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RED EARTH EXPEDITION - Etappe 2

Wird Goola den morgigen Tag überleben?

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    Tag: 44 Etappe Zwei

    Sonnenaufgang:
    06:25

    Sonnenuntergang:
    17:36

    Temperatur - Tag (Maximum):
    30 Grad

Edgar Kampf-Camp — 29.07.2001

Der siebzehnte Tag im Edgar Kampf Camp. Istan frisst nicht aber möchte trinken und Goolas Zustand ist unverändert schlecht. Er ist nicht einmal in der Lage am Wasser zu nippen. Ich denke über unser vorgestriges Gespräch nach und frage mich wie ich diesen Augenblick empfinden soll. Auch wenn ich mich noch so anstrenge kann ich ihn nicht genießen oder ihm irgend etwas Positives abgewinnen. Natürlich ist mir klar, dass auch Traurigkeit erlaubt sein muss. Ich betrachte mir noch ein wenig unseren Freund und begebe mich gedankenversunken zu meiner Wassergewinnungsanlage. So gut wie es mit dem Plastiksack über den grünen Blättern klappt so schlecht ist das Resultat mit dem Loch. Gerade Mal eine Hand voll Wasser hat sich auf dem Eimerboden gesammelt. Wahrscheinlich habe ich zu wenig Pflanzen in das Loch geworfen. Mir ist die Variante am Baum lieber. Erstens scheint sie besser zu funktionieren und zweitens muss ich keinem Baum die Äste abschneiden.

