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Mongolei/Darhan Link zum Tagebuch TRANS-OST-EXPEDITION - Etappe 4

Winter ist ausgebrochen

N 49°28'51.6'' E 105°56'33.5''
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    Tag: 97

    Sonnenaufgang:
    06:34 Uhr

    Sonnenuntergang:
    18:57 Uhr

    Gesamtkilometer:
    14032.96 Km

    Temperatur – Tag (Maximum):
    0 °C

    Temperatur – Tag (Minimum):
    -2 °C

    Temperatur – Nacht:
    -5 °C

    Breitengrad:
    49°28’51.6“

    Längengrad:
    105°56’33.5“

Der Wind heult um unser kleines Hotel als wäre der mongolische Winter ausgebrochen. Müde stehe ich auf und blicke aus dem Fenster. “Nicht zu fassen!”, rufe ich erschrocken als ich auf das Schneetreiben blicke. “Tanja wach auf. Das musst du dir ansehen!”, sage ich. Beide stehen wir nun am Fenster und haben Schwierigkeiten das zu glauben was wir sehen. Über Nacht hat der frühe Wintereinbruch zehn Zentimeter Schnee ins Land getragen. “Wir können heute auf keinen Fall weiterfahren”, stelle ich fest. Als wir im Restaurant beim Frühstücken sind erfahren wir, dass der Präsident des Landes den Notstand ausgerufen hat und die Bundesstraße, die das Land durchzieht, für alle Fahrzeuge sperren ließ. Wir hören davon, dass nach einer angestrebten Rekordernte ein beachtlicher Teil des Weizens der Mongolei kurz vor der Ernte von dem Schneesturm vernichtet wurde. Nach dem Frühstück eilt Tanja sofort zu einem kleinen Internetcafe und findet heraus das sich das Wetter bereits morgen wieder bessern soll. Wir sind gespannt wie unsere Reise 230 Kilometer vor dem Ziel weitergeht und hoffen, dass die Pässe für uns passierbar bleiben.

Ich schnappe mir meine Leica und gehe nach draußen, um den ungewöhnlich frühen Wintereinbruch zu fotografieren. Wie ein Faustschlag ins Gesicht trifft mich die Kälte. Von gestern auf heute ist die Temperatur von 25 Grad in der Sonne auf minus fünf Grad gefallen. Keiner der hier wohnenden Menschen hatte Zeit sich auf den drastischen Temperatursturz einzustellen. War gestern noch reges Treiben auf den Straßen zu sehen so sind sie jetzt wie ausgestorben. Nur wenige Menschen eilen in dicke Kleidung gehüllt über den Gehweg und schützen ihr Gesicht vor dem rauen Wind. Der große Spielplatz vor unserem Hotel, auf dem sich vor 12 Stunden noch viele Kinder tummelten, ist vom eisigen Besen leergefegt. Die hässlichen Wohnbunker, die schon bei Sonnenschein trostlos und abweisend aussehen, wirken jetzt wie verlassene Geisterhäuser aus einer anderen Welt. Fröstelnd suche ich Schutz in einem Treppenhaus, um das Objektiv zu wechseln. Die Armut trifft mich hier mit voller Wucht. Unter der Treppenschräge des kaputten Wohnbunkers hat sich jemand aus Holz einen kleinen Verschlag gebaut. An der niedrigen Tür hängt ein kleines Schlösschen. Neugierig blicke ich durch ein zehn mal zehn Zentimeter winziges Fensterchen in die armselige Bleibe. Ein paar Schlappen befinden sich vor einer Matratze. Viel mehr kann ich nicht entdecken und viel mehr Platz ist auch nicht unter der Treppe. Ich denke an unser Luxuszimmer im Hotel welches ca. 20 x so groß ist. In dem es eine Heizung, Heißwasser zum Duschen, Toilette, große Fenster, ein wunderschönes Doppelbett und für hiesige Verhältnisse schöne Möbel gibt. Welch ein gewaltiger Gegensatz nur 50 Meter von unserer Bleibe entfernt. Und dabei ist der Mensch unter der Treppe noch privilegiert, denn so mancher mongolische Bettler hat nicht mal eine Bleibe wie diese die ihm vor der Kälte des Winters schützt. Als ich fröstelnd ins Freie trete befinde ich mich direkt neben dem Müllplatz des Hauses. Eine Mongolin, die ein Hundebaby im Arm hält, wirft ihren Abfall auf die überfüllte stinkende Halte. Als sie währenddessen das winzige Tier auf den kalten Boden setzt, beginnt es gotterbärmlich zu jammern. Entsetzt muss ich mit ansehen, dass sie das arme Wesen einfach vor den Mülltonnen stehen lässt und wieder im Haus verschwindet. “Sie wird gleich wieder kommen”, denke ich und warte. Das Hundebaby schreit und weint zum Herzerweichen. Es zittert am ganzen Körper und wackelt auf den kleinen Beinchen vor dem Müllplatz auf und ab. Die Frau kommt nicht wieder. “Ich kann das Baby doch nicht einfach mitnehmen? Vielleicht kommt die Hundemama ja doch noch? In unser Hotel kann ich es nicht bringen und morgen fahren wir weiter”, geht es mir durch den Kopf. Ich stehe noch eine Weile vor dem Müllplatz und beobachte die traurige Situation. Dann beginne ich derart zu frieren das ich mich langsam auf den Rückweg ins Hotel mache. Mein schlechtes Gewissen plagt mich. “Hätte ich das Baby doch mitnehmen sollen? Nur was machen wir mit einem kleinen Hund? Auf dem Rad ist kein Platz. Abgesehen davon gibt es in der Mongolei viele Hunde die unter erbärmlichen Verhältnissen leben müssen.” Eine halbe Stunde später gehe ich noch mal nach draußen. Ich bin erleichtert den Kleinen nicht mehr zu sehen. “Ob er mittlerweile erfroren ist? Bestimmt hat ihn jemand mitgenommen”, überlege ich.

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