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Link zum Tagebuch: TRANS-OST-EXPEDITION - Etappe 1

Zum verzweifeln

N 48°34'930'' E 013°28'400''
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    Tag: 35

    Sonnenaufgang:
    06:15 Uhr

    Sonnenuntergang:
    19:59 Uhr

    Luftlinie:
    53,59 Km

    Tageskilometer:
    73,53 Km

    Gesamtkilometer:
    930,45 Km

    Bodenbeschaffenheit:
    Asphalt, 15% Schotter, Schlamm

    Temperatur – Tag (Maximum):
    25 °C

    Temperatur – Tag (Minimum):
    20 °C

    Temperatur – Nacht:
    14 °C

    Breitengrad:
    48°34’930“

    Längengrad:
    013°28’400“

    Maximale Höhe:
    330 m über dem Meer

    Aufbruchzeit:
    09.45 Uhr

    Ankunftszeit:
    17.30 Uhr

    Durchschnittsgeschwindigkeit:
    15,13 Km/h

Auf dem weiteren Weg treffen wir auf den ersten Radler der ebenfalls nach Budapest möchte. Nachdem er von uns erfahren hat welches Ziel wir ansteuern gibt er uns einige Tipps. “Um Entzündungen am Gesäß vorzubeugen rate ich euch Hirschtalg. Wirkt Wunder, das weiß ich aus eigener Erfahrung. Anikapillen sind gut für die Muskeln. Ich lasse immer ein paar unter der Zunge zergehen. Wenn ihr Probleme mit euren Oberschenkeln habt gibt es Pferdekreme. Hat sich bei Pferden bewährt und wirkt auch ganz hervorragend bei Menschen. Könnt ihr in der Apotheke kaufen. Was ihr aber auf jeden Fall haben solltet ist ein Pulsmesser damit ihr euch immer im aeroben Bereich befindet.” Ich bin verblüfft über sein wissen und merke mir seine Tipps. Als Ergänzung für die Pulsmessung möchte ich für Menschen die davon noch nicht gehört haben folgendes erklären:  Es geht dabei grob um den Stoffwechsel des Körpers während der Belastungsphase. Anders ausgedrückt, um die Energiegewinnung aus Blutfett. Treibt man den Puls zu hoch ermüdet der Körper sehr schnell und befindet sich im so genannten anaeroben Bereich. Es ist also wichtig sich als Langstreckensportler im aeroben Bereich zu befinden, um so lange wie möglich dem Körper Energie abverlangen zu können ohne das er an Schwäche zusammenbricht. Natürlich kann man durch viel Training den Puls reduzieren, um letztendlich seinem Körper längere Zeit Hochleistung abzuverlangen.

Natürlich ist es sinnvoll seinen Körper nicht in kurzer Zeit auszupowern. Ein normaler Radfahrer aber muss sich mit dem Thema wohl kaum befassen. Für uns würde es eventuell Sinn machen. Auf der anderen Seite frage ich mich was die Menschen früher getan haben? Da gab es noch kein Wissen über den Laktatgehalt im Blut. Über anaerob, aerob und dem Gleichen. Trotzdem sind die Menschen weit gekommen und konnten Hochleistung vollbringen. Ich denke dabei nur an unsere Herkunft als wir noch als Jäger und Sammler durch die Lande zogen. Heute wird vieles wissenschaftlich betrieben. Selbst wenn man nicht an der Olympiade teilnehmen möchte. Wenn der Sportler seinen Körper kennt ist ein Pulsmesser meiner Ansicht nach nicht nötig. Wenn er allerdings seine persönliche Bestleistung  Körper schonend und optimal verbessern möchte ist diese Möglichkeit mit Sicherheit eine der Besten.

Ein weiterer Radfahrer bietet uns seine Hilfe an und führt uns vor Vilshofen um die immer noch total überschwemmten Radwege. Nach 70 Kilometern erreichen wir erschöpft aber glücklich die drei Flüsse Stadt Passau. Unter einer Brücke, die noch die Feuchtigkeit der Überschwemmung ausdampft, bleiben wir stehen und suchen auf der Karte nach dem besten Weg durch die Stadt. Der als Tiefgarage genutzte Ort hat eine unangenehme Ausstrahlung. Wasser tropft von der Brückendecke. Entfernte Motorengeräusche hallen von Stützpfeiler zu Stützpfeiler und vereinzelte Autos stehen verweist herum. Große Wasserlachen, der Geruch von Fäulnis und das dämmrige Licht tragen dazu bei  das man sich hier nicht lange aufhalten möchte. “Wo wollen sie hin?”, fragt uns plötzlich ein junger Mann. “Äh, es muss nicht weit weg von hier einen Zeltplatz geben”, antworte ich wegen seines unverhofften Erscheinens überrascht. “Den kenne ich. Da müssen sie auf der anderen Seite der Donau etwa vier Kilometer den Berg hinauf. Dort gibt es eine Jugendherberge und den Campingplatz den sie suchen”, grinst er freundlich und zeigt uns sein zerstörtes Gebiss. Als ich seine Zähne sehe erschrecke ich im ersten Augenblick, lasse mir aber nichts anmerken. “Hm, vier Kilometer? Das ist ja Wahnsinn. Da müssen wir die schweren Räder rauf schieben. Das schaffen wir heute nicht mehr”, stöhne ich. “Was meinst du Tanja, sollen wir uns wieder eine Unterkunft suchen?” “Wie du möchtest”, antwortet sie. Mein Blick fällt auf den Mann der mir absichtslos seine schrecklichen Zähne zeigt. “Gibt es noch einen Campingplatz in der Nähe?” “Nein, außer sie fahren Flussabwärts. Es ist nur die Frage ob die nicht unter Wasser stehen. Die haben nämlich die Schleusen geöffnet müssen sie wissen.” Seine etwa 19 Jahre junge Frau steht neben ihm. Sie hält sich an dem Kinderwagen fest und lächelt mich schüchtern an. Ich nicke ihr zu und bin entsetzt als ich auch ihre völlig verstümmelten Zähne erblicke. Ob das von zu viel Zucker kommt? Frage ich mich. Ganz verwirrt über die zwei jungen Menschen, deren Zähne furchtbare Verstümmelungen aufweisen oder gar nicht mehr vorhanden sind, studiere ich meine Karte. Das kleine Baby im Kinderwagen quäkt leise vor sich hin. Es öffnet den Mund. Zahnlos sieht es mich mit großen Kulleraugen an… Babys in dem Alter haben noch keine Zähne, beruhige ich mich. “Kennen sie eine günstige Unterkunft hier in der Nähe?”, durchbreche ich das vom tropfenden Wasser untermalte Schweigen. “Klar, gleich dahinten, nur 200 Meter von hier finden sie das Fluss Rotel. Das kenne ich gut. Bin beim THW und öfter dort. Ein gutes Hotel”, empfiehlt er sehr freundlich und nickt wichtig mit dem Kopf. Obwohl der Mann maximal 24 Jahre alt ist hat er einen Spitzbauch von beachtlicher Größe. Ich frage mich ob sich das eigenartige Paar hauptsächlich von Fastfood ernährt? Wie sonst kann man sich in so einem Alter so herrichten? “Vielen Dank”, sage ich freundlich. “Sehr gerne geschehen”, antwortet er lachend, mir einen letzten Blick auf seinen Steinbruch gönnend. Schnell verlassen wir den freudlosen Ort.

