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E-Bike-Expedition Teil 2 Mongolei - Online-Tagebuch 2015

Welt der Gegensätze, der Diebe, Bettler und Superreichen

N 47°55’08.9’’ E 106°53’50.1’’
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    Datum:
    12.8.2015 bis 26.08.2015

    Tag: 45 – 59

    Land:
    Mongolei

    Ort:
    Ulan Bator

    Breitengrad N:
    47°55’08.9’’

    Längengrad E:
    106°53’50.1’’

    Gesamtkilometer:
    8.563

    Höhe:
    1308 m

    Sonnenaufgang:
    06:41 Uhr – 06:57 Uhr

    Sonnenuntergang:
    21:13 Uhr – 20:52 Uhr

    Temperatur Tag max:
    32 Grad

    Temperatur Tag min:
    14 Grad

(Fotos zum Tagebucheintrag finden Sie am Ende des Textes.)

LINK ZUR REISEROUTE

Eigentlich wollen wir in U.B. (Abkürzung für Ulan Bator) nicht lange bleiben aber es gibt viel mehr zu tun als geplant. Unsere mongolische Freundin Togtoch, die uns damals den Kontakt zur Pronvinzregierung in Khovsgol verschaffte, besucht uns in unserer Jurte. Wir unterhalten uns über viele Stunden angeregt. Am nächsten Tag hilft sie uns ein neues Smartphone zu kaufen. Wir erfahren, dass häufig billige Duplikate an den Mann gebracht werden die vom Original nicht im Geringsten zu unterscheiden sind. Sie kosten manchmal nur etwas weniger als das Original, sind aber von äußerst schlechter Qualität. „Und was ist nun der Unterschied zwischen diesem und jenem Telefon?“, frage ich die Verkäuferin auf die identisch aussehenden Modelle deutend. „Auf das Original bekommen sie ein Jahr internationale Garantie auf das Duplikat kann ich ihnen keine Garantie ausstellen.“ „Hm, sie könnten mir aber das Duplikat als Original unterjubeln oder nicht?“, frage ich. „Aber darauf kann ich ihnen keine internationale Garantie geben. Es gibt immer nur eine Garantiekarte mit der Nummer des Originalgerätes“, versucht sie mich zu überzeugen. Nachdem wir in diesem Land schon geradezu Unglaubliches erlebt haben und wir wissen, dass die Einheimischen sich Ausreden einfallen lassen auf die man nicht im Traum kommt, bleiben wir misstrauisch. Als ich dann doch die Garantiekarte unterschreibe und ich ihr das Geld reiche, möchte sie plötzlich 300.000 Tugrik (135,-€) mehr als vereinbart. Togtoch, Tanja und ich können es nicht fassen. Sind wir trotz aller Vorsicht schon wieder geleimt worden? „Der Preis war für das Duplikat und nicht für das Original“, wehrt sich die findige Verkäuferin. Togtoch streitet sich nun ernsthaft mit der Frau hinter ihrem kleinen Verkaufsstand. Obwohl unsere Freundin perfekt Deutsch spricht und alles was wir nicht verstehen eins zu eins übersetzt, dauert der äußerst anstrengende Kauf dieses Smartphones drei Stunden. Am Ende bin ich mir nicht mehr sicher ob ich nun für dieses horrende Geld wirklich ein Original in den Händen halte. „Bin überzeugt dass es ein Original ist“, meint Togtoch die gerade ihren russischen Doktor in Geschichte macht.

