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Mongolei/Tuwa Camp MONGOLEI EXPEDITION - Die Online-Tagebücher Jahr 2011

Vorbereitung zum Tsagaan Sar – Neujahrsfest / Mogi benimmt sich wieder daneben / Gefährlicher Gang zur Toilette

N 51°33'336'' E 099°15'341''
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    Tag: 208

    Sonnenaufgang:
    08:34

    Sonnenuntergang:
    18:39

    Gesamtkilometer:
    1281

    Bodenbeschaffenheit:
    Eis, Schnee

    Temperatur – Tag (Maximum):
    minus 15°C

    Temperatur – Tag (Minimum):
    minus 28°C

    Temperatur – Nacht:
    minus 35°C

    Breitengrad:
    51°33’336“

    Längengrad:
    099°15’341“

    Maximale Höhe:
    1981 m über dem Meer

Obwohl die Februarnächte mit bis zu minus 35 °C noch immer bitter kalt sind, die Flüsse und Seen tief gefroren sind, der stahlblaue Himmel sich in blanken Eisschichten spiegelt und sich eine dünne Schneedecke über das Land zieht, laufen schon seit Tagen die Vorbereitungen zum Neujahrsfest auf Hochtouren. Obschon auch in der Mongolei, wie in Europa und anderen Ländern unserer Erde, das neue Jahr am 1. Januar anfängt und auch gefeiert wird, beginnt das traditionelle neue Jahr mit dem ersten Frühlingsmonat. Das genaue Datum wird von den Lamas nach dem Mondkalender berechnet und liegt zwischen Ende Januar und Mitte März.

Die Tuwafrauen waschen ihre Wäsche und säubern ihre Tipis. Die Männer gehen unaufhörlich in die Taiga und schleppen ganze Baumstämme ins Lager, um sie zu Feuerholz zu zersägen. Die Betriebsamkeit in unserem sonst so verschlafenem Camp hat sichtlich zugenommen. Ausgelassen sitzen Frauen und Männer, jung und alt in ihren Tipis, um Buuz (mit Hackfleisch gefüllte Teigtaschen) zu formen. Durch die Abgeschiedenheit zu Dörfern und Siedlungen sind Buuz offensichtlich die geeignete Festtagsnahrung. Dazu wird es einiges an Süßigkeiten wie Bonbons und trockenen Keksen geben, die von den Familienmitgliedern in Tsagaan Nuur gekauft werden. In normalen mongolischen Haushalten hingegen türmen sich Berge von Neujahrsbrot die mit Schmand, Weichkäse, anderen Milchprodukten und allerlei Naschwerk angereichert sind. Das Wichtigste jedoch ist der gekochte Hammelrücken mit seinem fetten Schwanz. So fett, das man die herunter rinnenden Tröpfchen mit einem kleinen Behältnis auffängt. Der dazugehörige abgetrennte Kopf des Tieres liegt irgendwo neben dem Jurteneingang und blickt mit seinen leeren Augen auf den Hausaltar in Richtung Norden. Hier draußen, im Herzen der Taiga, wird das Fest der Feste etwas bescheidener ausfallen. Allerdings, so hat man uns berichtet, wird ein regelrechter Strom an Wodka fließen.

„Wie übersetzt du eigentlich Tsagaan Sar?“, frage ich Tsaya. „Weißer Mond, man könnte aber auch weißer Monat sagen.“ „Bezieht sich das auf den Schnee?“, interessiert es mich. „Da bin ich mir auch nicht so sicher. Das Wort weiß könnte sich auf die weißen Speisen wie Milchprodukte beziehen die wir an den Festtagen besonders gerne essen. Aber andere sprechen davon, dass Weiß die Farbe der Reinheit und des Glücks ist. In diesem Fall könnte man Tsagaan Sar auch als den glücklichen Monat übersetzen. „Ist bestimmt ein altes Fest welches die Mongolen schon seit Jahrhunderten zelebrieren?“ „Oh ja. Meines Wissens schon seit dem 4. Jh. v. Chr.“ „Wow, dann ist es ein richtig großes Fest?“ „Mit dem Naadam (Sport- und Nationalfest) das Größte.“ „Schön, dass wir es mit euch verbringen dürfen“, sage ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissend in welch Angst und Schrecken uns dieses Fest versetzen wird und frage ob die Tuwa und Mongolen das Tsagaan Sar unterschiedlich begehen.

