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Mongolei/Shagais Jurten Camp MONGOLEI EXPEDITION - Die Online-Tagebücher Jahr 2011

Hengstangriff

N 51°20'982'' E 099°20'852''
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    Tag: 322-323

    Sonnenaufgang:
    05:06

    Sonnenuntergang:
    21:37/21:38

    Gesamtkilometer:
    1412

    Bodenbeschaffenheit:
    Gras

    Temperatur – Tag (Maximum):
    30 °C

    Temperatur – Tag (Minimum):
    22 °C

    Temperatur – Nacht:
    4 °C

    Breitengrad:
    51°20’982“

    Längengrad:
    099°20’852“

    Maximale Höhe:
    1572 m über dem Meer

„Wieder einer?“, frage ich. „Tijmee, diesmal eine Frau die sogar Englisch spricht“, antwortet Bilgee mit sich zufrieden. Damit wir nicht ohne Pferdemann aufbrechen hat Bilgee eine Anzeige in einem der TV-Sender von Erdenet schalten lassen. Deswegen klingelt sein Handy alle 20 Minuten. Über Saraas Freundin, die ebenfalls als Tour Guide arbeitet, haben wir inzwischen einen 35 Jahre alten Mann organisiert der gerne mit uns gehen möchte. Er ist zurzeit in Mörön und wird morgen oder übermorgen eintreffen. Eine gute Neuigkeit weshalb wir nicht auf Bilgees Engagement angewiesen sind.

„Denis! Deniiis!“, ruft mich Shagai als wir gerade mit Bilgee in der Jurte sitzen und den Ablauf der kommenden Tage besprechen. Sofort eile ich aus der Jurte. „Ein Hengst bedrängt eure Naraa!“, erklärt unser Gastgeber aufgeregt auf die Weide deutend. Tatsächlich ist Naraa in Not. Scheinbar verzweifelt versucht sie sich gegen den muskulösen Lüstling mit Huftritten zu Wehr zu setzen. Sharga, Bor, Tenger, und Sar nehmen die Stute schützend in ihre Mitte. Der kleine Tuya stolpert unsicher und völlig verängstigt zwischen ihren Leibern hin und her. Tanja, Bilgee und ich hasten zum Ort des Geschehens, um unseren Pferden zu helfen. Wir brüllen aus Leibeskräften, werfen Stöcke und Steine, jedoch ohne den geringsten Erfolg. Immer wieder greift der brunftige Hengst an. Durch seine wilden und starken Tritte und Bisse gefährdet er unsere kleine Herde. Er ist im Begriff sie regelrecht aufzumischen. Da unsere Tiere mit Fesseln an den Knöcheln vor dem Weglaufen gehindert werden sind sie auch nicht sehr wehrhaft. Mit voller Wucht schleudere ich einen Ast gegen den schwitzenden Körper des Hengstes, der in seinem Wahn den Aufschlag nicht zu spüren scheint und seine Raserei fortsetzt. Mittlerweile brennt mir die Lunge. Immer wieder sprinten wir wie Hundermeterläufer zwischen die Angriffslinie des Wilden, um das Schlimmste zu verhindern. Tanja rast im letzten Moment mit erhobenen Armen in die Bahn des Aggressors und rettet somit unseren Tuya der zweifelsohne umgerannt worden wäre. Bilgee hat die zündente Idee und erwischt den Hengst an seinem Halfter. Es verrät, dass der Unkastrierte einen Besitzer hat. Shagai kommt zur Hilfe. Aus einem unserer Seile fertigen Bilgee und er ein weiteres provisorisches aber stärkeres Halfter und binden den Hengst an einen Pfosten von Shagais Bretterzaun. Shagai erklärt Bilgee wem der Hengst gehört. Damit unsere Pferde weiterhin friedlich grasen können bringt Bilgee das Pferd zu seinem Besitzer, der irgendwo im Ort wohnt.

„Was hast du ihm gesagt?“, frage ich Bilgee nachdem er das verrückte Pferd abgeliefert hat. „Das unsere Pferde seinen Hengst angegriffen haben. Da er sein Pferd nicht verletzt sehen möchte gehe ich davon aus, dass er ihn angebunden lässt oder auf eine andere Weide bringt. Aber ihr seht weswegen ich ständig davon spreche warum ihr einen Pferdemann benötigt. Was hättet ihr gemacht wenn ich nicht dagewesen wäre? Wenn dieser Überfall in der Nacht geschehen wäre?“, fragt er. „Du hast unsere Vereinbarung gebrochen und wirst uns verlassen“, geht mir durch den Kopf sage aber; „Wir können nur hoffen, dass der Neue einen vernünftigen Job macht und bald da ist. Wenn du gehst müssen Tanja und ich die gesamte Nacht alleine auf die Pferde achten. Das ist eine Aufgabe die nach einem langen Reit- oder Lauftag energetisch kaum zu bewältigen ist“, gebe ich ihm Recht.

Unerwartet taucht Ultsans Onkel Bayandalai mit seiner Frau und Kindern auf. Sie wollen drei Rentiere in einen Allradbus laden, um sie nach Khatgal zu transportieren. Dort soll die Familie als Touristenatraktion in einem Tipi leben. An diesem heißen Tag ist das Verladen der Rentiere ein Quälerei. Die Kälte gewohnten Hirsche hyperventilieren und wären sich mit Leibeskräften dagegen wie ein Paket verschnürt zu werden. Es bedarf vier erwachsener und kräftiger Männer die Hirsche unter Kontrolle zu bringen und in den Allradbus zu verladen. Als zusätzlich ein Teil des Hausstandes, plus drei Männer, eine Frau und drei Kinder in dem Bus verstaut sind, verlässt der eigenwillig Transport den Hof von Shagai in Richtung Khatgal.