Auch unser damaliger Übersetzer Taagi lässt es sich nicht entgehen mal Hallo zu sagen und für einen Abend vorbeizukommen. Roelof der Holländer, der die Mongolei zu seiner Wahlheimat erklärte, sucht uns ebenfalls auf. Nach unserer Überwinterung bei den Rentiernomaden lebten wir für zwei Wochen in seiner kleinen Wohnung in U.B. Seine damalige Frau Anu begleitete uns in Roelofs Jeep als Übersetzerin auf einen mehrere tausend Kilometer langen Trip durch die Südmongolei. Roelof und Anu haben außer Benzingeld und Übernachtungskosten keinen einzigen Cent verlangt. Ein Grund mehr warum der herzensgute, großzügige Roelof für uns unvergesslich in Erinnerung bleibt. Während unseres Gespräches berichtet er was in den zwei Jahren unserer Abwesenheit alles geschehen ist. „Mittlerweile leidet das Land unter einer waschechten Krise. Die großen internationalen Investoren der Minengesellschaften haben sich zurückgezogen. Die Regierung hat es sich mit ihnen überworfen. Die Arbeitslosigkeit ist astronomisch. Das Land ist absolut pleite. Man geht davon aus, dass die Mongolei spätestens im Jahre 2017 zahlungsunfähig ist. So ungefähr wie Griechenland im Augenblick. Keiner weiß was dann hier geschieht.“ „Ist wahrscheinlich auch ein Grund für den Taschendiebstahlboom?“, frage ich. „Absolut. Der Taschendiebstahl und Einbruch hat massiv überhand genommen. Keiner ist mehr sicher. Bei einem Freund von mir übernachten ab und an Fahrradreisende aus Europa. Gäste von ihm haben ihr Zelt im Innenhof aufgebaut und neben ihren Rädern geschlafen. Am nächsten Morgen waren sie weg. Das ist erst vor wenigen Tagen geschehen.“ „Schlimm, hoffe wir bleiben vor solch einem Diebstahl verschont. Nachdem man mir mein Smartphone geklaut hat habe ich viele der Traveller hier gewarnt. Und du wirst es nicht glauben. Jeder Dritte in diesem Guesthouse ist Opfer von Taschendiebstahl geworden. Manchen wurden sogar die Pässe gestohlen, einem das Tablet und keiner hat etwas davon bemerkt. Unserem Exübersetzer Taagi, der Mongole ist und hier lebt, wurde in den letzten zehn Jahren zehn Handys geklemmt und unserer Freundin Togtoch hat es vor ein paar Wochen erwischt als sie in einem Laden etwas einkaufen wollte“, sage ich. „Oh ja, die sind sehr geschickt geworden. Sie arbeiten meist zu zweit, manchmal in Gruppen. Wenn einer etwas aus deinem Rucksack oder Hosentasche zieht gibt er es augenblicklich an eine andere Person weiter. Wenn du etwas bemerkst und dich umdrehst, hat derjenige deine Börse oder was auch immer er ergattert hat, schon längst nicht mehr am Körper. Die Jungs sind demnach schwer zu erwischen“, erklärt Roelof

Auch die technischen Herausforderung reißen nicht ab und U.B. ist die letzte Großstadt vor China, wo wir das Wichtigste und Nötigste regeln können bevor wir uns auf die 700 Kilometer weite Strecke, die größtenteils durch die Wüste Gobi führt, begeben. So benötigen wir eine Cloud, die wir vom World Wide Web herunterladen, um die Fülle an Bildern, die wir auf dieser erlebnisreichen Reise fotografieren, absichern zu können. Weil die Chinesen alle Google-Dienste und Facebook durch eine Firewall sperren, brauchen wir einen speziellen Server über den man diese Sperre umgeht. Nur so können wir unsere Berichterstattung und das Absichern der Bilder auf der Cloud weiterhin gewährleisten. Das Recherchieren im Netz und das Installieren solcher Programme sind für mich enorm zeitaufwendig und teils Nerven raubend. Tja, die Zeiten haben sich auch für Traveller und Abenteurer geändert. Ohne Hightech, Digitalkameras, Laptop, Smartphones usw. geht heute nichts mehr. Man könnte sich zwar dagegen wehren aber das würde die absolute Isolation von unserer Welt bedeuten. Und was ergibt es für einen Sinn sich von einer Welt zu isolieren in der man lebt? Als wir damals vier Jahre lang im Outback Australiens verbrachten und davon drei Jahre isoliert von der Außenwelt mit unseren Kamelen 7.000 Kilometer die Wüsten dieses Kontinentes durchquerten, waren wir am Ende gezwungen wieder in die Technikwelt einzutauchen. Ein Jahr habe ich zu jener Zeit gebraucht um mich nach dem ultimativen Abenteuer wieder an den Stress und die rasante Entwicklung zu gewöhnen. Am liebsten aber hätte ich die Flucht ergriffen. Mit dem unweigerlichen Ergebnis allerdings für den Rest meines Lebens wie ein Nomade mit unseren Kamele durch die Wüsten ziehen zu müssen und das nur um nicht an dem Fortschritt der heutigen Menschheit teilzuhaben.