„Der Gegensatz liegt schon in unserer Abgeschiedenheit. In den Städten werden in den letzten fünf Tagen des Jahres nahezu durchgehend Gottesdienste abgehalten. Die Mönche rezitieren ohne Unterbrechung vier Tage aus den alten Schriften. Am Abend vor dem Neujahr beginnen die Lamas mit einer Feierlichkeit, um die Gottheit Tserelcham zu ehren. Er soll uns Glück und Wohlstand bringen. Am darauf folgenden Morgen, also am ersten Neujahrstag, beginnt die Mandal-Zeremonie, mit der sich die Mönche an den Gott Otschirdar, den Beschützer der Mongolei wenden. Die Mongolen und die Tuwa beginnen den Neujahrstag, den wir „schiniin negen“ nennen, mit den ersten Sonnenstrahlen vor ihren Jurten und Tipis, um das jungfräuliche Jahr mit offenen Armen zu begrüßen“, erklärt Tsaya, die sich offensichtlich gut mit ihren Bräuchen und den dazugehörigen Regeln auskennt.

„Was müssen wir bei diesem bedeutsam Fest beachten?“, frage ich, um Verhaltensfehler frühzeitig zu umgehen. „Oh, am besten ihr folgt Ultsan und mir. Nachdem wir den Tag begrüßt haben gehen wir zu Gamba, um ihn als Clanältesten Respekt zu bezeugen. Wir überreichen ihn ein blaues Seidentuch, den khadag und einen neuen Geldschein.“ „Einen neuen Geldschein?“, frage ich. „Ja, aber es muss nicht viel sein. Zweihundert oder dreihundert Tugrik reichen völlig aus. Ist von symbolischem Charakter.“ „Woher sollen wir denn neue Geldscheine bekommen?“, wundere ich mich. „Ist kein Problem. In der Taiga sehen wir das nicht so eng. Er sollte zumindest nicht angerissen oder gar zerrissen sein.“ „Na da sind wir ja beruhigt“, pruste ich erleichtert.

„Das jüngste Familienmitglied wird Gamba als erster Gesundheit und Glück wünschen“, fährt Tsaya ihre Erklärung fort. „Dann folgen die anderen je nach Alter seinem Beispiel. Wir fragen nach dem Wohlergehen der Rentiere, der Familie usw. Obwohl wir jeden Tag zusammen sind tun wir so als hätten wir uns schon seit Wochen nicht mehr gesehen. Das erfordert der Brauch. Aber das ist nicht alles. Während wir unsere Glückwünsche äußern, greifen wir mit nach oben gerichteten Handflächen unter die Arme des Älteren.“ „Warum das denn?“, frage ich. „Das soll symbolisieren, dass die Jungen den Alten stützen und die Älteren zu hundert Prozent den Jüngere trauen können. Auf diese Weise gehen wir von Verwandten zu Verwandten oder von Anwesenden zu Anwesenden.“ „Hm, na hoffentlich unterläuft uns dabei kein Fehler“, wendet Tanja ein. „Ach was. Ihr braucht es uns nur nachzumachen. Eines habe ich aber vergessen. Wenn wir wie erklärt den Älteren unseren Respekt erweisen neigen wir uns dabei nach vorne. In Europa würdet ihr euren Gegenüber eventuelle auf die Wange küssen. Wir hingegen ziehen dabei laut hörbar die Luft durch die Nase.“ „Was? Ist ja seltsam“, werfe ich ein. „Nein, ganz im Gegenteil. Das ist unser Brauch. Das soll heißen wir beschnüffeln uns gegenseitig.“ „Na ja, für uns ist das schon eigenartig. Aber andere Länder andere Sitten. Habe das Beschnüffeln schon öfter beobachtet. Meist bei Eltern die an ihren Kleinkinder riechen“, sage ich. „Ja, das stimmt. Aber dieser Brauch gerät immer mehr in Vergessenheit“, antwortet Tsaya. „Beschenkt ihr euch gegenseitig?“, wirft Tanja ein. „Oh ja. Die Besuchten überreichen ihren Gästen kleine Geschenke die meist wiederum von symbolischem Wert sind.“ „Oh weh. Wo sollen wir denn so viele Geschenke herbekommen?“, überlege ich. „Mach dir keine Sorgen Denis. Wir besitzen noch genügend Tabak, Tee, Parfümproben und andere Kleinigkeiten. Das wird kein Problem sein“, beruhigt mich Tanja.

