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Mongolei/Tuwa Camp MONGOLEI EXPEDITION - Die Online-Tagebücher Jahr 2011

Betrunkene versetzen uns in Angst und Schrecken

N 51°33'336'' E 099°15'341''
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    Tag: 210

    Sonnenaufgang:
    08:30

    Sonnenuntergang:
    18:43

    Gesamtkilometer:
    1281

    Bodenbeschaffenheit:
    Eis, Schnee

    Temperatur – Tag (Maximum):
    minus 15°C

    Temperatur – Tag (Minimum):
    minus 31°C

    Temperatur – Nacht:
    minus 35°C

    Breitengrad:
    51°33’336“

    Längengrad:
    099°15’341“

    Maximale Höhe:
    1981 m über dem Meer

„Was hältst du von Pfandkuchen?“, fragt Tanja als die ersten Sonnenstrahlen durch den Dachkranz unserer Behausung blinzeln. „Pfandkuchen? Oh ja, unbedingt. Kann mir nichts Besseres vorstellen“, antworte ich in Vorfreude auf meine Leibspeise. Da uns Tsaya und Ultsan gestern 30 Eier und 3.500 Tugrik ( 2;- €) teure H-Milch von Tsagaan Nuur mitgebracht haben, steht dem Gaumenschmaus nichts entgegen. Um 10:00 Uhr sitze ich an unserem Holztisch und genieße den ersten, mit Marmelade bestrichenen, Pfandkuchen. Dazu trinke ich eine Tasse sehr seltenen Kakao. Ich fühle mich im siebten Gourmethimmel.

Obwohl wir für unsere Überwinterung ausreichend Nahrungsvorräte mitgebracht haben ist die Auswahl stark beschränkt. Es fehlt uns seit Monaten an Gemüse, Obst und allem was frisch ist. Weil das aus Korea stammende Milchpulver aus Palmöl und Maissirup produziert wurde und nichts im Geringsten mit Milch zu tun hat, lassen wir es für unseren Konsum weg. Nahezu alle Lebensmittel werden aus dem Ausland importiert. Vieles kommt aus China. Gerade diese Produkte sind mit Vorsicht zu genießen, da sie meistens mit Pestiziden, künstlichen Aromen, Farbstoffen, Geschmacksverstärker, Konservierungsstoffen und unzähligen Weiteren an künstlichen Zusätzen verseucht sind. In China und auch in der Mongolei werden Lebensmittel nicht wie bei uns in Europa kontrolliert. Es ist also eine echte Herausforderung sich einigermaßen gesund zu ernähren. Nun, wie auch immer, es ist mühsam sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Trotz der künstlich schmeckenden russischen H-Milch genieße ich meine Pfandkuchen und finde sie hervorragend. Insgesamt vertilge ich mindestens sieben Stück davon. Weil es nicht leicht ist auf unserem Ofen die Temperatur konstant zu halten dauert meine Schlemmerei drei Stunden. Erst als Tsaya in unsere Jurte kommt und uns davon berichtet noch heute nach Tsagaan Nuur ins Krankenhaus zu fahren, breche ich meine Völlerei ab.

„Mir geht es schlecht. Bin heute Nacht wieder mit Herzschmerzen und 130 Puls erwacht. Mir fällt das Atmen schwer. Seit meinem Geburtsdrama vor einem knappen halben Jahr ist mein Immunsystem geschwächt. Ich bin anfällig geworden“, erklärt sie äußerst niedergeschlagen, während Ultsan sich meiner Axt annimmt, um sie zu schärfen. „Könnt ihr bitte wieder auf unsere Hütte achten und die Hunde füttern?“ „Machen wir gerne“, antwortet Tanja hilfsbereit. „Ach ja. Da ist noch etwas. Wir haben kein Geld um die Fahrt ins Krankenhaus zu bezahlen. Könnt ihr uns 60.000 Tugrik (34,- €) leihen? Ihr bekommt es natürlich wieder nachdem wir in Tsagaan Nuur auf der Bank waren.“ Obwohl wir gerade in der Mongolei mit dem Verleihen von Geld ungute Erfahrungen gemacht haben, hole ich meine Geldbörse, um Ultsan die 60.000 Tugrik zu überreichen. Er bedankt sich freundlich lächelnd und reicht mir die jetzt scharfe Axt. „Hacke dir keinen Finger ab“, lacht er freundlich. Kaum haben wir das Geld überreicht, springen sie auf und verlassen die Jurte. „Wir müssen für unsere Abreise noch einiges packen!“, ruft Tsaya im Gehen.

