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Link zum Tagebuch: TRANS-OST-EXPEDITION - Etappe 1

Aufflammende Zwiegespräche mit Mutter Erde?

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    Tag: 30

    Sonnenaufgang:
    06:13 Uhr

    Sonnenuntergang:
    20:15 Uhr

    Gesamtkilometer:
    722,70 Km

    Temperatur – Tag (Maximum):
    19 °C

    Temperatur – Tag (Minimum):
    14 °C

    Temperatur – Nacht:
    10 °C

Die gesamte Nacht stehen die schleusen des Himmels offen. Unter den Isolationsmatten gibt der Rasen schmatzende Geräusche von sich. Der  Zeltboden bildet eine dünne Schicht zwischen den darunter einher fließenden kleinen Bächen und Rinnsalen. Durch die hohe Luftfeuchtigkeit herrscht im Innenzelt ein Klima welches mich an die Bergurwälder von Neuguinea erinnert. Alles ist klamm. Selbst unsere Daunenschlafsäcke liegen wie feuchte Lappen auf unseren ebenfalls feuchten Körpern. “Das muss der schlechteste August seit Aufzeichnung des Wetters sein”, meine ich mürrisch. “Hm”, antwortet Tanja knapp und ich frage mich wie lange wir diesem Psychoterror des Regens noch standhalten können. Auch wenn wir auf unseren Expeditionen und Reisen schon viel erlebt haben, nie hätten wir damit gerechnet hier im deutschen Hochsommer so gnadenlos abzusaufen. “Irgendwann muss es ja mal wieder zu regnen aufhören”, flüstere ich. “Hm”, antwortet es an meiner Seite. “Soviel Wasser kann es doch gar nicht geben”, füge ich noch hinzu. “Hmm”, brummelt es worauf ich wieder verstumme, um dem Trommelwirbel der millionenfachen Tropfen zu lauschen. “Der Sommer ist gelaufen”, hat gestern einer der letzten Camper zu mir gesagt. “Wie meinen sie das?”, wollte ich wissen. “Es gibt keinen Sommer mehr. Der Herbst wird genauso weitergehen wie es jetzt schon ist und dann kommt der Winter. Ich breche heute ab und fahre Heim”, versetzte er meiner sowieso schon angeschlagenen Psyche einen unfairen Tiefschlag. Ist Abrechen eine Alternative? Jagt mir ein Gedanke durch den Kopf. Auf keinen Fall. Antwortet es in mir im gleichen Atemzug. “Aber wir könnten doch später weitermachen und die Zeit nutzen, um uns in einem wärmeren Land zu erholen”, sage ich zu mir selbst. “Und was dann? Du wirst doch nicht aufgeben wollen bevor der Trip erst richtig beginnt?”, vernehme ich eine innere Stimme klar und deutlich. “Und wenn der Camper von gestern recht hat? Wenn es wirklich so nass bleibt wie bisher? Wenn es keinen Sommer mehr gibt und der Herbst sich übergangslos mit dem Winter vereint?”, entgegne ich. “Lass dich doch nicht ins Boxhorn jagen. Du weißt doch dass jedes Wetter sich wieder ändern wird. Das es Höhen und Tiefen gibt. Jetzt gerade befindet ihr euch in einem lächerlichen Gefühlstief. Es ist nichts geschehen. Keiner ist verletzt. Keiner ist krank. Ihr habt genügend zu essen und eine gute Ausrüstung. Wie willst du denn bis nach Sibirien kommen wenn du bei der ersten, kaum zu erwähnenden Herausforderung, sofort die Flinte ins Korn wirfst? Was ist bloß los mit dir? Warst wohl zu lange in einem warmen Büro gesessen? Hast dich anscheinend verweichlichen lassen? Du beginnst doch nicht zu vergessen was dir Mutter Erde und die Wüsten in den letzten Jahren beigebracht haben?”, hämmert es auf mich hernieder. “Ja, ja…, du hast ja Recht. Dachte doch nur über eine Alternative nach”, entschuldige ich mich. “Du kannst gerne über Alternativen nachdenken. Du kannst auch über Umleitungen und Umwege nachdenken aber es bringt dich nicht weiter den Gedanken von Aufgeben oder Aufschieben zu verfolgen. Das weißt du doch.” “Jaaa”, antworte ich der Stimme in mir und frage mich mit einem kleinen Gedankenfunken ob die Stimme mein Unterbewusstsein ist oder ob sich da wieder Mutter Erde zu Wort meldet? “Denke nicht zu viel. Du weißt wer ich bin. Oder beginnst du daran zu zweifeln was vor wenigen Monaten noch Tatsache war? Warum argwöhnst du soviel? Lasse zu. Lasse fließen”, höre ich freudig überrascht die mir so vertrauten Aussagen. “Du bist zurück? Das ist ja fantastisch! Wo warst du denn die ganze Zeit?”, blubbert es aus mir heraus. “Wir haben dir eine Pause gegeben. Dir Zeit gegeben die Dinge zu tun die du tun musstest. Wenn es erforderlich ist, du offen bist, werden wir uns von Zeit zu Zeit melden und unseren Kommentar zur Lage geben”, vernehme ich freudig einen verloren geglaubten Schatz wieder gefunden zu haben.