„Und wie lange dauern die Feierlichkeiten an?“, frage ich. „Auf dem Land und vor allem hier bei uns in der Taiga kann es viele Tage dauern. Die Verwandten nutzen die Zeit um sich gegenseitig zu besuchen. Nicht oft haben wir in unserem großen Land die Gelegenheit dazu.

Mogi benimmt sich wieder daneben

Nach bald zwei Monaten im Tuwacamp hat sich Mogi an die Rentiere, Hunde und Menschen gewöhnt. Er hat es sogar geschafft sich bei den Taigahunden bis an die Spitze hochzukämpfen. Bis auf den alten einäugigen Vierbeiner von Gamba macht ihm keiner mehr seine Position streitig. So kommt es also, dass wir ihn jeden Tag ein wenig länger von der Kette lassen. Mogi genießt seine zurückgewonnene Freiheit in vollen Zügen. Kaum ist er von der lästigen Kette, dreht er seine Runde durch die Basis und markiert den einen oder anderen Ort. Keiner scheint sich mehr daran zu stören. Tanja und ich sind glücklich ihn so vergnügt zu sehen. Wenn ich mit ihm im Wald spazieren gehe fliegt er wie ein Pfeil über die Schneefelder. Seine Kraft scheint unerschöpflich. Wie eine Gämse springt er von Schneehaufen zu Schneehaufen oder pflügt auf der Suche nach Mäusen mit seiner Nase eine regelrechte Schneise durch das ewige Weiß. Es ist das wahre Vergnügen dem ausgelassenen Muskelpaket zuzusehen.

Abends sitzen wir bei Tsaya und Ultsan im Blockhaus und unterhalten uns über das kommende Großereignis. „Stellt euch vor was geschehen ist“, sagt Tsaya als sie mit einem Eimer voller Schnee die Hütte betritt. „Na was denn?“, fragen Tanja und ich. „Euer Mogi war bei deiner Freundin Suren und hat ihre Buuz weggefressen“, lacht sie mich augenzwinkernd an. „Was hat er gemacht?“, frage ich ungläubig. „Er hat mindestens 80 Buuz gefressen. Suren hat sie auf einem Tablett vor ihr Tipi gelegt, um sie einzufrieren. Sie wollte nur schnell etwas aus ihrem Tipi holen als Mogi die Chance nutzte, um alles wegzufressen.“ „Oh nein!“, ruft Tanja entsetzt. „Warum legt sie die Buuz auf den Schnee? Sie hätte die Teigtaschen doch auf den Hochstand platzieren können. Dafür sind die Dinger doch da“, frage ich. „Keine Ahnung warum sie ihre Fest-Buuz auf den Boden legt. Dachte wahrscheinlich es sei kein Problem wenn sie nur schnell mal ins Zelt geht. Aber Mogi hat die kurze Gelegenheit genutzt“, erklärt Tsaya. „Man oh man. Dieser Hund treibt einem bald zum Wahnsinn. Da gibt es mindestens 10 Hunde im Camp und Mogi bringt es als Einziger fertig innerhalb von Sekunden 80 Buuz in sich hineinzuschlingen“, pruste ich stöhnend.