Am frühen Nachmittag kommt der Schwager von Ultsan mit seinem Jeep um die beiden abzuholen. „Achtet bitte darauf, dass die Tür von der Blockhütte immer zu ist! Und haltet euch von den Betrunkenen fern!“, ruft Tsaya. „Machen wir!“, antwortet Tanja. Kaum wird das Allradfahrzeug von den nadellosen Baumstämmen der Lärchen verschluckt, machen wir uns erneut auf, um mit dem Schlitten Holz aus dem Wald zu holen. Bei jeder Fuhre laufen wir an Surens Tipi Nummer eins vorbei. Lautes Gelächter und Stimmengewirr dringen durch die wasserabweisenden, olivgrünen Leinenbahnen. „Die sind schon kräftig am Feiern“, meint Tanja mit dem Kopf auf die Urz weisend. „Schon seit Tagen“, brummle ich leise in meinen Bart, darauf hoffend, dass die schwer alkoholisierten Männer uns in Frieden lassen. „Das werden sie schon“, meint Tanja zuversichtlich.

Am Abend schlagen wieder die Hunde des Camps an. Sie bellen als würde jeden Augenblick ein uns feindlich gesinntes Ufo landen. „Scheint schon wieder ein Auto zu kommen?“, meint Tanja. „So wie die Vierbeiner sich ereifern, ja“, antworte ich, mich fragend wer zu dieser Stunde noch unser Lager aufsucht. Ein teurer weißer Jeep hält auf dem nahezu baumlosen Platz vor Blockhaus eins, zwei und unserer Jurte. „Es ist der zweite Bürgermeister von Tsagaan Nuur!“, sage ich mich wundernd. Nachdem der klein gewachsene, freundliche Mann alle Tipis besucht hat, schaut er auch bei uns vorbei. „Und, wie bekommt euch der Aufenthalt in der Taiga?“, erkundigt er sich uns wohlwollend anlachend. „Sehr gut“, antwortet Tanja. „Ich habe gehört ihr kommt recht gut mit den Menschen hier zurecht.“ „Ja, wir wurden sehr gut aufgenommen und ich glaube man hat uns mittlerweile ins Herz geschlossen“, antworte ich. „Das ist schön zu hören“, meint der Mann mit seiner großen Fellmütze nickend. „Was machen sie zu dieser Zeit hier?“, möchte ich wissen. „Folge meines Amtes statte ich noch vor dem Fest den Menschen dieser Region einen Besuch ab und überreichen den Familien kleine Geschenke“, erklärt er. „Ah, das ist aber nett. Die Tuwa freuen sich darüber bestimmt.“ „Aber ja. Das tun sie“, bestätigt er und erhebt sich. „Jetzt muss ich aber wieder gehen. Ist noch ein weiter Weg bis nach Tsagaan Nuur“, meint er meinen Kopf zu sich herunterziehend und an meiner linken und rechten Wange kräftig riechend. Ebenfalls an seinen Wangen riechend erwidere ich den Abschiedsgruß. Dann verschwindet der Mann in der dunklen Nacht. „Ein netter Mensch“, sage ich nachdem seine Fußtritte im laut knirschenden Schnee langsam leiser werden. „Ja, viel netter als die Bürgermeisterin“, sagt Tanja.

Es ist 21:00 Uhr als das Fahrzeug des Gemeindevorstehers unser Lager verlässt. Lautes Gelächter und Rufe dringen aus Gambas Blockhütte und einigen Tipis. Die Vorfeier scheint auf Hochtouren zu kommen. Wir halten uns bestmöglichst heraus, verschließen die Jurtentür und hoffen keine nächtlichen Besuche von Betrunkenen zu bekommen. Damit unsere Jurte unbewohnt aussieht und kein Lichtschimmer aus dem Dachkranz nach draußen dringt, löschen wir die Kerze und legen uns an diesem Abend schon frühzeitig auf den Wanda.

