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Mongolei/Tsagaan Nuur Camp MONGOLEI EXPEDITION - Die Online-Tagebücher Jahr 2011

Vom Hund gebissen

N 51°21'785'' E 099°21'046''
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    Tag: 104

    Sonnenaufgang:
    08:21

    Sonnenuntergang:
    17:50

    Gesamtkilometer:
    1146

    Bodenbeschaffenheit:
    Eis, Schnee

    Temperatur – Tag (Maximum):
    minus 18°C

    Temperatur – Tag (Minimum):
    minus 25°C

    Temperatur – Nacht:
    minus 27°C

    Breitengrad:
    51°21’785“

    Längengrad:
    099°21’046“

    Maximale Höhe:
    1475 m über dem Meer

Beim Frühstück berichtet Bilgee uns in drei Tagen nach Hause fahren zu wollen. Tanja und ich sehen uns erschrocken an. „In drei Tagen schon?“, frage ich, um sicher zu gehen ihn richtig verstanden zu haben. „Tijmee“, (Ja) antwortet er. „Kannst du nicht noch fünf Tage bleiben?“, frage ich vorsichtig, da wir gestern einen ganzen Lastwagen voller Bäume für unser Feuerholz bekommen haben und Bilgee mir den Umgang mit der Motorsäge zeigen möchte. Auch ist unser Wandan noch zu zimmern, eine Kälteisolierung für die Jurtentür zu fertigen, eine Filzmatte als Auflage für unser Wandan zu nähen, Drahthaken für unsere Geschirraufhängung zu biegen, eine Hundehütte für Mogi zu fertigen, da wir uns jetzt doch entschieden haben uns nicht von ihm zu trennen, und viele andere Arbeiten, die noch zu verrichten sind, wozu wir sehr gerne Bilgees Hilfe in Anspruch nehmen würden. Bilgee sieht mich freundlich an und lacht. „Ich bleibe so lange bis wir mit der Arbeit fertig sind“, erleichtert uns seine Antwort.

Während ich über unsere umfangreichen Erlebnisse schreibe tragen Bilgee und Tanja die gesamte Ausrüstung in das neben der Jurte stehende Baishin (Blockhaus). Ayush hat es uns für 30.000 Tugrik (17,- €) im Monat vermietet. Tanja wird dieses Baishin nutzen, um die gesamte Nahrungs-Logistik für die kommenden sechs Monate auszuarbeiten. In der Jurte wäre das wegen Platzmangel unmöglich. Also haben wir wieder einmal viel Glück für die umfangreiche Arbeit eine Baishin nutzen zu dürfen. Der Plan ist für je zwei Wochen einen Karton mit Lebensmittel zu packen. Insgesamt sollten es 12 Kartons werden, die wir dann in unserer Jurte unter dem Wandan verstauen. Dort ist es aus dem Weg und gleichzeitig kalt wie in einem Eisschrank.

Bilgee und ich suchen nun sechs geeigneten Holpfosten die wir als Füße für unser Wandan benötigen. Es dauert eine Weile bis wir unter den Baumstämmen, die wir für unser Feuerholz organisierten, Stämme mit etwa 15 cm Durchmesser gefunden haben. Wir sägen sie auf eine Länge von ca. 40 cm. Während ich sie mit einer stumpfen Axt entrinde, sägt Bilgee, wie alles was er macht verblüffend gut, jedem Holzfuß eine Verzapfung. Diese Verzapfung soll in eine Fuge, die wir in einen Baumstamm einarbeiten. Das heißt, für je zwei Holfüße einen Balken mit zwei Fugen. Darüber werden dann Bretter genagelt die wir von Ayush abgekauft haben.

