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AUFGELADEN zu den Polarlichtern im hohen Norden - 2020

Walfangschiff Essex von Pottwal gerammt

N 69°19'28.8" E 16°07'05.7"
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    Datum:
    03.10.2020

    Tag: 062

    Land:
    Norwegen

    Ort:
    Andenes

    Tageskilometer:
    0 km

    Gesamtkilometer:
    5444 km

    Bodenbeschaffenheit:
    Asphalt

    Sonnenaufgang:
    07:11

    Sonnenuntergang:
    18:31

    Temperatur Tag max:
    14°

    Temperatur Nacht min:

    Aufbruch:
    10:30

    Ankunftszeit:
    18:00

 

(Fotos zum Tagebucheintrag finden Sie am Ende des Textes.)

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Wir haben die Terra Love über Nacht in der Einfahrt vor Nathalies und Stefans Haus geparkt, demgemäß müssen wir nur ein paar Meter laufen, bis wir im Haus sind. Nathalie hat bereits ganz lieb den Tisch gedeckt. Auch wenn wir sehr gerne in unserer Terra frühstücken, ist dieser Morgen eine angenehme Abwechslung. Wir setzen unsere Unterhaltung von gestern Abend fort. „Wenn ihr von hier aus zur Insel Senja wollt, müsst ihr die Straße nutzen. Das sind bis zum Gryllefjord auf Senja ca. 450 Kilometer. Die Entfernung von hier zum Gryllefjord mit der Fähre sind zwar nur ca. 40 Kilometer, aber leider ist diese Verbindung nur im Sommer aktiv und zu dieser Jahreszeit schon seit über einen Monat eingestellt. Aber wenn ihr Zeit habt, macht das gar nichts, denn die Strecke ist wunderschön. Nehmt am besten die Straße an der Westküste. Da fährt zu dieser Jahreszeit kaum ein Auto und unten im Süden von Andøya gibt es einen unbefestigten Streckenabschnitt. Den wollten wir schon mal mit unserem Van befahren, aber es hat schon sehr viele tiefe Schlaglöcher, weswegen wir es nicht gewagt haben, dort unseren schönen Van festzufahren. Aber mit eurem Expeditionsmobil ist das kein Problem“, erklärt Stefan begeistert. „Ein bisschen offroad wäre zur Abwechslung mal fantastisch“, freue ich mich und lasse mir die Strecke auf der Karte genau zeigen. Dann verabschieden wir uns von den beiden. „Vielen Dank noch mal für die Einladungen und eure Gastfreundschaft“, sagen wir, als wir das Haus der Schweizer verlassen. „Wir wünschen euch auf euren Abenteuern Glück und Gesundheit. Hoffe, wir sehen uns mal wieder“, antworten sie.

