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RED EARTH EXPEDITION - Etappe 2

Auch wir Menschen schließen den Zyklus zwischen Leben und Tod

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    Tag: 55 Etappe Zwei

    Sonnenaufgang:
    06:18

    Sonnenuntergang:
    17:38

    Luftlinie:
    27,1

    Tageskilometer:
    28

    Temperatur - Tag (Maximum):
    35 Grad

Drei wilde Kamelbullen-Camp — 09.08.2001

Auch diese Nacht haben wir wenig und unruhig geschlafen. Es muss an den Vermoxtabletten liegen die wir seit gestern zur Entwurmung nehmen. Da wir Rufus mit uns haben der seine Schnauze in alles steckt ob es tot oder lebendig ist nehmen wir aus Vorsorge alle drei Monate dieses Mittel gegen Würmer. Nach unserer Reiseerfahrung ist es leicht möglich sich solche Untermieter einzufangen die dann auf Dauer große Schäden anrichten können. Vor allem wenn man einen Hund wie Rufus hat der es irgendwie immer wieder fertig bringt einen einfach mal schnell seine nasse Zunge übers Gesicht zu lecken.

„Meinst du wir müssen Edgar beim Beladen die Hinterbeine zusammenbinden? Gestern lief es hervorragend. Es könnte sein, dass er seine Angst unter Kontrolle gebracht hat und sich ab jetzt ruhig verhält,“ schlage ich vor um uns die Extraarbeit und Edgar die unangenehme Prozedur zu ersparen. „Wenn du meinst, klar lass es uns versuchen,“ sagt Tanja ebenfalls zuversichtlich. Nachdem wir Sebastian, Hardie, Jafar und Istan beladen haben huschen wir Edgar ab. Er folgt artig und lässt sich die Wassersäcke in die Taschen heben. Als ich den letzten der 12 Säcke verlade kommt Tanja von hinten und bringt Jasper an. Für Edgar ist das zuviel des Guten. Er bekommt es mit einer unbeschreiblichen und unkontrollierbaren Angst zu tun, wirft sich auf die Seite und schwingt seine Hinterbeine sensenartig über den Boden. Im gleichen Atemzug hechte ich zur in Sicherheit wodurch mich der gefährliche Schwinger nur knapp verfehlt. „Udu Edgar! Udu! Es ist doch nur dein Mate Jasper, rufe ich, doch Panik hat die Kontrolle seiner Gedanken völlig außer Gefecht gesetzt. Er explodiert mit seinem Hinterteil nach oben und scheffelt auf seinen zusammengebundenen Knien wie vom Tod verfolgt zur Seite. Da er bereits mit der Nacken und Nasenleine an Istan gebunden ist kommt er nicht weg und schwingt seinen schweren Körper um 180 Grad herum, um ihn dann direkt neben Istan mit tiefen Krachen auf den Boden zu werfen. Dabei setzt er sich auf die Gott sei Dank kaum beladenen Satteltaschen von Istan und rührt sich keinen Millimeter mehr von der Stelle. Es ist ein groteskes Bild ihn so sitzen zu sehen, denn sein Hintern ist jetzt neben Istans Kopf. Vorsichtig binden wir ihm die vorderen Beinseile auf und befehlen ihn aufzuspringen. Mit dem Plastikrohr versetze ich ihm einige leichte Schläge auf sein Hinterteil bis er sich überlegt die 180 Grad zurück zu gehen und sich wieder normal nieder zu huschen. „Das war ein Fehler. Wir hätten ihn wie immer auch die Hinterbeine zusammenbinden sollen,“ sage ich trocken und leicht entnervt. Wir haben Glück gehabt, das bei dieser Aktion keiner der Wassersäcke Schaden genommen hat und fahren mit dem Laden fort. Jasper verhält sich hingegen auch heute recht gut. Er ist ein völlig anderer Charakter und schon richtig zutraulich geworden. Seit dem wir ihn trainieren hat er noch nie versucht zu beißen oder auszuschlagen. Ganz im Gegenteil möchte er immer an uns riechen, um herauszufinden was das für seltsame Kreaturen sind die ihm seit geraumer Zeit ständig sagen was er zu tun hat. Wenn er viel Angst hat reißt er sein Maul auf und brüllt uns an, doch er scheint nicht einmal daran zu denken seine Zähne zu benutzen.

Trotz des Zwischenfalles kommen wir schon um 8 Uhr 30 los. Als wir auf den Track treten werfe ich wie immer einen Kontrollblick auf unsere Jungs und die Ladung und sehe wie es aus Istans Satteltasche tropft. „Ich glaube Edgar hat doch einen Wassersack zerstört,“ sage ich zu Tanja. Ich halte die Karawane an und wir lassen alle Tiere niedersetzen. Tatsächlich ist der einzige, in Istans linker Satteltasche geladener Wasserbeutel undicht geworden. Wir füllen die noch vorhandene, überlebensnotwendige Flüssigkeit in einen der Ersatzschläuche und laufen weiter.

