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Mongolei/Shagais Jurten Camp MONGOLEI EXPEDITION - Die Online-Tagebücher Jahr 2011

Am liebsten würde ich ihm den Kragen umdrehen

N 51°20'982'' E 099°20'852''
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    Tag: 321

    Sonnenaufgang:
    05:06

    Sonnenuntergang:
    21:36

    Luftlinie:
    12,39

    Tageskilometer:
    17

    Gesamtkilometer:
    1412

    Bodenbeschaffenheit:
    Gras

    Temperatur – Tag (Maximum):
    30 °C

    Temperatur – Tag (Minimum):
    22 °C

    Temperatur – Nacht:
    4 °C

    Breitengrad:
    51°20’982“

    Längengrad:
    099°20’852“

    Maximale Höhe:
    1572 m über dem Meer

Als hätte eine große Macht einen Schalter umgelegt ist es seit ein paar Tagen heiß. Dadurch, dass der Tsagaan Nuur auf ca. 1.500 Meter Höhe liegt, ist es hier wärmer als im Frühjahrscamp der Tuwa. Doch mit der plötzlichen und täglich zunehmenden Hitze haben wir nicht gerechnet. Das Wetter hat uns keine Chance gelassen uns an die Temperaturen zu gewöhnen. Schwitzend ziehen wir unsere Pferde über eine weite, vertrocknete Grasfläche. Rinder- Pferde- und Schafherden fressen auf der Ebene das frisch sprießende Gras noch bevor es die Möglichkeit besitzt sich zu entfalten. Eine Familie entlädt gerade eine zerlegte Jurte von ihren Yaks. Sie sind vom Winter- ins Sommercamp gezogen. „Wir kommen aus der Taiga“, erkläre ich auf Mongolisch. Da keiner der Männer reagiert sage ich; „Es war ein kalter Winter dort.“ Wieder keine Reaktion. „Wir lebten dort bei den Tuwa.“ Keine Reaktion. „Ich wünsche euch einen guten Tag.“ Schweigen. „Daraa bajartaj.“ (Auf Wiedersehen) Schweigen. „Daraa bajartaj!“ (Auf Wiedersehen). „Daraa bajartaj“, (Auf Wiedersehen) antworten sie endlich und lachen verlegen. Als wir weiterziehen frage ich mich ob meine Aussprache derart schlecht ist oder ob die Männer wirklich schüchtern waren.

Auf dem weiteren Weg läuft Mogi an der Leine. Wegen der Hitze hechelt er wie ein Kraftwerk. „Das hast du davon“, sage ich zu ihm. Er sieht mich an und versteht kein Wort. „Wenn ich dich laufen lasse bist du in der Lage den Schafen und Ziegen noch das Fliegen beizubringen. Es reicht mir wenn du sie trotz deines Maulkorbes ertränken willst“, erkläre ich. Mogi sieht beleidigt auf den Boden. „Mir ist klar, dass du auf diesem Ohr taub bist“, sage ich über seine Reaktion gekränkt.

Als wir den Shishged Fluss erreichen laufen alle Pferde ohne Probleme zu bereiten auf die Fähre. Selbst Bor kann sich offensichtlich an Bilgees Prügel erinnern und schreitet zügig darauf. Ich helfe den Fährmann seine Last an einem Drahtseil über den Wasserarm zu ziehen während Tanja und Bilgee die Reittiere an den Zügeln halten.

Nach vier Stunden Fußmarsch erreichen wir Tsagaan Nuur. „Lass uns bei Ayush fragen ob wir bleiben können“, schlägt Bilgee vor. „Zu den alten Geizkragen bekommen mich keine zehn Pferde mehr hin“, antworte ich mich daran erinnernd wie er Tanja vor einigen Wochen abgezockte. „Wir sollten vor lauter Stolz nicht falsch reagieren. Wenn Bilgee nach Hause geht und einer von uns auf die Pferde achten muss, kann der andere Besorgungen machen. Die Baishin kann man wenigsten absperren. Wenn wir zu Shagai ziehen müssen wir im Zelt schlafen. Das bedeutet einer muss immer anwesend sein um die Ausrüstung zu bewachen“, erklärt Tanja. „Also gut. Einen Versuch ist es wert. Aber mehr als 5.000 Tugrik (2,85 €) pro Nacht zahlen wir nicht“, gebe ich klein bei. Ich dachte an 3.000 Tugrik. (1,71 €) Das wäre noch immer dreimal soviel als der übliche Preis“, sagt Tanja.