Erklärungsversuch der Zwiegespräche

Während unseres 7000 Kilometer langen Fußmarsches durch Australien hatte ich regelmäßig mit Mutter Erde oder den Wüsten kommuniziert. Am Anfang war ich über dieses für mich großartige Phänomen völlig verwundert, wollte es nicht für wahr haben. Doch die grundsätzlich positiven, motivierenden Gespräche kamen immer öfter, wurden ein regelmäßiger Bestandteil der Wochen und Monate im Australischen Outback und hatten mir völlig neue Sichtweisen über mich selbst, der Mutter Erde und den globalen Zusammenhängen von allem was ist geöffnet. Sobald wir die Wüsten Australiens verlassen hatten, um uns wieder in Deutschland, und wenn es nur für begrenzte Zeit war, einzuleben, hörten diese Gespräche auf. Sie sind abgebrochen. Obwohl ich mich konzentrierte, meditierte, nachdachte und alles versuchte wieder die mir vertraute Stimme der Wüste oder Mutter Erde zu hören, sie hat seitdem nicht mehr zu mir gesprochen. Ohne Zweifel war die Zeit in unserer Heimat geprägt von unzähligen Arbeitsstunden. Sie war geprägt von Wocheend- und Nachtarbeit. In wenigen Monaten wollten wir alles schaffen. Bücher schreiben, Shows gestalten, Webseite aufbauen und vieles mehr. Mich wundert es also nicht, dass es da keinen Freiraum mehr gab, um überhaupt nur ein Flüstern der Mutter Erde wahrzunehmen. Ehrlich gesagt roch ich kaum noch den Duft der Blumen in unserem Garten, spürte nicht den Wind auf meiner Haut geschweige denn einen Regentropfen. Wie sollte ich also mit Mutter Erde kommunizieren, wenn ich nicht einmal in der Lage war ihre einfachste Sprache wahrzunehmen? Jetzt befinden wir uns seit über vier Wochen wieder in ihrem Schoß. Auch wenn es keine Wildnis um uns gibt, Mutter Erde ist überall vorhanden, auch hier in Deutschland. Man muss sie nur realisieren, riechen, wahrnehmen und hinhören. Durch unseren Radtrip bin ich wieder gezwungen mich auf sie zu konzentrieren, bin ich gezwungen ihre fruchtbare Nässe wahrzunehmen, ihren Wind, ihre Wärme und Kälte und realisiere das sie noch da ist, das sie noch lebt und mir mit einer rauen Streicheleinheit zeigt das es noch mehr gibt als den Erfolg, Shows, Bücher, Fernsehfilme usw. Langsam beginne ich wieder von meinem Wahn der Arbeit zu erwachen und in ihre Realität einzutauchen. Ich hoffe, dass die letzten zwei aufflackernden Gespräche keine Einzelfälle bleiben. Ich hoffe und wünsche mir, dass es mir vergönnt ist wieder dort anzuknüpfen wo es in den Australischen Wüsten aufgehört hat. Das es mir vergönnt ist einige Gedanken mit ihr, der Mutter Erde, auszutauschen.