Wir fahren wieder zu dem Platz am Hafen zurück, um den heutigen Tag zu nutzen, um unsere Erlebnisse niederzuschreiben, die Bilder zu bearbeiten und ein paar Updates online zu stellen. Weil es in dem Café über dem Museum eine gute und offene WLAN-Verbindung gibt, setzen wir uns in den großen Vorraum. Dort stehen ein paar lässige Ledersessel, in die wir uns sinken lassen, um unsere Arbeit zu tun. „Ich habe euch doch gestern auf der M / S Reine gesehen?“, spricht uns ein etwa 80-jähriger Mann an, der in einem abgetragenen, mit viel Farbe bekleckste Overall steckt. „Kann sein. Wir waren gestern auf der Walsafari“, antworte ich freundlich. „Ich heiße Fynn“, stellt der weißhaarige kleine Mann sich vor dessen faltenreiches Gesicht sich hinter einem ebenfalls weißen langen Bart versteckt. „Wir sind Tanja und Denis“, stelle ich uns ebenfalls vor. „Hat es euch gefallen?“ „Absolut. War ein tolles Erlebnis. Leider war es mir ein bisschen schlecht“, antworte ich. „Oh, das glaube ich. Dort draußen gab es ein paar Wellen. Seekrankheit hätte ich mir nicht leisten können.“ „Warum nicht? Bist du zur See gefahren?“, frage ich interessiert. „Ich war in meinen jungen Jahren Walfänger und später bin ich auf Handelsschiffen gefahren. Habe die Welt oft umrundet und die meiste Zeit meines Lebens dort draußen auf dem Wasser verbracht. Ich hoffe, ihr konntet ein paar von den Biestern vor die Linse bekommen?“ „Biester?“ „Na, das können sie manchmal sein. Meine Vorfahren waren Waljäger. Wir haben mit dem Walfang unser Geld verdient, gutes Geld, aber jetzt ist das nicht mehr richtig lukrativ. Auf jeden Fall war das Leben meiner Familie mit Walen eng verwoben. Mein Urgroßvater und Großvater, die Wale noch mit Wurfspießen aus einem kleinen Ruderboot gejagt hatten, gehörten zu den ersten Siedlern Amerikas. Sie gaben das Wissen und Geschichten an ihre Söhne weiter. Mein Vater jagte Wale schon mit einer Kanone, die auf den Schiffen installiert war und Harpunen mit einer Explosionsladung verschossen, die im Tier explodierten. Als ich noch ein kleiner Rotzbengel war, hat mich mein Großvater öfter auf seinen Schoß gehoben und mir Geschichten aus seinem und seines Vaters Leben erzählt. Ich konnte damals gar nicht genug davon bekommen. Ich bin demnach ein wandelndes Buch voller wahrer Erlebnisse. Habt ihr nicht von dem Unglück der Essex gelesen?“, sagt er sich auf die Lehne meines Sessels setzend, um es sich anscheinend für längere Zeit bequem zu machen. „Nur am Rande“, antworte ich meinen Laptop zuklappend und darauf zu warten, was uns der alte Seebär zu erzählen hat. „Nun, die Essex war ein amerikanisches Walfangschiff, das im Hafen der Insel Nantucket zu Hause war. Dort, wo auch meine Vorfahren lebten.“ „Natucket?“, frage ich. „Ist eine Insel, die ungefähr 300 Kilometer nordöstlich von New York City im heutigen Bundesstaat Massachusetts liegt. Ihr müsst wissen, dass auf der Insel im 1600 Jahrhundert ca. 3.000 Indianer lebten. Im 1700 Jahrhundert waren es noch ca. 800 Indianer und als man im Jahre 1800 das Walfangschiff Essex mit seinem hölzernen Rumpf baute, waren die meisten Ureinwohner bereits von den englischen Siedlern ausgerottet. Es war die Zeit der Hochblüte des Walfangs.“ „Schon schrecklich, welche Verbrechen der weiße Mann gegenüber der Urbevölkerung unseres Planeten begangen hat“, unterbreche ich. „Ja das stimmt, aber das wollte ich eigentlich nicht erzählen, sondern euch nur einen kleinen Überblick geben, wo die Geschichte der Essex ihren Anfang nahm. Also wo war ich stehen geblieben?“ „Du hast vom Bau der Essex gesprochen und das zu dieser Zeit die meisten Indianer bereits ausgerottet waren.“ „Ach ja. Okay. Nun, die Essex war für die damalige Zeit ein kleines hochseetaugliches Vollschiff.“ „Sorry, was ist ein Vollschiff?