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E-Bike-Expedition Teil 3 China - Online-Tagebuch 2015-2016

Dem Wahnsinn entfliehen

N 36°00’04.4’’ E 109°23’19.5’’
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    Datum:
    26.11.2015

    Tag: 151

    Land:
    China

    Provinz:
    Shaanxi

    Ort:
    Fuxian

    Breitengrad N:
    36°00’04.4’’

    Längengrad E:
    109°23’19.5’’

    Tageskilometer:
    100 km

    Gesamtkilometer:
    11.110 km

    Luftlinie:
    69.34 km

    Durchschnitts Geschwindigkeit:
    23.5 km

    Maximale Geschwindigkeit:
    47.4 km

    Fahrzeit:
    4:13 Std

    Bodenbeschaffenheit:
    Asphalt

    Maximale Höhe:
    1.100 m

    Gesamthöhenmeter:
    11.398 m

    Höhenmeter für den Tag:
    415 m

    Sonnenaufgang:
    07:28 Uhr

    Sonnenuntergang:
    17:30 Uhr

    Temperatur Tag max:
    8 °C

    Temperatur Tag min:
    minus 3 °C

    Aufbruch:
    10:30 Uhr

    Ankunftszeit:
    17:40 Uhr

    Platte Reifen gesamt:
    11

    Platte Vorderreifen:
    2

    Platte Hinterreifen:
    8

    Platte Anhängerreifen:
    1

(Fotos zum Tagebucheintrag finden Sie am Ende des Textes.)

LINK ZUR REISEROUTE

Bei minus 3 Grad und strahlendem Sonnenschein setzen wir uns in den Sattel und radeln durch Yan’an. Obwohl die Sonne den Schnee weggeleckt hat treten wir unsere Bikes mit äußerster Vorsicht über den Asphalt. Noch immer haben sich tückische Eisflächen unter dem Kohlestaub versteckt. Weil die Stadt in einem Tal erbaut wurde zieht sie sich ewig in die Länge. Links und recht der Straße erheben sich zahllose Hochhäuser. Viele von ihnen befinden sich gerade erst im Bau. Nach etwa 10 Kilometer führt die Verkehrsader in westliche Richtung. Ich stoppe und vergleiche die im MAPS.ME angegebene Route mit der im GPS. „Irgend etwas stimmt nicht“, sage ich zu Tanja, weil unser heutiges Ziel, die Stadt Fuxian, im Süden liegt. Nach einiger Zeit bemerke ich, dass uns das Kartenprogramm auf die Autobahn führen möchte, auf der wir aber nicht fahren dürfen. „So ein Mist. Wir haben vor ca. 7 km die Abzweigung auf die Bundesstraße verpasst“, sage ich. Leider kann man im MAPS.ME keine Alternativrouten eingeben, so dass es eher für Autofahrer geeignet ist. Unser GPS zeigt zwar auf der Karte die augenblickliche Position, ist aber kein Navigationsgerät welches einem den Weg zum Ziel weist. Uns bleibt also nichts anderes übrig als umzukehren. 14 km später sind wir wieder im Zentrum von Yan’an. Diesmal habe ich die Abzweigung zur Bundesstraße schnell gefunden. „Yes!“, rufe ich erfreut mein Rad in Richtung Süden tretend. Plötzlich beginnt das Hinterrad zu schlingern und ehe ich zum Stehen komme holpert die Felge über den schmutzigen Asphalt. „Was ist denn?“, fragt Tanja. „Ich glaube Yan’an will das wir bleiben. Mein Hinterreifen ist wieder platt“, antworte ich so gelassen wie möglich. Eine Stunde später, um 1:30 Uhr, ist der Schlauch getauscht und das Rad erneut beladen. Endlich verlassen wir die Stadt und folgen der G210 in Richtung Fuxian.

Die Straße führt uns durch ein breites Tal. Wir folgen einem von der Zivilisation malträtiertem Fluss und ich frage mich woher die Chinesen ihr Trinkwasser bekommen wenn sie ihre Flussläufe als Abwasserkanal missbrauchen? Obwohl wir uns noch immer im Qin-Ling-Gebirge befinden müssen wir heute nur etwas über 400 Höhenmeter überqueren. Wir kommen also schnell voran. Um 2:30 Uhr schlingert mein Hinterreifen erneut. Sofort ziehe ich die Bremse. Wieder ist der Reifen platt. Um nicht aus der Haut zu fahren denke ich an einen Ochsen, der sein Leben lang im Kreis laufen muss, um einen Mahlstein zu drehen. Dagegen sind 11 Reifenpannen ein Witz. Wir entladen das Rad. Dann untersuche ich den Mantel, um die Ursache für die ausweichende Luft zu finden. Irgendwo muss so ein LKW Karkassendraht sitzen der wieder ständig Löcher in die Schlauch sticht. „Findest du etwas?“, frage ich Tanja, die den Mantel Zentimeter für Zentimeter abtastet. „Nein. Nichts zu spüren oder zu sehen.“ „Dann nehmen wir am besten einen neuen Mantel. In dem steckt was drin. Ansonsten hätten wir keine drei Platten auf 100 km gehabt“, sage ich. Während unserer Arbeit donnern Lastwägen und Autos an uns vorbei. Um sicher zu gehen, nicht gleich wieder eine Panne zu fahren, füllen wir 60 ml von dem DOC BLUE in den Schlauch. Weil er laut Anweisung danach mit starkem Druck aufgeblasen werden soll pumpe ich mit der kleinen Luftpumpe wie ein Verrückter, bis die 2,5 Bar drin sind. Schnell baue ich den Hinterreifen wieder in den Rahmen und drehe ihn damit sich die Dichtflüssigkeit gleichmäßig verteilen kann. Dann setzen wir unsere Fahrt fort.

