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AUFGELADEN zu den Polarlichtern im hohen Norden - 2020

Welche Eigenschaften braucht der Botschafter von Mutter Erde?

N 68°57’18.3’’ E 015°26’28.0’’
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    Datum:
    04.10.2020

    Tag: 063

    Land:
    Norwegen

    Ort:
    In der Wildnis

    Tageskilometer:
    63 km

    Gesamtkilometer:
    5507 km

    Bodenbeschaffenheit:
    Asphalt / Unbefestigt

    Sonnenaufgang:
    07:16 Uhr

    Sonnenuntergang:
    18:18 Uhr

    Temperatur Tag max:
    14°

    Temperatur Nacht min:

    Aufbruchszeit:
    13:00 Uhr

    Ankunftszeit:
    15:00 Uhr

 

(Fotos zum Tagebucheintrag finden Sie am Ende des Textes.)

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Welche Eigenschaften braucht der Botschafter von Mutter Erde?
Bevor wir Andenes verlassen, gehen wir noch mal ins Café neben an und setzen ein paar Updates ab. In der Hoffnung Fynn zutreffen, frage ich an der Rezeption. „Fynn? Kennen wir nicht“, antwortet die junge Frau. „Ein ca. 80-Jähriger mit dichtem weißem Bart. Er war gestern lange da. Trug einen abgetragenen Overall“, hake ich nach. „Es tut mir leid“, höre ich. Da ich noch ein Bild von ihm fotografieren wollte, lasse ich mich ein wenig enttäuscht in einen der Sessel sinken. „Wir tragen die unvergessliche Geschichte in unserer Erinnerung. Da brauchen wir kein Foto“, sagt Tanja. „Hm, stimmt schon“, antworte ich mich wieder auf die Geschichte konzentrierend, die ich in den Laptop tippe.

Am Nachmittag lassen wir das am nördlichen Ende der Insel Andøya liegende Städtchen Andenes mit seinen 2.561 Einwohnern hinter uns und folgen der Route, die uns Nathalie und Stefan gestern früh empfohlen hatten. „War schön hier“, sage ich einen letzten Blick in den Rückspiegel werfend. „Unvergesslich“, antwortet Tanja leise. „Wärst du gerne länger geblieben?“, frage ich, weil ich glaube, etwas Melancholisches in ihrer Stimme wahrzunehmen. „Ich weiß nicht. Ich liebe Wale und hätte gerne mehr Zeit mit ihnen verbracht. Auf der anderen Seite wollen wir noch vor dem Wintereinbruch ans Nordkap. Deswegen ist es für mich okay, dieser Insel lebe wohl zu sagen, um neue Gefilde zu entdecken.“ „Dieses Norwegen ist landschaftlich geradezu unglaublich beeindruckend und schön. Ich wäre gerne länger geblieben. Ich würde überall länger bleiben, wenn wir mehr Zeit hätten“, antworte ich. „Wir besitzen mehr Zeit als die meisten Menschen“, entgegnet Tanja. „Und trotzdem scheint es so, als reicht sie nie aus“, erwidere ich. „Wenn es nach dir ginge, würden wir mehrere Jahre durch dieses Land fahren“, meint Tanja lachend. „Ganz genau. Am liebsten würde ich solange in einem Land bleiben, bis ich jeden Winkel für mich erforscht habe, bis ich alles verstanden und erfahren habe. Erst wenn meine Neugierde befriedigt ist, würde ich, wenn ich könnte, ins nächste Land reisen.“ „Du bist ein echter Nimmersatt.“ „So kann man es auch sehen, aber wie du weißt, ist tief in mir dieser Wissensdurst nach dem Unbekannten verankert. Umso weiter weg und exotischer, desto besser. Keine Ahnung, warum das so ist.“ „Deswegen bist du Reisender und Botschafter von Mutter Erde geworden. Das ist eine fantastische Aufgabe und eine wunderbare Berufung. Es ist nicht jedem Erdenbürger vergönnt, seine Berufung leben zu können und seit 30 Jahren nichts anderes zu tun, als durch die Welt zu reisen, unsere Erlebnisse in Film, Bild und Schrift festzuhalten. Irgendwie seltsam, dass wir Menschen nie genug bekommen. Selbst wenn sie alles besitzen, wollen sie immer mehr.“ „Hm, das stimmt, aber mir geht es dabei nicht nur um mehr Zeit für mich. Es geht mir vielmehr um Zusammenhänge zu begreifen und ich habe das Gefühl, das große Ganze nicht im Ansatz zu verstehen. Wenn ich Botschafter von Mutter Erde bin, wäre es doch sinnvoll, sie zu verstehen. Erst dann, so glaube ich, könnte ich den Menschen vermitteln, von welch elementarer Wichtigkeit es ist, unser aller Lebensplattform zu schützen. Am liebsten würde ich den Planeten umarmen, ihn wie ein Baby in meinen Armen wiegen und jeden Erdenbürger davon überzeugen, das ebenfalls zu tun“, sinniere ich einen Gang herunterschaltend, um die Terra in eine enge Kurve zu steuern. „Ich glaube nicht, dass du alle Zusammenhänge verstehen musst, um den Menschen vermitteln zu können, dass die Lebensplattform Erde schützenswert ist. Dafür musst du nicht allwissend sein. Die richtigen Zutaten für deinen Job sind Liebe, Neugier, Wissensdurst, Aktivismus und Beharrlichkeit. Nachdem ich jetzt über 30 Jahre an deiner Seite bin, weiß ich, dass du das besitzt.“ „Meinst du?“ „Na klar. Oder glaubst du, dass man ohne diese Eigenschaften 30 Jahre lang diesen anstrengenden Lebensstil verfolgen kann?“ „Anstrengend?“ „Na denk doch mal an unsere Wüstendurchquerungen mit Pferden und Kamelen, an die ewigen Märsche und an den 30.000 Kilometer langen Fahrradtrip von Deutschland nach Asien, um nur einige unserer Expeditionsreisen zu nennen.“ „Ha, ha, ha. Stimmt. Das war in der Tat anstrengend. Ich sollte mehr Bescheidenheit an den Tag legen und mit der Zeit, die wir haben, zufrieden sein.“ „Das solltest du“, sagt Tanja mich anlächelnd.