Auf dem Weg zu Ayushs Blockhaus biegt Tanja eine staubige Straße zu früh ein. Dann führt sie Naraa durch eine Einzäunung. Sharga verpasst den Eingang in die Einzäunung und folgt Tanja außerhalb des Holzzaunes. „Tanja! Tanja!!!“, rufe ich, um sie zu warnen, da ich davon ausgehe gleich mit einem Problem konfrontiert zu werden. Kaum habe ich Tanja gerufen realisiert Sharga die räumliche Trennung von Naraa. Kurz entschlossen möchte er durch den Zaun, der nur durch einen Balken besteht, welchen man in ca. 1,6 Meter Höhe von Pfosten zu Pfosten genagelt hat. Sharga nimmt seinen Kopf nach unten und unterläuft den Balken der sich aber in seiner Ladung verhängt. Erschrocken durch das unvorhergesehene Hindernis und das schrecklich schabende Geräusch dreht er regelrecht durch. Er bäumt sich ein wenig auf und galoppiert in wilder Panik unter den Balken durch. Die geballte Kraft unseres Wagenpferdes und der Balken reißt ihm die Ladung inklusive Lastensattel vom Rücken. Die Seesäcke fliegen ein Stück durch die Luft und krachen auf den staubigen Boden während Sharga wie ein Pfeil auf Naraa und Tanja zurast. „Brrrrr! Brrrrr! Brrrrr!“, ruft Tanja, um das rasende Pferd zu beruhigen. Kurz bevor Sharga in Naraas Seite und das Fohlen donnert hält er inne. „Puh, das war knapp“, stöhne ich. „Warum bist du denn durch die Einzäunung gelaufen?“, herrsche ich Tanja an weil ich denke sie hat meine Warnung absichtlich ignoriert. „Ich bemerkte nicht das Sharga mir nicht folgt“, erwidert sie ebenfalls ärgerlich. „Ich habe doch gerufen“, sage ich. „Tut mir leid. Davon bekam ich nichts mit“, entgegnet Tanja. „Okay, okay. Da hatten wir Glück“, lenke ich ein und betrachte mir welchen Schaden das Gepäck oder der Sattel genommen haben. Zum Glück sind die Laptops im Gepäck von Tenger verstaut und somit unversehrt geblieben. Nach einer kurzen Inspektion ist nur eine verbogene Metallstrebe am Packsattel zu beklagen.

