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Mongolei/Tuwa Camp MONGOLEI EXPEDITION - Die Online-Tagebücher Jahr 2011

Warmsaufen vor dem Fest / Um einen Zentimeter das Auge verfehlt / Tsaya leidet unter einer Herzmuskelentzündung

N 51°33'336'' E 099°15'341''
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    Tag: 209

    Sonnenaufgang:
    08:32

    Sonnenuntergang:
    18:41

    Gesamtkilometer:
    1281

    Bodenbeschaffenheit:
    Eis, Schnee

    Temperatur – Tag (Maximum):
    minus 10°C

    Temperatur – Tag (Minimum):
    minus 28°C

    Temperatur – Nacht:
    minus 33°C

    Breitengrad:
    51°33’336“

    Längengrad:
    099°15’341“

    Maximale Höhe:
    1981 m über dem Meer

Nach mehreren Tagen kommen Tasaya, Ultsan, Tso, Gamba, Purvee und ein paar andere von der Einkaufstour aus Tsgaan Nuur zurück. Mit lautem, Stille zerreißendem Hupen meldet der Fahrer die Ankunft. Kaum kommen die abgefahrenen Reifen des klapprigen Jeeps im knirschenden Schnee zum Stehen springen die Türen auf. Tso purzelt schwer angeschlagen heraus. Er bleibt erstmals für einige Augenblicke liegen bis er sich aufrappelt und wie eine Brücke, deren Stützpfeiler am zusammenbrechen sind, schwankend und breit grinsend dasteht. Der Fahrer steigt ebenfalls aus öffnet die Hintertür des Fahrzeuges und wirft sich einen völlig erschlafften Körper über die Schultern, um ihn zu Blockhütte zwei zu tragen. „Mein Gott. Das ist Gamba“, sage ich leise zu Tanja die neben mir steht um die Ankömmlinge zu begrüßen. „Er muss ja große Mengen Wodka getrunken haben,“ stellt sie fest. „Wenn er sich in solch ein Dilirium gesoffen hat bestimmt. Normalerweise verträgt er ja Unmengen davon und säuft jeden unterm Tisch. Anscheinend haben sie schon vor Tagen damit begonnen das kommende Tsagaan Saar zu feiern.“ „Ein bisschen früh, meinst du nicht auch?“ „Hm, denke hier ist der kleinste Grund Anlass für eine oder zwei Runden Wodka. Wahrscheinlich trinken sie sich gerade warm. So sind sie dann am Festtag in Form.“ „Oder völlig fertig“, entgegnet Tanja schmunzelnd.

