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E-Bike-Expedition Teil 4 Vietnam - Online Tagebuch 2016-2017

Vom armen Schlucker zum Resortbesitzer – Lovemarket und Korruption

N 20°50’40.3’’ E 104°38’28.1’’
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    Datum:
    31.08.2016 bis 01.09.2016

    Tag: 432 – 433

    Land:
    Vietnam

    Provinz:
    Hòa Bình

    Ort:
    Moc Chau

    Breitengrad N:
    20°50’40.3’’

    Längengrad E:
    104°38’28.1’’

    Tageskilometer:
    180 km mit dem Auto zurückgelegt

    Gesamtkilometer:
    18.346 km

    Luftlinie:
    45 km

    Bodenbeschaffenheit:
    Asphalt / Schotter

    Maximale Höhe:
    1.200 m

    Gesamthöhenmeter:
    54.661 m

    Sonnenaufgang:
    05:44 Uhr – 05:45 Uhr

    Sonnenuntergang:
    18:19 Uhr – 18:18 Uhr

    Temperatur Tag max:
    28°C

    Temperatur Tag min:
    21°C

(Fotos zum Tagebucheintrag finden Sie am Ende des Textes.)

LINK ZUR REISEROUTE

„Wir waren arm und besaßen nichts“, beginnt Manh unvermittelt zu erzählen. Unter dem Stelzenhaus sitzend lauschen wir seiner Geschichte. Mein Großvater war einst ein sehr reicher Mann. Vielleicht der Reichste in dieser Provinz. Er lebte in einem richtigen Palast, während alle anderen in Bambushäusern wohnten. Im damals schon kommunistischen Vietnam war er für die Ausgabe der Lebensmittelscheine verantwortlich, durch deren Erhalt sich die Bevölkerung einfachste Nahrung besorgen konnte. Mein Vater, der viel von dem Geld meines Großvaters erbte, brachte das gesamte Vermögen durch, so dass wir völlig verarmten. Er hatte eine Topp-Ausbildung, sollte Pilot werden und schmiss alles hin. Er wurde spielsüchtig und trank regelmäßig Alkohol. Abends, wenn er nachhause kam, schlug er manchmal meine Mutter, die sich deswegen von ihm trennte und später Nonne wurde. Irgendwie war alles aus den Fugen geraten. Meine Mutter, Schwester und ich lebten in einer einfachen Hütte ohne Strom, fließend Wasser und Möbel. Irgendwann bin ich vor lauter Frust einfach abgehauen, habe keinem erzählt wohin. In Sa Pa fand ich einen Job als Kellner. Neben meiner Arbeit ging ich mehrfach in der Woche in die Schule um Englisch zu lernen. Ich dachte, es nur mit dieser Fremdsprache zu schaffen, aus meiner elendigen Situation ausbrechen zu können. Es ging nur langsam voran, aber meine Leben wurde etwas besser. Zumindest verdiente ich zum ersten Mal mein eigenes Geld. Das Meiste davon sendete ich zu meiner Familie. Eines Tages stand plötzlich meine Schwester vor mir und bat mich zurückzukommen. Wie hast du mich gefunden? Wollte ich wissen. ‚Auf den Briefen mit dem Geld, welches du uns geschickt hast, war Sa Pa gestempelt. Da habe ich mich auf die Suche nach dir gemacht.’ Ich ließ mich erweichen und bin dann mit ihr wieder zurückgegangen, aber die Lage zuhause war unverändert und hoffnungslos. Also machte ich mich erneut aus dem Staub und bat darum mich nicht zu suchen. Diesmal zog es ich in die Großstadt Hanoi. Dort wollte ich mir wieder einen Job suchen. Wusste aber nicht wie schwierig das ist. Eigentlich war ich total pleite, hatte nur noch 200.000 Dong (8,- €) in der Tasche. Die billigsten Unterkünfte verlangten 50.000 Dong (2,- €) für eine Nacht. So bin ich also durch die Stadt gestreift und suchte eine Möglichkeit irgendwo einen Platz zum schlafen zu finden. Ich sage euch, das war echt frustrierend und relativ aussichtslos. Vor lauter Verzweiflung, es war bereits stockdunkel, fragte ich einen Radfahrer ob er weiß wo man günstig unterkommen konnte. ‚Bei mir’, meinte er. In einem einfachen Haus vermietete er Zimmer für arme abgebrannte Schlucker wie mich. Im vierten Stock zeigte er mir einen kleinen Raum, in dem schon 10 andere auf dem Boden schliefen. Sie lagen da wie die Fische nebeneinander. Wirklich schrecklich. Für nur 10.000 Dong (0,40 €) die Nacht war ich aber froh nicht auf der Straße nächtigen zu müssen. Weil ich mich nicht neben die schwitzenden Leiber quetschen wollte stieg ich die Stufen zum Dach hoch und habe mich neben Bergen von schmutziger Wäsche auf den Boden gelegt.