Tanja springt sofort auf um Suren etwas von unserem Fleischvorräten zu bringen. Wenig später kommt sie wieder ins Blockhaus. „Und? Was hat Suren gesagt?“, frage ich neugierig. „Sie hat unser Fleisch nicht angenommen. Ich habe es wirklich versucht sie zu überzeugen aber ohne Erfolg“, sagt Tanja. „Es war ihr peinlich. Sie weiß es selbst am besten das Hunde im Camp gerissene Futterdiebe sind. Sie hätte die Buuz nie auf den Boden legen dürfen. Es war ihre eigene Schuld. Das ist der Grund warum sie euer Fleisch nicht angenommen hat“, erklärt Tsaya. „Gut, es ist ihre Schuld aber kaum ist Mogi von der Kette bringt er es fertig Unfug zu treiben. Dafür hat er ein echtes Pfötchen“, entgegne ich.

Als wir dann wieder in unserer Jurte sind nehmen wir Mogi mit hinein. Seit einigen Tagen lege ich ihm den Maulkorb an, um ihn langsam daran zu gewöhnen. Wie immer wenn er das Ding über die Schnauze gezogen bekommt bleibt er stocksteif stehen oder liegen. „Der Beißkorb scheint ihm sämtliche Lebensgeister zu stehlen“, sage ich mitfühlend. Nach etwa 15 Minuten befreie ich unseren Hund wieder davon und gebe ihm zur Belohnung ein Stückchen Fleisch. Dann lege ich etwas Holz in den Ofen, um das ausgehende Feuer zu füttern. Mogi sieht mir interessiert zu. Ich schließe die Ofenklappe als mich Mogi um weitere Leckerbissen anbettelt. „Du hast deine Belohnung schon bekommen“, tadle ich ihn. Der verfressene Mogi gibt nicht auf, wedelt mit dem Schwanz und geht dabei einen Schritt zurück. Sein über die Ofenklappe wedelnder Schwanz und sein haariger Hintern fangen plötzlich Feuer. „Oh nein. So ein Mist!“, rufe ich und lösche den Schwanz- Arschbrand mit ein paar Handschlägen. Da es nur sein Fell erwischt hat spürte er nichts von seiner unfreiwilligen Enthaarung. „Oh das stinkt ja entsetzlich!“, meint Tanja. „Klar, verbrannte Haare riechen nun mal grauslich“, antworte ich den Pechvogel nach draußen führend. „Hast Glück gehabt. An deinem Allerwertesten ist noch immer genügend Pelz. So verkühlst du dir bei den arktischen Temperaturen wenigstens nicht den Hintern“, sage ich, ihn vor seiner Hundehütte festklickend.

Wieder in unserer wohlig warmen Behausung setze ich mich an den Holztisch und schenke mir eine Tasse Tee ein. „Magst du eine Dose Fisch mit frisch gebackenem Brot zum Abendessen?“, fragt Tanja. „Oh ja, das klingt lecker“, antworte ich weil unsere Vorräte nur alle zwei Wochen solch eine Seltenheit wie Fisch zulassen. Genüsslich verleibe ich mir den in Tomatensoße eingelegten Fisch ein. Mit vollem Bauch krabble ich dann stöhnend auf unser Wandan. „Man Denis, wenn du pupsen musst solltest du vor die Tür gehen“, ermahnt mich Tanja. „Das war nicht ich. Mogi hat gepupst“, schwindle ich. „Der arme Kerl ist nicht an allem schuld. Außerdem liegt er draußen in seiner Hütte“, erwidert Tanja schmunzelnd. „Seine Pupse sind so gewaltig, dass sie sogar durch die Filzwand der Jurte dringen“, versichere ich mit gespieltem Ernst. „Ganz klar. Waren bestimmt die 80 Buuz von Suren schuld.“ „Ja, Tsaya hat mir erzählt Suren hat aus Versehen in das Hackfleisch viel zu viel von dem schrecklichen Sonnenblumenöl hineingemischt. Es war soviel, dass sie Schwierigkeiten hatte die Masse in Teigtaschen zu formen“, wälze ich weiterhin die Schuld auf unseren verfressenen Vierbeiner ab. Etwa 15 Minuten später jagt ein Bauchkrampf den anderen. Jeglicher Spaß ist aus meiner Konversation gewichen. „Ich glaube der Fisch war nicht gut“, rechtfertige ich mich jetzt kleinlaut. „Aber er hat doch ganz normal geschmeckt“, wundert sich Tanja die von der Dose probiert hatte. „Trotzdem. Woher soll ich denn sonst urplötzlich solche Bauchkrämpfe bekommen?“