Das Leben in unserer Jurte auf dem Dach eines schäbigen Gebäudes, welches seit über 20 Jahren eines der ersten Travellerunterkünfte Ulan Bators ist, wird langsam zur Routine. Noch vor dem Frühstück dreht Tanja mit Ajaci die Morgenrunde. „Stell dir vor was heute geschehen ist“, sagt sie etwas außer Atem in unsere mongolische Behausung kommend. „Na hoffentlich nichts Schlimmes?“, antworte ich besorgt. „Na ja, wie man es nimmt. Ein hoch aggressiver Hund hat uns angegriffen.“ „Was? Wie ist das denn geschehen?“ „Du kennst doch den Weg der vom Gandankloster wegführt?“ „Welchen Weg?“, frage ich, weil es mehrer gibt. „Na den Hauptweg zur Stadt runter.“ „Ja okay, kenne ich.“ „Also, Ajaci und ich sind ganz friedlich auf diesem Weg gelaufen als ein Hund wie ein Wilder auf uns zugestürmt ist. Ich habe mich sofort gebückt und einen Stein nach ihm geworfen. Jedoch ließ er sich davon nicht beeindrucken und ist weiter wie ein Pfeil auf uns zugeschossen. Es ging alles so blitzschnell. Der Wilde biss Ajaci in den Hintern und hatte ein großes Knäuel Fell im Maul. Ich brüllte ihn aus Leibeskräften an worauf er ein Stück zurückwich und versuchte das Fell von Ajaci herauszuwürgen. Dann griff er erneut an. Ich trat nach ihm. Zum Glück erwischte er mich nicht denn sein Maul klappte auf und zu wie bei einem Krokodil. Der Göttliche Strahl schickte mir zwei Männer zu Hilfe. Die warfen Fäuste voller kleine Steine nach dem Köter weshalb der dann endlich Leine zog. Einer der Männer ist ihm noch gefolgt, um sicher zu gehen, dass er nicht zurückkommt. Dann bedankte ich mich bei unseren Rettern und untersuchte Ajaci. Wegen seinem dicken Fell ist er völlig unversehrt geblieben.“ „Puh, Glück gehabt“, antworte ich nachdenklich. „Es gibt unglaublich viele Hunde in dieser Gegend. Einige davon laufen frei herum und verteidigen ihr Revier. Wenn du deine Nachtrunde mit Ajaci drehst musst du echt aufpassen. Am besten du hast immer Steine in der einen und Pfefferspray in der anderen Hand“, warnt sie mich.

Hunde gehören in der Mongolei schon immer zur Familie und sind gern gesehene Haustiere. Sie kündigen seit Gedenken jeden Besucher an und schützen und warnen vor Dieben, sind aber mittlerweile auch ein richtiges Statussymbol geworden. Vor allem ausländische Rassen wie Huskys und Deutsche Schäferhunde haben die Herzen der Mongolen erobert. Es werden Spitzenpreise für die Vierbeiner bezahlt weshalb man uns auch mehrfach gewarnt hat auf Ajaci zu achten. „Lasst euren Hund nicht vor einem Geschäft oder irgendwo auf euch warten. Wenn ihr nicht aufpasst stehlen sie ihn euch.“ Oftmals werden die armen Tiere an der Kette gehalten die nicht länger als einen Meter ist. Obwohl die Mongolen ihre Hunde mögen ist diese Art von Tierquälerei nicht nachvollziehbar. Ein Husky, direkt neben unserem Jurtencamp heult 24 Stunden am Tag. Seine Kette, von der er nie freigelassen wird, misst nicht mehr als einen Meter. Der Arme schreit sich unaufhörlich die Seele aus dem Leib. Wenn man bedenkt, dass Huskys echte Ausdauerläufer sind und mit großer Freude beladene Schlitten ziehen können, krampft sich uns bei diesem Anblick das Herz zusammen. Am liebsten würden wir ihn befreien. Aber das würde natürlich nichts bringen. Der Hund von Ganas Guesthouse ist seit Jahren an einer Kette die nur ca. 50 Zentimeter misst. Er bellt die ganze Nacht seine Verzweiflung in den Himmel und versucht jeden zu beißen der in seine Nähe kommt. Während unseres gesamten Aufenthaltes wurde er nicht ein einziges Mal befreit. Da er auf Grund der Kette gezwungen ist in sein eigenes Nest zu kacken räumt seine Herrin, die Mutter des Guesthousebesitzers, seine Ausscheidungen weg. Das ist neben seinem Fressen der einzige Luxus seines armseligen Gefängnislebens. Wir sprechen die Besitzer auf diesen Misstand an und versuchen für den Hund eine Verbesserung zu erlangen. „In der Mongolei ist das ganz normal. Man macht das bei uns so. Außerdem ist er schon seit vier Jahren an der Kette. Wenn wir ihn jetzt loslassen beißt er jeden Gäste“, ist die Aussage.