„4:00 Uhr morgens. Eine Hand legt sich plötzlich auf meinen Mund. „Psst, da ist jemand vor der Jurte“, flüstert Tanja als es auch schon heftig gegen Tür hämmert. Tanja und ich fahren vor Schreck hoch und lauschen. „Lasst mich rein!“ brüllt es lallend. Ohne uns abzusprechen verhalten wir uns völlig ruhig. Das einzige zu vernehmende Geräusch ist Tanjas dumpf pochendes Herz. Dann knallt es wieder gegen die Tür. Lauter und heftiger als zuvor. „Macht sofort auf!!!“, brüllt es. Es dauert nur Sekunden bis der Betrunkene Mann derart an der Tür rüttelt, dass wir Bedenken haben der dünne Absperrdraht könnte sich aufbiegen. „Oh Gott. Er bricht die Tür auf“, raunt Tanjas verängstigt. Auf leisen Sohlen schleiche ich über den knarzenden Holzboden zur Tür, um sie sicherheitshalber zuzuhalten. Dann vernehmen wir sich entfernendes Knirschen im Schnee.

„Oh man, mein Herz schlägt derart, dass ich glaube der Mann hätte es hören können“, flüstert Tanja. „Ich habe es gehört“, antworte ich leise. „Ob er eine Axt holt um die Tür aufzubrechen?“, fragt sie aufgeregt. „Ich weiß nicht“, antworte ich verunsichert und mittlerweile unter höchster Alarmbereitschaft stehend. „Er will bestimmt Wodka“, meint Tanja. „Kann sein“, sage ich als sich die Schritte wieder nähern. Ein krachender Schlag trifft die Tür, dass es in meinen Armen vibriert. Erschrocken ziehe ich beide Hände, mit denen ich am Türgriff gezogen habe, zurück. Sollte der Betrunkene tatsächlich eine Axt einsetzen, um die Tür zu zertrümmern, möchte ich nicht von ihr getroffen werden wenn sie das Holz spaltet. Fieberhaft taste ich nach dem Schürzange. Nicht um mich vor dem eventuellen Eindringling zu wehren, sondern um sie zwischen Türgriff und Holzrahmen zu schieben. Damit ist es unmöglich die Tür zu öffnen. Langsam, ohne nur das geringste Geräusch zu verursachen, bringe ich den Schürzange in Position als es schon wieder heftig gegen die dünne Holztür kracht. „Lasst mich rein!!!“, brüllt es lauter als zuvor und mit hohe Aggressivität in der Stimme. „Hast du das Pfeffergas griffbereit?“,flüstere ich in die absolute und unheimliche Schwärze der Nacht. „Jaaa“, höre ich Tanjas bebende Stimme. „Wuuummm! Wuuummm! Wuuummm!“, erschüttert es die Tür. Wie ein sprungbereiter Panther kaure ich direkt dahinter. Bereit den Eindringling anzufallen und niederzustrecken falls er es ins Innere schafft. Mein Herz hämmert mittlerweile ebenfalls wie ein Walzwerk. Mein Körper bebt. Es ist einer der Momente im Leben in dem ich mich an einen anderen Ort wünsche. In dem ich mich frage was wir hier in der abgeschiedenen Wildnis überhaupt tun? Es ist der Moment an dem ich zu beten beginne und darum bitte diese Situation mit heiler Haut zu überleben. Ohne es zu wollen denke ich an den Überfall zurück an dem mich ein Betrunkener Mongole von seinem Pferd aus tot schlagen wollte. Es war vor 16 Jahren und steckt mir noch immer in den Gliedern. Der jetzige Augenblick lässt mich glauben als wäre es erst gestern gewesen. Die Erinnerung ist derart fatal, dass ich am ganzen Leib zu zittern beginne. Angst schleicht sich durch jede Zelle meines Körpers und versucht meine Gehirnzellen zu lähmen. Ich schüttle meinen Kopf, um einen klaren Gedanken zu bewahren.