Um einen Zentimeter das Auge verfehlt

Weil es während der Feiertage nicht gearbeitet wird müssen alle Arbeiten schon in den Tagen vorher erledigt werden. Das ist der Grund warum jeder der Campbewohner gleich Berge von Feuerholz hackt. Auch Tanja und ich nutzen die Zeit um in den Wald zu gehen. Obwohl es Tag für Tage geringfügig wärmer wird müssen wir bei der Waldarbeit sehr darauf achten uns keine Erfrierungen an Fingern, Nasenspitze und Ohren zu holen vor allem wenn meine verdammte Motorsäge ausfällt. Dann nämlich bin ich gezwungen die Handschuhe auszuziehen um an den sich ständig verändernden Einstellrädchen zu drehen um den Motor wieder in Gang zu bekommen. Manchmal werden dabei die Finger derart kalt das sie grauslich zu schmerzen beginnen. Vor allem der kleine Finger. Um die schnelle Erfrierung zu umgehen stecke ich mir den Finger in den Mund. Der Schmerz ist beim Auftauen des Gewebes verblüffend. Wenn er warm ist schlüpfe ich wieder in die Handschuhe und versuchen die Katastrophen-Motorsäge wieder anzulassen, um die Baumstämme in Stücke zu zersägen. Nach dieser anstrengenden Arbeit zerren wir einen mit Holzblöcken voll beladenen, primitiven Schlitten zur Basis. Eine schwere Arbeit die all unsere Kraft beansprucht. Neben der Jurte hacke ich dann die meist durchgefrorenen kurzegeschnittenen Holzstämme zu Kleinholz. Mit Zorn über einen widerspenstigen Ast lasse ich meine Axt immer wieder heruntersausen. Plötzlich springt das Astende ab und knallt mir an die rechte Augenbraue. Die Wucht des Aufpralls ist so groß, dass es mir regelrecht den Kopf nach hinten reißt. „Ahhhhh!“, brülle ich vor Schmerz und fasse mir an das Auge. Blut. Meine Hände sind voller Blut. Ich lasse die Axt liegen wo ich sie hingeworfen habe und eile in die Jurte. „Ich habe mich verletzt. Aber mein Auge scheint okay zu sein“, füge ich noch hinzu um Tanja nicht unnötig zu erschrecken als ich eintrete. „Oh weh. Das sieht ja nicht gut aus. Was ist denn geschehen?“. „Ein Ast ist mir an den Kopf gesprungen. Das verdammte Ding hat sich gewährt bevor ich es totschlagen konnte“, versuche ich zu scherzen. „Lass mal sehen. Am besten du legst dich auf das Wandan“, sagt Tanja und holt sogleich Verbandszeug. „Da hast du wirklich Glück gehabt. Nur einen Zentimeter tiefer und es hätte dich das Augenlicht kosten können. Ist eine richtig tiefe Platzwunde. Wird eine Narbe hinterlassen. Aber bei Männern ist das ja nicht so schlimm“, meint sie die Wunde desinfizierend. „Eigentlich müsste man deine Augenbraue nähen oder zumindest klammern. Aber dafür sind wir nicht ausgerüstet.“ „Auf früheren Expeditionen hatte ich immer ein Anästhesiemittel zur örtlichen Betäubung und Nähzeug dabei. Das sollten wir auf der nächsten Reise wieder mitnehmen“, antworte ich während Tanja die Verletzung reinigt. „Interessant“, murmle ich in Gedanken versunken. „Was ist interessant?“, fragt Tanja. „Ach ich habe gerade nachgedacht wie gefährlich so ein Leben in der Wildnis sein kann. Man muss immer mit beiden Beinen auf der Erde sein. Immer konzentriert. Die kleinste Fehler kann hier fatale Folgen haben. Selbst wenn man sich in den Büschen erleichtern muss ist es wichtig nicht einfach Gedankenverloren herumzustapfen. Das hat mir vor ein paar Tagen mein nächtlicher Ausgang gezeigt. Und jetzt dieser dumme Ast. Einfach lächerlich. Und doch war es meine eigene Schuld. Ich hätte eine Brille tragen müssen. Dann wäre mir das Ding nicht an die Augenbraue oder vielleicht sogar ins Auge gesprungen. Hatte einfach nur Glück.“ „Glück gehört dazu. Das brauchen wir Menschen von Zeit zu Zeit“, erwidert Tanja. „Stimmt aber hätte ich besser Acht gegeben wäre das nicht geschehen. Dann hätte ich mein Glück nicht herausfordern müssen. Ich denke wir Menschen sind für die meisten Unglücksfälle die uns widerfahren selbst verantwortlich. Aber nicht selten benötigen wir die eine oder andere Erfahrung um daraus zu lernen. Ab morgen werde ich zum Beispiel kein Holz mehr ohne Brille hacken. Der dumme Ast hat mir also was gelernt“, sinniere ich laut vor mich hin und denke darüber nach welch ein hartes Leben die Tuwa in der Taiga führen. Für sie ist das nächste Krankenhaus relativ weit entfernt. Es gibt keinen Notdienst, keinen Zahnarzt, keine soziale Absicherung oder Versicherungen die im Notfall für den Betroffenen einspringen. Das Leben hier draußen ist eine Gradwanderung. Solange nichts Außergewöhnliches geschieht mag es in Ordnung sein aber die kleinste Kleinigkeit kann die Richtung eines Leben verändern oder sogar zerstören. Klar trifft das auch auf die vermeintliche Zivilisation zu aber in der Wildnis ist der Pfad sehr eng und manchmal steinig.