Gerne werde ich hier in diesem Tagebuch meine und unsere Erfahrungen festhalten. Gerne werde ich offen über meine Gedanken den Gesprächen mit anderen Menschen meinen innersten Ängsten und Gefühlen berichten. Und natürlich auch über eventuelle Zwiegespräche mit der Mutter Erde.

“Meinst du wir sollen weiterfahren?”, frage ich Tanja nachdem sie unseren Kocher weggepackt hat. “Das musst du entscheiden. Wenn du möchtest bleiben wir und wenn du der Meinung bist wir sollten fahren, dann fahren wir”, antwortet sie trotz des Wetters gut gelaunt. “Ich weiß nicht”, entgegne ich zweifelnd. “Hör auf dein Gefühl.” “Mein Gefühl ist völlig nass geregnet. Es meldet sich nicht”, antworte ich und betrachte mir aus dem Schutz des Scheunendaches die regenschwangeren Wolken. Nach einigen Hin und Her entscheiden wir uns zu bleiben und den Tag als einen so genannten Erholungstag zu sehen.

“Habt ihr heute schon die Nachrichten gehört?”, fragt uns ein Paar die gerade mit Fahrrad angekommen sind. “Nö, ich habe schon seit Wochen keine Nachrichten gelesen oder gehört. Will mich eigentlich nicht mit diesen ständigen negativen Misst belasten”, antworte ich. “Ach so, aber vielleicht wollt ihr wissen das Garmisch von der Außenwelt abgeschnitten ist. Eine furchtbare Überschwemmung der Gebirgsflüsse wütet im Allgäu. Es herrscht dort Katastrophenalarm. Es sollen sogar schon Menschen umgekommen sein. Ganze Brücken und Häuser hat die Flut weggerissen. Muren sind von den Bergen gekommen und haben Ortschaften verwüstet. Es herrscht Elend und Leid. Man rechnet damit, dass die Donau in Kürze wieder eine außer Kontrolle geratene Flut mit sich bringt”, schockt es uns.

Sofort schnappen wir uns die Kameras und schreiten die Anhöhe zur Donau hinunter. Wir wollen sehen ob sie bereits über die Ufer getreten ist. Tatsächlich ist sie seit gestern beängstigend gestiegen. Ein mächtiger, zusehend anschwellender brauner Strom drückt sich in einer irren Fließgeschwindigkeit durch sein nicht mehr sichtbares Bett. Der gegenüberliegende Campingplatz ist bereits seit gestern geräumt und völlig verschwunden. Ein gefräßiger See hat sich da ausgebreitet wo kurz vorher noch grüne Wiesen und Wege zu Hause waren. Plötzlich fährt ein Feuerwehrauto an uns vorbei. “Achtung! Achtung! Der Pegelstand der Donau ist auf 7 Meter gestiegen. Es ist davon auszugehen, dass heute Nacht die Donau wie bei der Flutkatastrophe von 1999 wieder einen Pegelstand von 8 Meter erreicht!”, warnt die Lautsprecherdurchsage die gefährdeten Anwohner.