„Hast du einen Holzmeißel?“, fragt Bilgee. „Einen Holzmeißel?“ „Tijmee. Den brauche ich um die Fugen in die Balken zu schlagen“, erklärt er. Nun, mittlerweile habe ich einiges an Werkzeug gekauft aber an einen Holzmeißel? Daran habe ich nicht im Traum gedacht. Wir fragen Ayush ob er uns so ein Werkzeug ausleihen kann aber er sagt dieses nicht zu besitzen. Daraufhin gehen Bilgee und ich ins Dorf. Wir laufen zu den fünf oder sechs kleinen Läden die es gibt. Leider ohne Erfolg. „Lass es uns dort drüben noch versuchen“, deute ich auf ein kleines Blockhaus, mit einem Schildchen über der Tür, welches verrät, dass dort irgendetwas feilgeboten wird. Auf dem Weg dorthin liegt ein großer alter Hund mitten auf dem verschneiten Boden. Weil es in Tsagaan Nuur unendlich viele frei herumlaufende Hunde gibt, nichts Außergewöhnliches. Jedoch fällt mir sofort sein aggressiver Blick auf. Schnell greife ich in die Tasche und umklammere das Pfefferspray. „Versuch nur zu beißen du Mistkerl, dann verpass ich dir Eine das dir Hören und Sehen vergeht“, denke ich, meinen Blick in den seinen gebohrt. Als wir den Hund passieren blickt er zur Seite und wendet seinen Kopf. Vielleicht habe ich mir nur eingebildet, dass dieser Köter ein Beißer ist? Aber sicher ist sicher. Eine junge Frau kommt uns entgegen. Als sie an dem daliegenden Vierbeiner vorbeiläuft springt er urplötzlich auf und fällt sie an. „Tuslaaraj! Tuslaaraj! Tuslaaraj!“, („Hilfe! Hilfe! Hilfe!“) brüllt sie entsetzt als der hochaggressive Straßenköter sie unterhalb vom Knie erbarmungslos beißt. Humpelnd und schreiend versucht sich die Frau auf den Beinen zu halten und zu flüchten. Der Beißer setzt ihr hinterher, um erneut seine gefletschten Zähne in ihr Fleisch zu graben als Bilgee und ich schon zur Stelle sind. Bereit die Mongolin mit allen Mitteln zu verteidigen, springe ich auf den Hund zu. Der zieht seinen Schwanz ein und trollt sich. „Er hat mich gebissen! Er hat mich gebissen!“, weint und stottert die Frau. Blut dringt durch ihre Hose. Ihre Hände zittern und tränen laufen über ihre Wangen. Einen Zettel, den sie in der Hand hält, fällt zu Boden. Ich empfinde tiefes Mitleid. Wegen meinem schlechten Mongolisch weiß ich nicht wie ihr zu helfen ist. Bilgee spricht mit ihr ein paar Worte. Dann kommt ein Ehepaar aus einem Blockhaus nebenan. Sie scheinen die Frau zu kennen und rufen jemanden vom Handy aus an. Weinend, noch immer unter Schock stehend, humpelt die Gebissene in die Richtung davon aus der sie gerade gekommen ist. „Sie braucht dringend einen Arzt“, versuche ich mit Nachdruck dem eher teilnahmslos dreinblickenden Ehepaar zu vermitteln. „Es gibt hier Tollwut.“ Aber wie soll ich den Menschen bergreiflich machen, dass der Hund grundlos sehr aggressiv war? Das diese Reizbarkeit und Beißwütigkeit oftmals ein sicheres Zeichen für diese schlimme, ansteckende Infektionskrankheit ist? Wie soll ich den Menschen hier vermitteln, dass die Gebissene umgehend gegen Tollwut geimpft werden muss? Dass ein Biss von einem tollwütigen Tier mit dem sicheren und sehr grausamen Tod endet? Aber wer weiß? Vielleicht gibt es in Tsagaan Nuur keinen Impfstoff gegen die Tollwut?

Geknickt über die Machtlosigkeit der Frau nicht mehr helfen zu können, laufe ich wortkarg neben Bilgee zu unserer Jurte zurück. Zuhause berichte ich Tanja von dem Zwischenfall. „Du darfst niemals ohne dein Pfefferspray zum einkaufen gehen“, mahne ich besorgt.

Weil wir ohne den Holzmeißel nicht weiter an unserem Wandan arbeiten können fragen wir erneut Ayush ob er nicht doch einen Holzmeißel besitzt. Und siehe da. Er geht in den Schuppen und gibt mir einen. „Na da hätten wir uns das stundenlange Herumlaufen sparen können“, sage ich zu Tanja. „Warum hat er dir nicht gleich den Meißel gegeben?“, möchte sie wissen. „Wenn ich das wüsste? Glaube er ist ein wenig geizig und hat Angst sein Werkzeug nicht zurückzubekommen oder wenn, dann eventuell kaputt. Ich werde Saraa anrufen. Sie soll uns einen Holzmeißel in Mörön besorgen und wenn er hier ankommt gebe ich ihm seinen gebrauchten Meißel und schenke dem alten Mann einen Neuen. Das wird ihn freuen“, beschließe ich.

Während Bilgee die Fugen in die Holzstämme schlägt helfe ich Tanja beim Wasserholen. Gemeinsam mit Mogi laufen wir zum See. Mogi ist ausgelassen und genießt seine Freiheit. Hier gibt es keine Schafe und Ziegen. Die einzige Gefahr sind kleine Kälber und frei herumlaufende Hundebanden mit denen er sich schlagen könnte. Im Augenblick rennt Mogi unweit von uns hin und her. Er spielt mit anderen Hunden recht vergnügt. Auch mit Check, dem Hund von Ayush, scheint er Frieden geschlossen zu haben. Tanja schenkt Mogi wieder mehr Aufmerksamkeit und bald so etwas wie Liebe. Sie geht mit ihm gemeinsam einkaufen. Auch ohne Leine rückt er ihr kaum von der Seite und wartet geduldig vor dem Laden bis sie wieder herauskommt. So hat sie plötzlich einen treuen und starken Beschützer. Ich bin der Überzeugung, dass er uns tatsächlich vor allem was uns nicht wohl gesonnen ist verteidigt. Sein ausgeprägter Beschützerinstinkt zeigt sich von Tag zu Tag mehr.

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