silberfolien, Handschuhe und anderes Kleinzeug werden erfasst und von den Böen mitgerissen. Ich lasse alles stehen und liegen und jage so schnell es meine müden Knochen zulassen unseren wichtigen Utensilien hinterher.

Es kann nur Augenblicke dauern bis seine Unterschenkel wie Zweige brechen

Da unsere Kamele schon seit 1 ½ Wochen nichts mehr zu saufen hatten könnten sie bei der Witterung des Wassers wie die Irren darauf zurasen. Links und rechts des Weges ist es gefährlich sumpfig und wenn einer von ihnen da hineingerät kommt er eventuell nie mehr heraus. Aus diesem Grund müssen wir versuchen die Kamele unter unserer Kontrolle auf dem Weg bis zum See zu bringen. „Wir führen sie am besten in zwei Gruppen. Ich nehme Edgar, Jasper und Max und du die anderen,“ empfehle ich nach dem Abladen weil ich davon ausgehe das die drei Neuen Schwierigkeiten bereiten können. „Okay,“ antwortet Tanja. Gemeinsam ziehen wir unsere Mates dem kostbaren Nass entgegen. Wenige Meter davor sind sie wie wir vermutet hatten kaum noch zu halten und eilen die letzten Meter zum Seeanfang. Sofort strecken sie ihre Hälse nach unten und beginnen ausgedurstet zu saufen. Sie drängeln und balgen sich um die besten Plätze wodurch wir Schwierigkeiten haben sie unter Kontrolle zu halten. Mit ihren Füßen stehen sie in einer ca. zwei mal drei Meter großen Pfütze die durch ein Rinnsal mit der Seefläche verbunden ist. Das Wasser aus dem See schießt in einem schmalen Strom über die Sandbarriere in die Pfütze wodurch wir sehen welche Mengen unsere Tiere hier in sich hineinpumpen. Max, dessen Nackenseil sich irgendwie um Jaspers Hals und Höcker gelegt hat, bekommt seinen Kopf nicht nach unten. Ihm drückt es vor Verlangen fast die Augen aus dem Kopf aber er kann machen was er will, sein Maul erreicht nicht die wichtige Flüssigkeit. In der Zwischenzeit haben Sebastian, Hardie, Jafar und Istan ihren Durst gestillt und Tanja kann sie wegführen. Nun ist mehr Platz zwischen den sumpfig, gefährlichen Rändern zu Verfügung, worauf ich es schaffe das Seil von Jaspers Höcker zu ziehen. Max hat nun endlich die Möglichkeit auch seinen Durst zu löschen und säuft mit großen glucksenden Geräuschen das Seewasser in sich hinein. Zufrieden stehe ich da, halte Edgar an der Führungsleine und beobachte unsere Tiere. Ihre Bäuche füllen sich wie Luftballons. Als Max endlich zufrieden seinen Kopf aus der Pfütze hebt entschließt er sich für ein Schlammbad. Noch ehe ich reagiere setzt er sich ab, nicht wissend, dass er mit seinem Nackenseil an Jasper hängt. Durch diese dumme Aktion reißt er Jaspers Kopf nach unten, der friedlich neben ihm steht. Plötzlich geschieht das, was in solch einem Fall nicht geschehen sollte. Jasper brüllt vor Schmerz auf und versucht sich aus der grotesken Stellung zu befreien. Er reißt mit der Kraft eines Kameles an dem Nackenseil, wodurch sich Max nicht richtig absetzen kann aber Edgar ebenfalls in die Knie zwingt. Ich weiß nicht wie der Knoten von Kamelbeinen, Seilen und Hälsen plötzlich zustande kommt aber das Chaos ist perfekt. Die Hinterbeine von Edgar und Max haben sich ineinander so derart verkeilt, das Edgar vor Schmerz aufbrüllt. Fassungslos stehe ich für einige Schrecksekunden da und weiß nicht was ich tun soll. Rufus rast in die Mitte des Tumults und versucht den Knoten aus Seilen und Knochen mit lautem Bellen zu lösen. Es kann nur noch Augenblicke dauern bis die Unterschenkel von Edgar unter dem Hebeldruck wie Zweige brechen. Als würde in mir eine Handgranate explodieren schieße ich all die Müdigkeit vergessend nach vorne durchs Wasser und zerre mit all meiner Kraft an dem Führungsseil von Edgar. Durch die Winkelveränderung bringe ich es irgendwie fertig Edgar zu drehen und seine Hinterbeine sind frei. Schnell steht er auf. Auch Max hat von seinem Badeversuch genug und schaut mich mit seinen großen Kulleraugen verwundert an. „Kamele walk up,“ rufe ich und zerre Edgar an der Führungsleine aus der Pfütze. Jasper und Max folgen und sind zum Glück unverletzt geblieben. „Da haben wir wieder einen Schutzengel gehabt,“ sage ich zu Tanja die das gefährliche Durcheinander aus nächster Nähe mit ansehen musste und weil sie die anderen Vier beaufsichtigte, konnte sie mir nicht zur Hilfe eilen. „Es ging so schnell, das ich am Anfang gar nicht gesehen habe was los war,“ antwortet sie. Gemeinsam führen wir die Kamele aus dem sumpfigen Bereich. Dann lassen wir sie frei damit sie sich die Bäuche an dem leckeren, saftigen Gräsern, Blumen und Büschen voll hauen können.

Als die Sonne in einem sich selbst verzehrendem Inferno aus flammenden Farben hinter den Sanddünen verschwindet legen sich die sturmartigen Böen. Dunkle Gewitterwolken tauchen auf und beginnen über unseren Köpfen zu tanzen. „Hoffentlich entladen sie sich nicht. Einen ungünstigeren Ort könnte es nicht geben außer wir wollen unseren Tieren beibringen durch die Wüste zu schwimmen,“ sage ich und bin mir nicht sicher ob ich dieses wunderschöne Naturbild genießen oder vor Angst beten soll.

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