Tanja, deren Worte mich gerade tief berührt haben, blickt aus dem Fenster. Zu unserer Rechten breitet sich das Nordmeer aus. Es zeigt sich von seiner friedlichen Seite. Nur flache, kleine Wellen platschen an die Westküste. Wie eine Schlange windet sich die schmale Straße in Richtung Südwesten. Zu unserer Linken erhaschen wir den Blick auf eine moorähnliche, mit Heidekraut überzogene Landschaft, die immer wieder von Bergzügen unterbrochen wird. Auf der zehntgrößten Insel Norwegens erstreckt sich mit 263 km² das landesweit größte zusammenhängende Moorgebiet, auf dem noch heute Torf abgebaut wird. Torf war früher der einzige Brennstoff, mit dem die Einwohner ihre Öfen befeuerten, um die langen Winter zu überstehen.

An dem wolkenlosen Nachmittag sendet der langsam sinkende Sonnenball seine hellen Strahlen in die Fahrerkabine. Geblendet von dem gleißenden Licht ziehe ich die Sonnenblende nach unten. Nach einer Weile breche ich unser friedliches Schweigen. „Die gleichen positiven Eigenschaften hast du auch.“ „Wie? Was meinst du?“ „Na Liebe, Neugier, Wissensdurst, Aktivismus und Beharrlichkeit. Wärst du nicht damit gesegnet, könnten wir diese jahrzehntelange Lebensreise nicht gemeinsam durchführen. Ich danke dir dafür von ganzem Herzen mein über alles geliebter Schatz.“ „Dafür brauchst du mir nicht zu danken. Du weißt doch, dass es kein Zufall sein kann, dass wir dieses wunderbare Leben gemeinsam verbringen dürfen.“ „Ja, das weiß ich und trotzdem bin ich dankbar, dass es so ist.“

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