Skip to content
Abbrechen
image description
Russland/Samara Link zum Tagebch: TRANS-OST-EXPEDITION - Etappe 3

Wieder in Russland

image description

    Tag: 2

    Sonnenaufgang:
    05:28 Uhr

    Sonnenuntergang:
    21:44 Uhr

    Gesamtkilometer:
    6883.92 Km

    Breitengrad:
    53°12’02.1“

    Längengrad:
    050°06’00.8“

Nach einem langen Zwischenaufenthalt verlässt die Maschine erst um 22:00 Uhr den Frankfurter Flughafen. Wegen dem Schlafmangel gehen mir regelrecht die Augen über. “Was machen sie in Russland?”, höre ich wie Tanja mit unserem Nachbarn ein Gespräch beginnt. “Woher nimmt sie nur die Energie?”, frage ich mich und warte sehnsüchtig auf das Essen. Der Mann neben uns kommt ursprünglich aus Russland und besucht nach 15 Jahren das erste Mal seine Heimat und die dort lebenden Verwandten. Plötzlich wendet er sein Wort an mich. Höflich beantworte ich seine Fragen. Ehe ich mich versehe hat sich Tanja aus dem Gespräch zurückgezogen, um ein wenig zu ruhen. “Ach sehen sie mal die Sitzreihen hinter uns sind noch frei. Da haben wir viel Platz zum Schlafen”, schlägt mein Gesprächspartner uns vor. Zu unserer Erleichterung setzt er sich nach hinten. Bevor noch weitere Gäste auf die Idee kommen suche auch ich eine freie Reihe auf. Kaum nehme ich Platz und bin im Begriff meine Füße auszustrecken setzt sich der Deutschrusse neben mich. “Äh, ich hätte da mal ne Frage. Sie kennen sich doch bestimmt mit Fahrradgangschaltungen aus. Also, die Schaltung am Rad meiner Frau funktioniert im siebten Gang nicht richtig…” Es nützt nicht ihm zu erklären kein Fahrradmechaniker sonder im Augenblick Radreisender zu sein, denn er ist begeisterter Radfahrer und überhäuft mich mit tausenderlei Fragen. Dann kommt das Essen. Als wir fertig sind hat eine Mutter ihr Kind auf den Schlafplatz meines Nachbarn gelegt. Er nimmt es gelassen, bleibt neben mir sitzen und erzählt mir von Russland und seiner Wahlheimat Deutschland. Als ich dann endlich die Augen schließen kann ist mein Geist so aufgewühlt das an Schlaf nicht zu denken ist.

Um 5.00 Uhr früh Ortszeit befinden wir uns am Ende der langen Warteschlange vor der russischen Passkontrolle. Das Flughafengebäude der Stadt Samara, der eigenwillige Geruch des schwer renovierungsbedürftigen Bauwerkes, die Trostlosigkeit der frühen Morgenstunde und die Last der bleiernen Müdigkeit lässt nicht gerade Freude aufkommen. Die Beamtin stempelt ohne zu Murren unsere Pässe. Als Letzte hieven wir unsere schweren Ortliebsäcke vom Gepäckband. Alles ist komplett. Nichts ist gestohlen oder auf dem Weg verloren gegangen. Auch unsere großen Radkartons warten bereits auf uns. Einer ist stark beschädigt. Wir müssen die gesamte Ausrüstung von einer Röntgenmaschine durchleuchten lassen. Der Mann in Uniform möchte offensichtlich nach Hause. Ohne nur ein Gepäckstück öffnen zu müssen sind wir durch. Draußen wartet unser russischer Freund Michael. Die Wiedersehensfreude ist groß. “Wie geht es dir?”, frage ich ihn lachend und umarmend. “Sehr gut. Ich hoffe ihr hattet einen erholsamen Flug?” “Der Flug war okay aber ich bin hundemüde”, antworte ich und sehe dabei Tanja an.

Um die Räder in dem Kleinbus unterzubringen müssen sie aus den beschädigten Kartons. Sie sind zum Glück unversehrt. Bei Nieselregen verladen wir alles was wir mitgebracht haben in den klapprigen Bus. Die Kartons lassen wir an der Flughafentreppe. “Kein Problem”, meint Michael. “Hattest du nicht gesagt, dass es bei euch schon seit Wochen sommerlich warm ist?”, frage ich. “War es bis gestern auch. Jetzt regnet es”, antwortet Michael mit einen entschuldigendem Lächeln. Wegen der frühen Morgenstunde sind die Straßen von Samara leer. Wir fahren direkt zum Kloster Iverskiy. Dort haben wir letzten November einen Teil unserer Ausrüstung zurückgelassen. “Sie warten schon auf euch. Ihr bekommt wieder das gleiche Zimmer”, meint Michael.

Im Kloster

In den wenigen Monaten unserer Abwesenheit hat sich im Kloster kaum etwas verändert. Nahezu alle Gebäude werden restauriert oder neu aufgebaut. Es wurde, wie viele andere Klöster des Landes, während der Russischen Revolution und während der kommunistischen Epoche als Lager und Reparaturwerkstatt missbraucht. Erst mit dem Niedergang der Sowjetunion und dem Ende der sozialistischen Herrschaft 1991 konnte sich die orthodoxe Kirche wieder entfalten und erlebt seither eine regelrechte Renaissance.