Gefährlicher Gang zur Toilette

Ich verbringe eine schlaflose ungute Nacht. Mir ist schlecht und mein Bauch hat sich wie eine Tonnen nach außen gewölbt. Um 5:00 Uhr halte ich es nicht mehr aus und erhebe mich. Bei minus 14 °C in unserem Filzzelt schlüpfe ich schlotternd vor Kälte in eine zweite lange Unterhose und ziehe mir meine Daunenjacke über. Eilig springe ich in meine dicken Filzstiefel und verlasse zu dieser unchristlichen Zeit den Schutz unseres Heims. So schnell es nur geht haste ich in den nahen Wald, um dort bei minus 35 °C Erleichterung zu suchen. Obwohl ich die Temperaturen mittlerweile gewohnt sein müsste lässt mich der eisige Wind fast erstarren. In diesem Moment des Leidens wünsche ich mich in ein warmes Land wie Indien oder Sri Lanka. „Scheiß Kälte!“, fluche ich vor mich hin und stecke das in Sekunden hart gefrorene und damit völlig unbrauchbare Nasspapier wieder in die Jackentasche. Um keine Spuren zu hinterlassen entzünde ich halb erfroren das Klopapier mit einem Streichholz und schiebe Schnee über die Hinterlassenschaft. Obwohl das meist nichts nützt da nahezu alle Hunde im Camp sich davon verköstigen. „Einige der schlecht ernährten Tiere würden ohne diese Mahlzeiten wahrscheinlich verhungern“, geht es mir durch den Kopf. Angewidert verlasse ich den Ort. Meine Hände sind nahezu gefühllos und schmerzen. Der Frost hat sich mittlerweile in die Glieder gefressen. Ich stolpere durch das Gestrüpp, um zu dem schmalen Pfad zu gelangen, der mir den Weg zum Lager weist. Nach wenigen Minuten halte ich schnaufend inne. „Wo ist dieser verdammte Pfad?“, schießt es mir durch den Kopf. Plötzlich wird es mir kurz heiß. „Ich habe mich doch nicht verirrt?“ Die Erkenntnis trifft mich wie ein Hammer. „Ganz ruhig. Konzentriere dich. Habe ich den Pfad nach links oder rechts verlassen als ich mich in die Büsche schlug?“, überlege ich angestrengt. Mir ist bewusst, dass dies von elementarer Wichtigkeit ist. Wen ich nach links in das Dickgicht gelaufen bin muss ich jetzt nach rechts gehen, um den schmalen Weg durch den Wald wiederzufinden. Doch mittlerweile bin ich mir nicht mehr sicher wo rechts sein soll? Ich habe mich in den letzten paar Minuten zu oft um die eigene Achse gedreht, um die Orientierung zu erlangen. „Das ist doch zum Haare raufen! Wie kann sich ein Profiabenteurer auf dem Weg zur Notdurft verlaufen? Das darf einfach nicht sein“, fluche ich. Trotz meiner Daunenjacke beginne ich am ganze Körper zu bibbern. Da ich nur in Unterhose bekleidet bin und nicht für einen Nachtwanderung in der arktischen Kälte, beißen mich die minus 35 °C kräftig in die Beine. Ich überlege angestrengt und sehe zum Himmel ob ich anhand der Sterne zumindest die grobe Richtung zum Lager finden kann. Doch wenn Mist geschieht dann richtig. Wolkenfetzen ziehen sich über den Nachthimmel wodurch kaum Sterne auszumachen sind. „Folge deinen Spuren zurück und orientiere dich neu“, geht es mir durch den Kopf. Bedacht stapfe ich wieder in den dichten Wald. Fast panisch bemerke ich, dass der Schnee mit unzähligen Rentierspuren überzogen ist. Keine Chance also meiner Fährte zu folgen. Ich drehe mich erneut um die eigene Achse, um einen eventuellen Lichtschimmer vom Lager zu erhaschen. Doch um diese Uhrzeit brennt in unserer Jurte keine Kerze und auch aus den Tipis dringt kein Licht. Klar, die Menschen schlafen. Auch Tanja schläft noch. Sie hat meine Abwesenheit gar nicht bemerkt und wenn sie aufwacht bin ich längst erfroren. Oh man, das kann einfach nicht war sein. Jetzt sind wir soweit gekommen und dann passiert mir so ein Lapsus. Klar, meine schlimmen Bauchschmerzen haben mich in den Wald getrieben und mir meine Aufmerksamkeit geraubt. Trotzdem ist das unverzeihlich. Obschon der Kälte schreite ich meinem Instinkt folgend langsam und bedacht durch den Schnee. Ich habe mich entschieden für fünf Minuten dieser Richtung zu folgen. Sollte ich auf keinen Trampelpfad treffen kehre ich meinen Spuren nachlaufend zum jetzigen Ausgangspunkt zurück, um es dann in einer anderen Richtung erneut zu versuchen. Auf diese Weise müsste ich den Pfad treffen. Plötzlich sind meine Sinne messerscharf. Unter mir entdecke ich eine Fahrzeugspur die sich in den Schnee gepresst hat. „Das muss der Weg sein auf dem hin und wieder ein Allradfahrzeug in die Basis gelangt. Ja, zweifelsohne, da sind noch mehr Spuren“, freue ich mich. Erregt laufe ich ihnen hinterher. Nur drei Minuten später erkenne ich im Zwielicht des frühen Morgens die entfernten Umrisse unserer Jurte. Erleichtert laufe ich darauf zu. An unserem mongolischen Haus angekommen, reiße ich die mit dicken Filz beschlagene Holztür auf und flüchte mich ins Innere. Obwohl es dort noch immer minus 14 °C hat erscheint mir diese Temperatur geradezu war. Ich ziehe die Daunenjacke aus, hänge sie an den Haken und schlüpfe ausgefroren in meinen Schlafsack. „Müssen wir schon aufstehen?“, fragt Tanja im Halbschlaf. „Nein, es ist erst 5:30 Uhr am Morgen“, antworte ich in meine Daunenhülle atmend, um wieder warm zu werden.