Zwischen dem Recherchieren, den Gesprächen mit den anwesenden Travellern, den Unterhaltungen mit unseren Besuchern und den vielen anderen Arbeiten die das Leben so fordert, sitze ich bei lautem Straßenlärm, schlechter Luft und teils Affenhitze in unserer Jurte und schreibe über unsere Erlebnisse. Mittags suchen wir immer ein freundliches mongolisches Restaurant auf in dem die Mahlzeiten sehr gut schmecken und auch nicht teuer sind. Nach einer Woche allerdings erwischt mich der Mongolienback erneut. Bauchkrämpfe, Übelkeit und viel Zeit auf der Toilette sind die Folgen. Ich vertrage das viele oftmals fette Fleisch nicht mehr. Abgesehen davon kochen die Mongolen mit billigem Sonnenblumenöl welches in manchen Restaurants immer wieder erhitzt wird bis es zu reinem Gift mutiert. Von anderen Reisenden erfahren wir von einem Vegan-Restaurant. „Und das in U.B.?“, frage ich. „Ja, es ist sogar nicht weit weg von hier. Man kann dort super lecker essen“, erklären Jola und Simon, ein junges Paar, die gerade von einem zehntägigen Pferdetrip zurückgekommen sind und sich in der Jurte uns gegenüber eingemietet haben.

Wir sind auf dem Weg zum Vegan-Restaurant in dem wir die kommenden zehn Tage unser Mittagessen genießen. Vor uns läuft ein junger mongolischer Geschäftmann im feinen Zwirn. Er hat Headphones in den Ohren und hört offensichtlich Musik. Seine lederne Umhängetasche trägt er lässig auf der rechten Seite. Neben ihn scheint ein Bekannter von ihm zu gehen. Allerdings trägt er im Gegensatz zu ihm einfache Kleidung. Als wäre es das Natürlichste der Welt nimmt er seine Schirmmütze vom Kopf, hält sie über seine rechte Hand und hebt sie nun auf diese Weise getarnt in Höhe der Umhängetasche. „Der nimmt doch nichts aus der Tasche?“, fragt Tanja geistesgegenwärtig. „Was?“, frage ich. Nur einen Sekundenbruchteil danach wird der Mann mit der Schirmmütze von einem anderen Passanten gerempelt. Die beiden sprechen laut, entschuldigen sich gegenseitig, reichen sich die Hände und lachen ausgelassen, während der Geschäftsmann weiter seine Musik hört und nicht mitbekommen hat dass er höchstwahrscheinlich gerade bestohlen wurde. Tanja und ich stehen etwas verwirrt da und begreifen erst in diesem Augenblick Zeugen eines Taschendiebstahls geworden zu sein. Der Angerempelte hat beim Handschlag seine Beute an dem Anrempler weitergegeben. „Ich glaube es nicht. So machen sie das also“, meint Tanja. „Ja, zumindest war das eine Variante“, stelle ich fest. Nur einen Atemzug später haben sich die beiden Diebe in der Menschenmenge verloren. Auch der Geschäftsmann ist weitergelaufen. Es ergibt also keinen Sinn ihm hinterherzueilen um ihn davon zu berichten dass er gerade Opfer geworden ist.