Am nächsten Tag lief ich auf der Suche nach Arbeit durch die Straßen dieser furchteinflößenden Großstadt. Ich fand ein Hotel und fragte einen Mann im schwarzen Anzug ob er mir Arbeit geben könnte. Dachte er ist der Inhaber des Hauses. Er war aber nur der Portier. Er lachte mich nur aus und so zog ich weiter. Keiner gab mir einen Job. Der Grund lag unter anderem darin, dass ich keine Papiere besaß die mich auswiesen. Ohne Papiere keine Arbeit. Aber wie sollte ich Ausweispapiere bekommen ohne Geld? Das ist ein schrecklicher Kreislauf. Nach tagelanger Suche saß ich wieder völlig desillusioniert auf dem Dach des Hauses. Mein Geld war fast zu Ende. So schrieb ich einen Brief auf Englisch, um meine Situation zu erklären. Diesen Brief, der bewies dass ich Englisch spreche, zeigte ich den Besitzer eines Hotels. Der Mann sah mich skeptisch an. Sie werden es nicht bereuen. Ich tue alles und arbeite hart, sagte ich.“

Plötzlich hört Manh zu erzählen auf und blickt mit gesenkten Kopf auf den Boden. Tanja und ich sehen uns etwas verunsichert an und warten wie die Geschichte weitergeht. Manh wischt sich unvermittelt die Tränen von den Wangen und beginnt leicht zu schluchzen. „Entschuldigung“, sagt er, steht auf und verlässt den Platz. Zehn Minuten später hat er sich wieder gefangen, ist aber nicht in der Lage seine Erzählung fortzusetzen. Wir fragen auch nicht danach, weil wir spüren, dass jetzt nicht der richtige Zeitpunkt dafür ist.

Tage später, bei einer gemeinsamen Autofahrt, frage ich ihn einfühlsam wie seine Geschichte mit dem Hotel ausgegangen ist. „Ha, ha, ha, ja das wollte ich euch eigentlich noch zu Ende erzählen. Also, er fragte was ich gerne machen würde. Alles habe ich geantwortet. ‚Okay, du kannst für 50 US$ im Monat als Wachmann anfangen’, glaubte ich meine Ohren nicht zu trauen. ‚Aber erst gehst du zum Friseur und lässt dir einen ordentlichen Haarschnitt verpassen’, sagte er schmunzelnd. Wann kann ich anfangen? Wollte ich wissen. ‚Heute’, sagte er. Der Friseur zog mir mein letztes Geld aus den Taschen, weswegen ich absolut pleite meinen ersten Job in einem richtigen Hotel begann. Noch am selben Tag gab mir mein Chef eine Vorauszahlung auf meinen Lohn ohne ihn darum gebeten zu haben.“ „War demnach ein guter Mensch?“, werfe ich ein. „Ein sehr guter Mensch. Ich lernte dort viel. Es dauert nicht lange dann wurde ich zum Rezeptionist befördert weil der alte aus irgendeinem Grund entlassen wurde. Dann durfte ich geführten Sightseeingtouren begleiten und als mal Not am Mann war die ersten Touren selbst führen. Ich bekam eine Menge Trinkgeld und lernte das Touristengeschäft kennen. Nach einem Jahr war ich der Manager des Hotels. Mein Gehalt betrug 500,- US$ im Monat. Später eröffnete ich mit Freunden ein eigenes Hotel. Es lief irre gut, vor allem unser Restaurant, in dem wir unseren Gästen Biolandhühner anboten. Meine Partner wollten noch mehr Geld verdienen und unseren Gästen Hühner aus der Massenzucht unterjubeln. Den Betrug wollte ich nicht mitmachen und bin ausgestiegen. Nach zwei Jahren war das Hotel und Restaurant pleite.“

Manh wollte selbstständig sein. Er kündigte den Managerposten im Hotel und fand das damalig touristisch völlig unbekannte Tal bei Mai Chau. Dort eröffnete er die erste Homestay für Touristen, brachte interessierte Gäste von Hanoi in das wunderschöne Tal. Das war der Grundstein der heutigen Nature Lodge. Nur wenige Jahre später sind seine Geschäftspartner, ein Architekt, ein Filmproduzent und ein hoher Beamter aus dem Finanzministerium. Manh hat es tatsächlich geschafft. Er ist mit einer hübschen Frau verheiratet deren Familie ein große angesehene Baumfirma besitzt. Er hat zwei liebe Kinder, fährt einen neuen SUV und er setzt sich für armen Reisbauern ein…