Mit schwachen Gliedern verlasse ich um 9:00 Uhr unsere Schlafstätte. Müde berichte ich Tanja von meinem morgendlichen Abenteuer. „So etwas darf nicht passieren“, ermahnt sie mich mitfühlend und mit vor Schreck geweiteten Augen. „Ja ich weiß. Hatte einfach nicht aufgepasst“, antworte ich. „Und wie geht es dir jetzt?“ „War zweifelsohne ein leichte Fischvergiftung. Mir ist noch immer schlecht. Aber zumindest ist mein Bauchweh besser geworden.“ „Morgen geht es dir wieder besser.“ „Bestimmt aber…“ sage ich und überlege mir es dabei gut sein zu lassen. „Was meinst du mit aber?“, bohrt Tanja nach. „Ach ich weiß nicht. Irgendwie schlägt mir der nicht enden wollende Winter langsam aufs Gemüt. Ich sehne mich nach dem Frühling. Nach Wärme und Sonne“, sage ich bedacht, um Tanja nicht mit meiner schlechten Stimmung anzustecken. „Oh! Gut das wir darüber sprechen. Mir geht es auch nicht anders.“ „Echt? Du hast die gleichen Gefühle?“ „Klar, ist der längste Winter meines Lebens. Es ist zwar schön in der Taiga aber auch ich sehne mich nach blühenden Blumen, nach den Summen der Insekten und dem Rauschen eines Baches. Mittlerweile haben wir schon seit Oktober Winter. Das sind glatte fünf Monate. Es ist absolut normal das wir uns nach der warmen Zeit lechzen“, antwortet sie. „Hm, dachte schon ich leide unter Schwermut. Aber wahrscheinlich hast du Recht“, antworte ich nachdenklich und trete nach draußen um Mogi von der Kette zu lassen.

