Aus dem Smog in den Smog – Ritzelwechsel an der Straße
N 34°31’56.5’’ E 110°04’31.9’’Datum:
11.01.2016 bis 12.01.2016
Tag: 197 – 198
Land:
China
Provinz:
Shaanxi
Ort:
Huayin
Breitengrad N:
34°31’56.5’’
Längengrad E:
110°04’31.9’’
Tageskilometer:
125 (85 km Bus)
Gesamtkilometer:
11.636 km
Luftlinie:
108 km
Durchschnitts Geschwindigkeit:
22.1 km
Maximale Geschwindigkeit:
41.6
Bodenbeschaffenheit:
Asphalt
Maximale Höhe:
450 m
Gesamthöhenmeter:
13.929 m
Höhenmeter für den Tag:
250 m
Sonnenaufgang:
07:46 Uhr
Sonnenuntergang:
17:46 Uhr – 17:47 Uhr
Temperatur Tag max:
4°C
Temperatur Tag min:
minus 4°C
Aufbruch:
07:10 Uhr
Ankunftszeit:
15:00 Uhr
(Fotos zum Tagebucheintrag finden Sie am Ende des Textes.)
Um 6:00 Uhr am Morgen werden wir von unseren Armcomputern geweckt. Als ich auf dem Balkon bin, um Ausrüstung in die Radanhänger zu schlichten, schrauben sich zwei Lichter durch die Finsternis und streifen ein paar Häuser und Verkaufsbuden der schmalen Gasse unter mir. „Der Fahrer ist schon da!“, rufe ich Tanja zu. Mit seiner Hilfe sind die Radtaschen, Anhänger und Fahrräder schnell nach unten getragen und in dem Kleintransporter verladen. Weil sich im Fahrgastraum des betagten Vehikels nur zwei Sitzplätze befinden, hat der Mann einen alten Bürostuhl auf die Ladefläche gestellt, auf dem es sich Tanja bequem macht. Kurz nach 7:00 Uhr verlassen wir unsere Jugendherberge, die uns in den letzten Wochen ein schönes Zuhause bot. „Super, die Straßen sind noch leer“, freue ich mich, doch bereits zehn Minuten später stehen wir im Stau des morgendlichen Berufsverkehrs. Tanja checkt indes den Smogindex auf ihrem Smartphone. „Nur 170 Mikrogramm“, sagt sie. Im ersten Licht des Morgens scheint die Luft tatsächlich etwas klarer zu sein als in den letzten zwei Wochen. Nach einer Stunde erreichen wir den Stadtrand von Xi’an. „Ich glaube es nicht“, schnaufe ich auf eine dichte Abgaswand vor uns deutend, die das Land fest im Griff hat. „Ob das an den Kraftwerken und den Industrieanlagen außerhalb der Stadt liegt?“ „Wahrscheinlich“, meine ich und spüre die sich in mir breitmachende Beklemmung. Um meine aufkommende Bekümmernis nicht zu zeigen hülle ich mich in Schweigen. Der Tachometerzähler zeigt 40 zurückgelegte Kilometer an. Also liegen noch 20 km vor uns. Hoffend, dass es dort besser ist wo uns der Fahrer ins Freie setzt, döse ich vor mich hin. Dann verlassen wir die Autobahn, biegen auf eine Landstraße und an einem breiten Stückchen des Seitenstreifens quietschen die angerosteten Bremsen. Tanja und ich blicken aus dem Fenster. „Sieht furchtbar aus“, meint sie. „Ja.“ „Willst du ihn fragen ob er uns für 100 zusätzliche Yuan (13,91 €) noch 20 km weiterfährt?“ „Meinst du da sieht es dann besser aus?“ „Vielleicht. Und wenn nicht müssen wir nicht all zu lange durch diese gesundheitsgefährliche Suppe radeln um Huayin zu erreichen.