“, unterbreche ich den ins Reden gekommenen Seemann erneut. „Dein Mann will aber alles genau wissen“, zwinkert er Tanja zu, die schon lange ihr Smartphone auf die Seite gelegt hat und der Geschichte ebenfalls gebannt lauscht. „Also ein Vollschiff ist ein Großsegler mit geringstenfalls drei Masten. Es war dementsprechend ein kleines, aber gutes Schiff. Ein 240-Tonner, 28 Meter lang, 8 Meter breit und einer Raumtiefe von ungefähr 5 Meter. Als sie am 12. August 1819 ihren Heimathafen auf Nantucket verließ, hatte sie bereits 19 erfolgreiche Walfangjahre auf den Buckel und inklusive des jungen 28-jährigen Kapitäns Georg Pollard 21 Mann Besatzung. Pollard war zwar relativ jung, hatte aber ab seinem 23 zigsten Lebensjahr vier Jahre lang als zweiter und erster Offizier, also von 1815 bis 1819 auf der Essex gedient. 1819 bekam er von den Eignern das Kommando übertragen.“ „Das du dir all die Jahreszahlen merken kannst, ist beachtlich“, unterbreche ich wieder. „Ha, ha, ha. Ich habe die Geschichte schon so oft erzählt, dass sie sich regelrecht in mein Gehirn eingebrannt hat“, antwortet er lachend und fährt seine Erzählung fort. „Wie gesagt, stachen sie am 12. August 1819 in See. Das Problem war aber, dass sie einige Greenhorns, also Männer ohne jegliche Erfahrung an Bord hatten, um die Besatzung zu vervollständigen. Irgendwie stand der Walfänger von Beginn an unter keinem guten Stern, denn bereits nach vier Tagen wurden sie von einem starken Sturm erwischt, der das Schiff derart traf, dass es Schlagseite nahm und zur Seite rollte. Zwei der wichtigen Walfangbeiboote gingen dabei verloren. Irgendwie schafften sie es aber, die schwerbeschädigte Essex wieder aufzurichten. Wahrscheinlich war die Havarie Pollards schuld. Zumindest sagte man später, dass er und seine Offiziere die Situation falsch eingeschätzt hatten und vielleicht war es zum Teil auch der unerfahrenen Mannschaft zuzuschreiben. Wie auch immer war die Essex schwer angeschlagen, weswegen Pollard nach Nantucket zurücksegeln wollte. Aus meiner Sicht wäre das bestimmt auch eine gute Entscheidung gewesen, aber sein erster und zweiter Offizier überzeugten ihn davon, weiter zu segeln, um auf der portugiesischen Insel Flores die verlorenen Walfangboote zu ersetzen. Mitte September erreichten sie die kleine Wüsteninsel Boa Vista auf den Kapverden, um ein weiteres Ruderboot zu kaufen. Im November des gleichen Jahres segelten sie an den Falklandinseln vorbei und im Dezember umrundeten sie die chilenische Landspitze Kap Horn. Eine damals sehr gefürchtete Schiffspassage.“ „Ich habe schon öfter vom Kap Horn gehört, aber da ich keine Segler bin, weiß ich nicht, warum es so gefährlich ist“, unterbreche ich Fynn. „Oh, das Kap Horn hat es in sich. Wenn man wie die Essex vom Atlantik zum Pazifik segeln musste, war für sie die ständige Westwinddrift gefährlich. Sie mussten bei starkem Regen, Kälte und hoher See beständig gegen den Wind kreuzen. Dazu kamen die schlechte Sicht und die Gefahr, auf einen der kaum sichtbaren Eisberge zu treffen. Wer als Kapitän sein Schiff da heile durchbrachte oder bringt, ist für mich ein Held. Ihr müsst wissen, dass man heute davon ausgeht, dass dort mehr als 800 Schiffe gekentert sind und mehr als 10.000 Menschen in den rauen Fluten versanken. Somit ist das Kap Horn der größte Schiffsfriedhof der Welt. Aber jetzt erzähle ich weiter vom Schicksal der Essex“, fährt Fynn fort. „Ähm, wo war ich noch mal stehen geblieben?“ „Das die Essex Kap Horn umrundet hat“, sage ich. „Ach ja, klar. Also, nachdem die Essex heile ums Kap gesegelt ist, erreichte sie den Pazifik und legten von Januar bis Juli einige Stopps in chilenischen Städten ein, um sich mit Proviant zu versorgen. Von Juni bis August waren sie das erste Mal erfolgreich und erlegten vor der Küste Perus 11 Wale. Das reichte, um 450 Fässer mit Tran zu füllen. Im September, als sie schon über ein Jahr unterwegs waren, verproviantierten sie sich erneut in dem kleinen Fischerort Atacames an der ecuadorianischen Küste, dann kreuzten sie rüber zu den Galapagosinseln, nahmen im Oktober noch mal Proviant an Bord, um sich auf die große Jagd nach Pottwalen aufzumachen. Und dann, am 20. November 1820, mitten im Pazifik am Äquator, 3.700 Kilometer vom südamerikanischen Festland entfernt, geschah das Unbegreifliche. Das größte und bekannteste Unglück, in dem ein Pottwal nachweislich ein 240 Tonnen schweren Segler mit 28 Meter Länge angriff“, erzählt Fynn und macht eine lange Pause. „Und wie geht es weiter?“, fragt Tanja…

 

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