Kaum ist der Hund wie üblich durchs Lager geschossen als Ultsan zu mir kommt. „Ihr müsst Mogi unbedingt beibringen nicht an Blockhäuser, in Tipis, Hundehütten, Holzhaufen und anderen Gegenständen zu pinkeln. Die Bewohner der Basis beschweren sich mehr und mehr darüber.“ „Stimmt, gestern hat er gegen mein Solarpanel gepisst“, bestätigt Tso, der grinsend neben Ultsan steht. „Wie sollen wir ihm das abgewöhnen?“, frage ich ein wenig verzweifelt. „Nun, am besten du gehst erst mit ihm spazieren bevor du ihm Camp herumlaufen lässt. Dann ist seine Blase nicht mehr so voll“, schlägt er vor. „Ultsan, Mogi ist ein Rüde, er wird immer einen Sprutz in seiner Blase haben um irgendetwas mit seinem Duft markieren zu können. Das wird also nicht klappen“, sage ich. „Als Gambas Hund immer wieder gegen den Holzhaufen pisste hat er ihn verprügelt und danach am Hals für längere Zeit in einen Baum gehängt. Danach hat er nie mehr einen Holzhaufen markiert“, erzählt mir der junge Jäger. Ich versuche mir mein Entsetzen nicht anmerken zu lassen und beschließe ab sofort wieder jeden Tag mit unserem Hund in der Taiga spazieren zu gehen. Das ist zwar nicht die wirkliche Freiheit für ihn aber besser als gehängt zu werden alle mal.

Einkaufen für Tsagaan Sar

Tsaya, Ultsan, Purvee, Saintsetseg, Monkoo, Suren, Darima, Hataa, Shagai und der Fahrer brechen in einem Jeep nach Tsagaan Nuur auf, um für das Fest einzukaufen. Tsaya hat Tanja noch erklärt wie sie ihre Hündin Henbe und den Rüden Galgai füttern muss. Du kippst drei große Becher Mehl in den Wok und rührst es so lange bis eine braune Mehlschwitze entsteht. Wichtig dabei ist, dass du es bei niedriger Flamme anrührst, ansonsten gibt es grobe Klumpen. Das ist nicht gut für die Tiere.“ „Und die Hunde bekommen nur gekochtes Mehl zu fressen?“, hat sich Tanja gewundert. „Ja, das reicht aus um sie am Leben zu erhalten. Ab und an füttere ich ihnen noch etwas Fleisch aber das ist die Ausnahme. „Früher haben unsere Hunde gar nichts zu fressen bekommen. Sie mussten sich selbst um ihre Ernährung kümmern und jagen“, erklärte Ultsan, um zu sagen wie gut es den Hunden der Tuwa heute ergeht.

„Als der Motor des Jeeps unter der Last von 10 Passagieren aufheult, ruft Tsaya noch durchs geöffnete Fenster; „Und denkt daran die Tür unserer Blockhütte zu überprüfen. Sie muss immer geschlossen sein. Ansonsten wird sie von den Camphunden als Wohnstätte missbraucht!“ „Mach dir keine Sorgen. Wir kümmern uns um alles!“, antwortet Tanja. Dann verschluckt der Wald das heißere Heulen des gequälten Motors. „Irre, zehn Menschen plus Gepäck in einem ganz normalen Jeep. Wenn ich an die schreckliche Strecke denke wird das eine Höllenfahrt“, meine ich mitfühlend. „Gut das wir nicht darin sitzen müssen“, entgegnet Tanja, dreht sich um und schreitet sogleich zum Blockhaus Nummer eins, um die Tür zu checken. „Alles okay?“, frage ich. „Ja, ja. Die Tür ist zu“, ist Tanja beruhigt. „Jetzt sind wir nur noch sieben Menschen im Camp. Alle ausgeflogen. Fühlt sich irgendwie gut an“, meine ich. „Stimmt. Die Ruhe ist überwältigend. Einfach angenehm“ pflichtet mir Tanja bei.

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