Als wir im Loving Hut sitzen und unser leckeres Veganessen genießen sprechen wir noch einige Zeit über den dreisten Diebstahl. „Mittlerweile ist Ulan Bator mit Städten wie Rom, Madrid, London und vielen touristischen Hotspots zu vergleichen, zumindest wenn es um organisierten Taschendiebstahl geht“, sage ich als plötzlich mein neues Smartphone klingelt. Es ist Khadbataar, der Agenturchef der mit Koreanischen Fahrradtouristen den Khovsgolsee im Norden des Landes umradelte und uns gebeten hatte sich bei ihm zu melden wenn wir in U.B. sind. Nachdem mir mein Telefon anhanden gekommen war dachte ich gar nicht mehr an den Mann der offensichtlich mehrfach versucht hat uns zu erreichen. „Was will er denn von uns?“, fragt Tanja leise. „Wir sollen ihn in seinem Fahrradgeschäft besuchen“, sage ich während ich das Telefon ans Ohr halte. „Habt ihr heute Abend Zeit?“ „Ja“, höre ich mich antworten obwohl wir im Augenblick nicht die geringste Lust verspüren den Chef eines Fahrradtouristengeschäftes zu treffen.

18:30 Uhr. Wir stehen vor dem Hauptpostamt und warten auf eine Angestellte von Khadbataar die uns hier abholen soll. „Am liebsten würde ich in unsere Jurte gehen und ein wenig ausruhen“, meint Tanja nachdem wir schon zehn Minuten warten und nicht wissen warum wir diesen Mann besuchen sollen. „Was er wohl von uns will?“, wundere ich mich. „Ich weiß nur dass kaum ein Mongole dich einfach nur so einladen möchte. Es gibt immer einen Grund. Entweder der Aufbau einer Geschäftsbeziehung, eine Einladung nach Deutschland oder vielleicht will er uns nur etwas verkaufen“, entgegnet Tanja. Plötzlich winkt uns eine junge, hübsche Mongolin von der anderen Straßenseite zu. „Ich heiße Saara und bin die Sekretärin von Khadbaatar Radnaa, dem General Manager vom City Center“, stellt sie sich freundlich vor. Wir folgen ihr durch die großzügig angelegte Innenstadt von Ulan Bator. Dann queren wir den imposanten Suchbaatar-Platz an dem sich das beeindruckende Parlamentsgebäude und die Oper befinden. Der krasse Gegensatz von Reichtum und bettelarm ist hier unter anderem zu erkennen, wenn man an den zum Teil offenen Abwasserschächten vorbeiläuft. Neugierig sehen wir in den einen oder anderen Schacht. Sie sind mit Müll gefüllt und das Zuhause für die Ärmsten der Metropole. Schon während der letzten Aufenthalte in U.B. konnten wir beobachten wie Kinder in verlumpter Kleidung, ihre nackten Füße in kaputten Schlappen steckend, sich in solchen Löchern verkriechen. In der kalten Jahreszeit leben in den Heizungstunneln von Ulan Bator 4.000 bis 10.000 Kinder. Nach manchen Aussagen müsste aber hinter diesen Zahlen eine weitere Null stehen. Das Unvorstellbare ist, dass diese armen menschlichen Wesen sich den dunklen Lebensraum mit Millionen von Ratten teilen müssen und der Boden dieser Tunnel mit Exkrementen bedeckt ist. Wissend das unter unserem Gehweg eine unterirdische Stadt existiert, in der unzählige leidende junge Menschen hausen, verfolgt uns ein ständiges schlechtes Gewissen wenn wir ein Restaurant aufsuchen, um unseren Hunger mit guter Nahrung zu stillen.