“ „Okay, da hast du recht“, sage ich und versuche dem Fahrer zu erklären was wir wollen. Er nickt, lächelt und ist einverstanden. Kaum haben wir gewendet und befinden uns wieder auf der Auffahrt zur Autobahn, beschleicht mich ein unwohliges Gefühl. „Hoffe er denkt jetzt nicht anstatt der vereinbarten 500 Yuan (69,57 €) zusätzliche 600 Yuan (83,48 €) zu bekommen?“ „Wie so denn? Du hast doch eindeutig aufgeschrieben, dass er bis hierher 500 Yuan erhält und weitere 100 Yuan für die zusätzlichen 20 km“, sagt Tanja. „Ich weiß ja nicht wie sein chinesisches Hirn tickt aber er könnte auch verstanden haben zusätzliche 600 Yuan von uns zu bekommen“, antworte ich, krame den Zettel noch mal aus der Hosentasche und erkläre unser Anliegen erneut. Unser Mann bremst daraufhin noch in der Auffahrt und schüttelt den Kopf. „Ich will 1.100 Yuan“, (153 €) höre ich fassungslos. Nun stehen wir in der langgezogenen Kurve einer Autobahnauffahrt und diskutieren über Geld. Mir ist nicht klar was gefährlicher ist, der Smog oder bei diffusem Licht hier am Rand einer Autobahnauffahrt zu stehen. „Wir sollten Tina anrufen. Vielleicht kann sie uns helfen“, überlegt Tanja, tippt die Nummer ins Handy, erklärt ihr die Situation und reicht es dem Fahrer. Es dauert nur wenige Augenblicke, dann gibt mir unser Chauffeure freundlich grinsend das Telefon zurück und ist mit den zusätzlichen 100 Yuan einverstanden. „Sorry, dich so früh geweckt zu haben. Du hast uns wirklich geholfen. Vielen Dank“, sage ich. „Keine Ursache“, haucht Tinas schlaftrunkene Stimme durch den kleinen Lautsprecher.
20 km weiter halten wir in einer trüben Ortschaft. „Sieht nicht gut aus“, sage ich auf den Nebel deuten, der aber keiner ist. Wir entladen den Transporter, schlichten alles auf dem Gehsteig und geben dem Mann 600 Yuan. (83,48 €) Weil er nicht nachverhandelt schenke ich ihm noch eine Flasche Bier die wir nicht radeln wollen. Nach mehrmaligem Ablehnen bedankt er sich und verschwindet in einem nahen Restaurant um zu frühstücken. Routiniert beladen wir unsere Bikes und koppeln die Hänger an die Räder. Einige Leute, der nahen einfachen Geschäfte, sehen uns interessiert zu. Es ist mit minus 3 Grad unangenehm kalt. Plötzlich kommt unser Chauffeur wieder und gibt uns ein belegtes chinesisches Sandwich und ein paar Teigtaschen. Ob er ein schlechtes Gewissen hat oder sich über die Geste mit dem Bier freute, werden wir nie erfahren. Tatsache ich, dass er uns in diesem tristen Moment etwas zu Essen schenkt. Wir bedanken uns herzlich und verspeisen es heißhungrig. Bevor der Fahrer uns hier am Straßenrand zurücklässt, erklärt er uns noch die Richtung in die wir fahren müssen, organisiert vom Laden gegenüber zwei Becher mit heißem Wasser, und verabschiedet sich.