Auf einmal hören wir die im Schnee knirschenden Schritte eines zweiten Mannes der sich unserer Behausung rasch nähert. Ich überdenke unsere Chancen. Ist es gut den Männern in ihrem Zustand weiteren Wodka auszuhändigen? Das könnte eventuell helfen. Nur was ist dann morgen? Was ist wenn die Männer daraufhin weitere Wodkareserven bei uns vermuten? Zweifelsohne werden sie rabiat wenn sie glauben wir besitzen noch Wodka aber keinen bekommen weil wir keinen mehr haben. Oh man. Was machen wir bloß? Was ist das beste Verhalten? Wir wissen der Stoff lässt die meisten Menschen aggressiv und manchmal gewalttätig werden. Sie schlagen um sich, prügeln sich und am kommenden Tag wissen sie nichts mehr davon. Hier im Tuwacamp ist es allerdings so, dass die Männer schon seit bald einer Woche durchgehend betrunken sind. Mal mehr, mal weniger. Nüchtern ist schon seit vielen Tagen definitiv keiner. Sie schwanken zwischen Komarausch, Vollrausch und angetrunken sein. Noch waren sie freundlich zu uns. Klar, wir versuchen ihnen während dieser verrückten Festtage auch ständig aus dem Weg zu gehen, uns so unauffällig und leise wie möglich zu verhalten. Und doch ist der Suff jetzt soweit fortgeschritten, dass zwei durchtrainierte Jäger vor unserer Behausung stehen und mehr Alkohol verlangen. Ich habe keine Bedenken diesen ungleichen Kampf zu gewinnen. Im Notfall würde ich sie platt machen. Sie würden gar nicht bemerken was da über sie walzt. Nur ehrlich gesagt ist dies das Allerletzte was ich möchte. Wir wollen hier friedlich mit den Tuwa leben und nicht einige von ihnen schlagen. So etwas ist gefährlich. Kann ins Auge gehen. Zu schnell kann so ein Kampf fatale Folgen haben. Nein, das ist keine Lösung.

Meine Gehirnzentrale ist heiß gelaufen als sich die Stimmen unvermittelt entfernen. „Ob sie gehen?“, fragt Tanja. „Hört sich so an.“ „Hoffentlich kommen sie nicht wieder.“ „Denke wir haben es fürs Erste überstanden. Jedoch müssen wir uns überlegen was wir morgen tun sollen“, sage ich. „Wie meinst du das?“, wispert es fast unhörbar. „Das Fest wird noch Tage dauern. Vielleicht sollten wir für diese Zeit das Camp verlassen und uns in Sicherheit bringen?“ „Vielleicht, ja. Jetzt komm wieder ins Bett. Es ist doch eiskalt an der Tür“, fordert mich Tanja auf. Vor lauter Aufregung habe ich die Kälte nicht verspürt. Das Thermometer zeigt minus 12 °C in der Jurte und minus 31 °C draußen. Bibbernd schlüpfe ich unter den Schlafsack und blicke mit aufgerissenen Augen auf das Stückchen Himmel welches sich durch die zugezogenen Plastikfolie des Dachkranzes schemenhaft abzeichnet. Tausend Gedanken rasen durch mein Gehirn; „Haltet euch von den Betrunkenen fern, hat Tsaya geraten. Klar machen wir. Aber was sollen wir tun wenn sie nachts in unser Heim eindringen wollen? Das hat sie uns nicht gesagt. Ob es eine gute Idee ist morgen nach Tsgaan Nuur zu fahren? Es ist wirklich ungünstig das gerade jetzt Tsaya und Ultsan nicht da sind. Was ist wenn wir die Jurte alleine lassen? Ist unsere Ausrüstung sicher? Oder wird sie gestohlen? In einer Jurte kann jedermann mit Leichtigkeit eindringen. Aber was ist die Ausrüstung gegen unser Leben? Aber, aber unser Leben ist doch nicht gefährdet wenn ein Betrunkener gegen unsere Tür hämmert? Dieser Gedankengang ist sicherlich überzogen. Vielleicht haben wir überreagiert? Und was wäre gewesen wenn die Männer eingedrungen wären? Oh man. Jetzt war alles friedlich und auf einmal sprechen wir von Flucht. Aber es ist ja keine Flucht sondern nur ein Aussitzen der Situation“, reiht sich ein Gedanke an den anderen.

Wir freuen uns über Kommentare!

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