Die Oberin des Klosters hat es sich zur Aufgabe gemacht die heilige Stätte wieder im neuen Glanz erscheinen zu lassen und bekommt dafür auch Fördergelder der Stadt. Den Bauschutt passierend betreten wir ein Wohngebäude der Nonnen und Schwestern. Katja, die junge Schwester die sich während unseres letzten Aufenthaltes vorbildlich um uns gesorgt hat, begrüßt uns freudig. Mit strahlendem Lachen öffnet sie die Tür zu unserer bescheidenen Kammer. Das Stockbett ist mit frischen Laken überzogen, der Wasserkocher steht auf dem schmalen Tisch am Ende des Raumes. Wege der dunklen Regenwolken fällt durch das Fenster nicht genügend Tageslicht. Katja legt den Lichtschalter um. Zwei schwache Glühbirnen erhellen unsere einfache Wohnstätte. Ein Teller mit Obst, einige Schachteln Gebäck, russische Süßigkeiten, Tee und einiges mehr stapelt sich auf dem Fensterbrett. Tatsächlich hat man uns hier erwartet. Da dieser Raum während der Umbau- und Renovierungsarbeiten der einzige für Gäste zu Verfügung stehender Ort ist, sind wir besonders froh wieder einziehen zu dürfen. Für uns gibt es kaum einen besseren Platz, in einer schmutzigen, heruntergekommenen, von Hektik geplagten russischen Großstadt, die letzten Vorbereitungen für unsere Etappe 3 organisieren zu dürfen.

Eine andere Welt

Nach einer Tasse Tee verlassen uns Katja und Michael. Sie werden morgen wieder kommen. Wir nutzen die Gelegenheit und legen uns in das Stockbett. Als ich nach oben klettere und mich in meinen Schlafsack kuschle verrät mir Tanjas gleichmäßiger Atem, dass sie bereist tief schläft. Endlich, nach der schlaflosen Anreise, nach all dem Vorbereitungsstress der letzten Tage und Wochen, flüchtet sich mein Geist ins Land der Träume. Um 10:30 Uhr Vormittags reißt uns das Piepen unsere Suunto-Uhren aus einem bald ohnmächtigen Schlaf. “Wir müssen zum Essen”, stöhne ich leise. “Ja ich weiß”, flüstert eine Stimme unter mir. Wir quälen uns aus den Betten und schwanken angeschlagen zum Speisesaal der Nonnen. Als wir die lang gezogene Räumlichkeit erreichen sind viele der schwarz gekleideten Nonnen schon anwesend. Eine Nonne weist uns schweigend einen Platz zu. Alle Klosterschwestern stehen mit dem Gesicht zu einem Heiligenbild am Ende des Raumes und singen. Dann bekreuzigen sie sich und setzen sich geschlossen an die reichlich gedeckten Tische.

An einem schmalen Rednerpult steht eine Schwester und liest laut aus einem heiligen Buch. Nur leises Getuschel ist ab und an zu hören, ansonsten nehmen die Anwesenden ihre Mahlzeit in Stillschweigen ein. Neben mir schlürft eine alte Frau ihre Suppe. Es gibt Bortsch, das russische Nationalgericht. Aber auch Brot, Kartoffelbrei, Buchweizen, Fisch, in Milch gekochte Haferflocken, Süßigkeiten und vieles mehr sorgt für eine abwechslungsreiche Ernährung. Hungrig löffeln wir unsere Bortsch. Vorsichtig blicke ich in die Runde. Es ist kaum zu glauben. Vor kurzer Zeit waren wir noch in Deutschland, haben uns mit den Vorbereitungen unserer Reise beschäftigt, waren in einer uns vertrauten Umgebung und jetzt… Was für ein Kulturschock. Obwohl wir erst vor wenigen Monaten diesen Ort hinter uns ließen kommt er mir geradezu fremdartig vor. Hier sitze ich nun als einziger Mann mitten unter Nonnen. Nein, das ist nicht ganz richtig. Am Ende der Tafel sitzen neben der Oberin des Klosters auch zwei Priester. Alle Anwesenden sind schwarz gekleidet auch Tanja hat eine schwarze Fliesjacke an. Nur einer kommt sich vor wie der rote Hans oder vielleicht besser ausgedrückt, wie ein Feuerwehrmann, denn meine Fliesjacke ist feuerrot. Erschrocken gleitet mein Blick an meiner Jacke hinab. “Mein Gott. Wie sehe ich denn aus? Ist ja schrecklich. Nicht das ich irgendetwas gegen die Farbe Rot hätte. Eigentlich finde ich sie okay. Ich habe mir ja die Jacke so ausgesucht. Aber jetzt kommt sie mir unpassend vor. Leider sind nahezu alle meine Radhemden recht bunt. So ein Mist. Daran hätte ich denken müssen. Jetzt sitze ich wie ein bunter, exotischer Vogel mitten unter schwarz gekleideten Nonnen in einem strenggläubigen Kloster.”

Plötzlich ertönt eine Klingel. Sofort hört die Nonne hinter uns mit dem Lesen auf und alle Anwesenden erheben sich abrupt. Auch Tanja und ich springen auf. Ein Priester betet. Es wird sich unaufhörlich bekreuzigt. Dann übernimmt der zweite Priester das Gebet. Wieder wird sich bekreuzigt. Zum Schluss erheben alle Ordensfrauen ihre Stimmen zu einem wunderschönen Gesang. Nur eine sehr alte Klosterschwester neben mir krächzt etwas heißer. In der Masse geht ihre Stimme unter, wird von den anderen Stimmen aufgesogen. Gebannt lausche ich und fühle den Frieden, den Frieden des Klosters der gerade im Begriff ist in unsere Herzen zu dingen. Leise tuschelnd verlassen die tiefgläubigen Frauen den Saal. Wir folgen und ziehen uns sofort in unsere Kammer zurück, um unseren unterbrochenen Schlaf fortzusetzen.

Wir freuen uns über Kommentare!

This site is registered on wpml.org as a development site.