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Mongolei/Gastfreundschafts Camp MONGOLEI EXPEDITION - Die Online-Tagebücher Jahr 2011

Waren die geplante Tagesetappen eine Fehleinschätzung?

N 49°46'453'' E 100°09'689''
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    Tag: 89

    Sonnenaufgang:
    07:49

    Sonnenuntergang:
    18:28

    Luftlinie:
    9,19

    Tageskilometer:
    14

    Gesamtkilometer:
    801

    Bodenbeschaffenheit:
    Schotter/Wiese

    Temperatur – Tag (Maximum):
    5°C

    Temperatur – Tag (Minimum):
    minus 4°C

    Temperatur – Nacht:
    minus 14°

    Breitengrad:
    49°46’453“

    Längengrad:
    100°09’689“

    Maximale Höhe:
    1850 m über dem Meer

    Aufbruchzeit:
    12:30

    Ankunftszeit:
    17:00

Am heutigen Morgen werden wir von einer strahlenden Lichtflut geweckt. Mein Thermometer zeigt minus 4° in der Sonne. Da wir die letzten Wochen in einer doch relativ bequemen Jurte gewohnt haben und somit unsere Körper verweichlichten, fühlt sich der junge Tag verblüffend kalt an. Über meine zwei Unterhosen und der Windstopperhose streife ich mir sogleich eine Thermohose. Dann räume ich unser Nachtdomizil wieder aus. Als wir das Zelt verlassen erstrecken sich vor uns die braunen, abgegrasten Berghänge in dessen Tal sich die Häuser der Stadt Mörön zusammendrängen. Bei Tageslicht sieht die Landschaft nicht so spektakulär aus. Im Vergleich zur gestrigen Nacht wirkt sie als hätte sie sich ein Mäntelchen des Friedens übergestreift. Bilgee steht auf einer nahen Bergkuppe um mit seinen Kindern und Verwandten zu telefonieren. Er berichtet von unserem erfolgreichen Start. Als er zurück ist stellen wir einen Topf des mitgebrachten Wassers auf den chinesischen Kocher. Weil die Gaskartusche kaum genügend Gas für Flammen spendet ist Bilgee gezwungen sie unaufhörlich zu drehen. „Muu“, („Schlecht“) sagt er auf das Ding deutend und streckt zu Bekräftigung den kleinen Finger seiner rechten Hand in die Höhe. „Klar, wie soll es anders sein. Ist ja auch in China produziert“, antworte ich. Es dauert eine Ewigkeit und nahezu eine ganze Kartusche bis das Wasser im Topf kocht. Vor Bilgees Apside sitzend trinken wir heißen Tee und essen mongolisches Gebäck. Mit seinem Maulkorb übergestreift sitzt Mogi unglücklich daneben. „So wie es aussieht scheint er das Ding jetzt endlich zu akzeptieren“, sage ich auf unseren Hund deutend. „Na hoffentlich. Habe keine Lust auf ein weiteres Drama“, erwidert Tanja. „Denke es wird gut gehen. Mit dem Maulkorb wird er keine Schafe oder Ziegen in den Arsch beißen können“, antworte ich zufrieden.