“Hier sind wir“, unterbricht Saara meine Gedanken als wir mitten im Zentrum an einem modernen 30stöckigen Hochhaus angekommen sind. „Und da drin befindet sich das Fahrradgeschäft?“, wundere ich mich. „Ja“, antwortet Saara und führt uns in das noble Gebäude. Neben der Lobby kommen wir an einem kleinen Fahrradladen vorbei in dem absolut zeitgemäße, ultramoderne Fahrräder und Ausrüstung ausgestellt sind. Dann betreten wir ein edles Restaurant. „Einladen werden wir ihn aber nicht“, meint Tanja leise. „Nein, warum sollten wir ihn einladen?“, entgegne ich als uns Khadbaatar auch schon entgegentritt und uns äußerst freundlich die Hand schüttelt. „Setzt euch. Wollt ihr etwas Essen? Habt ihr Hunger? Vielleicht etwas frisches Gebäck? Obst? Oder etwas vom Büffet?“, trauen wir unseren Ohren nicht. „Äh, wir haben gerade gegessen“, antworten wir etwas verlegen. „Aber einen Cappuccino kann man immer trinken“, lacht er und trägt der Bedienung auf uns einen zu servieren. Da echter Cappuccino in diesem Land äußerst selten und mindestens so teuer ist wie in einem guten Restaurant in Deutschland, glauben wir erneut unseren Ohren nicht zu trauen. „Und Du bist der Chef von dem Fahrradgeschäft dort vorne am Eingang?“, interessiert es mich. „Ha,ha, ha, ja das bin ich. Aber ich bin auch der Chef und Inhaber von den zwei Hochhäusern die hier stehen. Ich habe ein Architektur- und Ingenieurbüro hier im Haus. Ich bin Bauunternehmer. Der Fahrradladen ist nur ein kleines Nebengeschäft welches wir gerade aufbauen“, verschlägt es uns erneut die Sprache. „Wow, dann bist du ja ein reicher Mann“, stelle ich fest worauf unser Gastgeber nur freundlich lächelt. Kaum wird der Cappuccino serviert, springt der Chef des City Center Buildings auf, eilt zum Büffet und bringt uns eigenhändig frisches, sehr leckeres Gebäck. „Wie man sich immer wieder täuschen kann“, flüstere ich Tanja zu meine Zähne in ein schmackhaftes Croissant zu versenken. Mit uns am Tisch sitzt ein sympathischer Russe namens Alexeij. Ein Weltumradler der seit über einem Jahr unterwegs ist und gerade aus China kommt. Neben ihm hat Niem Platz genommen, ein netter Mongole der perfekt Deutsch spricht und über Warm Showers Radfahreren aus der gesamten Welt eine kostenfreie Bleibe für die Nacht bietet. (Die Warm Showers Gemeinschaft ist ein kostenfreier, weltweiter Gastfreundschaft-Austausch für Tourenradfahrer.)

„Ich kenne Herrn Radnaa auch erst seit wenigen Minuten. Es ist reiner Zufall dass ich hier bin“, erklärt Niem. Es dauert nicht lange und es gesellen sich zwei weitere Radfahrer zu uns an den Tisch die Khadbaatar ebenfalls ohne zu zögern großzügig einlädt. Das Pärchen aus der französischen Schweiz ist auch erst vor kurzem bei Niem eingetroffen. „Und wie kommt ihr hier in das noble Haus?“, frage ich Niem. Alexeij lernte auf der Straße Herrn Khadbaatar Radnaa kennen und wurde von ihm heute hierher eingeladen. Ich begleitete Alexej hierher da er nicht wusste wo sich der Citysender befindet. Meine zwei Schweizer Gäste folgten uns ebenfalls weil sie hörten dass es hier einen Fahrradladen gibt in dem sie vielleicht etwas kaufen können“, erklärt er. „Ja, was für ein Zufall. Jetzt haben wir ein internationales Treffen von Weltumradlern“, freut sich Khadbaatar und lässt weiter auftischen woran sich nicht nur die hungrigen Mägen von Radfahrern erfreuen würden. Es dauert nicht lange und die interessanten Gespräche und spannenden Erzählungen bestimmen den frühen Abend. Alexej benötigt einen neuen Mantel für sein betagtes Reiserad. Khadbaatar lässt sofort einen von einer Angestellten bringen. Als Alexej den Preis hört schaut er verlegen. „Was ist? Stimmt mit dem Mantel etwas nicht?“, erkundigt sich der Hochhausbesitzer. „Es tut mir Leid aber der ist für mich zu teuer“, antwortet Alexej. „Was möchtest du denn bezahlen?“, fragt Khadbaatar. „Ich kann nur die Hälfte bezahlen. Soviel kostet ein Mantel in China. Ich weiß, der hier hat eine bessere Qualität aber den kann ich mir nicht leisten“, meint er. „Na dann zahl mir die Hälfte“, bietet Khadbaatar dem Russen an worauf ich mich über meine voreiligen Schlüsse, die ich noch vor wenigen Stunden unserem Gastgeber gegenüber hatte, ärgere. Es kommt immer anders als man denkt und meist be- oder verurteilen wir Menschen ohne von ihnen nur das Geringste zu wissen.