45 Minuten später ist es soweit. Die Riese und Müller stehen beladen mit angespannten Hängern am Straßenrand. Eine Gruppe Schaulustiger verfolgen unseren Start. „Bereit!“, rufe ich. „Bereit!“, antwortet Tanja. Ich lege den dritten Gang ein, schwinge mich über die Mittelstange und trete in die Pedale. Nur einen Meter weiter blockiert das Tretlager. Mit Glück vermeide ich den Sturz. „Was ist denn?“, fragt Tanja, die durch meinen abrupten, unvorhergesehenen Stopp, fast aufgefahren wäre. „Weiß nicht. Ich kann nicht treten“, antworte ich nach unten sehend, um zu verstehen was da blockiert. „Hat sich wahrscheinlich nur etwas verklemmt“, sage ich und starte erneut, werde aber umgehend wieder gestoppt. Dann bemerke ich, dass Die Kette am Boschmotor von unten nach oben über das Zahnrad gezogen wird. Bei dieser Feststellung wird es mir trotz der Kälte heiß. „Es muss irgendwie mit dem Ritzel zusammenhängen“, erkläre ich Tanja. „Und was jetzt?“ „Vielleicht hätte ich das Zahnrad am Motor ebenfalls tauschen müssen? Vielleicht passt die neue Kette nicht mehr auf das alte Ritzel? Wenn ich das wüsste würde ich mich besser fühlen. „Aber warum tritt der Fehler nur bei deinem Rad auf? Meins läuft doch prima?“ „Deine Last ist etwas geringer. Ich wiege knapp 30 kg mehr als du und Ajachi ist auch nicht gerade leicht. Denke die Zahnräder an deinem Rad sind nicht so abgenutzt wie an meinem, wo sich die Haifischzähne stärker gebildet haben und sich in den engeren Gliedern der neuen Ketten verhaken. Hätte ich die alten Ketten nicht weggeworfen wäre das jetzt kein Problem. Die würden uns zumindest nach Huayin bringen. Dort könnte ich mich dann mit der Reparatur befassen. Leider habe ich das Antriebszahnrad noch nie selbst gewechselt und nur der Gedanke daran, das hier an der Straße zu versuchen, treibt mir den kalten Schweiß auf die Stirn.“ „Besitzen wir Ersatzzahnräder für den Antrieb?“ „Ja.“ „Dann wirst du es auch schaffen es auszutauschen“, ermutigt mich Tanja, woraufhin wir Ajacis Anhänger abkoppeln, die Taschen entladen und das Bike auf den Gehsteig stellen. Dann hole ich das dafür notwendige Werkzeug und ein neues Ritzel aus dem Anhänger. Mit dem Kurbelabzieher löse ich die Tretkurbel und betrachte mir eingängig das Antriebszahnrad am Boschmotor. „Aha, hier muss der Boschschlüssel drauf, um das Zahnrad zu lösen. Sollte kein Problem sein“, meine ich. In der Tat lässt es sich viel leichter lösen als das Zahnrad am Hinterreifen. 20 Minuten später führe ich eine erfolgreiche Probefahrt durch. Die Kette schnurrt ohne zu ruckeln über das Antriebszahnrad. Zuversichtlich, diesmal wirklich aufbrechen zu können, beladen wir erneut mein Rad.
„Bereit!“, rufe ich. „Bereit!“, antwortet Tanja. Ich lege den dritten Gang ein, schwinge mich erneut über die Mittelstange und trete in die Pedale. „Jupieee!“, frohlocke ich weil es ohne Problem dahin geht als wäre nie etwas gewesen. Die Freude ist jedoch schnell verflogen, denn auch hier draußen reiht sich ein Kraftwerk an das andere. Wegen der schlechten Luft sind die Berg zu unserer Rechten nur schemenhaft zu erkennen. Eigentlich wollten wir dem Smog von Xi’an entfliehen, jedoch scheint er hier draußen keinen Deut besser zu sein. Wen wundert’s, soll die Smogdecke so groß wie Spanien sein. Schweigend radeln wir durch die Trostlosigkeit und erreichen nach knapp 40 km den Ort Huayin. Schnell finden wir unser Hotel direkt an der Straßenkreuzung. Kaum ist die Ausrüstung im eiskalten Zimmer verstaut, gehe ich in die Lobby, wo unsere Räder geparkt sind, und wechsle auch Tanjas Antriebsritzel…
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