Erst um 10:30 Uhr räumen wir unser Lager zusammen. Weil wir jetzt mit Packpferden unterwegs sind dauert alles viel länger. Schon mit dem Pferdewagen war es eine anstrengende Prozedur aber jetzt, wo wir alles auf den Pferderücken verstauen müssen, ist es ein richtiger Job. Geschlagene zwei Stunden benötigen wir bis wir endlich im Sattel sitzen. „12:30 Uhr und unsere Pferde haben noch nicht mal was zu Saufen bekommen“, sage ich auf die Uhr blickend. „Wird sich schon einspielen“, ist Tanja zuversichtlich. „Na hoffentlich. Ansonsten kommen wir als Eiszapfen im Norden an.“ „Da unten ist eine Wasserstelle“, deutet Bilgee auf ein kleines Dorf. Als wir losreiten bleibt Mogi erstmal liegen. Sein Maulkorb scheint ihn wieder zu paralysieren. Kaum zweihundert Meter liegt das Camp hinter uns als er wild strampelnd hinter uns herspringt. Erneut packt er alle Tricks aus um seine Beißhemme loszuwerden. Die Reihenfolge kennen wir mittlerweile. Besorgt sehe ich zu wie er den Zentrifugaltrick anwendet, gefolgt vom Wiesenpflug und am Ende den Zehenzerrer. Es dauert nur Augenblicke und der Maulkorb hängt auf seiner Brust. „Er hat es wieder geschafft!“, rufe ich Tanja hinterher. „Und was machen wir jetzt?“, fragt sie ihr Pferd zügelnd. „Laufen lassen. Wird schon gut gehen“, antworte ich. Kaum haben die Worte meinen Mund verlassen als wir Ziegen vor uns sichten. Mogi auch. Dann geht alles innerhalb von Sekundenbruchteilen. Mogi stürmt wie eine von der Startrampe gezündete Rakete auf die Herde zu. Uns rutsch augenblicklich das Herz in die Hose als er die aufgeregten Tiere erreicht und wie ein Pfeil aufteilt. „Bilgee schnell! Hinterher!“, ruft Tanja ihm die Zügel von Od aus der Hand nehmend damit er frei ist. Bilgee reagiert im ersten Moment nicht. „Schnell Bilgee!“, fordert sie ihn erneut auf worauf Bilgee endlich und viel zu spät losgaloppiert. Mittlerweile hat Mogi zwei junge Ziegenböcke von der Herde separiert. Noch lange bevor Bilgee die Szene erreicht stellen sich die Tiere Rücken an Rücken und parieren auf diese, den Ziegen nicht zuzutrauende intelligente Art, jeden Angriff unseres Hundes. Immer wieder greift Mogi an nur um vor dem zum Boden geneigten Gehörn der Grasfresser zurückzuschrecken. Mittlerweile ist auch Bilgee am Geschehen und treibt mit ärgerlichen Rufen Mogi in die Flucht. „Puhhh, diesmal ist es gut ausgegangen. Wären sie davongelaufen hätte er sie wieder niedergerissen“, stelle ich fest und bin über Mogis Misserfolg erleichtert. Augenblicklich nimmt ihn Tanja wieder an die Leine. „Den Maulkorb können wir wohl vergessen“, meint sie ärgerlich sich darüber bewusst den Hund nun wieder unaufhörlich an der Leine führen zu müssen.

Ohne weitere Zwischenfälle erreichen wir die Wasserstelle. Als ich mit meinem viel zu schweren Deel und der um die Brust geschnallte Kamera aus dem Sattel steigen möchte, bleibe ich mit meinem linken Monsterschuh im Steigbügel hängen. Wie angeschlagen torkelnd, um Gleichgewicht bemüht, taumle ich nach unten. Nur durch unverschämtes Glück lande ich nicht rücklings in der aus Beton gebauten Tiertränke. „Uff, Glück gehabt“, schnaufe ich und helfe Bilgee die Pferde zu tränken. Dann ziehen wir die Schnüre nach mit denen wir unser Gepäck auf die Pferderücken geknotet haben. Bilgee fragt einen Mongolen, der ebenfalls sein Reittier zum Saufen hergeführt hat, nach dem Weg. Immer in diese Richtung. Dann müsst ihr erneut nachfragen“, erklärt er.