In Tsayas Hütte geht es hoch her. Die Zurückgekommenen feiern. Tso liegt wie von der Axt gefällt auf dem niedrigen, aus groben Holzbalken, gearbeiteten Bett. Manchmal erwacht er aus seinem komaähnlichen Schlaf, um ein weiteres Glässchen Wodka zu kippen, dann fällt er wieder um. Für Tsaya sind diese extensiven Zusammentreffen manchmal eine Belastung. Da ihre Blockhütte im Zentrum der Gemeinschaft errichtet ist treffen sich meist alle Bewohner und Besucher in diesem Holzhaus. Das bedeutet für sie und Ultsan einen großen Aufwand an Holzholen, hacken, Schneeholen und schmelzen und vielem mehr.

Tsaya leidet unter einer Herzmuskelentzündung

Abends sagt Tsaya; „Wir wollten uns bei euch revanchieren und euch zu einer Flasche Bier einladen. Aber die Männer haben gesehen das wir Bier gekauft haben und uns freundschaftlich gezwungen es mit ihnen zu teilen.“ „Das macht doch nichts. Ihr müsst euch für unsere Einladungen nicht erkenntlich zeigen“, beruhigt sie Tanja. Da Tsaya etwas kraftlos wirkt frage ich sie nach ihren Befinden. „Ach mir geht es schon seit meiner schweren Erkältung vor einem Monat nicht sehr gut. Ich verspüre immer wieder ein Stechen in der Brust. Denke das ist das Herz. Manchmal wache ich mit Atemnot in der Nacht auf. Mein Ruhepuls ist dann bei 130. Ich bin mir sicher unter einer Herzmuskelentzündung zu leiden. Habt ihr ein Antibiotikum für mich?“, fragt sie. „Na das sind ja wirklich schlechte Neuigkeiten. 130 Puls. Das klingt bedrohlich. Ehrlich gesagt musst du in ein Krankenhaus. Ich möchte dir un tger diesen Umständen kein Antibiotikum geben. Das ist zu gefährlich. Wenn es eine Herzmuskelentzündung ist muss sie von Profis behandelt werden. Deine geschilderten Symptome klingen so als könntest du Recht haben. Wen es eine verschleppte Grippe ist kann sich das auch noch auf die Lunge legen. Ein Freund von mir ist daran gestorben. Er war durchtrainierter Triatleth. Er trainierte trotz einer Erkältung weiter worauf sich, soweit ich weiß, sein Herz entzündete. Tu mir bitte einen Gefallen. Fahrt so schnell als nur möglich zurück nach Tsagaan Nuur und sucht das Krankenhaus auf“, sage ich mit Nachdruck. „Aber unser Fest steht vor der Tür“, entgegnet sie. „Du willst doch nicht für ein Fest deine Gesundheit ruinieren? Das steht in keinem Verhältnis.“ „Ja stimmt“, sagt sie kleinlaut. „Für diese Nacht gibt mir Ultsan ein traditionelles Heilmittel. Wenn das hilft kann ich mir den Weg ins Krankenhaus ersparen.“ „Was ist das für ein Heilmittel?“, interessiert es mich. „Es sind die Schwanzhaare eines Muus. Man nutzt nur die Haare die direkt am Anus des Tieres ansetzen. Sie riechen penetrant nach dem Schweiß des Tieres. Die Chinesen kaufen es Grammweise und zahlen viel Geld dafür. Ich denke sie machen daraus Medizin und Parfüm“, erklärt sie während Ultsan mir den mit dicken Fell besetzten Schwanz zeigt. „Wenn man die Haare mit dem Finger berührt und sich damit an die Nase tippt bekommt man den Geruch für eine Woche nicht mehr los. Er ist sehr intensiv und hat heilende Kräfte. Meine Großeltern und Eltern nutzen diese Medizin“, erklärt er und lässt mich an dem Schwanz riechen. „Uaaa, in der Tat ein ausgeprägter Geruch“, sage ich. „Und wie bereitest du die Medizin zu?“, frage ich. „Ich schneide ein paar Fellspitzen ab und koche sie in Wasser. Der Sud wird dann getrunken. Hier probiere mal“, bietet er mir einen Becher der traditionellen Medizin an. Vorsichtig nippe ich an dem Gebräu. „Sehr gewöhnungsbedürftig“, meine ich ihm den Becher zurückgebend.

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