Den restlichen Tag beschäftige ich mich mit dem Schreiben, dem Wasserkochen, Holzsammeln und um 16 Uhr begebe ich mich auf unseren Hügel und betrachte mir die Wüste. Nachdem die untergehende Sonne mir wieder ein traumhaftes Schauspiel geboten hat steige ich zu unserem Camp. Tanja kommt mit hängenden Schultern vom Hüten zurück. Nichts Gutes ahnend frage ich sie wie es unseren Patienten geht. „Goola sieht furchtbar aus. Du musst ihn dir unbedingt ansehen,“ meint sie mit zerbrechlicher Stimme. Ich begebe mich zu unseren Wasservorräten und zähle sieben Wassersäcke. 70 Liter reichen uns unter normalen Bedingungen noch sieben Tage. Da Rufus beachtlich viel trinkt und ich den Kamelen jeden Tag ein paar Liter anbiete, überlege ich mir ob ich es riskieren kann Istan und Goola wieder etwas davon abzugeben. Collin hat uns gestern angeboten neues Wasser zu bringen, falls wir es benötigen. Ich wollte ihn eigentlich nicht noch mal darum bitten die Strecke zu uns raus zu fahren aber wie es aussieht sind wir auf seine Hilfe angewiesen. Mit unguten Gefühlen nehme ich mir einen 10 Litersack, fülle ihn in den Eimer und laufe zu den Kamelen. Goolas Anblick schockiert mich bis ins Mark. Seine runden, großen Augen haben sich zu einem Oval geformt und liegen erschreckend tief in den Höhlen. Er bewegt seinen Kopf langsam hin und her und scheint mich gar nicht zu bemerken. Sein Körper wirkt eingefallen und ich habe den Eindruck, dass er sich geradeso auf den Beinen halten kann. Der Verwesungsgestank haut mich trotz der täglichen Behandlung fast um. Wieder blicke ich in seine leblosen, traurigen Augen und mir wird in diesem Moment bewusst, dass er sterben wird. Mein Herz krampft sich zusammen und ich kann meine Tränenfluss nicht mehr unterdrücken. „Goola, Goolaaa, bitte gebe dich nicht auf,“ sage ich leise. Vorsichtig hebe ich seine Lippen nach oben und blicke auf ein völlig ausgetrocknetes Maul. Zwei Apfelbutzen stecken in dem bewegungslosen Kiefer die Tanja ihm gefüttert hat. „Er will sie nicht fressen,“ höre ich Tanjas zitternde Stimme hinter mir. Ich drehe mich um und sehe wie sie haltlos weint. „Er wird sterben. Ich bin ein positiver Mensch und möchte den Teufel nicht an die Wand malen aber er sieht aus wie der Tod,“ schluchzt sie. Ich bitte Goola Wasser an doch er möchte nicht einmal daran riechen. Völlig verzweifelt und ratlos stehe ich da und befinde mich wieder in einem tiefen, tiefen depressivem Loch. Vorbei ist die kurzfristig entwickelte Lebensphilosophie, vorbei  sind die vermeintlichen Erkenntnisse die man nur umzusetzen braucht. Die Praxis oder der jetzige Augenblick lehrt der Theorie den Augenblick zu leben und zu genießen das Gegenteil. Habe ich da etwas falsch verstanden? Was soll jetzt geschehen? Wie soll es weitergehen? Muss ich Goola erschießen um ihn von seinen Leiden zu befreien? Eine ganze Flut von Fragen spült mich in den trockenen, roten Wüstensand. Ich fühle mich selbst halb tot als wir wieder zu unserem Camp laufen. Plötzlich reißt mich das Klingeln des Satellitentelefon aus dem Strudel der wirren Gedanken. Ich eile zum Telefon ins Buschbüro. „Reiner Meutsch, der sympathische Moderator des Radiosenders RPR fragt: „Wie geht es dir Denis?“ Einmal im Monat ruft er uns an, um den Verlauf der Expedition zu folgen. Ich weiß im ersten Augenblick nicht was ich sagen soll und erzähle den Hörern dann unsere Situation und das unser Freund Goola im Sterben liegt. Tränen fließen mir bei dem Interview über die Wangen. Ich fühle mich als wäre ich Schauspieler in einem dramatischen Film, doch das Buschbüro, die jetzt ausgetrockneten Wassergräben, unser Hund Rufus und eine weinende Tanja erinnern mich daran das dieser Moment kein Schauspiel ist. „Können wir dir irgendwie helfen? Vielleicht über die deutsche Botschaft?“ ,fragt Reiner worauf ich ihm zwar sehr dankbar bin aber mich gleichzeitig frage wie die deutsche Botschaft darauf reagieren würde wenn ich sie bitten würde einen Wunderdoktor oder zwei neue Kamele in die Wüste zu bringen. „Vielen Dank für dein Angebot aber wir sind hier viel zu weit entfernt von jeglicher Art von menschlicher Zivilisation,“ antworte ich und versuche den Klos in meinem Hals zu schlucken. „Wir wünschen dir und Tanja im jeden Falle viel, viel Glück und ich hoffe beim nächsten Interview in vier Wochen gute Neuigkeiten zu hören,“ beendet Reiner unser Gespräch. Ich lege wie in Trance den Hörer auf und schalte das Telefon ab. Nach einer Denkminute laufe ich wieder zu Goola. Tanja sitzt immer noch weinend neben ihm und streichelt seinen Kopf den er wie ein gutmütiger Kuscheldrache auf die Erde gelegt hat. Ich setzte mich zu Tanja und umarme sie. Goola hustet wieder derart, dass wir Angst haben er spuckt dabei seine Lunge aus. „Wenn man mit so vielen Tieren lebt wie wir kann es vorkommen das eines davon stirbt. Hätten wir nur zwei Kamele wären die Chancen geringer. Wir müssen versuchen der Tatsache ins Auge zu sehen. Vielleicht schafft er es ja doch noch. Vielleicht geschieht ja ein Wunder,“ versuche ich Tanja und mich selbst zu trösten. Geknickt laufen wir zum Lagerplatz zurück. Am Funkgerät meldet sich Collin. „Wie geht es euch da draußen? Kommen Goola und Istan über den Berg?“ ,fragt er. Ich erkläre ihm die Situation worauf er betroffen reagiert. „Du musst eine Entscheidung treffen Denis. Hast du schon darüber nachgedacht sein Leiden zu beenden?“ Obwohl ich mit der Frage gerechnet habe trifft sie mich wie ein Schlag. Ich weiß das Collin recht hat und ich etwas unternehmen muss. „Ja Collin, ich habe darüber nachgedacht aber ich glaube dafür ist es noch zu früh,“ versuche ich meine vor Schmerz zitternde Stimme zu unterdrücken. „Wir denken und fühlen mit euch und wünschen euch Gottes Segen.“ Beendet er den Kontakt. Gleich darauf rufe ich Jo und Tom am Funkgerät an, um sie um Rat zu bitten. Jo ist ebenfalls erschüttert und verspricht uns morgen früh noch mal mit dem Tierarzt zu sprechen.

Obwohl es wieder eine wunderschöne Nacht ist sitzen wir wie erschlagen da. Ohne Zweifel leiden wir unter der Vorstellung Goola zu verlieren. Auch stellen wir uns die Frage wie es ohne ihn weitergehen soll? Wer die Ausrüstung tragen soll die er bisher in seinen Satteltaschen hatte? Ob Istan bald gesunden wird oder ob auch er Goolas kläglichen Zustand erreichen wird? „Wir brauchen ein Wunder,“ sage ich wieder. „Irgend etwas muss geschehen. Werden wir es mit sechs Kamelen schaffen?“ Tanja reibt sich die Augen und sieht mich an. „Ich denke schon,“ antwortet sie schniefend. Dann entfache ich das Feuer. „Wir benötigen einen Plan B,“ sagt Tanja. „Ja, ich weiß aber was ist Plan B?“ Grübelnd sitzen wir da und wissen in diesem Minuten nicht wie es weitergehen soll. Was werden die nächsten Tage bringen? Wie lange müssen wir hier noch ausharren und vor allem wird Goola den morgigen Tag überleben?

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