Gegen Mittag wird es brütend warm. Die Quecksilbersäule des Thermometers klettert auf dieser Etappe zum ersten Mal auf 35 Grad im Schatten. Da wir natürlich nicht im Schatten laufen, weil dieser hier so rar wie Gold ist, müssen wir ca. 56 Grad ertragen. „Puh, wenn das der australische Winter ist bekomme ich einen Lachkrampf,“ schnaufe ich wie ein prustendes Walross. „“Ich weiß auch nicht wie wir den Sommer überstehen sollen,“ antwortet Tanja kleinlaut. Trotz der frühen Hitze zeigt sich die Wüste von ihrer fruchtbarsten Seite. Am Wegrand blühen die verschiedensten Blumen deren Namen ich leider nicht kenne. Manche der Büsche, zarten Bäumchen und Pflanzen tragen kleine Früchte. Ihr Fruchtfleisch wird in der spätwinterlichen Sonne bald ausgereift sein. Es wird am Höhepunkt seines Seins in voller Süße aufplatzen und seine Samen in die rote Erde fallen lassen. Das Fruchtfleisch wird in der Sonne verwesen während der Samen mit der verborgenen Kraft des neuen Lebens auf den nächsten Regen wartet. Mit den ersten Regentropfen wird er keimen und zu einer neuen Pflanze oder Baum gedeihen bis diese wieder blühen, neue Samen produzieren und damit den Kreislauf von Leben und Tod schließen. Auf diese Weise werden die Pflanzen unseres Planeten immer wieder von neuem geboren und ich frage mich ernsthaft ob man diesen Zyklus mit einer Wiedergeburt vergleichen kann. In den letzten 11 Jahren unserer „Großen Reise“ habe ich mir über die Wiedergeburt schon unzählige Gedanken gemacht und mich gefragt ob da etwas Wahres dran sein kann. Wenn die Pflanzen durch ihre Samen immer wieder von neuem geboren werden ist das mit einer Inkanation vergleichbar? Und wenn ja, was ist dann mit uns Menschen? Werden wir nicht auch durch einen Samen gezeugt, um dann heranzureifen bis wir wieder neues Leben zeugen? Unsere Gene werden wie bei dem pflanzlichen Samen in einem unaufhörlichen Kreislauf weitergegeben. Auch wir Menschen schließen somit den Zyklus zwischen Leben und Tod. Ist das die Wiedergeburt von der immer gesprochen wird? Die Reinkarnation oder besser ausgedrückt die Wiederverkörperung? Ich lasse meine Augen über die scheinbar Unendlichkeit der vom Regen fruchtbar gemachten Wüste schweifen. „Was meinst du dazu Wüste? Hast du in dieser Frage eine plausible Antwort für mich?“ ,flüstere ich gedankenversunken vor mich hin. Ich beobachte meine Füße beim Gehen die sich wie das Pendel einer Wanduhr bewegen. Linker Fuß, rechter Fuß, linker Fuß, rechter Fuß und frage mich wie weit sie mich wohl tragen wollen. Ob sie stark genug sind mich wie geplant die nächsten 20 Jahre um die Welt zu tragen? Es ist schon fantastisch was der menschliche Körper leisten kann wenn ihm der Geist es befiehlt. Wenn Körper und Geist eine Einheit bilden. Ich bin im Begriff mich von meinen ungestörten Gedanken in die Welt der Philosophie tragen zu lassen als eine leichte Unregelmäßigkeit mich in den Augenblick zurückruft. „Siehst du die vielen Kamelspuren auf dem Track? Sie sehen sehr frisch aus. Ich könnte mir vorstellen das sie nicht älter als ein paar Stunden sind,“ sage ich zu Tanja die schweigend neben mir geht. „Ja ich sehe sie schon eine ganze Weile. Hoffentlich stoßen wir nicht wieder auf einen der aggressiven Bullen.“ „Gott bewahre,“ antworte ich und versuche meine Aufmerksamkeit wieder auf meine Gedanken zu lenken doch die Hitze verweigert mir den Zugang zu dieser Welt. Mittlerweile ist es 13 Uhr 30. Wir beide leiden unter den verschiedenen Schmerzen und wir stoppen alle halbe Stunde um unseren größer werdenden Durst zu löschen. „Ich kann bald nicht mehr Denis. Mir geht es heute gar nicht gut. Ich glaube ich habe Kreislaufprobleme,“ lässt mich Tanja wissen. „Noch eine halbe Stunde dann haben wir unser Tagesziel geschafft. Kannst du noch solange durchhalten?“ „Ja, ja das schaffe ich.“ Um 14 Uhr gehen wir auf eine leichte Anhöhe. Riesige Spinifexgrasbüschel ziehen sich über das baumlose Gelände und verraten uns, das aus irgendeinem Grund das vernichtende Buschfeuer dieses Land verschont hat. Auch ist es plötzlich recht felsig geworden, so dass es kaum einen Platz gibt wo wir die Tiere absetzen lassen könnten. „Hier ist es unmöglich ein Lager aufzuschlagen. Auf diesen Steinen gibt es weit und breit kein bisschen Schatten,“ stelle ich fest. „Auch für die Kamele wächst nichts Fressbares,“ entgegnet Tanja worauf wir weiterlaufen. „Ich muss mich kurz setzen. Ich kann nicht mehr. Ich glaube ich muss mich übergeben,“ sagt sie Minuten später. „Klar, ruh dich ein wenig aus,“ antworte ich besorgt. Ich halte die Karawane an und Tanja setzt sich an den Wegrand. Sie stütz ihren Kopf mit beiden Händen ab und sieht auf den Boden. „Willst du etwas trinken?“ „Nein danke, es geht mir bestimmt gleich besser.“ Fünf Minuten danach setzen wir unseren Marsch fort um ihn gleich wieder zu unterbrechen. Wieder sitzt Tanja wie ein Häufchen Elend auf der roten Erde und kämpft gegen eine Übelkeit die sie nicht erklären kann. „Es geht wieder,“ sagt sie nach wenigen Minuten und steht auf. „Ob es der Müsliriegel war? Er hat auf jeden Fall nicht mehr frisch geschmeckt,“ meint sie entkräftet. „Vielleicht war er verdorben,“ antworte ich grübelnd denn es ist leicht möglich das mal eine Verpackung irgendwo aufplatzt. Der Regen und die Sonne tragen dann schnell dazu bei Lebensmittel zu zerstören. Um 14 Uhr 30, nach einem Sechsstundenmarsch in 55 Grad, erreichen wir einen Platz auf der Anhöhe an dem wenige zwei Meter hohe Bäumchen wachsen. Ich halte die Kamele an und inspiziere den Ort. Das Buschfeuer hat hier vor wenigen Monaten die Vegetation vernichtet. Überall gedeihen neue Pflanzen. Vor allem ist das Spinfex noch niedrig. „Wir bleiben da,“ sage ich und führe die Tiere vom Weg. Wie in Trance bindet Tanja den Kamelen die Vorderfüße zusammen während ich sie ablade. Erschrocken muss ich dabei feststellen das Jaspers Sattel repariert werden muss. Die tragenden Hölzer sind nach vorne gerutscht und lassen mir keine andere Wahl als sie neu zu verschnüren. Missgestimmt und ausgelaugt setze ich mich zu Tanja. Bevor wir mit dem Aufbau des Lagers beginnen trinken wir eine aus Pulver und Wasser zusammengemischten Orangenlimonade.