Erst um 14:00 Uhr sind wir soweit um weiter zu reiten. Nur sehr schleppend kommen wir voran. Viel zu langsam um die notwendige Strecke hinter uns zu bringen. „Wir sollten traben. Seit ihr bereit?“, fragt Bilgee. „Klar“, antworten wir. „Tschu! Tschu! Tschuuu!“, treiben wir die Pferde an. Es kostet uns beachtlich viel Mühe die Tiere in Gang zu bringen. Bilgee reitet voraus und zieht den störrischen Od hinter sich her. Ich folge ihm mit Sharga und dem sich ziehen lassenden Bor. Dann kommt Tanja mit Mogi. Da Mogi jetzt wieder an der Leine hängt und wegen seinem ständigen vorauseilen unaufhörlich Zug auf die Leine bringt ist Tanja genauso beschäftigt als würde sie ein Pferd im Schlepptau haben. Wegen meinen zwei Packpferden ist es mir nicht möglich zu fotografieren. An Filmen ist definitiv nicht zu denken. Der Aufwand Sar zu zügeln, mit meinem schweren Deel und den großen Schuhen aus dem Sattel zu plumpsen, mit einem Fuß auf die drei Hüterseile der Pferde zu steigen das sie nicht mit unserer überlebensnotwendigen Ausrüstung und Nahrung abhauen, das Ganze nur um ein Bild zu schießen, steht in keinem Verhältnis zum Aufwand. Und trotzdem ist die Landschaft durch die wir reiten derart spektakulär, dass ich mich unaufhörlich frage wie ich es fertig bringe die Bilddokumentation dieser fantastischen Reise aufrecht zu erhalten? „Wir kürzen ab. Seht ihr die Berge dort vorne. Da reiten wir drüber“, entscheidet Bilgee. Es geht immer höher. Mit unserem Pferdewagen wären wir schon lange zum Umkehren gezwungen. „Irre was so ein Pferd leisten kann!“, ruft mir Tanja zu. „Ja, komme mir vor als säße ich auf einer Gams“, lache ich meine Tiere durch das Gestein lenkend.

Auf der Bergkuppe treffen wir mitten in der absoluten Einsamkeit einen Mann der mit seinem kleinen Fernrohr seine Schafsherde beobachtet. Wir reiten zu ihm, um nach einen Campplatz zu fragen an dem unsere Pferde etwas zu Fressen und Wasser finden. Der Hirte trägt einen gefütterten Deel, warme mit Fell gefütterte Schuhe und eine Wollmütze. Freundlich erklärt er uns im Tal einen geeigneten Platz finden zu können. „Ich zeige euch wo ihr hinmüsst“, sagt er Bilgee und schwingt sich in den Sattel seines Mopeds welches nur wenige Meter unterhalb der Bergkuppe steht. Auch in dieser Region ist das Moped oder Kleinkraftrad vorgedrungen und verdrängt mehr und mehr das Reitpferd. Mit dem in China (wo sonst) hergestellten Zweirad knattert der Mann von seinem Aussichtsberg ins Tal hinunter. Damit unsere Pferde nicht stürzen folgen wir ihm Serpentinen reitend. Unten angekommen reiten wir neben einem Wasserlauf der, umso höher wir kommen, völlig zugefroren ist. An einigen Löchern im Eis versammeln sich Yaks und Schafe um ihren Durst mit der kalten Flüssigkeit zu stillen. Entlang dem Bach geht es noch weiter in die Höhe. „In 1 ½ Stunden verschwindet die Sonne. Dann wird es unangenehm kalt. Wir sollten hier irgendwo bleiben“, versuche ich mich verständlich zu machen. „Tijm“, („Ja“) antwortet Bilgee bedächtig mit seinem Fernglas die Gegend nach Gras absuchend. Der Hirte vom Berg düst in etwa einem Kilometer Entfernung auf der Schattenseite eines Berghanges entlang. Dann ändert er die Richtung und kommt auf uns zu. „Dort, am Berghang gibt es genügend Gras für eure Pferde“, berichtet er. Auch wenn ich wegen den wärmenden Sonnenstrahlen viel lieber auf der anderen Seite des Tals unser Lager aufgeschlagen hätte reiten wir mit dem freundlichen Nomaden. „Er wird schon wissen wo hier der beste Weidegrund ist“, meint Tanja. „Bestimmt. Mit Feuerholz sieht es allerdings mau aus“, antworte ich und frage mich wie wir mit dem grottenschlechten Gas unser Wasser erhitzen sollen.