Einige von ihnen stehen in Grüppchen zusammen und unterhalten sich über die bedrohliche Situation. “Ich glaube nicht, dass sie den Höchststand erreicht. Was meinst Du?” “Glaube ich auch nicht. Seit der Katastrophe von 1999 regulieren sie die Staustufen besser. Ich glaube, dass sie damals die Staustufe von Regensburg wegen ihrem Volksfest nicht rechtzeitig aufgemacht haben. Die wollten doch nicht das ihnen ihr Fest absäuft.” “Glaube ich auch. Die waren bestimmt mit verantwortlich dafür das Passau abgesoffen ist.” “Könnte sein. Jede Stadt kocht doch ihr eigenes Süppchen. Die wollen doch soviel Wasser wie nur möglich vor ihren Staustufen halten. Das bedeutet nichts anderes als Energie wenn das Wasser später wieder durch die Turbinen fließt.” “Ja, stimmt. Eigentlich sollten die Wehre von einer übergeordnetem Stelle reguliert werden.” “Trotzdem, die haben aus den Fehlern von 1999 gelernt. Es wird bestimmt nicht soweit steigen.” “Warten wir es ab”, höre ich gebannt einem Gespräch zu.

Mittlerweile bauen einige der Uferbewohner Gerüste auf. Sollte die Donau wirklich wie angekündigt ansteigen können sie auf diese Weise ihre Häuser durch einen Neben- oder Hintereingang im ersten Stock betreten. Tanja und ich beobachten das rege Treiben der Menschen. All zu viel Zeit bleibt ihnen nicht mehr. Sie fahren ihre Autos aus der Garage und bringen sie an einen höheren sicheren Ort, weg vom Ufer.

Dicke Baumstämme, Plastikkanister und anderes Treibgut fließt an uns vorbei. Immer mehr Unrat trägt der Fluss auf seinem Rücken. Die Stimmung ist eigenartig, fast unheimlich. Sirenen heulen auf, kommen näher und verschwinden irgendwo im Nichts. Die ersten Keller werden ausgepumpt. Blaulicht blitzt vom anderen Ufer herüber. “Irgend etwas ist geschehen”, sagt ein etwa Fünfzigjähriger zu mir. Konzentriert sieht er ins gefräßige Wasser des ständig steigenden Ungetüms. “Haben sie Angst um ihr Haus?”, frage ich vorsichtig. “Nein, eher um das Haus meiner Mutter. Aber ich bin Zuversichtlich. Kenne die Donau schon seit 50 Jahren. Sie wird uns diese Nacht nicht gefährlich.” “Und wenn doch?”, möchte ich wissen. “Sehen sie die Leute dort drüben? Das sind meine Verwandten. Wir sind alle gekommen um das Haus unserer Mutter rechtzeitig leer zu räumen.” “Benötigen sie noch Hilfe?”, fragt Tanja besorgt. “Nein, vielen Dank für ihre Nachfrage. Wir haben genügend Hände, um das was meine Mutter besitzt in kurzer Zeit in Sicherheit zu bringen.”

Die Feuerwehr kommt wieder. Der Lautsprecher dröhnt über die wenigen Anwesenden und die Häuser. In der aufkommenden Dämmerung rasen zwei Einsatzboote den Fluss hinunter. Geschickt weichen sie den gefährlichen Baumstämmen aus. Die Schifffahrt ist bereits seit heute Morgen eingestellt. Nur Einsatzboote der Rettungskräfte und Feuerwehr dürfen das zunehmend gefräßige Monster befahren. Mir läuft ein Schauer den Rücken hinunter. Die Macht des Wassers drängt sich in mein Bewusstsein. Die Donau hat ihr friedliches, harmloses Aussehen schon seit stunden abgelegt. Die schmalen Dämme hinter denen sich die zerbrechlich aussehenden Behausungen der Menschen ducken sehen gegen die zunehmende Macht des zweitgrößten Flusses Europas wie Spielzeug aus. Starker Regen bearbeitet den dunklen Strom. Windböen zersausen seine Oberfläche und scheinen das Bild einer unvermeidbaren Katastrophe hervor zu beschwören. Wir sind froh uns fürs Bleiben entschieden zu haben. Hier auf dem hoch gelegenen Zeltplatz sind wir zumindest vor den hungrigen Fluten sicher.

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