„Wollt ihr mit zum Love Market?“, fragt Manh am nächsten Tag. „Was ist das?“, möchte ich wissen. „Ein Liebesmarkt etwa 80 km von hier. Dort treffen sich einmal im Jahr die H’mong, Thai und Nung Minderheiten von überall in Nordwestvietnam, um nach einen Ehepartner oder einer alten Flamme zu suchen. Es ist ein wunderbares Spektakel, ein Fest der Farben. Die Menschen kommen von den Bergen herunter und tragen alle ihre aufwendigen und handgefertigten Trachten an denen sie bis zu einem Jahr arbeiten. Für sie ist dieser Markt die einzige Möglichkeit jemanden kennenzulernen. Da können wir tolle Fotos machen Denis“, schwärmt er. Tanja und ich sehen uns an und sind uns einig. „Klar kommen wir mit“, antworten wir uns über das Angebot freuend.

In dem Städtchen Moc Chau angekommen parkt Manh sein Auto auf einem bewachten Platz. Weil auf den Straßen die Hölle los ist schlagen wir vor Ajaci im Auto zu lassen. „Nicht gut. Wir sollten ihn besser mitnehmen.“ „Warum?“, frage ich. „Wir müssten das Fenster offen lassen damit er frische Luft bekommt und es könnte durchaus sein, dass er dann gestohlen wird.“

Wenig später lassen wir uns durch die überfüllte Straßen treiben. Es ist in der Tat bunt, laut und sehr hektisch. Tausende von Menschen brillieren durch die Gassen. Vor allem Frauen jeden Alters zeigen sich in ihren wunderschönen Trachten. Sobald wir stehen bleiben, um Fotos zu schießen, bilden sich Menschentrauben um uns. Ajaci ist anscheinend der Schönste von allen, zumindest hat kein Mädchen, und ist es auch noch so hübsch, so ein blütenweißes Fell wie unser Hund. Unzählige Bilder füllen die Speicherchips der Smartphones. Ständig werden wir gefragt ob sich Ajaci für ein Selfie zu Verfügung stellt. Die Menge der Anfragen sind absolut abgefahren. Um Ajaci zu schützen bleiben wir nie lange stehen, obwohl er sich als Superstar des Lovemarket von Moc Chau sichtlich wohl fühlt. „Dürfen wir ein Interview mit ihnen führen?“, fragt eine Journalistin. „Gerne“, antworte ich. Sogleich werden zwei Filmkameras auf Stative gestellt und Manh übersetzt die Fragen. Nachdem ich beantwortet habe wie es uns auf dem Lovemarket gefällt, woher wir kommen, wie lange wir bleiben usw., ziehen wir weiter. „Lass uns essen gehen“, sagt Manh einige Stunden später. „Gerne“, antworte ich, vor allem weil ich durch das viele Fotografieren erschöpft bin. 3 ½ Wochen nach meiner Schulterverletzung ist heute für mich der erste Tag wieder unterwegs zu sein. Das ständige Hochheben der Kamera und sie vor dem Auge zu halten ist zwar machbar aber in meinem Schultergelenk fühlt es sich an als hätte man Klebstoff eingefüllt der im Begriff ist hart zu werden.

Eine Stunde später befinden wir uns auf einer Erhebung und blicken auf grüne Teepflanzen die sich über zuckerhutähnliche Hügel ziehen. Hung der Filmemacher, Hai der Beamte aus dem Finanzministerium und ein paar andere Männer stehen zusammen und unerhalten sich angeregt. „Wir wollen hier eine weiteres Touristenresort aufbauen“, erklärt Manh. „Da habt ihr euch eine traumhaft schöne Landschaft ausgesucht“, antworte ich. „Ja, die Provinzregierung möchte in dieser Region den Tourismus fördern und unterstützt unser Projekt.“ „Und was geschieht mit den Teebauern? Müssen sie ihr Land aufgeben?“, frage ich besorgt. „Nein, nein, wir werden sie integrieren und mit unserem Knowhow unterstützen die Teequalität zu verbessern“, erklärt Manh.