Als wir nach knapp acht Stunden, einen Umweg, zwei Platten und 100 km die Stadt Fuxian erreichen, ist es bereits dunkel. Erschöpft aber glücklich stellen wir unsere Räder vor unserer Unterkunft ab und erfahren, dass wir sie trotz vorheriger Zusicherung nicht mit ins Haus nehmen zu dürfen. Der Manager will sie auf einem öffentlichen Busbahnhof geparkt wissen. Wir sind entsetzt. Nach längerer Diskussion jedoch erlaubt uns der Besitzer des Hauses die E-Bikes in der Lobby unterzubringen. „Aber ihre Fahrradanhänger müssen draußen bleiben“, verstehen wir. „Ich besitze eine Überwachungskamera“, meint er und deutet auf das kleine elektronische Auge an der Decke. Da ich weiß, dass so eine Kamera nichts bringt, weil der Beobachter des Geschehens nachts sicherlich schläft, versuche ich ihm zu erklären, dass auch die Anhänger unbedingt ins Haus müssen. Der Mann sieht mich an. Weiß nicht wovon ich spreche. Hat keine Ahnung davon wie wichtig die Anhänger, wie wichtig und unwiederbringlich jeder Ausrüstungsgegenstand für uns ist. Wir haben keine Kraft mehr eine andere Unterkunft zu suchen, vor allem wissen wir nicht ob es in diesem kleinen Ort überhaupt ein Gästehaus gibt welches Ausländer aufnehmen darf. Unabhängig davon ob sie einen Hund akzeptieren und unsere Räder im Haus einstellen. Obwohl wir einen traumhaften Tag erleben durften, fühlen wir in diesem Moment das Auf und Ab des Lebens. Das Ab ist ernüchternd, ist ein Aspekt im Land der Gegensätze. Wir diskutieren weiter, rufen Magaret von Bosch an, die uns seit einiger Zeit hilft die Unterkünfte im Voraus zu buchen. Ich reiche dem Besitzer des Gästehauses mein Smartphon. So kann Margaret mit ihm direkt sprechen und hoffentlich die Situation klären. Kaum hat mir der Mann mein Telefon zurückgegeben, sperrt er einen Schuppen auf, der direkt an seinem Haus anschließt. Als wäre nichts gewesen, dürfen wir nun dort unsere Anhänger unterbringen. Wieder zeigt uns das Schicksal das alles möglich ist, auch wenn wir es manchmal nicht glauben. Oftmals hängt es vom Durchhalten ab, vom starken Willen und der inneren Überzeugung.

Nachdem unsere Anhänger und Räder weggesperrt sind müssen wir unsere Ausrüstung in den zweiten Stock tragen. Da die Beleuchtung ausgefallen ist, in völliger Dunkelheit. „Puh, was für ein Tag“, sage ich mich auf das Bett setzend. „Ich sterbe vor Hunger. Wollen wir was Essen gehen?“, fragt Tanja. „Ja, aber zuerst muss ich noch die Bilder von den Kameras in den Computer spielen und unsere Logdaten aufzeichnen“, antworte ich, obwohl ich ehrlich gesagt nicht weiß woher dafür noch die Energie zu nehmen ist.

Nach dem Abendessen kriechen wir erschöpft in unsere nach Rauch riechenden Betten. Unter unserem Zimmer befindet sich eine Karaokebar, deren Lautsprecher bis zum Anschlag aufgedreht sind und den Fußboden und Wände erbeben lassen. „Ich glaube es nicht!“, fluche ich und laufe zur Rezeption, um mich zu beschweren. „Ich höre nichts“, meint die Dame am Empfang. Tatsächlich ist von dem entsetzlichen Lärm hier nichts zu vernehmen. „Kommen sie doch bitte in unser Zimmer und hören sich das an“, schlage ich vor, worauf mir die junge Chinesin unwillig folgt. Wum! Wum! Wum!, hämmert es zu furchtbar schrägem Geschrei. Das Empfangsmädchen ist mit der Situation überfordert. „Um 24:00 Uhr hört das auf“, verspricht sie und geht wieder. Wir überbrücken die Zeit mit Lesen. Um 24:30 Uhr hat sich das infernalische Gejaule noch verstärkt. Offensichtlich sind jetzt alle Sängerinnen und Sänger nicht nur heißer sonder total besoffen. „Wie in der Mongolei“, stöhne ich, weil wir dort des Öfteren unter Karaokebars gelitten haben und versuche meinen Kopf unterm Kissen zu begraben. „Ich halte das nicht mehr aus“, meint Tanja um 1:00 Uhr nachts und stürmt zum Empfang. Sie schafft es gleich drei der dort Anwesenden in unseren Raum zu schleppen. Etwas verlegen bieten sie uns an in eine andere Räumlichkeit im dritten Stock umzuziehen. Tanja und ich blicken uns an. Keine Chance. Unseren Hausstand einen Stock höher zu schleppen ist jetzt um 1:15 Uhr völlig indiskutabel. Die Drei verlassen uns wieder, nicht ohne versprochen zu haben, dass spätestens um 2:00 Uhr der Lärm ein Ende haben wird.

Es ist 3:00 Uhr am Morgen. Tanja hat sich schon vor einer Stunde ins Land der Träume geflüchtet. Ich liege wach in meinem Bett. Der schwere Bass wummert durch die Matratze und das katzenartige, teils hysterische chinesische Geschrei dringt nach wie vor ungefiltert durch den Fußboden und Wände. Ich versuche mich in Gelassenheit, nehme den Wahnsinn der schrägen, lauten und schrillen Töne als Lernaufgabe das Unabänderliche zu akzeptieren. In diesem Fall die einzige Möglichkeit um dem Wahnsinn zu entfliehen…

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