Es ist 17:00 Uhr und mit minus 12 Grad der bisher kälteste Tag als wir hundemüde unseren heutigen Campplatz erreichen. Schwerfällig steige ich vom Pferd, konzentriert darauf nicht im Steigbügel hängen zu bleiben und nicht zu fallen. Im restlichen Sonnenlicht entladen wir unsere Pferde. Kaum haben wir abgeladen verschwinden die goldenen Energiestrahlen des fernen Sterns hinter der Bergspitze. Gefräßige Schatten nehmen an Größe und Kraft zu. Sie fressen sich in beachtlicher Geschwindigkeit übers Land und berühren uns mit ihren Eisfingern. Der Motorradhirte und Bilgee verschwinden für geraume Zeit. Sie wollen irgendetwas holen hat Bilgee gesagt. Es dauert nicht lange und unser hilfsbereiter Gastgeber und Bilgee bringen das was wir hier draußen am wichtigsten brauchen. Holz und Wasser. Schnell sind unsere Zelte errichtet. In der Zwischenzeit hat Bilgee das Feuer entfacht und Tanja einen Topf mit Wasser darauf gestellt. Bilgee unterhält sich noch ein wenig mit dem hilfsbereiten Hirten. Er erklärt in welche Richtung wir morgen reiten müssen und wo es den nächsten Fluss geben soll. Wasser ist wie immer auf dieser Expeditionsreise verantwortlich dafür wie weit die Tagesetappen sind. Manchmal sind es nur 10 Km. Manchmal 30 km oder mehr.

Wir sitzen um das kleine Feuer und wärmen unsere Hände. Mein Rücken schmerzt. Der Grund dafür sind die schweren Seesäcke die wir auf die Pferde zu laden haben. Ein unbestimmtes, recht unangenehmes Gefühl, kriecht langsam aber so spürbar wie eine eiserner Faust in mir hoch. Ich habe Angst hier draußen einen Bandscheibenvorfall zu bekommen. „Das was sich während unserer Radreise in Rumänien ereignet hat wird sich nicht wiederholen. Du hast einen gesunden Rücken Denis“, beruhigen mich Tanjas Worte. „Dauert lange diesen alptraumartigen Schmerz, den ich damals hatte, zu vergessen. Aber du hast Recht. Es wird sich nicht wiederholen. Ist nur meine Psyche die sich ab und an verselbständigt“, antworte ich nachdenklich. „Wie weit sind wir heute eigentlich gekommen?“, möchten Tanja Bilgee wissen. Ich hole das GPS aus der Tasche, drücke ein paar Tasten und lese die ernüchternde Zahl von 9,19 Km. „Nur 9 Km?“, wundert sich Tanja. „Luftlinie. Das heißt geritten sind wir ca. 15 Km“, erkläre ich. „Nicht gerade beruhigend“, antwortet sie. „Wie viel Kilometer müssen wir nach unserem Zeitplan am Tag hinter uns bringen?“, will sie wissen. „Hm, wir hatten so 30 bis 40 Km am Tag geplant. Aber bei dem schwierigen Gelände, der Suche nach guten Weidegründen, Feuerholz und dem Aufwand des Beladens könnten diese Strecken eine gewaltige Fehleinschätzung gewesen sein. Wir kommen so weit wie wir kommen. Es nützt nichts uns deswegen all zu große Gedanken zu machen. Wir müssen es so stoisch sehen wie ein Ochse der den Mahlstein dreht. Einen Schritt vor den anderen. Dann werden wir es schon schaffen bevor es einen weiteren massiven Kälteeinbruch gibt“, sage ich zuversichtlich und hoffe mich nicht zu täuschen.

Es ist stockdunkel als wir uns ins Zelt zurückziehen, um die bisher kälteste Nacht unseres Trips zu überstehen. Die Zeiten meinen Laptop mit dem bloßen Körper auf Arbeitstemperatur zu bringen sind, so wie es aussieht, definitiv vorbei. Tanja hat mir eine kleine Wärmflasche mit kochendem Wasser gefüllt. Bei minus 14° sitze ich nun in meinen Schlafsack, den Laptop auf der Wärmflasche liegend, die wiederum auf meinen Oberschenkeln ruht. Auf diese Weise bin ich in der Lage während meiner heutigen Schicht von 24:00 Uhr bis 2:30 Uhr die Erlebnisse des Tages in Kurzform festzuhalten und die Bilder zu beschriften.

Wir freuen uns über Kommentare!

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