Wir fachsimpeln über die verschiedene Radtechnik wobei ich zur Sprache bringe diesmal einen Höhenmesser vergessen zu haben. „Wofür brauchst du denn einen Höhemesser?“, wundert sich Khadbaatar der leidenschaftlich gerne Rad fährt. „Einen Höhenmesser habe ich in der Uhr. Das ist kein Problem. Was ich benötige ist ein Höhenmesser der die Höhenmeter auch kumuliert. Vielen Radfahrern kommt es nicht nur auf die zurückgelegten Kilometer an sondern auch auf die erklommenen Höhenmeter. Am Ende eines Trips weißt du dann wie viel tausende von Höhenmeter du bewältigt hast. Das würde ich gerne mit in mein Logbuch aufnehmen“, erkläre ich. „Hm, interessant. So etwas haben wir leider nicht im Laden aber mein Sohn besorgt dir so ein Ding übers Internet. Wenn der kleine Computer nicht für deine Belange passt kaufe ich ihn, also kein Problem für dich“, bietet mir Khadbaatar an.

“Geld ist nicht alles im Leben“, sagt Khadbataar unvermittelt als alle anderen schon gegangen sind. „Ja, ich weiß. Das ist einer der Gründe warum wir uns für dieses wunderbare Reiseleben entschieden haben“, antworte ich ihm Recht gebend. „Vor ein paar Jahren hatten wir ernsthafte Unruhen im Land“, fährt Khadbataar fort. „Viele Menschen haben am Suchbaatar-Platz demonstriert. Eine Gruppe stürmte zu meinen Hochhäusern. Es dauert nicht lange und eines davon brande lichterloh. Auch das gerade errichtete Geschäftsgebäude daneben ging in Flammen auf. Nach nur 30 Minuten war mein Lebenswerk vernichtet. Einfach zerstört. Verstehst du? All mein Reichtum dahin. Nur weil ein paar Idioten ihre Aggression an etwas auslassen wollten. Dieses Erlebnis veränderte mein Dasein grundlegend. Ich bin zwar froh es wieder geschafft zu haben aber ich kenne die andere Seite des Lebens. Deswegen schätze ich jeden Tag.“ „Das kann ich nachvollziehen. Tanja und ich versuchen auch jeden Tag wertzuschätzen als wäre es der Letzte. Leider klappt das nicht immer“, sage ich nachdenklich. „Leider“, antwortet der Bauunternehmer den ich nach dieser Geschichte mit ganz anderen Augen sehe. „Und wie kommt es dass deine Gebäude jetzt wieder stehen?“, möchte ich wissen. „Die Regierung hat uns geholfen. Den Rest haben wir mit großem Energieeinsatz und Fleiß geschafft.“

Nachdem wunderbaren Abend, den tollen Gesprächen, dem fantastischem Essen und der außergewöhnlichen Gastfreundschaft schlendere ich durch das dunkle Ulan Bator. Tanja ist schon vor Stunden zurückgegangen um mit Ajaci die Abendrunde zu drehen. So bin ich alleine und trotz des schönen Erlebnisses sehr wachsam in einer Welt der Gegensätze, der Diebe, Bettler und Superreichen unterwegs.

Die Live-Berichterstattung wird unterstützt durch die Firmen Gesat GmbH: www.gesat.com und roda computer GmbH www.roda-computer.com Das Sattelitentelefon Explorer 300 von Gesat und das rugged Notebook Pegasus RP9 von Roda sind die Stützsäulen der Übertragung.

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