Als die Sonne untergeht fallen die Temperaturen und lassen uns erleichtert durchatmen. Tanja hat sich zum Glück wieder etwas erholt und bringt unsere Jungs vom Fressen zurück. Da morgen Freitag ist und somit mein Interviewtag baue ich auch unser Funkgerät und das Telefon auf. Das Buschbüro lasse ich in der Zelttasche. Dafür ist es bereits viel zu warm. Als Ersatz ziehe ich eines der Kamelbeinseile zwischen zwei junge Bäumchen und hänge eine Plane darüber. Dann schlage ich mit dem kleinen Pickel, den wir auf der ersten Etappe zum Goldsuchen verwendet hatten, eine Feuergrube in die steinige Erde, sammle Holz und warte auf Tanja. Zum Abendessen gibt es Nudeln mit einer leckeren Soße die Tanja aus Dosentomaten und Dosentruthahnstückchen zubereitet. „Hm schmeckt wieder einmal sehr gut,“ lobe ich sie und verdrücke drei gehäufte Teller. „Du isst ja wie ein Löwe,“ „Klar nach all dem Vermox bin ich anscheinend wieder alleine in meinem Körper und freue mich nicht teilen zu müssen,“ antworte ich herzhaft lachend.

Nach dem Abendessen versuche ich vergebens zu Jo und Tom Kontakt aufzunehmen. Ich höre Tom zwar mit jemanden sprechen aber er kann uns offenbar nicht empfangen. Um 21 Uhr 30 kriechen wir in unser Moskitozelt. Ich kuschle mich in meinen Schlafsack und bin froh ihn als letzte Bastion eines Zuhauses zu besitzen. Er gibt mir das Gefühl in eine schönes sauberes Bett zu schlüpfen und dementsprechend behandle ich ihn auch.

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