Es vergeht keine Stunde als wir von den Inhabern der Homestay Hua Tat begrüßt werden, die wir vor über einem Monat schon mal aufsuchten, dort aber nicht blieben. Der Inhaber erkennt mich wieder und grüßt freundlich. „Setzt euch“, bittet Manh uns an der Tafel platz zu nehmen, an der bereits 11 Männer und eine junge Frau auf das Essen warten. „Das ist der Provinzgouverneur von Moc Chau“, stellt mir Hung den groß gewachsenen, gut aussehenden Politiker vor. Wir stehen beide sofort auf und schütteln uns die Hand. Unsere Gastgeber berichten dem interessiert zuhörenden Mann im weißen Hemd warum wir schon so lange in der Nature Lodge verweilen. Er nickt mir freundlich zu. Dann wird wieder über das neue Projekt gesprochen. Zu diesem Zeitpunkt wissen die Inhaber der Nature Lodge nicht, dass die Provinzregierung plant mitten in diesem wunderschönen Teeplantagental ein Regierungszweckgebäude zu bauen. Die damit verbundene Zerstörung des Landschaftsbildes bedeutet das Ende des geplanten Resort in diesem Gebiet. Der Grund dafür liegt in der ungeheuerlichen Korruption des Landes. Jeder Regierungsmann, der einen Auftrag an eine Baufirma erteilt, erhält zwischen 10 und 15 Prozent der Bausumme. Weiter profitieren die Bank, der Architekt der Bauherr und andere Beteiligte. Insgesamt fließen somit über 50 Prozent des Betrages in Bestechungsgelder. Das heißt, dass das eigentliche Bauprojekt, sei es eine Straße, ein Gebäude oder was auch immer, mit nur knapp 50 Prozent der Bausumme auskommen muss. Genau deswegen wird an der Qualität gespart, weswegen zum Beispiel Straßen bereits nach zwei Jahren wieder zerfallen. Letztendlich ist durch das korrupte System immer das Volk der Leidtragende. Diejenigen die an der Macht sitzen nutzen die Zeit ihres Schaffens, um sagenhaften Reichtum zu scheffeln, während das Volk am wirtschaftlichen Aufschwung des Landes kaum beteiligt wird. Die Ungerechtigkeit dieses Systems kennt keine Grenze und ist mit Worten nicht zu beschreiben. „Glaubst du das wird sich in Zukunft einmal ändern?“, frage ich Wochen später einen Vietnamesen der nicht genannt werden möchte. „Nie, solange wir ein kommunistisches Land sind kann sich daran nichts ändern. Die Regierung hat das Volk im totalen Würgegriff. Wir werden ständig observiert. Selbst unser Facebook-Account wird beobachtet. Sobald einer von uns zu laut schreit, verschwindet er einfach. Ich persönlich würde es nicht wagen mich gegen die Regierung aufzulehnen.“

Nach dem üppigen Mahl verabschiedet sich der Provinzgouverneur. Dann kreisen die ersten Reisweinflaschen. Die kleinen Gläser werden mit der klaren Flüssigkeit gefüllt die einen Alkoholgehalt von 5 bis über 20 Prozent hat. „Der Rượu Cần wird von unserem Gastgeber selber hergestellt“, erklärt Manh. „Die ethnischen Völker in Nordvietnam verwenden dafür Langkornreis, Klebreis, Mais oder Maniok. Dazu mischen sie die verschiedensten Kräuter, Blätter und Wurzeln. Du spürst es wenn du ihn ein wenig im Gaumen hältst.“ „Hm, schmeckt gar nicht so schlecht“, sage ich und stelle das Gläschen auf den Tisch. Es dauert nur Sekunden bis Hai wieder die Luft aus meinem Glas vertrieben hat. nâng cốc chúc mừng!“, (Zum Wohl) ruft er mir auffordernd zu den vergorenen Reis in den Rachen zu kippen. Kaum ist die Flüssigkeit auf den Magenboden geplätschert erhebt sich Hai und reicht mir die Hand. Obwohl es in Vietnam nicht üblich ist sich während der Begrüßung die Hand zu geben, so scheint es durchaus normal zu sein sich nach jeden Gläschen kräftig die Hände zu schütteln. So kommt es, dass ich unaufhörlich und ständig zahlreiche Hände drücken muss. „Du solltest nicht zu viel davon trinken. Ich kenne mein Volk. Es wird nicht gut enden“, warnt mich Manh. Für Hai, dem Mann aus dem Finanzministerium, scheint die Warnung nicht zu gelten. In kürzester Zeit werden zahlreiche Flaschen geleert, weswegen Tanja und ich uns aufmachen um das kleine Dorf ein wenig zu erkunden. Die etwa dreijährige Tochter der Homestayinhaber begleitet uns. Sie legt ihr winziges Händchen in die Meine und lacht hell und freudig als ihr Ajaci kurz über ihr Bäckchen schleckt. Hand in Hand laufend erkunden wir gemeinsam die nahe Umgebung. Als wir zurückkommen hat der Reiswein der Gesellschaft ein frühes Ende bereitet. Alle liegen oben im Dormitorium, um ihren Rausch auszuschlafen…

Wer mehr über unsere Abenteuer erfahren möchte, findet unsere Bücher unter diesem Link.

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