Weil der Zwischenfall nur hundert Meter vor Ayushs Blockhaus geschah lassen wir alles liegen und binden die Pferde an den Bretterzaun. Während ich über die Pferde und Ausrüstung wache gehen Tanja und Bilgee zum alten Geizkragen, um zu fragen ob wir in seiner heruntergekommenen Baishin bleiben dürfen. Nur fünf Minuten später kommt Tanja kopfschüttelnd zurück. Er will 10.000 Tugrik (5,71 €) und geht keinen Tugrik runter“, sagt sie entnervt. „Na dann laufen wir zu Shagai“, sage ich. „Vielleicht sollten wir Ayush unseren Tisch und Stühle als Gegenleistung anbieten? Die stehen noch in seiner Hütte und sind unverkauft“, überlegt Tanja. „Die haben 130.000 Tugrik gekostet. Wenn wir hier drei oder fünf Nächte bleiben wäre das ein Wahnsinnspreis“, entgegne ich. „Was solls. Wir können die Möbel anscheinend nicht verkaufen und bevor wir weiteres Geld investieren, um sie nach Mörön zu transportieren, gebe wir sie lieber dem alten Sack“, schlägt Tanja vor. „Okay. Ich gehe nochmal in die Grube des Löwens und spreche mit ihm“, sage ich. Als ich in der Hütte bin räumt der Alte gerade auf. „Hallo Ayush“, begrüße ich ihn. „Saijn bajna uu“ („Guten Tag“) murrt er ohne mir seinen Blick zuzuwenden. „Wir sind jetzt seit November letzten Jahres in dieser Region. Also über acht Monate. Hier können wir kein Geld wechseln also besitzen wir nur noch wenig davon“, erkläre ich und bevor ich fortsetzen kann was ich ihm anbieten will nuschelt er aggressiv. „Kein Geld, kein Geld, kein Geld.“ „Tanja und ich würden dir gerne den Tisch und die Stühle anbieten. Alles zusammen ein Wert von 130.000 Tugrik (75 €). Als Gegenleistung würden wir gerne deine Hütte für fünf Tage nutzen“, unterbreche ich sein fortwährendes Motzen. „Kein Geld! Kein Geld! Kein Geld!“, fährt er fort ohne mir nur eine Sekunde seiner Aufmerksamkeit oder eines einzige Blickes zu würdigen. Am liebsten würde ich den Griesgram am Kragen packen und schütteln, kann mich aber beherrschen. Mir ist völlig klar, der Halsabschneider betrachtet den Tisch und Stühle schon lange als sein Eigen und ist deswegen auf mehr aus. Er muss damit rechnen, dass wir kein Geld investieren, um das sperrige Zeug nach Mörön oder Erdenet transportieren zu lassen. „Diese Suppe werde ich dir versalzen. Und wenn ich meinen Tisch vor deinen Augen mit der Axt zerschlage“, sage ich in meiner Sprache, drehe mich auf dem Absatz und verlasse diesen schlimmen Menschen. „Soll er doch in seiner verwanzten Hütte ersticken“, fluche ich die Baishin verlassend.

„Und warst du erfolgreich?“, fragt Tanja. „Der kann mich mal“, sage ich verärgert so herablassend behandelt worden zu sein. „Vielleicht hat er dich nicht verstanden? Bilgee soll es nochmal versuchen und ihm unser Angebot in der Landessprache unterbreiten“, schlägt Tanja vor. „Okay“, gebe ich erneut nach obwohl ich keine Lust verspüre eine Sekunde länger an diesem Ort zu verweilen. Nur fünf Minuten später kommt Bilgee ebenfalls erfolglos zurück. „Habe ich dir es nicht gesagt? Er glaubt die Möbel schon zu besitzen“, meine ich. „Wir müssen gleich morgen unsere gesamte Ausrüstung, die hier noch lagert, rausholen und zu Shagai bringen“, antwortet Tanja.

Vom Marsch und der ungewohnten Wärme müde ziehen wir wie ein Trauerzug durch das Dorf Tsagaan Nuur. Am anderen Ende erreichen wir Shagais Blockhaus welches schon vom ersten Eindruck positiv auf mich wirkt. Wir entladen die Pferde neben den zwei Jurten die sich im Hof neben dem Blockhaus befinden. „Sieht wie unsere Jurte aus?“, meint Tanja auf eine der beiden Rundzelte deutend. „Das ist unsere Jurte“, bestätige ich sie wiedererkennend. Wir erfuhren von Shagai, dass die Jurte in der wir den Winter über lebten sein Eigen ist. Saraa hat aus irgendeinem Grund behauptet uns ihr eigenes mongolische Zelt zu vermieten. Auf diese Weise war sie in der Lage eine hohe Vermittlungsprovision abzuzweigen von der Shagai bis heute nichts weiß. Er selbst bekam von Saraa 1.000 Tugrik (0,57 €) am Tag. Da solche verzwickten Geschäfte in diesem Land normal sind gaben wir es auf uns darüber den Kopf zu zerbrechen.