Beim Betreten des Fluss Rotels habe ich ein ungutes Gefühl in der Magengegend. Trotzdem gehe ich hinein. “40 Euro inkl. Frühstück”, antwortet die Dame an der Rezeption auf meine Frage nach den Kosten. Um ein Zimmer ansehen zu können bekomme ich den Schlüssel. Im ersten Stock empfängt mich ein menschenleerer großer Saal der offensichtlich für die Massenabfertigung der Frühstücksgäste gedacht ist. Die aus den Lautsprechern ertönende Musik unterstreicht die skurrile Atmosphäre. Ich folge einen langen schmalen und dunklen Gang. Links und rechts reihen sich niedrige Türen hinter denen sich augenscheinlich die Zimmer befinden. Mein Schlüssel passt in die Tür 218. Ich sperre auf und lasse sie aufgleiten. Entsetzt blicke ich auf einen etwa vier Quadratmeter kleinen Raum. Das Doppelbett wird links und rechts von den Wänden begrenzt und das Gepäck muss man auf den Fußboden davor ablegen. Sofort kommt mir die Erinnerung an das Schuhschachtelhotel in Hongkong hoch. Tanja und ich hausten dort aus Kosten Gründen unter ähnlichen Bedingungen. Ich mache auf dem Absatz kehrt und verlasse ungläubig das Haus. Kopfschüttelnd, solch eine  Unterkunft auch in Deutschland vorzufinden, schwinge ich mich aufs Fahrrad. “Nichts wie weg von hier”, rufe ich und trete hastige in die Pedale.

Da ich der Aussage des Zahnlosen nicht mehr traue frage ich auf der anderen Seite der Donau eine Frau nach dem Zeltplatz. Ihr kleiner Hund kläfft mich laut an. Sie trägt eine Sonnenbrille an der noch das Preisschild baumelt. Als sie ihren Mund aufmacht wird mir fast schlecht. Essensreste der letzten Tage hängen zwischen ihren Zahnlücken. Tanja und ich sehen uns an. Ich muss mich beherrschen damit mir nicht übel wird. “Sie müssen da hinauf. Dort oben ist irgendwo ein Zeltplatz”, sagt sie und fuchtelt mit ihrer Hand in Richtung Berg. “Aber der Campingplatz in meiner Karte ist nicht auf einem Berg eingezeichnet”, entgegne ich etwas entnervt. “Das Hinweisschild dort zeigt doch eindeutig in eine andere Richtung”, unterbricht uns Tanja auf die Informationstafel an der Straße aufmerksam machend. “Der Platz da oben ist bestimmt schöner”, antwortet die Frau die wegen ihres kläffenden Hundes kaum zu verstehen ist. Nicht aufgebend aber am Rande meiner Kräfte frage ich einen vorbeikommenden Radfahrer. Als er völlig verschüchtert zu stottern anfängt bin ich der Verzweiflung nahe. “Ich zzzeige ihnen deden Weg.” “Okay, wir folgen ihnen”, antworte ich. Schon nach 100 Metern deutet er auf einen Tunnel und gibt uns an dort durchzufahren. Mich zusammenreißend befolge ich seine Anweisungen. Tatsächlich finden wir auf der anderen Seite des Straßentunnels den Wegweiser zu dem in der Karte eingezeichneten Zeltplatz. Er befindet sich an der Ilz, kurz bevor sie in die Donau mündet. Auf einer saftigen Wiese, etwas oberhalb des Flusses, dürfen wir unser Zelt aufstellen. Enten schnattern, schwimmen vergnügt auf dem glatten Wasser. Schwäne lassen sich elegant vorbei treiben und einige Kajakfahrer paddeln gerade Flussaufwärts davon. In wenigen Minuten sind unsere Gemüter besänftigt und die Anstrengung des Tages vergessen. Beim letzten Licht der Sonne essen wir mit Hochgenuss unser zubereitetes Abendessen und lassen lachend unsere Erlebnisse Revue passieren.

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