Kaum sind sie außer Sichtweite braust ein Motorradfahrer auf das mit braunen Gras bewachsenen große Grundstück. Etwa zwei Meter vor unserer Jurte bringt der Fahrer sein Gefährt zum stehen. Als er aus dem Sattel steigt fällt er mit dem gesamten Motorrad um und bleibt wie tot auf dem Boden liegen. In diesem Moment öffnen aufziehende Gewitterwolken ihre Pforten. Shagai, der mit seinem Onkel gerade ein neues Blockhaus baut, unterbricht seine Arbeit, um in die Baishin zu eilen. Er läuft an dem auf dem Boden liegenden Mann vorbei und lacht. „Die lassen ihn da einfach liegen“, sage ich nach dem Erlebten der vergangenen Monate darüber nicht mehr all zu sehr verwunderd. Nach einer Stunde erwacht der Mann aus seinem Vollrauch. Verzweifelt versucht er seinen Bock aufzurichten. Ein anderer, ebenfalls angetrunkener Mann hilft ihm. Dann setzt sich der torkelnde Mongole auf sein Motorrad und versucht es anzulassen. „Der wird doch in diesem Zustand nicht fahren wollen?“, fragt Tanja. „Warum nicht? Er kam in diesem Zustand und verlässt den Grund genauso betrunken“, meine ich. „Und warum ist er überhaupt gekommen?“, ist Tanjas berechtigte Frage. „Vielleicht um ein wenig auf diesem Rasen zu schlafen? Wer weiß?“, antworte ich lachend. Tatsächlich schaffen es die Betrunkenen den Bock ins Laufen zu bringen. Als Sie aufsitzen und davon brausen wollen bewegt der Fahrer den Lenker ein wenig zu ruckartig. Das Resultat ist fatal. Die Maschine bockt wie ein Pferd und wirft seine Reiter ab. Die fliegen in hohen Bogen durch die Luft so das für wenige Sekunden nur Arme, Beine und Körper zu sehen sind. Vor Schreck bleibt mir fast die Luft weg. Ich bin gerade im Begriff den Verunglückten zu Hilfe zu eilen als sie sich schon wieder erheben. Vom Sturz unerschrocken versuchen sie erneut das Zweirad in Gang zu bringen. De facto startet der Motor und weiter geht die Höllenfahrt. Diesmal verlassen sie Shagais Grundstück erfolgreich und verschwinden schlingernd aus unserem Sichtbereich.

Am Abend erscheint völlig unverhofft Saraa. „Ja ich bin es wirklich“, lacht sie als wir sie anscheinend wie einen Geist ansehen. Wir begrüßen uns herzlich. „Was machst du denn da?“, frage ich. „Ich bringe Guy zu den Tuwa“, sagt sie auf einen jungen Mann aus England deutend. Da der Tourist einen Allradbus für sich alleine gemietet hat fragen wir ihn ob er bereit wäre unsere restliche Ausrüstung von Ayush abzuholen und diese vielleicht sogar mit nach Mörön transportieren kann. „Kein Problem. Wenn ich euch damit helfe mache ich das gerne“, sagt er, wodurch sich für uns aus heiterem Himmel ein scheinbar kaum lösbares Problem in Luft aufgelöst hat.

Um Bilgee gebührend zu verabschieden und uns bei Dalai und Shagai für die Gastfreundschaft zu bedanken köpfen wir eine Flasche Wodka. Weil sich die Flasche durch insgesamt sieben Anwesende teilt ist keiner betrunken. Ganz in unserem Sinne. Später als ich die Pferde auf die Weide treibe, um sie dort anzupflocken, kommt Bilgee mir zu Hilfe. Mit einem Mal ist er völlig betrunken. Er erklärt mit Shagai in der Zwischenzeit eine weitere Flasche geleert zu haben. Als ich um 23:00 Uhr meine Wachsicht beginne torkelt Bilgee herbei. „Geh ins Bett. Ich übernehme“, sagt er. „Bilgee, deine Schicht beginnt erst um 1:00 Uhr“, weise ich ihn daraufhin zu früh dran zu sein. „Ügüj, (Nein) ich übernehme. Ich bin stark. Habe Wodka getrunken. Da halte ich die gesamte Nacht durch,“ prahlt er. Es ergibt keinen Sinn einem Betrunkenen zu erklären sich höchstwahrscheinlich schon nach 20 Minuten im Tiefschlaf zu befinden und am kommenden Tag wegen seinem übermäßigen Alkoholkonsum auszufallen. Geschlagen verziehe ich mich und berichte Tanja von Bilgees Zustand damit sie bei ihrem Schichtbeginn nicht erschrickt.

Als sie um 3:00 Uhr morgens zur Weide geht liegt Bilgee wie ein Toter auf dem trockenen Gras und bemerkt nicht wie sie sich hinter ihn setzt, um ihre Arbeit zu beginnen. Erst um 7:00 Uhr kommen beide wieder in die Jurte. Bilgee ist noch immer betrunken und wegen seinem Schlaf auf dem kalten Boden ausgefroren. Um sich zu wärmen und für heißen Tee entfacht er im kleinen Ofen ein Feuer. Es dauert nicht lange und die Hitze lässt mich von der Matte springen und ins Freie stürmen. Draußen schnappe ich nach frischer Morgenluft. Nach 10 Minuten beginne ich in der kühlen Brise zu frösteln und verziehe mich wieder in die Sauna.

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