Shagai und seine Frau Dalai empfangen uns mit offenen Armen. Sofort werden wir zu Tee und Brot eingeladen. Nach der nötigen Anstandszeit frage ich ob die Jurten leer stehen. „Eine nutzen wir zurzeit als Materiallager. Wenn ihr möchtet dürft ihr eure Ausrüstung dort unterstellen“, sagt Shagai. „Oh, das ist wunderbar“, bedanke ich mich und freue mich wie sich das Problem der Gepäcklagerung bei Ayush gelöst hat. „In der anderen Jurte leben während der Wintermonate meine Schwiegereltern. Sie sind aber vor zwei Wochen ins Frühjahrscamp gezogen“, fährt Shagai fort. „Sofort kommt mir ein Gedanke. „Wir besitzen einen wunderschönen Tisch und zwei Stühle. Wenn wir die nächsten Tage in der Jurte wohnen dürften würden wir euch als Gegenleistung gerne die Möbel überlassen“, biete ich an. „Aber klar. Gerne“, sagen die Beiden. Sofort erhebt sich Shagai und geht mit mir nach draußen, um die Jurte aufzusperren. Mein Blick fällt auf ein schön eingerichtetes Zelt. „Wunderbar. Ist ja wie ein Hotel“, freue ich mich. Es dauert nicht lange und wir sind eingezogen. „Siehst du, hatte wieder einen positiven Grund von Ayush abgelehnt worden zu sein. Ohne seine Gier wären wir niemals an diesen schönen Ort gelandet“, sage ich mich über die angenehme Wende des heutigen Tages freuend.

Tanja, Bilgee und ich trinken ein paar Becher kühles Bier welches Tanja in einem der Läden gekauft hat. Wir essen Erdnüsse und überlegen wo die Pferde heute Nacht grasen sollen. „Gegenüber von Shagais Grundstück soll es nicht schlecht sein“, überlege ich laut. „Wer hat das gesagt?“, fragt Tanja. „Na Shagai. Wenn wir die Pferde dort hin bringen muss Bilgee nicht extra in die Berge reiten. Unsere Nachtschichten würden uns leichter fallen weil die Weide sich nur 100 Meter vor der Jurte befindet“, sage ich. „Eine gute Idee“, gibt mir Tanja Recht.

Wie auch schon auf dem Ritt von Erdenet hierher planen wir ab heute Nacht wieder rollierende Wachschichten. Die Erste ist von 23:00 Uhr bis 1:00 Uhr, die Zweite von 1:00 Uhr bis 3:00 Uhr und die Dritte von 3:00 Uhr bis 5:00 Uhr. „Wer fängt an?“, fragt Tanja. Da die erste Schicht die Beste ist würde ich sie am liebsten übernehmen aber fair wäre das nicht. „Wir sollten Lose ziehen“, hat Tanja einen Einfall. „Gute Idee“, sagen Bilgee und ich. Bilgee zieht das beste Los und beginnt, dann folgt Tanja und zur Dämmerung darf ich auf unsere Vierbeiner achten. Müde sitze ich in meinen Klappstuhl und beobachte wie sich ein kaum wahrnehmbares Licht in die Finsternis schleicht. Das folgende graue Klimmen verwandelt sich bald unmerklich in hellere gelbliche Farben. Gleichzeitig erwachen die Vögel. Es zwitschert immer mehr. Einer der Vögel, so glaube ich, ist in der Lage das Wiehern eines Pferdes zu imitieren. Um kurz nach 5:00 Uhr am Morgen schiebt sich wie in Zeitlupe der glühende Sonnenball über einen Berg. Ihre morgendlichen Strahlen gleißen über den braunen Rasen und treffen auf die Leiber der Pferde die unaufhörlich an dem spärlichen Gras nibbeln. Auch wenn es ein anstrengender Job ist zu dieser Zeit Wachschichten zu schieben hat es etwas Meditatives.

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